Predigt, 16.10.2022 Jes. 43, 1-3a+5a

16.10.2022

J.Berewinkel

Liebe Geschwister, am Ufer des Euphrat sitzt eine Gruppe von Juden. Sie sitzen da vor einfachen Baracken, die sie selbst gebaut haben. Schon etliche Jahre wohnen ...

Liebe Geschwister,
am Ufer des Euphrat sitzt eine Gruppe von Juden. Sie sitzen da vor einfachen Baracken, die sie selbst gebaut haben. Schon etliche Jahre wohnen sie da. Es ist viel zu eng für die Familien. Aber für mehr haben sie kein Geld und auch keine Kraft. Es sollte ja eigentlich auch nur ein Provisorium sein. Sie waren aus ihrer Heimat vertrieben worden; aus Israel. Die Babylonier hatten Israel angegriffen und Jerusalem belagert. Die Leute dort hatten sich verbissen verteidigt. Aber dann wurde die Stadt eingenommen und alles wurde zerstört. Und der Großteil der Bewohner wurde weggeführt nach Babylon.

Die Leute dachten: Das ist für ein paar Wochen, dann können wir wieder in die Heimat. Wir bauen hier nur das Nötigste. Aber dann wurden aus den Wochen Monate und aus den Monaten Jahre. Die jungen Familien sind inzwischen alt geworden. Und die Hoffnung, dass sie wieder zurückkommen, ist verdunstet.

Wenn man sich die Leute anguckt, die hier vor ihren Baracken sitzen, dann sieht man lauter versteinerte Gesichter.
Wenn man ihren Gesprächen zuhört, dann merkt man: Hier ist keine Hoffnung mehr.
Und wenn man sie nach ihrem Glauben fragen würde, dann würden sie zu Boden schauen und leise sagen: Gott hat uns verlassen. Er ist nicht hier. Das ist vorbei.

So ist die Stimmung bei den Menschen im Exil am Euphratufer.

Aber dann macht eine Nachricht die Runde.
Die lässt die Leute aufhorchen und die Köpfe heben. Es ist eine prophetische Botschaft.
Gott hat gesprochen – durch einen Propheten.
Gott redet wieder mit uns!
Aber was hat er denn gesagt?

Was Gott damals durch den Propheten gesagt hat, das ist aufbewahrt worden, aufgeschrieben im Buch des Propheten Jesaja. Ich lese es vor:

(Folie 1)

„Und nun spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.
Wenn du durch Wasser gehst, will ich bin dir sein, und wenn du durch Ströme gehst, sollen sie dich nicht ersäufen. Wenn du ins Feuer gehst, wirst du nicht brennen und die Flamme wird dich nicht versengen. Denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland …
So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir.“
(Jes. 43, 1-3+5)

Was für wuchtige Worte!
Zugesagt an Menschen, die tief frustriert sind und sich verlassen und vergessen fühlen.

Was spricht Sie an, wenn Sie das hören?
Welche Worte berühren Sie? – – –

Gerahmt ist diese Botschaft von einem doppelten
„Fürchte dich nicht!“
(Folie 2)
Das steht am Anfang und am Ende.
Fürchte dich nicht!
Hab keine Angst!

Dasselbe hat übrigens Jesus zu seinen Jüngern gesagt. Wir haben das vorhin in der Lesung gehört:

Fürchte dich nicht, du kleine Herde!

Fürchte dich nicht – das zieht sich durch die ganze Bibel durch. Immer wieder wird das zugesagt.

Es wird uns gesagt, nicht, weil es keinen Grund gibt zur Furcht, sondern im Gegenteil. Weil immer wieder Sachen passieren, die uns Angst machen.

Wir erleben jetzt gerade eine Situation, wo viele Menschen Angst haben oder sich zumindest Sorgen machen. Das betrifft uns hier ja auch. Jeden von uns. Und es hat handfeste Gründe.
Da ist ein Krieg vor unserer Haustüre, der weiter eskalieren kann, der unseren Alltag verändert, der unseren Komfort bedroht, unsere Wirtschaft, unsere Gasrechnung und der vielleicht noch mehr von uns fordern wird an Solidarität. Das wissen wir alles nicht. Aber es ist beängstigend.

Da ist das Coronavirus, das immer noch Menschen schwer krank macht und uns verunsichert.
Da sind politische Kräfte in Deutschland und in Europa im Auftrieb, die einem Angst und Bange machen.

Der Klimawandel bedroht uns – auch wenn das gerade so in den Hintergrund gerückt ist.

Es gibt vieles, was schlimm ist und bedrohlich.

Und vielleicht gibt es in Ihrem persönlichen Leben noch ganz andere Dinge, die Sie bedrohen, die Ihnen Angst oder Sorgen machen.

Wenn Gott hier durch seinen Propheten sagt: Fürchte dich nicht!, dann ist das kein: Ach, alles halb so schlimm! Es ist keine Verharmlosung.

Der Prophet benutzt hier zwei Bilder, die allergrößte Gefahr ausdrücken:
Wasser und Feuer:

Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein.
Wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen.

Durch Wasser gehen, ins Feuer gehen – das ist extreme Lebensbedrohung. Da hast du nichts mehr in der Hand.
Das kann dein Leben wegschwemmen und vernichten.

Und solche Situationen können kommen.
Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns keine Illusionen machen.

Manchmal findet man in christlichen Kreisen die Vorstellung, dass Gott die Aufgabe hat, uns vor allem Unglück zu bewahren. Man hat die Vorstellung: Eigentlich sollte doch das Leben schön und schmerzfrei sein. Und Gott soll bitteschön dafür sorgen. Das ist doch sein Job.

Sie kennen vielleicht das Lied „Möge die Straße“.
Ich singe das gerne. Aber da ist eine Zeile, bei der muss ich jedes Mal schlucken: „Führe die Straße, die du gehst, immer nur zu deinem Ziel bergab!“

Das ist ja nett gewünscht, aber total naiv. So ist das Leben nicht. Es geht nicht immer sanft bergab zum Ziel. Und es wäre auch gar nicht gut für uns, wenn im Leben alles immer nur einfach ist.
In der Bibel wird uns an keiner Stelle versprochen, dass ein Leben mit Gott immer nur sanft bergab führt, ohne Leid und Schmerz.

Gott sagt uns hier durch den Propheten etwas ganz anderes:
Du wirst durch Wasser und Feuer gehen!
Du wirst in Situationen kommen, wo es bedrohlich ist, wo du nass wirst, wo es dir heiß wird.

Aber fürchte dich nicht davor.
Denn selbst da werde ich bei dir sein.
Da werde ich dich durchbringen!

Das ist der springende Punkt.
Die äußeren Umstände mögen schwierig werden.
Aber ich bin bei dir.
Ich bin bei dir, im Wasser und im Feuer.
Ich gehe mit dir da durch.
Darum: Fürchte dich nicht!

Dasselbe hat Jesus seinen Jüngern zugesagt. Als er sie losschickte in die ganze Welt, damit sie überall von ihm erzählen, da war auch klar, dass das nicht einfach wird, dass sie Widerstand erleben werden und Gefahren und Schmerz. Und da sagt er ihnen: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt!

Ich bin bei dir!
Dass macht den Unterschied, und es verändert alles.

Meine Frau und ich freuen uns jede Woche auf den Freitagabend. Da kommt nämlich die neue Folge von der Serie „Die Ringe der Macht“. Kennt die jemand?

Es ist die teuerste Filmserie aller Zeiten, erscheint bei Amazon Prime und ist wirklich gut gemacht.
Die „Ringe der Macht“ erzählt die Vorgeschichte vom „Herrn der Ringe“.
Da kommt ein kleines Völkchen vor, die Harfüßer. Es sind die Vorfahren der Hobbits.
Die Harfüßer sind kleine und harmlose Leute, die sich vor ihren Feinden verstecken und von Früchten leben. Sie sind nicht sonderlich mutig, aber sehr solidarisch.
Eine junge Harfüßerfrau heißt Nori.
(Folie 3)
Die erfährt, dass ein Freund von ihr in großer Gefahr ist. Einige böse Gestalten verfolgen ihn. Nori weiß: Ich muss ihn warnen, muss ihn schützen.
Und sie sagt es den anderen in ihrer Gruppe: Ich kann jetzt nicht mit euch gehen. Ich muss los und meinen Freund warnen. Die anderen sind entsetzt. Das ist doch viel zu gefährlich!
Und Nori hat Angst. Es ist wirklich gefährlich. Aber sie weiß, dass sie diesen gefährlichen Weg gehen muss.
Man sieht, wie sie sich fürchtet.
Und dann sagt auf einmal ihre beste Freundin: Ich komme mit dir!
Und ihre Mutter sagt: Ja, ich komme auch mit.
Und der alte Fährtenleser, der sich gut auskennt, sagt: Dann komme ich auch mit. Ich kann euch doch nicht allein lassen.

Und das verwandelt alles.
Als Nori sieht, dass sie nicht alleine losmuss, dass da andere mitgehen, da geht ein Strahlen über ihr Gesicht. Die Angst verschwindet und sie leuchtet vor Freude.

(Folie 4)
Ich gehe mit dir. Ich bin bei dir. Fürchte dich nicht!

Das sagt uns nicht irgendein Harfüßer zu,
sondern Gott. Der lebendige Gott.
Der Gott, der alles in der Hand hat. Der größer ist als jede Gefahr. Von dem wir herkommen und zu dem wir hingehen, wenn wir sterben.
Ich bin bei dir.

Nimm doch dieses Wort mit in deinen Alltag!
Und nimm es doch in dein Herz hinein! Ganz tief!
Und wenn dann morgen eine Angst aufsteigt oder eine Sorge, dann erinnere Dich daran:
Ich bin jetzt nicht allein. Gott geht an meiner Seite.

Es gibt einen Spruch, der stammt von einem afrikanischen Christen. Der sagt:
Erzähle nicht Gott von deinen großen Problemen.
Sondern erzähle den Problemen von deinem großen Gott!

Wenn der große Gott an meiner Seite ist, dann werden die Probleme und Sorgen auf einmal viel, viel kleiner. Wirklich!

Das gilt für uns persönlich.
Und es gilt auch für unsere Gemeinde, unsere Kirche.
Auch da verändert sich manches. Wir werden gleich in der Gemeindeversammlung ein bisschen davon berichten.
Es wird nicht einfacher. Pfarrstellen gehen zurück. Mitgliederzahlen gehen zurück. Wir sind im Übergang von einer Volkskirche zu einer Minderheitskirche. Manches wird sich ändern und vieles ist unklar.
Aber wenn wir als Kirche, als Gemeinde mit Jesus, dem Auferstandenen, verbunden bleiben, wenn wir an seiner Hand bleiben, dann werden wir da durchkommen.
Dann werden wir auch unter anderen Rahmenbedingungen sein Reich bauen können, dann werden auch in Zukunft Menschen zum Glauben finden und Gemeinschaft erleben und seine Liebe mit anderen teilen.

Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir.

So können wir durch diesen Herbst und Winter kommen.
Vielleicht in etwas kühleren Räumen.
Vielleicht mit Verzicht und manchmal mit Schmerz.
Vielleicht werden wir Wasser und Feuer erleben.
Aber du gehst nie allein.

Und der Friede Gottes…
Amen.