Neuer GD, 23.4.2023 Thema Ps 104 -Staunen

23.4.2023

J.Berewinkel

In der Woche nach Ostern haben meine Frau und ich eine wunderschöne Wanderung gemacht, eine Traumschleife. Wir sind den Streuobstwiesen-Weg gelaufen bei Mülheim-Kärlich. Das war ...

In der Woche nach Ostern haben meine Frau und ich eine wunderschöne Wanderung gemacht, eine Traumschleife. Wir sind den Streuobstwiesen-Weg gelaufen bei Mülheim-Kärlich. Das war wirklich fantastisch schön. Das Wetter war super. Man lief da ganz viel durch Streuobstwiesen. Die Bäume standen voller Blüten, in voller Pracht.

(F. Blüten)

Wir sind immer wieder stehen geblieben und haben uns einfach diese Pracht angeschaut. Eine einzige Blüte – so fantastisch. So schön! Da konnte man nur staunen.

Staunen – einige von Ihnen und Euch haben ja eben erzählt, was sie ins Staunen bringt.

Was ist das eigentlich – Staunen??
Es ist ja selbst eine erstaunliche Sache.
Etwas Schönes, irgendwie Erhebendes.

(F: Staunen)
Goethe sagte mal: Das Höchste, wozu ein Mensch gelangen kann, ist das Erstaunen.

Auch die antiken Philosophen haben sich schon Gedanken gemacht über das Staunen.
Aristoteles war der Meinung: Staunen ist der Anfang der Philosophie.
Er dachte: Das Staunen steht am Anfang. Es löst eine Frage aus, worauf dann die Vernunft eine Erklärung sucht. Und wenn die Vernunft dann eine Erklärung gefunden hat, dann ist das Staunen vorbei.
Das denken heute ja auch manche Leute: Man staunt über das, was man nicht versteht. Wenn ich etwas verstehe, dann staune ich nicht mehr.
Wie sehen Sie das?

Der philosophische Lehrer von Aristoteles war Platon. Der sah das anders. Für ihn steht das Staunen am Anfang, aber auch am Ende einer Erkenntnis. Das Staunen hört mit dem Verstehen nicht auf, sondern geht weiter.

Ein Professor für Physik hatte in einer Vorlesung den Studierenden ausführlich einen bestimmten physikalischen Vorgang in der Natur erklärt. Jedes Detail. Alles konnte man Schritt für Schritt nachvollziehen. Am Ende sagte er: Und wenn Sie das verstanden haben, dann können Sie nur staunen!

Staunen steht am Anfang und auch am Ende des Verstehens.

Und Staunen hat eine erstaunliche Wirkung.
Staunen macht die Augen auf und die Seele weit.
Das kennen wir, glaube ich, alle: Wenn wir staunen, da öffnet sich etwas in uns. Die Seele, das Herz weitet sich. Das ist etwas wunderschönes, wenn man so von etwas hingerissen ist, das uns staunen lässt.

Und es wirkt sich aus.
Eine Studie in den USA hat herausgefunden, dass das Staunen uns sogar zu sozialeren Menschen macht. Wer staunt, das hat man da festgestellt, der wird kooperativer, hilfsbereiter.
Staunen lenkt unseren Fokus weg von uns selbst, von unseren Sorgen und Ärger und macht die Seele weit für andere. Wir merken beim Staunen: Es gibt etwas, das größer ist als ich selber.“

Staunen kann man allerdings verlernen. Als Kind, da staunt man viel. Aber im Laufe des Lebens kann die Fähigkeit zu staunen verkümmern.

Es gibt Leute, die kennen Sie bestimmt auch, die können über nichts mehr staunen. Die staunen allenfalls noch über ihre Gasrechung, aber sonst zucken die bei allem nur die Schulter und sagen: Kenn ich doch.
Wie schade! Das Leben verkümmer, wenn wir nicht mehr staunen.
Wir können aber das Staunen wieder lernen. Neu staunen lernen. Und ich hoffe, dass dieser Gottesdienst vielleicht so ein kleiner Anstubser wird, das Staunen wieder zu lernen oder noch mehr zu staunen.

Wir haben ja vorhin den Psalm 104 gehört.
Dieser Psalm nimmt uns sozusagen an die Hand und führt uns auf den Weg ins Staunen.

Vielleicht haben Sie den Psalm noch im Ohr. Der Psalmist beobachtet. Er beobachtet die Schöpfung und erzählt, was er da sieht:
Den Himmel. Die Wolken und Winde. Das Meer. Die Erde. Hohe Berge. Flüsse und Bäche, die zwischen den Bergen dahinfließen. Die Tiere, die am Bach trinken. Wälder mit hohen Bäumen. Die Vögel, die in den Bäumen sitzen und singen.
Wiesen mit Gras und Felder mit Getreide.
Tiere und Menschen, die sich davon ernähren.

Der Psalmist schaut und schaut. Er schaut alles ganz genau an.

(F: Staunen beginnt mit dem Schauen)
Jetzt kommen wir an einen wichtigen Punkt: Das Staunen beginnt mit dem Schauen. Mit der Wahrnehmung.

Unser Wort Staunen ist ethymologisch verwandt mit „starr sein“, „starren“, „stieren“.
Darin liegt eine wichtige Einsicht: Starren bedeutet ja, sich lange etwas anschauen. Ganz gebannt hinschauen. Wie so ein Kind, das 10 Minuten lang einen Käfer anschauen kann.
Staunen braucht Zeit.
Man kann nicht eilig staunen. Staunen geht nur langsam.

Intensiv hinschauen.
Zum Beispiel wenn wir jetzt in die Natur gehen: Nicht nur herumrennen, sondern einfach mal stehen bleiben. Sich einen Knospe genauer anschauen. Eine Blume. Eine Ameise. Einem Vogel zuhören. Die Baumrinde fühlen.

So kommen wir ins Staunen.
Und dieses Staunen tut der Seele gut!
Man spürt diesem Psalmisten ab, mit was für einen guten Stimmung er das alles beschreibt.
Staunen weitet uns. Es holt uns heraus aus den tristen und bedrückenden Gedanken. Aus dem Kreisen um uns selbst.

Eine Gruppe von Psychologen hatte überlegt, wie man Senioren helfen kann, etwas positiver in die Welt zu schauen und weniger Stress und Ärger zu empfinden. Sie sagten sie: Die Leute müssen wieder staunen lernen. Darum hat man ein Experiment gemacht. Eine Gruppe von Freiwilligen wurde aufgefordert, 8 Wochen lang jeden Tag eine Viertelstunde spazieren zu gehen. Die Hälfte der Gruppe hatte die Vorgabe, auf ihre Umgebung zu achten. Die anderen hatten keine Vorgaben.
Es gab bei diesem Experiment eine originelle Art der Auswertung: Die Teilnehmer sollten nach jedem Spaziergang ein Selfie machen.
Bei denen, die auf ihre Umgebung achteten, wurde das Lächeln auf dem Selfie messbar breiter. Die Zufriedenheit stieg spürbar.

Staunen macht wirklich zufrieden und hebt die Stimmung.

Der Psalmist kommt also vom Schauen ins Staunen.

Aber dabei bleibt er nicht stehen.

Er sieht nicht nur die wunderbaren Dinge in der Schöpfung: Die Bäche und Bäume und Vögel. Sondern er sieht tiefer. Er sieht Gott darin und dahinter. Er sieht den Schöpfer. Die Schöpfung ist wie sein Kleid. Er fährt auf den Wolken des Windes. Er lässt es regnen. Er pflanzt die Bäume. Er gibt den Tieren Nahrung und uns Menschen Brot.

Es ist ein großer Unterschied, ob ich so eine Obstblüte oder ein Rotkelchen nur einfach als gegeben hinnehme, als zufällig entstanden, oder ob ich sie als als Schöpfung, als gewollt und geschaffen, als etwas, hinter dem ein Schöpfer steht.
Dann wird das Staunen noch einmal viel größer.

Dieser Psalm sieht Gott in seiner Schöpfung am Werk
Und er spricht diesen Schöpfer direkt an:
Du, du, du! Du machst das alles.

Und dann mündet diese Beschreibung in ein großes Lob auf Gott:

(F: Herr, wie sind…)

Herr, wie sind deine Werke so groß und viel!

Das ist ein großes Wow!
Wow! Wie krass ist das alles, was du gemacht hast!

Aus dem Staunen wird ein Loben.
Aus dem Blick auf die Schöpfung ein Blick auf den Schöpfer.

Ich glaube, dass das Staunen auch heute so eine Wirkung haben kann.
Staunen macht das Fenster der Seele für Gott auf.

Selbst einem Skeptiker kann das passieren.
Selbst einem Menschen, der von sich sagt: Ich sehe die Welt eher naturwissenschaftlich.

Aber wenn man dann den Sternenhimmel sieht oder einen Sonnenuntergang oder auch nur ein Buschwindröschen, dann kommt man ins Staunen. Und mit dem Staunen kommt eine Ahnung, dass hinter dem allen doch etwas Großes steht, etwas Geheimnisvolles. Eine höchst erstaunliche Macht.

Staunen öffnet das Fenster der Seele für Gott.
Und wir kommen wie von selbst ins Loben:

Wow, Gott, wie krass hast du das alles gemacht!
Herr, wie sind deine Werke so groß und viel!

Vielleicht können wir ja mal diesen Satz gemeinsam sprechen:

Herr, wie sind deine Werke so groß und viel!

(F: Schauen> Staunen > Loben)

Der Psalm führt uns also einen Weg:
Vom Schauen zum Staunen und vom Staunen zum Loben.

Wir wollen in diesem Gottesdienst nicht die Augen verschließen vor dem, was in dieser Welt schlimm ist.
Das ist leider alles da und es ist real.
Wir wollen nicht die Augen verschließen, aber wir wollen sie öffnen für das andere, das auch da ist und das wir bei allem Schlimmen ganz schnell übersehen.

Diese wunderbare Welt und der geheimnisvolle Schöpfer dahinter.

Vielleicht können wir das ja mitnehmen aus diesem Gottesdienst:
Ich will wieder neu Staunen lernen!
Beim Wandern stehen bleiben und hinschauen und genießen und so das Fenster der Seele für Gott aufmachen:
Wie sind deine Werke so groß.

Amen.