Predigt, 20.4.2025 Joh. 20, 11-18

20.4.2025

J.Berewinkel

Liebe Geschwister, wann habt Ihr das letzte Mal geweint? Ich meine, nicht nur bei einem berührenden Film mal feuchte Augen bekommen, sondern wirklich geweint? Ist es lange ...

Liebe Geschwister,
wann habt Ihr das letzte Mal geweint?
Ich meine, nicht nur bei einem berührenden Film mal feuchte Augen bekommen, sondern wirklich geweint? Ist es lange her?

Bei mir war es als mein Vater gestorben war, vor über 15 Jahren. Ich war da auf dem Rückweg im Auto, und auf einmal liefen mir da die Tränen, und ich war froh, allein zu sein.
Wann war es bei dir das letzte Mal?

Im Evangelium für diesen Ostersonntag steht eine Frau im Mittelpunkt, die weint.
Es ist Maria von Magdala.

Wir haben vorhin in der Lesung eine lange Liste von Leuten gehört, die Jesus als Auferstandenen gesehen haben. Maria wird da nicht erwähnt. Das liegt daran, dass Paulus in seiner Liste Zeugen benennt und damals war es so, dass als offizielle Zeugen im Gericht nur Männer zugelassen waren.
Ziemlich patriarchalisch, aber so war es damals.
Aber um so bemerkenswerter ist, dass die Evangelien – und zwar alle vier Evangelien – berichten, dass es Frauen waren, die als erste Jesus als Auferstandenen gesehen haben.
Maria von Magdala war eine von denen.

Diese Maria stammt, der Name sagt es, aus Magdala. Das ist ein kleines Städtchen am See Genezareth. Vor zwei, drei Jahren hatte sie Jesus getroffen. Wir wissen nicht genau wie. Im Evangelium heißt es, dass Jesus sie von Dämonen befreit hat, von dunklen Mächten, die ihr Leben beherrschten und alles verdüstert haben. Manches deutet darauf hin, dass sie möglicherweise von der Prostitution lebte. Sie war eine gebrochene Gestalt.

Und dann ist sie irgendwie Jesus begegnet. Und das hat ihr Leben radikal verändert. Sie hat sich ihm angeschlossen. Ging einfach hinter ihm her. Das war extrem ungewöhnlich: Eine Frau, ohne Ehemann, die mit einem Rabbi und einer Horde anderer Männer durch die Gegend zieht! Viele Leute werden getuschelt und komisch geguckt haben. Aber Maria kümmerte sich nicht um das Gerede der Leute.
Sie wollte bei Jesus sein, weil sie bei ihm göttliche Kraft und göttliche Liebe erfahren hat.
Sie ging mit nach Jerusalem. Und sie blieb bei ihm, als sich die meisten Leute von ihm distanzierten.
Sogar am Kreuz stand sie noch bei ihm. Schämte sich nicht, zu einem Gekreuzigten zu gehören.

Diese Maria ist doch ungeheuer beeindruckend. Sie hat eine Treue und eine Liebe zu Jesus, die man bei keinem anderen der Jünger findet!

Bis zum Schluß blieb sie bei Jesus. Blieb, bis er starb.

Sie blieb, als die Leute die Leiche abnahmen; ging hinterher und sah zu wie sie den Leichnam in einen nahegelegenen Garten bringen und dort in ein Felsengrab legen.

Dann ist Sabbat.

Ganz früh am Sonntagmorgen geht eine kleine Gruppe von Frauen zum Grab. Maria ist dabei.
Sie hatte da nicht irgendwelche Hoffnung im Herzen.
Sondern sie wollte nur noch einmal den Toten sehen, noch einmal ihn berühren und betrauern.

Aber was sie dann am Grab sah, machte alles nur noch schlimmer:
Das Grab ist leer.
Und für Maria ist sofort klar:
Jemand hat den Leichnam weggenommen; verlegt, gestohlen – was auch immer. Jetzt hat sie nicht einmal mehr den toten Körper.

Die anderen gehen nach einer Weile zurück, aber Maria bleibt noch da am Grab.

Und was dann passiert, das ist der Predigttext für diesen Ostersonntag:

Lesung Joh. 20, 11-18

Maria blieb draußen vor dem Grab stehen und weinte.
Mit Tränen in den Augen beugte sie sich vor
und schaute in die Grabkammer hinein.
Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern dort sitzen, wo der Leichnam von Jesus gelegen hatte.
Einer saß am Kopfende, der andere am Fußende.
Die Engel fragten Maria: »Frau, warum weinst du?«
Maria antwortete:
»Sie haben meinen Herrn weggenommen.
Und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben!«
Nach diesen Worten drehte sie sich um
und sah Jesus dastehen. Sie wusste aber nicht, dass es Jesus war. Jesus fragte sie:
»Frau, warum weinst du? Wen suchst du?«
Maria dachte: Er ist der Gärtner. Darum sagte sie zu ihm: »Herr, wenn du ihn weggebracht hast,
dann sage mir, wo du ihn hingelegt hast.
Ich will ihn zurückholen!«
Jesus sagte zu ihr: »Maria!« Sie wandte sich ihm zu
und sagte auf Hebräisch: »Rabbuni!« – Das heißt: »Lehrer«. Jesus sagte zu ihr: »Halte mich nicht fest!
Ich bin noch nicht hinaufgegangen zum Vater.
Aber geh zu meinen Brüdern und Schwestern
und richte ihnen von mir aus:
›Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater,
zu meinem Gott und eurem Gott.‹«
Maria aus Magdala ging zu den Jüngern.
Sie verkündete ihnen: »Ich habe den Herrn gesehen!«
Und sie erzählte, was er zu ihr gesagt hatte.

Wir sehen Maria vor dem Grab.
Sie weint.
Vier Mal wird im Text das Weinen erwähnt.
Stellt sie euch vor, wie sie da steht!
Gekrümmt vor Schmerz. Die Augen voller Tränen.

Es gibt ein altes Lied von Rolf Krenzer. Eigentlich für Kinder geschrieben. Da heißt es:
„Es geht ein Weinen um die Welt, denn Jesus lebt nicht mehr. Es geht ein Weinen um die Welt. Uns ist das Herz so schwer.
Am Kreuz ist er gestorben, und wir sind so allein, allein, und wir sind so allein.“

Maria ist allein und weint.
Und ihr Weinen, darin sammelt sich das Weinen der ganzen Welt.
In ihren Tränen finden sich unsere Tränen.

Unser Weinen über den Tod, über den Verlust eines geliebten Menschen, über das Leid und das Unrecht in dieser Welt, über unsere Einsamkeit.
Es geht ein Weinen um die Welt.

Wenn man die Augen voller Tränen hat, dann sieht man alles nur verschwommen.
Die Tränen von Maria sind wie ein Schleier.
Sie sieht nur den Tod und den Verlust.

Dieser Trauerschleier verschleiert ihr die Sicht auf die Wirklichkeit.
Und darum verhält sie sich so merkwürdig.
Sie sieht da im Grab zwei Engel.
Aber das scheint sie überhaupt nicht zu beeindrucken. Sie scheint sie überhaupt nicht als solche zu erkennen.

Und dann dreht sie sich um und sieht Jesus, der da hinter ihr steht. Aber auch ihn erkennt sie nicht.

Es ist als ob Maria in einem Kasten aus Milchglasscheiben steckt. Sie ist wie gefangen in ihrer Trauer. Der Kopf, das Herz ganz ausgefüllt von dem Verlust. Und was um sie herum geschieht, das kann sie gar nicht wahrnehmen. Das sind nur Schemen, die gar nicht an sie herankommen.

Um sie herum ist schon helle Osterfreude.
Der Tod ist schon besiegt.
Die Engel sitzen im Grab und schmunzeln.
Jesus, der Auferstandene, ist da und schaut sie an!
Sie ist umgeben vom Leben.
Aber es dringt nicht zu ihr durch.
Sie sieht nur Tod und Leid.

Vielleicht sitzen heute Morgen einige Menschen hier, denen es so ähnlich wie Maria geht. Die von einem Leid so ausgefüllt sind, dass sie gar nichts anderes mehr wahrnehmen können.
Da ist Osterfreude um dich herum, aber sie zündet in dir nicht.

Also: Maria von Magdala ist in ihren Tränen, ihrer Trauer gefangen.
Aber dann spricht Jesus sie mit Namen an: Maria!

Das taucht ja in der Bibel öfters auf, dass Gott, dass Jesus einen Menschen mit Namen anspricht:
„Adam, wo bist du?“
„Zachäus, steig schnell vom Baum!“
„Simon, hast du mich lieb?“
Wenn jemand unseren Namen nennt, dann wissen wir: Der kennt mich!

Und als Maria ihren Namen hört, da dringt das zu ihr durch.
Das ist ein Durchbruch durch diese Isolationsschicht aus Tränen und Trauer. Der Name erreicht ihr Herz.

Im Text steht: „Sie wandte sich ihm zu.“ Erst jetzt wendet sie sich wirklich dieser Person zu, die da vor ihr steht, und jetzt erkennt sie ihn!

Sie sagt: „Rabbuni“. Das ist eine Steigerung von „Rabbi“. Das ist höchste Wertschätzung. Staunen. Riesige Überraschung, wahnsinns Freude:
Rabbuni! Mein Meister!

Und anscheinend wirft sie sich ihm gleich zu Füßen und will ihn festhalten. Sie will ihn wiederhaben und nie mehr loslassen; will, dass alles wieder so ist wie früher.

Doch da zieht der Auferstandene eine Grenze:
Halte mich nicht fest!
Ich bleibe nicht hier. Jedenfalls nicht so wie früher. Nicht physisch.

Man kann das ja total gut nachvollziehen, dass Maria ihn so halten will: so sichtbar, anfassbar.

Stellt euch mal vor: Wie wäre das wohl, wenn Jesus heute hier sichtbar würde! Wenn wir ihn mit unseren Augen sehen und mit unseren Händen anfassen könnten! Wir wären doch alle aus dem Häuschen, oder?
Und wir würden ihn auch versuchen festzuhalten und nicht mehr loszulassen.

Aber diese Zeit ist vorbei.
Für einige Jahre war Gott in Jesus auf dieser Erde.
Einige Tage nach der Auferstehung ließ er sich noch sehen und anfassen.
Aber jetzt leben wir in einer anderen Zeit.

Er ist da.
Das hat er uns versprochen.
Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.
Aber nicht mehr physisch.
Er ist da in seinem Geist. Er ist sogar ganz nah.
Aber für unsere Sinne ist er nicht zu fassen.
„Wir leben im Glauben und nicht im Schauen“, sagt Paulus mal. Er war ja der letzte, der Jesus auf diese Weise als Auferstandener gesehen hat.

Das, was Maria und die Apostel nach Ostern erlebt haben, das ist etwas ganz Besonderes gewesen.
Das werden wir so – höchstwahrscheinlich – auf dieser Erde nicht erleben.

Und das ist der Grund, warum Jesus der Maria am Ende einen Auftrag gibt: Geh zu meinen Brüdern und erzähle, was du erlebt hast!

Damit bekommt der Glaube von Maria eine neue Richtung.
Bisher bestand ihr Glaube darin, hinter Jesus herzugehen, bei ihm zu bleiben.

Aber jetzt setzt Jesus sie in Bewegung.
Jetzt heißt Nachfolge für sie: Losgehen, zu anderen gehen und das teilen, was sie gesehen hat und erlebt hat.
Und weil sie das getan hat – und die anderen Jünger auch – deswegen hat sich die Nachricht von Ostern ausgebreitet. Immer mehr Menschen haben das erfahren und haben dann auch selber das wieder anderen weitergegeben.

Ich glaube, das ist für uns heute wichtig.
Wir leben in einer Zeit, wo der Glaube zurückgeht.
Christen sind in unserem Land nur noch eine Minderheit. Und manche denken: Wir sollten uns besser hinter unsere sicheren Kirchenmauern zurückziehen.
Aber das wäre völlig falsch. Es ist heute um so wichtiger, dass wir die Nachricht von Ostern weitergeben; dass wir die Osterfreude mit anderen teilen und nicht für uns behalten!

Das können wir allerdings nur, wenn wir die Osterfreude selber erleben. Wenn diese Botschaft zu uns durchdringt, wie sie bei Maria durchgedrungen ist.

Und damit kommen wir zu einem wichtigen Punkt:
Wir haben ja gerade gesagt: Physisch, sichtbar werden wir den Auferstandenen hier auf der Erde nicht sehen – höchstwahrscheinlich.

Aber er ist dennoch da.

Uns geht es im Grunde wie Maria als sie so weinte.
Wir haben auch so einen Schleier vor unseren Augen.
Wir können nur wahrnehmen, was physisch ist.
Die Welt Gottes, die geistliche Realität, können wir nicht fassen. Und das liegt nicht daran, dass Gottes Welt nicht existiert oder dass sie irgendwo weit weg in einer anderen Galaxie ist.
Gottes Welt ist ganz nah. Unmittelbar hinter der physischen Wirklichkeit. Hinter jedem Blatt. Hinter jeder Blume. Gott, Jesus ist auch hier. Näher als deine Haut.
Aber da ist dieser Schleier.
Wir sehen ihn nicht.

Aber manchmal passiert es auch heute,
dass Jesus, der Auferstandene, unseren Namen ruft,
dass er irgendwie zu uns durchdringt.

Auf einmal merken wir:
Er ist da!
Ja, das Leid ist auch da und der Tod ist da und ist schlimm.
Da ist eine Menge Dunkelheit um mich her. Das müssen wir gar nicht schönreden.
Aber hinter dem Schleier ist ER.
Hinter dem Schleier ist Leben und Licht.

Ostern heißt: Wir sind vom Leben umgeben.
Denn der Herr ist auferstanden.
Er ist wahrhaftig auferstanden.
Amen.