Predigt, 21.11.21 (Lk. 10, 20 Ewigkeitssonntag)

21.11.2021

J.Berewinkel

Liebe Geschwister, wenn man über einen Friedhof spaziert, kann man interessante Grabsteine sehen. Steine, die ungewöhnlich sind ihrer Form oder in dem, was da steht. In Nürnberg ...

Liebe Geschwister,
wenn man über einen Friedhof spaziert, kann man interessante Grabsteine sehen. Steine, die ungewöhnlich sind ihrer Form oder in dem, was da steht.

In Nürnberg gibt es den Friedhof St. Johannis. Wer dort spaziert und sich die Grabsteine anschaut, der wird an einem Grab ganz bestimmt stehen bleiben. Es ist ein altes Grab aus dem 18. Jahrhundert. Und es hat einen sehr irritierenden Grabstein. Ich zeige ihn Ihnen einmal:

(Bild: Grabstein Nürnberg)

Seltsam, oder?
Da sieht man in der Mitte keinen Namen, den man lesen kann und kein Sterbedatum, wie es sonst üblich ist.
Sondern man sieht einen Buchstabenhaufen, als ob da jemand einen Sack mit Buchstaben ausgekippt hätte. Darüber zwei Engel, die an den Buchstaben herumhantieren.

In diesem Buchstabenhaufen verbirgt sich wohl der Name des Verstorbenen. Wenn wir sie genauer sehen könnten, würden wir gleich anfangen zu knobeln: Was für ein Name kann das sein? Wer verbirgt sich dahinter?

Der Mensch, der diesen Grabstein in Auftrag gegeben hat, wollte vielleicht genau das erreichen: Dass man über seinen Namen nachdenkt. Und über die Vergänglichkeit unseres Namens.
Vielleicht will der Grabstein uns sagen: Hier liegt ein Mensch wie du und ich. Ein Mensch, der gelebt und gelacht und geliebt wie du. Seine Kinder, seine Enkel haben ihn in Erinnerung behalten. Aber jetzt, viele Jahre später, kennst du seinen Namen nicht mehr.

Namen werden vergessen.
Ich kann mich an die Namen meiner Großeltern erinnern. Bei den Urgroßeltern wird es schon schwierig. Was davor war – wenn wir keine Ahnenforscher sind, dann wissen wir das nicht mehr.

Wir vergessen Namen.
Und wir werden vergessen.
In 200 Jahren wird man sich sehr wahrscheinlich nicht mehr an uns erinnern.
Vielleicht findet sich noch in irgendeiner Fotogalerie ein Bild von uns oder in irgendeiner Cloud eine wissenschaftliche Arbeit, die wir mal geschrieben haben. Aber unseren Namen – den wird wohl keiner mehr kennen. Der ist den kommenden Generationen so fremd und so rätselhaft wie der Buchstabenhaufen hier auf dem Grabstein.

Das ist die traurige Nachricht von diesem Grabstein.

Aber da sind ja noch diese beiden Engel.
Die beugen sich über die Buchstaben und puzzeln sie zusammen.

Die Engel sind Gottes Boten. Die stehen für Gott selbst. Und die machen deutlich: Gott kennt den Namen dieses Menschen. Er vergisst ihn nicht. Auch nicht nach 200 Jahren.

Gott kennt unsere Namen.

Jesus hat einmal einen erstaunlichen Satz gesagt.
Er hat ihn gesagt in einer besonderen Situation.
Seine Jünger waren gerade von einer Missionstour zurückgekommen und erzählten ganz begeistert, was sie alles erlebt haben und wie toll sie gepredigt haben und wie sie sogar Menschen geheilt und Dämonen ausgetrieben haben. Sie waren schwer von sich selbst beeindruckt. Und da sagte Jesus zu ihnen: Es ist toll, was ihr alles leistet und wie viel Gutes ihr hier bewirkt. Aber freut euch vor allem darüber, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind.

(Bild mit Text)

„Freut euch, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind!“ (Lk. 10, 20)

Da sagt Jesus ja: Dein Name steht nicht nur in deinem Pass, nicht nur unter einem Bild, in irgendeinem Buch, auf einem Grabstein, sondern dein Name ist im Himmel aufgeschrieben.

Es gibt so etwas wie eine himmlische Cloud.
Da sind unsere Namen gespeichert.
Im Himmel, das meint: Bei Gott selbst.
Gott kennt unsere Namen.
Und das ist viel wichtiger und viel erfreulicher als alles, was wir hier auf der Erde mit unserem Namen verbinden.

Gott kennt unsere Namen, und er vergisst uns nicht.

Durch den Propheten Jesaja sagt Gott einmal: Kann eine Mutter ihr Kind vergessen? Unmöglich! Das wird nie passieren. Aber selbst wenn so etwas passieren würde – ich vergesse dich nicht! (Jes. 49, 15)

Gott sagt das zum Volk Israel: Ich vergesse dich nicht!
Er sagt es den Menschen zu, die in diesem Jahr verstorben sind: Ich vergesse dich nicht!
Und er sagt es auch zu uns, zu dir: Ich vergesse dich nicht!

Dein Name ist im Himmel aufgeschrieben.

Und wenn Jesus das sagt, dann ist das nicht nur so dahergesagt, nicht nur ein netter Gedanke. Sondern Jesus kommt ja aus dieser anderen Welt, aus Gottes Welt. Er weiß, wovon er spricht.
Natürlich gibt es da im Himmel keine Bücher aus Papier und auch keine Cloud aus digitalen Zeichen.

Aber Jesus sagt uns: Gott hat ein großes Herz. Ein Herz voller Liebe. Da ist ganz viel Platz, für jeden von uns.
Und da, in Gottes Herzen, da sind unsere Namen gespeichert. Da werden sie bewahrt und nicht vergessen.

Jetzt muss man noch eine Sache dabei bedenken: Wenn in der Bibel vom „Namen“ geredet wird, dann ist das nicht nur ein Etikett, das man jemandem aufklebt und wieder abziehen kann. Sondern der Name – das ist die Person selbst. Der Name ist
Identität.

Christiane, Kerstin, Andreas, Steffen, – das sind nicht nur Worte, sondern das bist du und du und du und ich.

„Freut euch, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind!“ – das heißt also: Freut euch, dass ihr einen Platz in Gottes Herzen habt, einen Platz in seinem Reich, in seiner Welt.

Es geht nicht nur darum, dass Gott sich an unsere Namen erinnert: Ach ja, den und den hat es ja mal gegeben.
Sondern Gott erhält unsere Identität.
Auch wenn unser Körper stirbt, erhält er unsere Identität.

Im Moment ist der Träger unserer Identität unser Körper. Aber der wird eines Tages zerfallen. Von diesem Körper wird in 200 Jahren nichts mehr übrig sein. Ein paar Knochen vielleicht, ein bisschen Calcium und Kohlenstoff, der Rest ist eingegangen in den Kreislauf der Natur.

Aber die Bibel sagt uns, dass unsere Identität nicht an diesem Körper hängt, dass sie nicht einfach verlischt, wenn der Körper vergeht. Unser Körper ist nur der Träger unserer Identität. Er ist nicht unsere Identität.

Der Apostel Paulus hat mal in einem seiner Briefe unseren Körper mit einem Zelt verglichen, in dem wir wohnen. Und er sagt: Wir wissen, wenn dieses Zelt abgebrochen wird, wenn wir sterben, dann bekommen wir ein neues Zuhause, ein Haus im Himmel.
An einer anderen Stelle spricht er von einem neuen Leib, den wir bekommen, einen geistlichen Leib. Der wird der neue Träger unseres Selbst.

Das ist alles schwer vorstellbar.
Und die Bilder, die wir da vielleicht im Kopf haben, dass die Seele im Moment des Sterbens in den Himmel fliegt – die kommen uns möglicherweise zu naiv vor. Und sind es wohl auch.

Aber was Jesus uns zusagt ist: Unsere Identität, unser Selbst, unsere Person, wie immer man das nennen will, verschwindet nicht einfach im Nichts.
Sondern wir haben einen Platz bei Gott.
Und er wird uns ein neues Leben geben in einem neuen Leib, einer neuen Daseinsform, in einem neuen Träger – wie immer das genau aussehen mag.

Ich hatte vor etlichen Jahren eine Frau beerdigt. Sie war mit Ende 50 an Krebs gestorben. Sie und ihr Mann waren beides Ärzte. Als der Krebs diagnostiziert wurde, wusste sie sehr genau, wie es um sie steht und was da in ihrem Körper passiert. Sie hat nichts verdrängt, hat auch alles an medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft. Aber dann wurde klar, dass keine Heilung möglich ist, dass sie sterben wird. Einige Wochen davor rief sie mich an und bat um ein Gespräch. Es ging ihr da noch relativ gut, sie war mobil und wollte mit mir über ihre Beerdigung sprechen, und auch über das Leben nach dem Tod.

Das hat man selten, dass Menschen so sehenden Auges auf den Tod zugehen, so offen darüber sprechen, so ehrlich fragen.
Wir konnten klären, was zu klären war und dann ist sie nach relativ kurzer Zeit gestorben.

Ihr Mann war auch Arzt. Ein sehr nüchterner, rationaler Mann. Der hatte mit Kirche und Glaube wenig am Hut. Ein paar Wochen nach der Beerdigung war ich noch mal bei ihm. Wir tranken zusammen Tee und dann sagte er etwas, das werde ich nicht mehr vergessen. Er sagte sinngemäß: Ich bin nicht gläubig in Ihrem Sinne. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das, was meine Frau ausgemacht hat, einfach weg ist: Ihr unglaubliches Wissen, ihre ganzen Erfahrungen und Erlebnisse, ihre Werte – das kann doch nicht einfach verschwunden sein mit dem Zerfall ihres Körpers. Das muss doch in irgendeiner Form weiterexistieren.

Ich glaub, es war nicht nur die Trauer, die ihn zu diesen Gedanken führte, nicht nur Wunschdenken.
Es war die nüchterne Einsicht, dass wir Menschen mehr sind als ein Haufen Kohlenstoffatome,
mehr als nur Materie.
Unser Geist, also unsere Gedanken und Gefühle, unser Wissen, Lieben und Lachen und Staunen und Vertrauen – das ist mehr als nur ein paar elektronische Impulse, die durchs Gehirn zucken. Unser Geist braucht den Körper als Träger, aber er ist eine eigene Realität. Und die, so merkte dieser Arzt, kann doch nicht einfach im Nichts verschwinden.

Freut euch, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind!
Das ist die Zusage, die Jesus uns heute, am Ewigkeitssonntag, macht.
Dein Name ist aufgeschrieben.
Deine Identität geht nicht verloren.
Der Tod ist nicht das Ende.
Dafür hat Jesus gesorgt.

Für viele von uns ist heute ein trauriger Tag. Wir denken an die Verstorbenen und wir vermissen sie und spüren den Schmerz.
Aber es gibt heute für uns alle einen tiefen Grund zur Freude:
Unsere Namen sind aufgeschrieben.
Bei Gott ist Platz für jeden von uns.

Amen.