Predigt, 17.10.2021 (Mk. 2, 1-12)

17.10.2021

J.Berewinkel

Liebe Geschwister, manchmal erleben wir, dass unser Lebensweg versperrt ist. Da ist ein Hindernis vor uns, ein Problem, eine Schwierigkeit, als würde auf dem Weg eine ...

Liebe Geschwister,

manchmal erleben wir, dass unser Lebensweg versperrt ist. Da ist ein Hindernis vor uns, ein Problem, eine Schwierigkeit, als würde auf dem Weg eine Mauer stehen. Und wir kommen nicht weiter.
Bestimmt haben Sie das auch schon mal erlebt, oder?
Wir rennen dann gegen die Mauer an; versuchen, sie zum Einsturz zu bringen. Treten dagegen und holen uns wunde Füße. Und nichts bewegt sich. Und irgendwann resignieren wir vielleicht.

In dem Evangeliumsbericht für diesen Sonntag erleben einige Leute etwas ganz Ähnliches. Und sie finden einen kreativen Weg, damit umzugehen.

Lesen: Mk. 2, 1-4a (Basisbibel)

Jesus ist also in Kafarnaum. Das ist ein Dorf am See Genezareth. Jesus war öfters da. Da sind eine Menge wunderbare Dinge passiert durch Jesus. Und er ist populär wie ein Popstar. Es spricht sich rum, dass er wieder da ist und die Leute strömen zu ihm. Er ist im Haus, vermutlich im Haus von Petrus. Da hat er sich meistens aufgehalten. Und jetzt kommen jede Menge Menschen und wollen rein. Immer mehr. Es war ein kleines Häuschen. Das Wohnzimmer ist voll. Überall sitzen und stehen sie, dicht gedrängt. Und vor der Tür warten noch viel mehr. Eine Traube von Leuten. Die drängen und schieben sich. Alle wollen einen Blick auf den berühmten Rabbi werfen, ein paar Worte von ihm aufschnappen. Vielleicht, vielleicht von ihm berührt werden. Denn sie wissen alle, dass von Jesus Kraft ausgeht, heilende Kraft.

Und jetzt kommen da noch mehr an: 4 Männer, die einen Gelähmten auf der Matte tragen. Jeder hat einen Zipfel von der Matte und so schleppen sie ihn zum Haus. Vielleicht sind es Brüder von dem Gelähmten oder Freunde. Auf jeden Fall wollen sie ihn zu Jesus bringen.

Aber da gibt es ein Problem. Der Zugang zu Jesus ist versperrt. Ihr könnt Euch das vorstellen: Vor der kleinen Haustür drängen sich die Leute. Jeder versucht, reinzukommen.

Was würdet Ihr da machen? …
Natürlich würden wir es höflich versuchen: Entschuldigung, wir haben hier gerade einen Notfall. Könnten Sie bitte mal…
Aber keiner reagiert. Keiner will den vieren Platz machen.
Vielleicht würden wir dann auch noch ein bisschen ruppiger werden. Ellbogen rausfahren: Jetzt mal weg hier! Aber mit der Matte – keine Chance.

Was würden wir jetzt machen? …
Vielleicht würden wir jetzt aufgeben und uns sagen: Ach, das klappt nicht. Dann kommen wir heute Nachmittag noch mal vorbei. Vielleicht geht es dann.

Aber diese vier sind anders. Es sind fanta 4, fantasievolle Vier!

Markus schreibt: „Wegen der Volksmenge konnten sie nicht bis zu ihm vordringen. Deshalb öffneten sie das Dach genau über der Stelle, wo Jesus war. Sie machten ein Loch hinein und ließen den Gelähmten auf seiner Matte herunter.“ (V. 4b)

Jetzt muss man sich mal klar machen, wie so ein Haus in Galiläa aussah:

(Bild zeigen)

Die Häuser hatten damals ein Flachdach. Das war ganz praktisch. Da konnte man sein Getreide trocknen und abends noch ein bisschen sitzen und die kühle Luft genießen. Und darum führte eine Treppe auf das Dach.

Die vier schleppen also ihren gelähmten Freund die Treppe rauf. Und dann wird es wirklich dreist. Sie graben das Dach auf.
So ein Dach bestand aus einigen Längsbalken, dazwischen waren Äste und Reisig und Lehm. Mit etwas Entschlossenheit kriegte man jedes Dach kaputt.

Und diese vier sind entschlossen. Wild entschlossen. Sie wollen unbedingt ihren Freund zu Jesus bringen; und schaffen es tatsächlich.

Was diese fantasievollen Vier hier machen, ist wirklich bemerkenswert. Sie verbeißen sich nicht am Hauseingang. Sie resignieren auch nicht. Sondern sie überlegen einen neuen Weg.
Sie denken sozusagen „out of the box“, gehen raus aus den eingespurten Denkwegen und kriegen so eine ganz neue Idee.

Da können wir doch von diesen 4 Freunden etwas lernen! Wenn unser Lebensweg versperrt ist, wenn da Hindernisse und Widerstände vor uns liegen – nicht verbissen dagegen anrennen, aber auch nicht resignieren, sondern „out of the box“ gehen und überlegen: Gibt es vielleicht einen ganz anderen Weg? Da brauchen wir vielleicht etwas Kreativität und Entschlossenheit. Aber dann können wir ganz neue Wege zum Ziel entdecken.

Und das gilt auch im Blick auf den Glauben. Diese Vier und ihr gelähmter Freund wollen ja nicht irgendwo hin, sondern sie wollen zu Jesus.

Und das ist nicht immer so leicht. Auch heute.
Für Luise war das vorhin ziemlich leicht gewesen. Ihr habt sie als Eltern zur Taufe gebracht und damit zu Jesus gebracht. Sie hat keinen Widerstand geleistet. Es hat sich hier auch keiner in den Weg gestellt. Ich weiß nicht, ob es in der Familie irgendwelche Widerstände gab oder Hindernisse. Ihr habt sie auf jeden Fall überwunden, habt Luise zu Jesus gebracht und sie seine Hände gelegt.

Aber für einen erwachsenen Menschen kann es schwieriger sein, einen Zugang zu Jesus zu finden. Da ist manchmal der Weg blockiert.

Es können andere Menschen sein, die dir den Weg zu Jesus versperren. Menschen in der Familie oder Freunde.
In meiner früheren Gemeinde gab es eine Frau, die wollte gerne zum Gottesdienst kommen. Die merkte, dass der Gottesdienst für ihren Glauben wichtig ist. Aber ihr Mann war ganz dagegen. Jedes Mal moserte er, wenn sie zur Kirche wollte. Er wollte dann lieber mit ihr frühstücken oder einen Ausflug machen. Immer wieder gab es Streit und es war jedes Mal für sie ein Kampf. Da waren richtige Widerstände, die ihr den Zugang zu Jesus versperrten.

Es gibt aber auch innere Widerstände.
Es kann sein, dass negative Erfahrungen den Zugang zum Glauben blockieren. Vielleicht hast du Menschen erlebt, die fromm redeten, aber deren Leben ganz unglaubwürdig war oder Pfarrer oder Hauptamtliche, die dich enttäuscht oder verärgert haben. Das kann wie so eine Wand sein. Man kriegt einfach keinen Zugang mehr zu Gott.

Es gibt auch intellektuelle Blockaden.
Manche Leute möchten gerne Gott nahe sein und eine Beziehung zu ihm haben, aber da sind Zweifel und rationale Anfragen, die ihnen den Weg versperren. Vielleicht die Theodizeefrage: Warum lässt Gott so viel Leid geschehen? Oder die historische Frage: Stimmt das wirklich, was die Evangelien über Jesus berichten oder sind das alles nur Legenden?

Lauter Widerstände und Blockaden.
Und wir stehen davor, wie die vier Freunde mit dem Gelähmten vor dem verstopften Hauseingang standen.
Der Zugang zu Jesus ist versperrt.

Aber jetzt machen uns diese vier Mut:
Verkämpfe dich nicht! Aber gib auch nicht auf! Sondern probiere einen ganz neuen Weg! Mit Kreativität und Entschlossenheit, vielleicht auch mit einem Stück Dreistigkeit.

Was das konkret heißen könnte, weiß ich nicht. Das wird ganz verschieden sein, je nach dem, wo die Blockaden liegen.

Einer, der sich intellektuell am Glauben reibt, der braucht vielleicht nicht noch mehr Bücher und Argumente, sondern eine Woche im Kloster oder einem Stille-Haus. Zeit zum Gebet, zur Stille, wo das Herz aufgeht und man Gott erleben kann.

Oder wenn Du negative Erfahrungen mit Kirche und Christen gemacht hast, dann kann es vielleicht helfen, ein seelsorgerliches Gespräch zu führen, diese ganzen Wunden und Verletzungen ans Licht zu bringen und so Heilung zu erfahren.

Es geht darum, aus den gewohnten Gleisen auszubrechen und einen neuen, frischen Zugang zu Jesus zu finden, kreativ und dreist. Wie diese fantasievollen Vier.

Bisher haben wir die Ereignisse aus der Perspektive der vier Freunde beschrieben. Jetzt wechseln wir einmal die Perspektive. Wir gehen ins Haus, wo Jesus ist und schauen uns das alles von innen an.

Jesus erzählt gerade den Leuten von Gott. Alle lauschen gespannt und dicht gedrängt.
Und plötzlich fängt es von oben an zu rieseln.
Putz fällt von der Decke und Lehmbrocken und auf einmal entsteht da ein Loch. Alle starren nach oben und sehen, wie da an Schnüren eine Matte runtergelassen wird mit einem Gelähmten drin, der dann vor Jesus auf dem Boden liegt.

Wie reagiert Jesus darauf? Was passiert jetzt?

Lesen V. 5-12

Jesus sah ihren Glauben.
Die vier da oben haben gar nichts gesagt und auch der Gelähmte scheint stumm vor Schreck zu sein.
Aber Jesus sieht ihre erwartungsvollen Augen. Und er sieht an dieser ganzen Aktion, dass sie ihm viel zutrauen.
Glaube zeigt sich ja nicht in erster Linie darin, was ich sage, sondern was ich tue.

Als Jesus also ihren Glauben sieht, da beginnt eine Transformation. Eine Verwandlung.
Das erste, was Jesus bei diesem gelähmten Menschen verändert, ist seine Beziehung zu Gott.
Er sagt ihm: „Deine Schuld ist dir vergeben!“

Damals wurde einem eingetrichtert: Krankheit ist eine Strafe Gottes. Wenn du krank bist, dann hat Gott offenbar etwas gegen dich. Und wenn du schlimm krank bist, zB gelähmt bist – oh, oh! Gott muss da mächtig etwas gegen dich haben!
Und nun sagt Jesus diesem Menschen: Alle Schuld ist dir vergeben. Ich mache alles gut zwischen Dir und Gott! Eine Transformation der Gottesbeziehung. Heilung in der Seele.

Aber dann geht die Verwandlung weiter.
Sie bleibt nicht im Inneren, sondern geht in die Beine!

„Steh auf!“, sagt Jesus zum Gelähmten. „Und er stand auf“.
Das ist ein schöpferischer Befehl. Wie am Anfang: „Es werde Licht! Und es ward Licht.“

Man kann sich so etwas ja nicht richtig vorstellen: Einer, der gelähmt ist, vielleicht seit Monaten oder Jahren, und der dann plötzlich auf die Beine kommt – wie soll das gehen?

Man kann dann denken: Naja, das ist so ein literarisches Stilmittel vom Evangelisten. Der wollte Jesus groß rausbringen und schreibt das deswegen so.
Oder man denkt: Jesus kannte irgendwelche coolen Tricks und die Leute damals waren so naiv, dass sie das für ein Wunder hielten.

Ich glaube, dass weder das eine noch das andere zutrifft.
Ich glaube, dass damals in Jesus Gott selbst präsent war, in einer einzigartigen Weise. Dass da wirklich ein schöpferisches Eingreifen Gottes passiert ist. Auch wenn wir uns das nur schwer vorstellen können.

Das ist ja jetzt alles lange her.
Aber wir können heute etwas ganz ähnliches machen wie die Freunde damals.
Jesus ist mitten unter uns, als Auferstandener. In jedem Gottesdienst bekennen wir das.
Er ist da. Unsichtbar unter uns.

Und so wie die Freunde damals den Gelähmten Jesus vor die Füße gelegt haben, so können wir unsere Anliegen ihm hinlegen: Unsere Kinder. Unsere Zweifel. Unsere Angst. Unsere Schmerzen. Die Probleme. Wir können ihm das alles hinhalten. Und wenn wir das tun, dann wird sich etwas zum Guten verändern.

Vielleicht nicht so krass und vielleicht nicht so schnell wie damals in Kafarnaum.
Aber wenn wir uns und unser Anliegen ganz nah zu Jesus bringen, dann wird sich seine Kraft auf unser Leben auswirken. Dann wird etwas verwandelt.

Darum lohnt es sich, den Zugang zu Jesus zu suchen und mit Kreativität und Dreistigkeit alle Blockaden zu überwinden.

Amen.