Liebe Geschwister,
wir erleben im Moment eine solche Dichte an Katastrophen, dass man das kaum verarbeiten kann.
Seit anderthalb Jahren stecken wir in einer Pandemie, die unser Leben massiv verändert hat und das Leben auf dem ganzen Globus.
Jetzt klingt diese schlimme Seuche endlich ab und da kommen neue Katastrophen und fallen über uns her.
Wir haben vor einer Woche die Bilder gesehen von einem brennenden Kalifornien. Schlimm, aber weit weg.
Und jetzt erleben wir eine Hochwasserkatastrophe direkt vor unsere Haustür. Und nur allmählich sickert in unser Bewusstsein, wie schlimm das ist. So schlimm, wie wir es bei uns noch nie gesehen haben. So viele Tote! So viele, die noch vermisst werden. So viele verzweifelte Menschen, die alles verloren haben. So unfassbar große Schäden.
Viele von Ihnen werden Bekannte haben, die betroffen sind. Eine unserer Kita-Mitarbeiterinnen ist betroffen, musste aus dem Haus gerettet werden. Es ist furchtbar!
Und dann obendrauf noch eine so schwierige Situation in der eigenen Gemeinde, weshalb es nachher eine Gemeindeversammlung geben wird. Das ist natürlich etwas Kleines im Vergleich zu diesen Katastrophen, aber es ist auch schlimm.
Wenn man dann als Christ auf diese Dinge schaut, fragt man sich natürlich: Wie passt das mit meinem Glauben zusammen? Wie kriege ich das zusammen mit dem Glauben an einen Gott, der uns Menschen liebt?
Manchmal fühlt man sich wie die Jünger im Boot, wie wir es eben in der Lesung gehört haben: Da tobt der Sturm. Sie kämpfen um ihr Leben und haben Angst – und Jesus schläft. Den scheint das nicht zu interessieren. Der kriegt gar nichts mit.
Manchmal fragt man sich ja angesichts dieser ganzen Katastrophen: Gott, schläfst du? Kriegst du das denn gar nicht mit? Ist dir das alles egal?
Wenn wir in die Bibel schauen, dann kriegen wir dort keine einfachen Antworten auf diese Fragen. Aber wir finden dort Orientierung.
Drei Orientierungspunkte aus der Bibel möchte ich Ihnen nennen. Orientierungspunkte, was Glauben angesichts von Katastrophen bedeutet:
1. Der Glaube findet Halt
Wenn man von einem Unglück getroffen wird, dann braucht man Halt.
Wenn einen die Wasserströmung wegzieht, dann braucht man etwas, woran man sich festhalten kann.
Man braucht das im ganz wörtlichen Sinn und auch im übertragenen Sinne.
Wenn alles schwimmt, wenn alles unsicher ist, dann müssen wir uns irgendwo festhalten.
Glaube ist keine Theorie, kein theologisches Gedankengebäude, sondern ein existenzieller Halt. Ein Anker.
Ich glaube, dass ein Gott da ist, der größer ist.
Der stärker ist als alle Wassermassen und alle Viren und als alle Krisen und Konflikte.
Ich glaube, dass ein Gott da ist, der mein Leben hält, mitten im Sturm, mitten in der Angst und Verwirrung.
Der uns hält in der größten Not, sogar im Tod.
Gott gibt uns keine Antworten auf unsere Fragen, aber er gibt uns seine Hand.
Und Glauben heißt: Diese Hand ergreifen.
Ich halte mich an ihm fest.
Auch wenn ich ihn nicht verstehe und überhaupt nicht begreife, warum das hier alles gerade passiert, warum er solche Dinge zulässt – ich halte mich an ihm fest und ich vertraue ihm, dass er mich festhält. Ganz egal, was geschieht.
Es gibt einen Psalm, da wird das gut auf den Punkt gebracht: Ps. 73. Da ist ein gläubiger Mensch, dessen frommes Weltbild gerade zusammenbricht. Der erlebt:
Den Leuten, die ohne Gott leben und sich um seine Gebote überhaupt nicht scheren – denen geht es gut. Die sind gesund und reich, übervorteilen andere und lachen sich in die Tasche.
Und denen, die Gott vertrauen und sich an seinem Willen orientieren – denen geht es schlecht. Die werden krank, die werden betrogen, geraten ins Unglück.
Und der Beter ist ganz irritiert. Es passt überhaupt nicht in sein Bild von Gott und von Gerechtigkeit. Er ist drauf und dran den ganzen Glauben hinzuschmeißen. Aber dann sagt er am Ende zu Gott:
„Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.“
Ich möchte Ihnen Mut machen, so ein „Dennoch“ zu sagen. Jetzt, wo so vieles durcheinander gerät, wo so viel Enttäuschung ist und Schmerz und Irritation:
Dennoch bleibe ich stets an dir.
Ich halte mich fest bei dir.
Ich finde bei dir keine Erklärungen,
aber ich finde Halt.
2. Glaube eröffnet neue Perspektiven
Wenn wir Katastrophen erleben wie jetzt gerade, dann ist unsere Aufmerksamkeit auf das Schlimme gerichtet, das wir sehen. Wir sehen im Fernsehen und in der Zeitung und mit eigenen Augen die Bilder von der Zerstörung, die das Flutwasser angerichtet hat.
Wir sehen die steigenden Corona-Inzidenzzahlen und die Ratlosigkeit in der Politik, wie man damit umgehen soll.
Der Fokus ist gerichtet auf das Negative.
Und das, was wir da sehen, ist ja alles wahr und es ist schlimm.
Der Glaube hilft uns, noch mal einen anderen Blick auf die Dinge zu werfen, aus einer neuen Perspektive die Wirklichkeit zu sehen.
Im Hebräerbrief heißt es: „Durch den Glauben erkennen wir, dass die Welt durch Gott geschaffen ist, dass alles, was man sieht, aus nichts geworden ist.“ (Hebr. 11, 3)
Durch den Glauben sehen wir also die Welt mit neuen Augen. Wir erkennen, dass alles, was man sieht, ein großes Wunder ist. Diese Erde, auf der wir leben, ist ein großes Wunder und Geschenk.
Der Astronaut James Irwin war einer der ersten Menschen, die unseren Planeten von außen gesehen haben. 1971 war er zum Mond geflogen und hat von dort auf die Erde geschaut. Als er zurückkehrte, beschreibt er das so: „Die Erde erinnerte uns an einen Weihnachtsbaumschmuck, aufgehängt in der Schwärze des Alls. Dieses wunderschöne, warme, lebende Objekt sah so zerbrechlich aus, so zierlich, als würde es zerbröckeln und zerfallen, wenn man es berührt.“
Unsere Erde – wie eine Weihnachtskugel, wunderschön und zart und zerbrechlich. Umgeben von einem unendlichen kalten Universum, wo alles schwarz ist und tot. Milliarden von Sternen ohne Leben. Und da, am Rande der Milchstraße, ein klitzekleiner Planet, der blau ist, auf dem Leben pulsiert. In exakt der richtigen Entfernung zur Sonne.
Ein bisschen näher dran zur Sonne – es würde alles verbrennen. Ein bisschen weiter weg – es würde alles gefrieren.
Aber so hat der Planet genau die Wärme, die er braucht. Eingehüllt in eine schützende Atmosphäre, die uns mit Luft und Feuchtigkeit umgibt und die Temperatur im Mittelmaß hält.
Und hier hat Gott aus Nichts Leben entstehen lassen, Pflanzen, Tiere, Menschen.
Er hat dafür gesorgt, dass es Regen gibt, diese fantastische Erfindung! Dass Wasser aus dem Meer verdunstet und sich gleichmäßig wie aus einer Gießkanne über das Festland verteilt.
Dass es Süßwasser gibt, das wir trinken können und dass wir säen und ernten können und Nahrung haben.
Wir empfinden ja all diese Dinge als normal, als selbstverständlich.
Aber mit etwas Abstand betrachtet muss man doch sagen:
Das ist alles ein großes Wunder!
Das ist erstaunlich.
Wir wundern uns, wenn der Regen ausbleibt und die Sonne alles vertrocknet.
Und wir wundern uns, wenn der Regen so stark ist, dass er alles überflutet.
Und das ist ja auch schlimm.
Aber eigentlich müssten wir uns doch viel mehr wundern, wenn die Sonne so scheint, dass sie uns wärmt ohne uns zu verbrennen und wenn der Regen so sanft fällt, dass alles grünt und wächst statt zu ertrinken.
Das Außergewöhnliche ist nicht der Tod. Den gibt es überall im Universum.
Das Außergewöhnliche ist, dass es Leben gibt.
Dass Gott uns Leben schenkt.
Und manchmal merken wir erst in der Katastrophe, wie kostbar und wie wenig selbstverständlich dieses Leben ist.
Im Glauben kriegen wir eine neue Perspektive.
Die dritte Orientierungshilfe:
3. Der Glaube macht mobil
Der Apostel Paulus schreibt einmal: Beim Glauben sind nicht die Äußerlichkeiten wichtig, nicht die Formen, ob man beschnitten ist oder nicht, ob man alte Lieder mag oder neue, ob man diese Tradition gut findet oder jene. Die Formen und Äußerlichkeiten sind egal. Wichtig ist, sagt Paulus, dass der Glaube in der Liebe tätig ist (Gal. 5, 6), dass sich der Glaube in der Liebe ausdrückt.
Dass wir die Liebe, die Gott uns schenkt, großzügig mit anderen teilen.
Und das ist auch in der jetzigen Situation das entscheidende.
Wir können natürlich hocken bleiben und grübeln, warum Gott solche Dinge zulässt. Aber viel sinnvoller ist es, dass wir jetzt losgehen und anpacken, wo wir können.
Es ist ja total bewegend, wie sich jetzt überall Menschen aufmachen und helfen. Viele fahren zu ihren Freunden und Bekannten und helfen, den Schlamm wegzuscheppen.
Überall werden Hilfsgüter gesammelt und verteilt, hier in Ippendorf und an vielen anderen Stellen.
Etliche Seelsorger in unserem Kirchenkreis sind losgezogen, um Menschen seelsorgerlich zu betreuen, die ihr Heim verloren haben.
Die Diakonie unserer Kirche ist im Einsatz. Da kann man durch Spenden helfen.
Viele Bonner öffnen ihre Häuser und bieten Unterkunft an.
Das ist doch zutiefst bewegend, wie in der Not Menschen sich solidarisieren und unterstützen, nicht wahr?
Diese schlimme Zerstörungswelle hat eine Welle der Hilfsbereitschaft hervorgerufen.
Und es ist gut, wenn wir als Christen da mitmachen mit aller Energie, und Hilfe und Hoffnung bringen.
Der Glaube an Gottes Liebe macht mobil.
So eine Welle der Hilfsbereitschaft ebbt schnell wieder ab. Das ist ganz normal. Wenn das gröbste aufgeräumt ist, dann kehrt man wieder in sein eigenes Heim zurück. Aber die Schäden und die Not -das wird noch lange bleiben. Es wird wichtig sein, dass wir nicht nur in der ersten Not, sondern mit langem Atem unterstützen.
Und dann ist natürlich die Frage da, was diese Katastrophen und die vielen anderen Naturkatastrophen für unser Alltagsleben bedeuten.
Wir erleben gerade hautnah, dass der Klimawandel nicht irgendwo in ferner Zukunft liegt, sondern Gegenwart ist.
Und uns wird wohl auch immer bewusster, dass wir anders mit unserem Planeten umgehen müssen, dass wir unser Verhalten tiefgreifender verändern müssen als es uns lieb ist.
Wenn wir in Gott Halt finden und wenn wir von ihm her eine neue Perspektive auf die Welt bekommen, dann kann uns das mobilisieren.
Es kann uns beweglich machen,
bereit, unser gewohntes Verhalten zu verändern, unsere Reisegewohnheiten, unseren Konsum, unseren Umgang mit den Ressourcen der Erde.
Durch den Glauben kriegen wir keine einfachen Antworten, warum solche Katastrophen passieren. Aber wir finden in Gott festen Halt, kommen ins Staunen über das Wunder des Lebens und so bringt uns der Glaube in Bewegung, dass wir Not lindern, Schutt wegräumen und diese wunderschöne Welt bewahren.
Amen.