Predigt, 20.10.2024 Mt. 5, 38-42

20.10.2024

J.Berewinkel

Ihr Lieben, der Predigttext für heute ist eine echte Zumutung! Es sind Worte von Jesus, an denen man sich so richtig schön reiben kann. Ich habe mich ...

Ihr Lieben,
der Predigttext für heute ist eine echte Zumutung!
Es sind Worte von Jesus, an denen man sich so richtig schön reiben kann. Ich habe mich in den letzten Tagen immer wieder gefragt: Jesus, was willst du uns denn damit sagen?

Hören wir uns das mal an. Es ist ein Abschnitt aus der Bergpredigt: Mt 5, 38-42 (Basisbibel)

»Ihr wisst, dass gesagt worden ist: ›Auge um Auge und Zahn um Zahn!‹ Ich sage euch aber: Wehrt euch nicht gegen Menschen, die euch Böses antun! Sondern wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch deine andere Backe hin! Wenn dich jemand verklagen will, um dein Hemd zu bekommen, dann gib ihm noch deinen Mantel dazu! Wenn dich jemand dazu zwingt, seine Sachen eine Meile zu tragen, dann geh zwei Meilen mit ihm! Wenn dich jemand um etwas bittet, dann gib es ihm! Und wenn jemand etwas von dir leihen will, dann sag nicht ›Nein‹.«

Das sind doch echte Hammerworte, oder?
Und man fragt sich: Was für ein weltfremder Träumer war Jesus, dass er so etwas fordern kann?!

Aber Jesus war nicht weltfremd. Der wusste, wie die Welt ist und wozu wir Menschen fähig sind.
Und er hat mit diesen Worten sehr bewusst provoziert. Er hat das, was für uns Menschen selbstverständlich ist, bewusst auf den Kopf gestellt.

Wir gehen diese Worte mal genauer durch.

„Ihr wisst, dass gesagt worden ist:
Auge um Auge und Zahn um Zahn“

Jesus zitiert hier das Alte Testament, 2.Mose 21,24.
Es ist ein uralter Rechtsgrundsatz, den man auch in anderen orientalischen Texten findet. Es ist das ius talionis: Wenn einer ein Unrecht tut, soll es mit dem gleichen Maß vergolten werden.
Wenn einer beim Streit einem anderen das Auge demoliert, dann soll man diesem Menschen auch das Augenlicht nehmen.
Und wenn einer dem anderen mit der Faust den Zahn ausschlägt, dem soll man auch einen Zahn wegnehmen.

Das ist ein guter, ein fundamental wichtiger Rechtsgrundsatz: Ein Unrecht soll vergolten werden.

Stellt euch vor, es wäre nicht so! Stellt euch vor, du erleidest eine Körperverletzung. Irgendein rüpelhafter Autofahrer fährt dich als Fahrradfahrer an. Du brichst dir den Arm. Stell dir vor, vor Gericht sagt dann der Richter: Naja, wir wollen mal nicht so sein. Den Autofahrer lassen wir mal straflos davonkommen. Ihr Arm wird schon wieder heilen.
Das wäre schrecklich, oder?!

Oder stell dir vor, jemand raubt dich aus, aber auf der Polizeistelle zucken die nur die Schultern und sagen: Ach, lass doch. Wir haben gerade anderes zu tun.

Das wäre ganz schlimm. Ein Unrecht muss bestraft werden! Sonst bricht das Chaos aus.

„Auge um Auge, Zahn um Zahn“ – das ist aber zugleich eine Begrenzung der Vergeltung.

Wer einem anderen den Zahn ausschlägt, dem soll man nicht gleich das ganze Gebiss ausschlagen, sondern ebenfalls nur einen Zahn. Nicht mehr.

Wenn wir ein Unrecht erleiden, dann wollen wir Rache. Und die Rache hat immer eine Tendenz zur Eskalation. Wenn wir geschlagen werden, dann schlagen wir zurück, und zwar fester!

Auge um Auge – das soll die Eskalation von Unrecht und Gewalt eindämmen.

Es ist also ein guter und wichtiger Grundsatz, den Jesus hier zitiert.

Benjamin Nethanjahu hat dieses Wort in den letzten Monaten immer wieder zitiert: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Aber gerade da merken wir auch die Grenze dieses Wortes.

Mit Strafe und Vergeltung kann man das Böse vielleicht ein wenig eingrenzen. Aber man kann es auf diesem Weg nicht besiegen. Jede Bombe die man auf dem Libanon abwirft, löst ja neuen Hass aus, der wieder zu neuer Gewalt und neuen Raketenbeschüssen führt.

Es ist ein echtes Dilemma: Man muss als Staat das Böse bestrafen. Man muss sich gegen Angriffe wehren und zurückschlagen. Sonst würden Terroristen und Diktatoren alle Macht übernehmen.
Aber jede Vergeltungstat löst wieder neues Böses aus.

Auge um Auge, Zahn um Zahn – dieser Grundsatz ist wichtig und kann doch das Böse nicht besiegen.

Und jetzt stellt Jesus etwas dagegen: „Ich sage euch aber“. Das ist eine Formulierung, die sich durch die Bergpredigt durchzieht. Damit sagt er nicht: Was im Alten Testament steht, könnt ihr vergessen. Sondern er stellt den eigentlichen Sinn der Gebote heraus, was Gott damit eigentlich will.

Martin Buber hat es einmal so gesagt:

„Der Sinai (wo Mose die Gebote empfangen hat) genügt Jesus nicht. Er will in die Wolke über dem Berg, aus der die Stimme schallt, in die Urabsicht Gottes will er dringen“.

Und Gottes Urabsicht ist, dass das Böse nicht bestraft, sondern besiegt wird.

Aber wie? Wie können wir das?

Da erzählt Jesus jetzt drei Beispiele. Drei Alltagssituationen.

„Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch deine andere Backe hin!“

Der Schlag auf die rechte Backe, das ist – bei einem Rechtshänder – der Schlag mit dem Handrücken. Und jemand so schlagen, das ist der Ausdruck tiefster Verachtung. Das war im Orient die ultimative Demütigung.

Wenn wir so eine Demütigung erleben, dann wollen wir sofort zurückschlagen, den anderen am liebsten in den Boden rammen, ihn ganz klein machen und so unsere Demütigung wieder aufheben, so das Böse ausgleichen.

Aber Jesus: Nein! Tu das nicht. Sondern halte ihm die andere Backe hin!

Stellt euch das mal vor: Jemand schlägt einen, will den demütigen und klein machen – und der andere bleibt stehen und hält ihm die andere Backe hin und zeigt damit ohne Worte: Los, schlag noch mal zu!

Wer so etwas tut, der ist kein Opfer! Der duckt sich nicht. Der bleibt nicht passiv. Sondern im Gegenteil: Er sagt dem Schläger: Du schüchterst mich nicht ein! Dein böses Agieren macht mich nicht klein und macht mich nicht ängstlich machen.

Die andere Backe hinhalten, das ist eine Provokation. Wer das tut, der ist stärker als der Schläger. Der bringt den Aggressor aus der Fassung und der Schläger kommt vielleicht sogar ins Nachdenken.

Beim zweiten Beispiel geht es um einen Rechtsstreit:
„Wenn dich jemand verklagen will, um dein Hemd zu bekommen, dann gib ihm auch noch deinen Mantel dazu!“

Auch das ist ja eine Provokation. Da wird einer verklagt. Der Kläger sagt: Der schuldet mir `was und will sein Hemd pfänden. Und statt jetzt zu prozessieren und sich dagegen zu wehren, sagt der andere: Hier, kriegst auch noch meinen Mantel, du Armer!

Wer ist hier der Sieger?
Wer in einem Rechtsstreit so agiert, ist kein Opfer, sondern zeigt eine erstaunliche Freiheit! Und der andere ist möglicherweise beschämt und weiß gar nicht, was er mit dem Mantel anfangen soll.

Das dritte Beispiel ist eine Alltagsszene aus einem besetzten Land:

„Wenn dich jemand dazu zwingt, seine Sachen eine Meile zu tragen, dann geh zwei Meilen mit ihm!“

Israel war ja damals von den Römern besetzt, und es kam oft vor, dass ein römischer Soldat irgendeinen Zivilisten zwang, sein Gepäck zu tragen.

Da konnte man sich schwarz drüber ärgern. Die Soldaten waren verhasst. Und dann so einem das Gepäck hinterhertragen! Das konnte einen so wütend machen! Und es passierte immer wieder, dass in solchen Situationen die Wut eskalierte und es zu Gewaltausbrüchen kam.

Und jetzt sagt Jesus: Sag doch einfach so einem Soldaten: Kein Problem, ich kann dein Gepäck auch gerne zwei Meilen tragen!

Wie wird so ein Soldat geguckt haben! Wie irritiert muss der gewesen sein! Die wussten ja, wie sehr die Leute sie hassen und so sind sie hart geworden, weil sie so gehasst wurden. Und jetzt reagiert einer auf seine harte, stolze Haltung so! Mit Freundlichkeit. Mit Hilfsbereitschaft!
Wer ist hier der Sieger?

Das Böse lässt sich nicht durch Vergeltung besiegen. Aber es kann durch das Gute besiegt werden. Wir können das Böse überwinden, indem wir es ins Leere laufen lassen.
Dietrich Bonhoeffer hat unseren Text in seinem Buch „Nachfolge“ so ausgelegt:
„Die Überwindung des Anderen erfolgt nun dadurch, dass sein Böses sich totlaufen muss, dass es nicht findet, was es sucht, nämlich Widerstand und damit neues Böses, an dem es sich um so mehr entzünden könnte. Das Böse wird darin ohnmächtig, dass es keinen Gegenstand, keinen Widerstand findet, sondern willig getragen und erlitten wird. Hier stößt das Böse auf einen Gegner, dem es nicht gewachsen ist.“

Das Böse durch das Gute überwinden.

Jetzt ist es ja so: Die Bergpredigt ist kein Gesetzbuch. Was Jesus hier sagt, das meint er nicht als neues Gesetz, das man befolgen muss, um sich Gottes Liebe zu verdienen.
Und es gilt auch sicher nicht in jeder Situation. Ein Kind muss lernen, sich auf dem Schulhof zu wehren. Und eine Frau, die von ihrem Partner geschlagen wird, die sollte das nicht einfach dulden, sondern dagegen angehen. Christen sollten nicht wehrlose Opfer sein!
Jesus meint seine Worte schon gar nicht als Grundlage für staatliches Handeln. Ein Staat, das weiß er, muss weiterhin Unrecht bestrafen. Und ein Putin und eine Hisbollah müssen in Zaum gehalten werden mit Drohungen und mit Gewalt.
Die Bergpredigt ist kein Gesetzbuch, sondern sie macht uns ein Fenster auf in das Reich Gottes.
Jesus zeigt uns hier neue Möglichkeiten auf, wie wir aus den ausgetretenen Pfaden der Vergeltung aussteigen können und wie wir ganz anders handeln können, kreativ und mit erhobenem Haupt.
Wie wir verhindern, dass sich das Böse und der Hass in unserem Herzen festsetzt.
Wie wir das Böse besiegen, indem wir es ins Leere laufen lassen und die böse Tat mit Gutem vergelten.
Ein eindrückliches Beispiel dafür ist Antoine Leiris, ein Franzose. Dessen Frau war bei diesem furchtbaren Attentat in Paris 2015 ums Leben gekommen. Ihr erinnert euch bestimmt. Damals hatten islamistische Terroristen in einem Konzertsaal ein Blutbad angerichtet und seine Frau war eines der Opfer. Antoine Leiris hat sich dann etwas später öffentlich an diese Terroristen gewandt und sehr bewegende Worte geschrieben:
„Freitag Abend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Sohnes, aber meinen Hass bekommt ihr nicht. Ich weiß nicht, wer ihr seid, und will es nicht wissen, ihr seid tote Seelen. Wenn der Gott, für den ihr blind tötet, uns nach seinem Ebenbild geschaffen hat, dann muss jede Kugel, die den Körper meiner Frau getroffen hat, eine Wunde in sein Herz gerissen haben.
Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen. Auch wenn ihr es darauf angelegt habt; auf den Hass mit Wut zu antworten würde bedeuten, derselben Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid. Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitbürger misstrauisch beobachte, dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere. Verloren. Der Spieler ist noch im Spiel.“

Meinen Hass bekommt ihr nicht.
Wer die andere Wange hinhält und die zweite Meile mitgeht, der lässt sich nicht vom Bösen anstecken, sondern besiegt das Böse durch das Gute.

So hat es Jesus selber vorgelebt.

Der ist bei seinem Prozess ins Gesicht geschlagen worden. Und er hat sich nicht gewehrt.
Man hat ihm die Kleider ausgezogen – und er hat es ertragen ohne wütend zu werden.
Er hat das Kreuz getragen, das die römischen Soldaten ihm auflegten.
Jesus hat sich von dem Bösen, das er erlebt hat, nicht anstecken lassen. Er hat sich nicht vom Hass infizieren lassen.

Und auf diesem Weg hat er Versöhnung gebracht.
Er hat uns mit Gott versöhnt und seine Liebe, seine Freiheit, seine Stärke kann uns befähigen, auch das Böse mit Gutem zu überwinden.

Ich würde jetzt gerne noch mal ein bisschen konkreter werden.
Wir erleben ja alle Situationen, wo wir vom Bösen herausgefordert sind.
Vielleicht schlägt man uns nicht mit der Hand, aber mit scharfen Worten.
Vielleicht gibt es tatsächlich einen Rechtsstreit mit einem anderen Menschen.
Oder der Chef lädt uns eine Arbeit auf, die eigentlich unverschämt ist.

Jeder hat am Eingang einen Zettel und Stift bekommen.
Wir werden jetzt gleich ein bisschen Musik hören.
Ich möchte Euch bitten: Überlegt doch mal in dieser Zeit: In welche konkrete Situation spricht Jesus hier in mein Leben hinein? Und wie könnte ich in dieser Situation anders reagieren? Wo könnte ich aus dem Karussell des Bösen aussteigen und das Böse mit Gutem überwinden?

Und Gottes Friede, der alle Vernunft übersteigt, möge Eure Herzen und Gedanken in Jesus Christus bewahren.

Amen.