Predigt, 26.2.2023 Thema: Unverzeihlich – Vom Loslassen und Vergeben

26.2.2023

J.Berewinkel

(Sack auf Schulter) Liebe Geschwister und Gäste, es gibt Menschen, die ihr Leben lang einen schweren Sack mit sich herumschleppen. Einen unsichtbaren Sack, der die Seele belastet. ...

(Sack auf Schulter)

Liebe Geschwister und Gäste,

es gibt Menschen, die ihr Leben lang einen schweren Sack mit sich herumschleppen. Einen unsichtbaren Sack, der die Seele belastet. Der niederdrückt. Der das Leben schwer und mühsam macht.
In diesem Sack sind die gesammelten Erinnerungen an die Schuld anderer. Erinnerungen an das, was andere mir angetan haben.
Und diese Schuld anderer ist belastend wie schwere, harte Steine.

Ich will mir mal mit Ihnen anschauen, was in so einem Erinnerungssack alles drin sein kann:

(Einzelne Steine werden herausgeholt)

Ein paar kleinere Sachen sind da drin. Hier z.B.:
Der letzte Streit mit dem Ehepartner, wo er oder sie mir verletzende Worte an den Kopf geknallt hat.

Oder hier das: Das war vor zwei Monaten. Da hat mich der Chef vor meinen Kollegen total runtergemacht: „Wie kann man denn so `was einfach vergessen!“, so hat er mich angeschnauzt, als wäre ich der letzte Depp.

Oder hier: Das war meine Nachbarin. Ich grüße die freundlich und die guckt einfach weg als wäre ich Luft!

Manche Steine sind noch größer:

Mein Cousin, der einen Prozess gegen mich losgetreten hat, nur weil er mir den Erbanteil am Haus der Großmutter nicht gegönnt hat.

Oder das hier: Das war ein guter Freund. Der hat ein Geheimnis, das ich ihm anvertraut habe, einem anderen weitererzählt. Das war der totale Vertrauensbruch.

Oder, ganz tief unten im Sack:
Das ist schon lange her: Mein Vater! Er hat dafür gesorgt, dass ich nicht meinen Traumberuf gewählt habe. Er ist schuld daran, dass sich mein Lebenswunsch nie realisiert hat.
Und es gibt noch viele andere Steine in diesem Sack.
So vieles, was Menschen in ihrer Erinnerung mit sich herumschleppen.

Haben Sie auch so einen Sack?
Was ist bei Ihnen drin?

Wir sagen ja manchmal, dass bestimmte Menschen nachtragend sind. Damit meinen wir, dass sie lange Zeit sauer sind, weil jemand sie verletzt oder gekränkt hat. Auch nach Jahren werfen sie einem das noch vor: „Damals hast du…“
Das Wort „nachtragend“ ist ja ungeheuer anschaulich. Da trägt jemand einem anderen etwas hinterher, trägt es nach.

Wenn wir die Schuld anderer behalten, wenn wir sie festhalten, dann wird dieser Sack immer größer und immer schwerer. Und wir sind es, die ihn tragen!

Nehmen wir mal als Beispiel diesen doofen Chef, der uns da vor anderen blamiert. Du ärgerst dich schwarz, hast Rachefantasien und irgendwie denkst du, dass du ihn strafst, indem du ihm auf ewig grollst. Aber in Wirklichkeit strafst Du Dich damit nur selber.
Natürlich sollte Unrecht angesprochen werden. Wir sollen nicht alles schlucken. Aber wenn wir jemandem etwas nachtragen, dann sind wirklich wir es, die diesen Sack tragen.

Psychologen und Therapeuten können ein Lied davon singen. So vielen Menschen sind belastet und werden krank, weil der Groll ihre Seele zermürbt.

Aber das muss nicht so sein.
Du kannst Schuld vergeben.
Du kannst diesen Sack loslassen.

Vor 30 Jahren in einer Silvesternacht hat Wolfgang Schauer auf seine Frau Klara geschossen. Er war eifersüchtig. Sie hatte eine Affäre, ging immer wieder weg und traf sich mit einem anderen Mann. Wolfgang war furchtbar wütend. Sie hatte versprochen, das zu beenden. Aber dann, in dieser Nacht, hat sie wieder heimlich mit ihm telefoniert. Zumindest dachte er das. Und dann drehte er völlig durch. Er nahm die Pistole aus dem Nachttisch und dann weiß er nicht mehr, was passiert ist. Nur, dass plötzlich ein lauter Schuss krachte und seine Frau vor ihm auf dem Boden lag.
Durch den Schuss ist sie querschnittsgelähmt. Seitdem sitzt sie im Rollstuhl.
Jeder würde denken: Diese Ehe ist zu Ende.
Aber die beiden sind immer noch ein Paar. Er pflegt sie; tut alles für sie. Und sie hat ihm verziehen.

Das ist möglich. Vergebung kann geschehen.
Sogar Vergebung von schlimmer Schuld.

Kürzlich las ich von einer Frau in Ruanda. Die heißt Alphonsine.
Sie erinnern sich vielleicht an den Völkermord, der 1994 in Ruanda passierte. Wo das Volk der Hutu hunderttausende von Tutsi ermordet hat. Der Mann von Alphonsine war Tutsi. Sie selbst ist Hutu. Sie musste mitansehen, wie ihr Mann ermordet wurde. Sie hat die Leute gesehen, die das taten. Es waren Leute aus ihrem Dorf. Alphonsine und ihre Kinder mussten fliehen, haben sich wochenlang versteckt und sind dann in ihr Dorf zurückgekehrt. Einer der Mörder wohnt immer noch da, bis heute.
Als Alphonsine ihn zum ersten Mal sah, da fing sie an zu überlegen, wie sie ihn töten kann. Rachefantasien beherrschten sie. Es war für sie ein langer und schwerer Prozess, sich davon zu lösen. Sie hat das aufgeschrieben, wie das für sie war und welchen Weg sie da gegangen ist.
Ich lese es Ihnen einmal vor:

„Gott hat uns geholfen, die Dunkelheit Stück für Stück zu überwinden. Uns war ziemlich schnell klar geworden, dass es keine Alternative gab, als mit den bösen und dunklen Erlebnissen weiterzuleben. Es war geschehen – und wir mussten es akzeptieren und damit weiterleben. Wir konnten das gar nicht ohne Gott. Der Weg der Vergebung war allein nicht möglich. Ich wusste, dass ich nur mit Jesus unser Leben wieder zurückgewinnen würde. Die Bibel sagt, dass uns nur vergeben werden kann, wenn wir selbst zur Vergebung bereit sind. Tief in meinem Herzen wusste ich, dass es wahr ist. Deshalb hab ich immer wieder darüber nachgedacht, wie ich Vergebung leben kann und dem Mörder meines Mannes vergeben könnte. Es war nicht einfach, aber mit Gottes Hilfe war es möglich.“ (Aus: Die Kraft der Versöhnung. Steve Volke, S. 111)

Was wir an Schuld und Verletzung erlebt haben, das ist wahrscheinlich deutlich geringer als das, was Alphonsine erlebt hat. Aber trotzdem – es ist oft auch für uns eine enorme Herausforderung und es kann ungeheuer schwer sein, die Schuld eines anderen wirklich loszulassen. Wie schafft man das?

Die gleiche Frage wurde Alphonsine gestellt: Wie schaffe ich das denn nun, einem anderen zu vergeben?
Da sagt sie aufgrund ihrer eigenen Erfahrung:
„Du kannst das gar nicht. Du hast keine eigenen Mittel, aus dir selbst heraus anderen zu vergeben. Das musst du erst einmal erkennen und zugeben. Wenn du aber Jesus bittest, Vergebung in dir selbst zu bewirken, dann wird es auch möglich sein, den anderen zu vergeben.“

Mit der Vergebung ist es wie mit so manchen Dingen im Leben: Es beginnt mit dem Eingeständnis der eigenen Ohnmacht: Ich kann es nicht alleine.

Vergeben ist keine moralische Leistung. Sondern es bedeutet: Ich erlaube, dass jemand mir diesen Sack von der Schulter nimmt.

Alphonsine verweist dabei immer wieder auf Jesus.
Er ist tatsächlich der Schlüssel zur Vergebung.
Er ist es, der uns ganz behutsam diesen Sack abnehmen will.
Wir feiern heute ja den ersten Sonntag in der Passionszeit. Jesus hat so furchtbares Unrecht erlitten: Verrat durch Freunde, Verleumdung, ein Prozess, der eine Farce war. Öffentliche Demütigung und grausame Schmerzen am Kreuz. Und da, am Kreuz, bevor er stirbt, betet Jesus für die Menschen, die ihm das angetan haben: Vater, vergib ihnen. Sie wissen ja nicht, was sie tun!

Jesus hat uns vorgelebt, was Vergeben heißt.
Er gibt uns ein Modell.

Und er hat uns eine Bitte in den Mund gelegt. Ein Gebet, das wir in jedem Gottesdienst beim Vaterunser sprechen:

„Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“

Da verlinkt Jesus zwei Dinge, die wir gerne trennen:
Die Schuld der anderen und die eigene Schuld.

Niemand ist ja nur Opfer. Wir sind immer beides, Opfer und Täter.
Ein anderer hat mich verletzt. Ja, aber ich habe auch Menschen verletzt.
Jemand hat mein Vertrauen missbraucht oder sein Wort gebrochen. Ja, aber ich habe das doch auch schon getan.

Wir brauchen wahrscheinlich nicht lange überlegen, dann werden uns Dinge einfallen, wo wir andere verletzt haben und vielleicht sogar richtig Schlimmes getan haben.

Ich bin nicht nur der, der anderen vergeben soll.
Sondern ich bin auch darauf angewiesen, dass andere mir vergeben.

Dass andere Menschen mir vergeben.
Und dass Gott mir vergibt.

Ich kann mir ja meine Schuld nicht selbst abnehmen.
Das haben wir vorhin in der Szene gesehen, die Maxine uns eindrücklich vorgespielt hat.
Diesen Dreck, dieses Dunkle – das kann ich mir nicht selbst von der Seele wischen.
Da brauche ich jemanden, der das für mich macht.

Und da spielt wieder Jesus die Schlüsselrolle.

Als er an das Kreuz ging, da hat er nicht nur ein furchtbares Unrecht erlitten, sondern er hat da für uns gelitten.

Am Abend vor seiner Verhaftung, als Jesus mit seinen Jüngern das Abendmahl feiert, da sagt er, dass er sein Leben einsetzen wird für uns, dass er sich hingeben wird, um uns die Schuld abzunehmen, um uns zu vergeben. Er nimmt unsere Schuld auf sich und nimmt sie mit in den Tod.

Es ist schwer zu verstehen, wie das genau funktionieren kann. So ganz begreife ich es noch immer nicht. Das ist ein tiefes Geheimnis.

Aber eins wird da deutlich:
Vergebung ist nichts Billiges.
Vergebung ist kein „Schwamm drüber. Alles halb so schlimm.“

Damit würde man das Unrecht verharmlosen.
Wer wirklich schlimmes Unrecht erlebt hat, der weiß: So eine Verharmlosung der Schuld löst nichts. Sie macht alles nur schlimmer.

Wenn Jesus für unsere Schuld stirbt, dann wird deutlich:
Vergebung hat einen hohen Preis. Und Jesus war bereit, im Auftrag Gottes, diesen Preis zu zahlen.

Auch wenn wir das noch nicht ganz verstehen – es ist wirklich passiert. Jemand hat ganz real sein Leben eingesetzt, um meine Schuld zu vergeben.

Und hier liegt eine entscheidende Ressource.

Die Erfahrung von Vergebung kann mich befähigen, nun auch selber zu vergeben.
Weil Gott mir durch Jesus mein Unrecht vergibt, kann ich auch das Unrecht anderer vergeben.
Also: Wie Gott mir so ich dir!

Wenn Sie diesen Sack nicht mehr anderen nachtragen wollen, wenn Sie einem bestimmten Menschen vergeben wollen, dann liegt hier vielleicht der erste Schritt:
Dass Sie sich von Gott Ihre eigene Schuld vergeben lassen.
Die Schuld ihm eingestehen und bei ihm abladen.

Und so können wir dann den nächsten Schritt gehen. Auch das mit Gottes Hilfe.

Sie können Gott sagen:
Ich bringe dir die Schuld von XY.
Ich bringe sie dir und lasse sie bei dir los.
Vergeben heißt ja wörtlich: Ich gebe etwas weg, gebe es jemand anders. Ich übergebe es an Gott.

Gott wird das Unrecht, das Dir geschehen ist, nicht verharmlosen. Er ist es, der die Dinge zurecht bringt. Und darum ist Unrecht bei ihm ist es in guten Händen.
Darum kannst du es loslassen.

Wir können das jetzt gleich ganz praktisch machen.
Sie haben beim Reinkommen einen Stein bekommen.

Nehmen Sie ihn doch einmal in die Hand und fühlen Sie ihn.
Dieser Stein steht für das Unrecht, das man Ihnen zugefügt hat. Eine Verletzung, eine Bosheit. Etwas, das auf Ihrer Seele lastet. Etwas Großes oder Kleines.

Und wenn Sie diese Last loswerden wollen, dann können Sie das jetzt ganz praktisch tun.

Wir laden Sie ein, mit Ihrem Stein hier nach vorne zu kommen und ihn vor dem Kreuz abzulegen. So übergeben wir diese Schuld symbolisch an Gott. Wir ver-geben sie.
Wer mag, kann ein stilles Gebet sprechen und dann diesen Stein hier hinlegen.

Wir haben genug Zeit dafür.
Wir werden gleich Musik hören und dann können Sie in aller Ruhe nach vorne kommen.

Vergebung ist Befreiung.
Denn Gott nimmt uns gerne unsere Lasten ab.
Amen.