Predigt, 15.9.2024 Psalm 16 (Verabschiedung Tina Vongehr)

15.9.2024

J.Berewinkel

Liebe Geschwister, heute ist der 16. Sonntag nach dem Trinitatisfest und es ist 24 Wochen her, dass wir Ostern gefeiert haben. Darum ist der 16. Sonntag ...

Liebe Geschwister,
heute ist der 16. Sonntag nach dem Trinitatisfest und es ist 24 Wochen her, dass wir Ostern gefeiert haben. Darum ist der 16. Sonntag nach Trinitatis immer auch ein kleines Osterfest. In allen Texten geht es um Hoffnung, um Auferstehung, um neues Leben. Ein kleines Ostern im Herbst.

Das passt doch super zu einem Abschied. Auch für Dich, Tina, ist heute ein kleines Osterfest im Herbst.
Ein neues Leben beginnt, ein neuer Lebensabschnitt, und das im Herbst deines Lebens.

Und auch der Predigttext, der für diesen Sonntag vorgeschlagen hat, hat etwas Österliches und Hoffnungsvolles. Es ist ein Psalm. Ein wunderschöner Psalm.

Wir haben ihn eben gemeinsam gesprochen. Es ist Psalm 16 (ppp).

In der Lutherübersetzung ist dieser Psalm überschrieben mit „Ein güldenes Kleinod Davids“.
Der Psalm ist also eine ganz besondere Kostbarkeit. Er ist wie eine kleine Schatztruhe voller Goldstücke. Es sind Sätze, Einsichten, Erfahrungen, die wertvoll wie Gold sind.

Wir können den Psalm nicht ganz durchgehen. Aber ich möchte mir ein paar dieser Goldstücke genauer anschauen und gucken, warum die relevant sind für uns. Für Dich, Tina, aber auch für uns andere.

Wir fangen am Anfang an:

Bewahre mich, Gott; denn ich traue auf dich.

Bewahre mich!
Der Psalmschreiber weiß: Unser Leben ist gefährdet und das auf vielfältige Weise.
Es kommen Krankheiten, die unser Leben bedrohen und die es zerstören können.
Eine Bekannte von uns liegt seit mehreren Wochen im Krankenhaus, mehrfach zwischen Leben und Tod. Jetzt geht es langsam aufwärts. Aber es war für sie und ihren Mann eine schlimme Zeit.

Vor ein paar Tagen haben wir erfahren, dass der Ehemann unserer Verwaltungsleiterin gestorben ist – völlig überraschend, von einem Moment aus dem anderen.

Das sind so Momente, wo man merkt, wie gefährdet unser Leben ist. Wie zerbrechlich. Wir fühlen uns so sicher und stark – und wir leben doch auf ganz dünnem Eis.

Und das gilt auch in anderer Hinsicht:
Vieles bedroht uns.
Es gibt Menschen, die uns schaden wollen.
Unsere Beziehungen sind fragil.
Unser Hab und Gut kann verloren gehen.
Das Leben ist zerbrechlich und wir können es nicht selbst halten.

Darum betet der Psalmist: Bewahre mich, Gott; denn ich traue auf dich.

Dieses „ich traue auf dich“ heißt wörtlich übersetzt: „Ich berge mich bei dir“. „Ich halte mich fest an dir“.

Wenn man im Gebirge unterwegs ist und plötzlich von einem Unwetter überrascht wird, dann sucht man sich einen Unterschlupf; eine Höhle, einen Felsvorsprung, wo man sich bergen kann.

Oder wenn man auf einem Schiff ist und in einen Sturm kommt und alles schwankt, dann sucht man sich etwas, wo man sich festhalten kann.

Und so macht sich der Psalmist an Gott fest. Ich traue auf dich. Ich halte mich bei dir fest.

Hier wird deutlich: Glaube, Vertrauen ist etwas sehr Aktives. Glaube ist nicht nur eine religiöse Meinung, die man hat oder eine Vorstellung, sondern ein aktives Sich-bergen bei Gott. In seine Arme laufen. Den Kontakt mit ihm suchen.

Tina, Du hast mal erzählt, wie wichtig für Dich dieser Ort hier ist, diese Kirche. Wie Du oft hier gesessen und gebetet hast. Gerade auch in den schweren Zeiten.

Das ist gemeint mit dem „Ich traue auf dich“.
Bei dir, Gott, halte ich mich fest und vertraue darauf, dass du mein Leben bewahrst, dass du mich schützt.

Ein weiteres Goldstück in diesem Psalm sind die Verse 4-5:
Der HERR ist mein Gut und mein Teil.
Du hältst mein Los in deinen Händen.
Das Los ist mir gefallen auf liebliches Land;
mir ist ein schönes Erbteil geworden.

Um diese Sätze zu verstehen, muss man den Hintergrund kennen.
Als das alte Israel in das Land Kanaan gezogen war, gab es eine große Verlosung. Das Land wurde in viele Parzellen eingeteilt und dann wurden die Parzellen verlost. Jeder Stamm erhielt per Los einen Anteil.
Nur bei dem Stamm Levi war das anders. Die Leviten sollten nicht als Bauern das Land beackern, sondern sie sollten im Tempel Gott dienen. Die waren so etwas wie die Küster im Tempel. Und Gott war ihr Anteil. Von ihm lebten sie und ihm dienten sie. Die sagten: Der Herr ist mein Gut und mein Teil.

Und diese Idee wird in unserem Psalm nun sozusagen „demokratisiert“. Der Psalm wird ja dem David zugeordnet. Und der war kein Levit. Aber er nimmt das, was früher für die Leviten galt, für sich in Anspruch:

Der HERR ist mein Gut und mein Teil.

Nicht nur die Leviten, sondern jeder Mensch kann das für sich in Anspruch nehmen.

Und dann sagt der Psalmschreiber noch etwas ganz wichtiges, was auch mit diesem alten Losverfahren zusammenhängt:

Du hältst mein Los in deinen Händen.

Hier geht es jetzt nicht mehr um irgendeine Landparzelle. Sondern es geht um das Lebenslos. Um das, was mir im Leben zufällt.

Das haben wir ja nicht in der Hand.
So viele Sachen im Leben können wir nicht bestimmen: Wo wir aufwachsen, wer zu unserer Familie gehört, wen wir kennenlernen; unsere Talente, wo wir einen Job finden und eine Wohnung, unsere Gesundheit und die unserer Partner und Kinder – so viel, was wir gar nicht beeinflussen können.
Du hältst mein Los in deinen Händen.

Und jetzt schaut der Psalmschreiber auf sein bisheriges Leben zurück und sagt:
Ja, es war gut.
Das Los ist mir gefallen auf liebliches Land.

Das heißt ja nicht, dass alles in seinem Leben toll war, dass alles so gekommen ist, wie er sich das gewünscht hat. Aber unter dem Strich, sagt er, war es gut.
Mit Höhen und Tiefen – liebliches Land.
Er ist mit seinem Lebenslos zufrieden.

Ja-sagen zum eigenen Lebenslos – das kann eine ziemliche Herausforderung sein.
Wir haben ja alle Sachen in unserem Leben, unter denen wir leiden. Wunden, die weh tun. Erfahrungen, die bitter waren und bitter sind. Und wir hadern mit bestimmten Dingen.

Der Psalmschreiber hatte in seinem Leben bestimmt auch solche Dinge. Er hatte sicher auch Krankheiten erlebt und böse Erfahrungen gemacht.
Es ist nicht der Psalm eines Glückpilzes, bei dem im Leben alles toll läuft.

Ich glaube, bei diesem Ja-Sagen zum eigenen Lebenslos kommt es weniger auf die äußeren Umstände an, sondern mehr auf die innere Einstellung.

Ich kenne Leute, wo 90% im Leben eigentlich super ist, aber die 10%, die schwierig sind, die verdüstern alles. Da klagen sie drüber und hadern damit.
Und es gibt Menschen, die es wirklich schwer haben und die trotzdem zufrieden wirken.

Es kommt nicht nur auf die äußeren Umstände an, sondern wie ich mich zu diesen Umständen verhalte, wie ich sie verarbeite.

Ich glaube, dieser Psalmschreiber ist so zufrieden mit seinem Lebenslos, weil er es aus Gottes Hand annimmt.
Weil er erlebt hat, dass Gott dabei ist, in den Höhen und auch in den Tiefen. Er hat erlebt, dass Gott ihm zur Seite steht, ihn stützt und schützt, gerade in den schweren Zeiten.

Wie ist das bei Euch? Kannst Du das im Blick auf dein bisheriges Leben so sagen: Das Los ist mir gefallen auf liebliches Land?

Für David kommt noch ein weiteres hinzu.
Das steht in den Versen 9-10, und damit sind wir beim nächsten Goldstück in diesem Psalm:

Darum freut sich mein Herz und meine Seele ist fröhlich. Auch mein Leib wird sicher wohnen.
Denn du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Grube sehe.

Hier wird es österlich. Das ist der Grund, warum dieser Psalm der Predigttext an diesem kleinen Osterfest im Herbst ist.
Du wirst meine Seele nicht dem Tod überlassen.

Es geht hier nicht nur um Bewahrung vor dem Sterben. Sondern der Psalmschreiber hat die feste Zuversicht, dass Gott ihn auch im Sterben nicht loslässt.
Wenn ich sterbe, wirst du meine Seele nicht dem Tod überlassen.

Hier ist eine der wenigen Stellen im Alten Testament, wo anklingt, dass der Tod nicht das Ende ist.

Was hier nur so ein bisschen als Hoffnung aufleuchtet, das ist durch Jesus real geworden.
Gott hat Jesus nicht dem Tod überlassen. Er hat ihn aus der Grube, aus dem Grab herausgeholt und ihm ein neues Leben geschenkt.

Und mit der Auferstehung von Jesus hat Gott dem Tod die Endgültigkeit genommen.
Der Tod ist keine Sackgasse mehr, keine Grube mehr, in der wir alle enden. Sondern er ist nun ein Tunnel in ein neues Leben.

Vor ein paar Wochen ist der erste Bauabschnitt des Fehmarnbelt-Tunnels eingeweiht worden. Vielleicht habt Ihr es mitbekommen. Das ist ja ein riesiges Projekt. Ein 18 Kilometer langer Tunnel unter dem Wasser, der die Insel Fehmarn in Dänemark mit Deutschland verbindet und eine enorme Abkürzung darstellt. Die werden noch viele Jahre an dem Tunnel bauen. Aber irgendwann wird der Durchbruch erfolgen. Dann kann man durch den Tunnel von der deutschen Küste nach Fehmarn fahren.

An Ostern ist auch so ein Durchbruch passiert. Ein Durchbruch durch den Tod. Jesus hat den Weg zum Leben frei gemacht, zu einem Leben bei Gott, das ewig ist.

Darum heißt es ganz am Ende von dem Psalm:

Du tust mir kund den Weg zum Leben. Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich.

Das ist nicht nur Zukunftsmusik.
Vor dir ist Freude die Fülle – das ist für den Psalmschreiber Gegenwart. Das erfährt er schon jetzt.
Wenn man mit diesem Gott verbunden ist, bei ihm sich festhält und mit ihm durchs Leben geht, dann kann man jetzt schon Freude in Fülle erleben.

Wisst Ihr, was ich ganz schade und irgendwie seltsam finde? Bei uns in Deutschland verbinden die Menschen mit Kirche vor allem ernste Mienen. Man denkt an ernste Themen, an Tod und Trauer. Man redet ernst über Moral. Da liegt viel Ernst und Schwere über allem. Und auch über unseren Gottesdiensten liegt manchmal eine etwas beklommene Atmosphäre.

Der Psalmschreiber erlebt seinen Glauben ganz anders. Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten.
Aus der Gottesbeziehung erwächst Freude. Tiefe Freude. Das schließt natürlich die Ernsthaftigkeit nicht aus. Es geht nicht um oberflächliche Lustigkeit.
Aber wenn wir Gott auf die Spur kommen, wenn wir ihn kennenlernen, dann ist Freude das erste Kennzeichen.

Und so eine Freude sollte auch unsere Gottesdienste prägen. Ich glaube, wir sind schon fröhlicher geworden. Aber es könnte noch etwas mehr werden.
Freude an Gott. Freude aneinander, am gemeinsamen Feiern. Das wäre angemessen und das wünsche ich mir.

Vor dir ist Freude die Fülle.
Das wünsche ich auch Dir, Tina, für den Lebensabschnitt, der jetzt vor dir liegt.
Freude an deiner Familie, an der freien Zeit, am Garten, an der schönen Eifel und an Gott selbst, von dem das alles herkommt. Der dir Leben schenkt, jetzt und sogar über den Tod hinaus.

Du tust mir kund den Weg zum Leben.
Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich.
Amen.