Predigt, 22.1.2023 Phil 2, 1-30 (Predigtreihe Philipperbrief Teil 2)

22.1.2023

J.Berewinkel

Liebe Geschwister! Wer oder was hat Sie in Ihrem Leben am stärksten geprägt? Wer oder was hat Ihren Charakter am stärksten geformt? Vielleicht waren es bestimmte Menschen: ...

Liebe Geschwister!
Wer oder was hat Sie in Ihrem Leben am stärksten geprägt? Wer oder was hat Ihren Charakter am stärksten geformt?
Vielleicht waren es bestimmte Menschen: Eltern, ein Freund, ein Vorbild.
Vielleicht ein bestimmtes Erlebnis, ein schönes oder ein schweres.

Prägung. Wir kennen das Wort ja zB aus der Münzprägung. Da wird einem Rohling aus Metall mit großer Kraft ein Stempel eingeprägt, also ein Bild, eine Form eingedrückt.

Man kann den Prägevorgang ja auch ein bisschen einfacher gestalten. Ich habe hier eine schöne Münze. Wenn man die auf eine Wachsplatte drückt, dann prägt sich das Profil auf dem weichen Wachs ein und es wird sichtbar. (Vormachen)

Prägung heißt, dass ein Bild sich so stark in mein Leben eindrückt, dass es in mir sichtbar wird.
Um diesen Vorgang geht es im 2. Kapitel vom Philipperbrief.
Und um diesen Vorgang geht es beim Christsein:
Dass sich das Bild von Jesus auf unser Leben abfärbt, sich in uns einprägt und sichtbar wird.

Steigen wir ein in das Kapitel.
V. 1: Paulus stellt fest, dass es bei den Philippern schon ganz viel Schönes gibt. Der Glaube an Jesus hat sich in ihrem Leben ausgewirkt: Es gibt gegenseitige Ermahnung und Ermutigung. Es gibt Gemeinschaft und Zuneigung und Barmherzigkeit. Das ist super.

Aber der Veränderungsprozess, der da begonnen hat, soll weitergehen. Paulus betont die Einigkeit. Da scheint es bei den Philippern noch Entwicklungs-potenzial zu geben. Wir werden im 4. Kapitel etwas mehr dazu hören.
Und dann wirft er in V. 3 einen Begriff ein, den müssen wir uns einmal genauer anschauen:
„Achtet in Demut den anderen höher als euch selbst.“
Das ist ja ein Satz, der nicht so ganz glatt runtergeht, oder?
Demut – das ist eine Tugend, die keiner wirklich will.
Es ist in unserer Gesellschaft kein erstrebter Wert.
Die Leute in Philippi werden auch geschluckt haben, als sie das hörten. Demut war bei den Griechen und Römern noch viel weniger erstrebenswert als bei uns. Demut verband man mit Sklavenmoral, mit einer knechtischen, unterwürfigen Haltung. Das war überhaupt keine Tugend damals, im Gegenteil.

Heute ist es nicht viel anders. Es gibt kaum eine Tugend, die so missverständlich ist wie die Demut.
Manche Leute denken, Demut heißt, dass sich eine hübsche Frau für hässlich halten soll oder ein kluger Mensch für dumm halten soll.
Demut als eine Haltung, wo man gering von sich selber denkt.

Für Paulus bedeutet das Wort etwas ganz anderes.
Es wird gefüllt von dem Verhalten von Jesus.
Er ist das Urbild, der Stempel, der uns mit seiner Demut prägen will.
Bei ihm sieht man: Demut hat überhaupt nichts mit Selbstverachtung zu tun, sondern mit der Fähigkeit, loszulassen, sich nicht zu wichtig zu nehmen und für andere da zu sein.

Und dieses Verhalten von Jesus soll das Verhalten in der Gemeinde bestimmen. Das soll uns prägen.
Und damit kommen wir zum nächsten Abschnitt, V. 6-11. Das ist einer der schönsten und wichtigsten Texte im ganzen NT. Und es ist von zentraler Bedeutung für den Brief.

Dieser Abschnitt ist sprachlich besonders dicht und rhythmisch.
Die Ausleger vermuten, dass es ein urchristliches Lied ist. Ein Lied, das in den Gemeinden gesungen wurde.
Paulus kannte es und bringt es hier ein.
Der Text ist hoch interessant. Denn er zeigt uns, wer Jesus ist.

Es gibt ja so eine landläufige Vorstellung, dass sich die dogmatischen Vorstellungen über Jesus erst so nach und nach entwickelt haben. Man sagt: Der wirkliche Jesus, der „historische Jesus“, das sei nur ein besonderer Mensch gewesen, ein Prophet, ein charismatischer Heiler, ein Reformer – wie auch immer. Und seine Anhänger fanden ihn so toll, dass sie ihn nach und nach immer größer gemacht haben. Immer mehr Legenden haben sich entwickelt. Und so wurde in einem langen, langen Prozess aus dem Menschen Jesus ein Gottessohn.

Dieses Lied hier macht deutlich, dass es so nicht gewesen ist.
Paulus hat diesen Brief in den 50er Jahren geschrieben; gut 20 Jahre nach Tod und Auferstehung von Jesus. Das Lied gab es bereits. Das muss also älter sein.
Und was hier über Jesus gesagt wird, das war Konsens. Es gab in der Urchristenheit manche Meinungsverschiedenheiten. Paulus setzt sich in seinen Briefen damit auch auseinander. Aber in der Frage, wer Jesus ist, gab es einen ganz großen Konsens. Das war auch für Paulus selbst keine Frage. Er war ja zwei, drei Jahre nach Tod und Auferstehung Christ geworden und konnte mit allen Christen dem zustimmen, was dieses Lied über Jesus aussagt.
Es waren Überzeugungen, die sich nicht allmählich und erst spät entwickelt haben, sondern die unmittelbar nach der Auferstehung da waren und fest standen.

Was sagt das Lied also?

Jesus war von „göttlicher Gestalt“. Er war „Gott gleich“. Er war, wie die Theologen sagen, präexistent, war schon immer bei Gott und hatte teil an Gottes Wesen.
Und jetzt wird das Weihnachtswunder beschrieben: Er hielt nicht daran fest wie Gott zu sein, sondern wurde Mensch, echter Mensch.
Er ließ seine göttlichen Privilegien los und wurde einer von uns.

Und nicht nur das. Er stieg noch tiefer hinab.
Hinab in die tiefste Dunkelheit, in tiefstes Leid.
Er erniedrigte sich selbst und war gehorsam bis in den Tod, ja, bis in den Tod am Kreuz.

Aber dabei bleibt es nicht.

Jetzt kommt die Wende. Jetzt kommt Ostern und Himmelfahrt:
Gott hat ihn hoch erhöht. Er hat ihn zum Herrn, zum Kyrios gemacht. Er ist wieder bei Gott im Himmel. Und eines Tages werden alle Menschen ihn bekennen, ihn anbeten und damit Gott selbst ehren.

In diesem Lied wird der Weg von Jesus wie ein großes U gezeichnet.

> Folie:

Er fängt ganz oben an:
Jesus ist bei Gott, in göttlicher Gestalt.
Aber er geht ganz nach unten.
Wird Mensch.
Kommt an den Tiefpunkt, zum Tod am Kreuz.
Aber dann geht es wieder nach oben:
Er wird erhöht
und wird der Herr, den alle bekennen.

Das ist die „Karriere“ von Jesus.

Jetzt schreibt ja Paulus dieses Lied nicht aus irgendeinem spekulativen Interesse. Es geht ihm nicht um dogmatische Richtigkeiten.

Sondern der Weg von Jesus hat Modellcharakter.
Paulus sagt den Philippern und uns: Lasst euer Leben von Jesus prägen.
Er hat nicht für sich selbst gelebt; hat nicht an seinen Privilegien festgehalten, sondern hat alles losgelassen. Aus freiem Willen. Aus Liebe zu uns Menschen. Er ist hinabgestiegen, hat sich erniedrigt, um uns aus der Grube herauszuholen.
Das ist seine Demut. Seine Hingabe.

Und sein Verhalten soll unser Verhalten beeinflussen. Sein Leben ist ein Modell für uns.
Christsein heißt: sich von Christus prägen zu lassen.

Keiner wünscht sich so eine U-Lebenskurve.
Wenn wir an unsere Lebenskarriere denken, dann wünschen wir uns eine aufsteigende Linie. Es soll im Laufe der Lebensjahre immer besser werden.
Besseren Job, besseres Gehalt, schönere Wohnung, tolleren Urlaub, mehr Einfluss, usw.
Und wenn es schon nicht aufwärts geht, dann, hoffen wir, soll es zumindest so gut bleiben, wie es ist.

Das wünsche ich mir. Und das wünscht sich jeder.
Aber manchmal kommt es eben anders.
Halten Sie doch mal die „Karrierekurve“ von Jesus auf Ihr eigenes Leben!
Vielleicht gibt es da auch solche „U“s.

Manchmal muss man erst durch ein Tal, um auf den Berg zu kommen.
Manchmal muss man durch eine Leidensstrecke gehen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Manchmal muss man etwas loslassen, um etwas Neues zu gewinnen.
Manchmal muss man bereit sein zu verlieren und Opfer bringen, bevor wir Erfolge feiern können.

Ich habe das nicht oft erlebt, aber doch ein paar Mal. Das ist nicht leicht, aber manchmal ist es einfach nötig.

Wie ist das bei Ihnen?

Spätestens vor dem Sterben wird uns das allen so gehen: Da müssen wir durch das Tal des Todes, um zum ewigen Leben aufzusteigen.

Das ist der Weg, den Jesus gegangen ist und in den er uns hineinruft.
Davon sollen sich die Christen in Philippi und wir uns heute prägen lassen.

Das ganze restliche Kapitel 2 ist im Grunde eine Entfaltung davon.

In den VV. 12-16 kommen eine ganze Reihe von Ermahnungen, wie die Christen leben sollen als Nachfolger von Jesus. Sie sollen mit Gottes Hilfe wie Lichter in der Welt sein und etwas vom Wesen Gottes, vom Wesen Jesu sichtbar machen.
Und auch Paulus selbst folgt dem Beispiel von Jesus. Er spricht in V. 17 davon, dass er bereit ist, sein Leben zu opfern für die Menschen. Wir hatten ja letzte Woche gehört, dass Paulus diese Zeilen im Gefängnis schreibt. Und es war durchaus möglich, dass er da hingerichtet wird wegen seinem Glauben.
Er ist bereit dazu, so wie Jesus bereit war, sein Leben für uns zu opfern.

Und nun kommen noch zwei ganz interessante Abschnitte. Paulus erwähnt da zwei Personen.
Es geht um organisatorische Sachen. Aber auch an diesen zwei Personen wird wieder das Modell von Jesus sichtbar.

Der eine ist Timotheus, VV 19-24. Wir hatten ja letzten Sonntag gehört, dass Timotheus ein Mitarbeiter von Paulus ist. Ein junger Mann, der ihn auf seinen Reisen begleitet hat, der jetzt bei ihm im Gefängnis sitzt und vermutlich aufschreibt, was Paulus diktiert.

Paulus will Timotheus nach Philippi schicken, sobald klar wird, wie es mit Paulus weitergeht, wie also das Urteil ausfallen wird.
So eine Reise war damals ein großer Aufwand. Wir wissen nicht genau, wo Paulus gerade ist. Evtl in Rom. Dann wäre es eine sehr große Reise. Wahrscheinlicher ist Ephesus. Aber auch von da waren es bis Philippi mehrere hundert Kilometer. Eine Menge Aufwand. Aber für Paulus war es total wichtig, in Kontakt mit den Gemeinden zu sein. Die konnten damals noch nicht facetimen oder telefonieren oder whatsapp-Nachrichten schicken. Kommunikation ging nur auf dem mühsamen Weg zu Fuß.
Timotheus wäre bereit, diesen Weg zu machen. Er war jemand, schreibt Paulus, der sich mit ganzen Herzen um die Gemeinden kümmerte, dem es wirklich um die Sache Jesu ging und nicht nur um sich selbst. Und der gerade darin von Jesus geprägt war.

Stellt euch mal die Situation vor! Paulus diktiert das ja dem Timotheus. Der junge Kerl wird bestimmt rote Ohren gekriegt haben, als er das schreiben soll. Aber es hat bestimmt seinem Selbstvertrauen gut getan.

Und dann wird noch jemand erwähnt: Epaphroditus, VV 25-30. Das ist eine spannende Geschichte.
Epaphroditus war ein Christ aus Philippi. Die Gemeinde hatte erfahren, dass Paulus im Gefängnis ist und hat eine Art Care-Paket für ihn gepackt. Wir werden im 4. Kapitel noch mehr davon hören.
Jedenfalls ist Epaphroditus der Überbringer. Er ist zu Paulus gereist und hat ihm das Paket gebracht. Und jetzt unterstützt er ihn, macht Botengänge, tut dies und jenes. Paulus sitzt da also nicht allein im Kerker, sondern er konnte offenbar Besucher empfangen und hatte Leute um sich, die ihm geholfen haben.

Allerdings ist Epaphroditus krank geworden; ernsthaft krank. Er hat sich, schreibt Paulus in V. 30, in seiner Arbeit für Christus nicht geschont, hat sein Leben aufs Spiel gesetzt, um Paulus und dem Evangelium zu dienen. Und auch er ist damit dem Modell von Jesus gefolgt.

Aber jetzt ist er wieder gesund geworden und hat große Sehnsucht nach seiner Gemeinde. Paulus schickt ihn also zurück und er ist es, der den Brief an die Philipper mitnimmt.

Epaphroditus, Timotheus, Paulus – lauter Menschen, die sich von Jesus prägen ließen. Bei denen das Bild von Jesus ein bisschen sichtbar geworden.
Und durch solche Menschen, die so lebten, hat sich der Glaube an Jesus ausgebreitet.
Ein letzter Gedanke noch.
Letzte Woche sind die neuen Statistiken zu Kirchenaustritten veröffentlicht worden. Leider wieder ein Rekord an Austrittszahlen. Allein bei uns in der Rheinischen Kirche ca. 70.000 Menschen. Von den Katholiken mal ganz zu schweigen.
Die Gründe, sagen die Soziologen, sind gar nicht mal in erster Linie die Skandale. Es ist die fehlende Plausibilität. Warum soll ich in der Kirche bleiben? Was bringt mir das?
Früher gab es noch einen gewissen sozialen Druck, der Leute am Austritt hinderte. Heute ist von einer Sogwirkung die Rede. Leute sehen, wie links und rechts andere austreten. Man muss nicht mehr begründen, warum man austritt, sondern eher, warum man nicht austritt.

Ich will hier gar nicht wehklagen. Das ist so und wird von uns nicht geändert werden. Aber der Philipperbrief macht eins deutlich: Der Glaube an Jesus hat sich damals ausgebreitet, weil in den Gemeinden eine Liebe gelebt wurde, die neu und erstaunlich war. Der Lebensalltag wurde durch die Beziehung zu Jesus konkret und real zum Guten verändert. Und dieses veränderte Leben hat Menschen angezogen, hat Menschen motiviert, selber Christen zu werden, gegen alle staatlichen Widerstände.

Für unsere großen Kirchen wird es die entscheidende Frage sein, ob das, was wir glauben und predigen, sich auf unser reales Leben abfärbt, ob da wirklich eine Prägekraft ist. Nur dann wird Kirche wieder attraktiv und relevant werden.

Und für uns persönlich wird die Frage sein:
Will ich das? Will ich wirklich als Christ leben, mich von Jesus prägen lassen oder will ich nur Zuschauer bleiben.

Nächste Woche schauen wir uns das 3. Kapitel an. Da werden wir noch mal deutlicher sehen, woher die Kraft zu dieser Veränderung kommt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Gedanken in Christus Jesus.

Amen.