Predigt, 27.11.22 (1. Advent) Offb 3, 14-22

27.11.2022

J.Berewinkel

Liebe Geschwister, wer von Ihnen war schon einmal in der Türkei? … Und wer von denen, die in der Türkei waren, war schon mal in Pamukkale? … Pamukkale ...

Liebe Geschwister,
wer von Ihnen war schon einmal in der Türkei? …
Und wer von denen, die in der Türkei waren, war schon mal in Pamukkale? …
Pamukkale ist eine der großen Attraktionen in der Westtürkei. Da gibt es heiße Quellen, in denen man baden kann. Das Wasser ist sehr kalkhaltig. Da haben sich die berühmten Kalk-Sinter-Terrassen gebildet. Das sieht beeindruckend aus: Große weiße Kalkterrassen, über die das warme Wasser fließt.

Ganz in der Nähe von Pamukkale lag früher die Stadt Laodizea. Das warme Wasser von Pamukkale floß da vorbei. Es war eine sehr reiche Stadt, mit vielen Banken, mit viel Gold. Es gab Tuchproduktion. Es war dort ein Zentrum für Augenheilkunde.
Und es gab in Laodizea eine christliche Gemeinde. Die wird in der Bibel erwähnt; im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung.
Am Anfang der Offenbarung gibt es einige Botschaften an einzelne Gemeinden. Der auferstandene Jesus sagt dem Schreiber der Offenbarung, was er diesen Gemeinden ausrichten soll.
Laodizea ist eine dieser Gemeinden. Was sie da zu hören bekommt, das ist der vorgeschlagene Predigttext für diesen ersten Advent.

Offb 3, 14-22 (Basisbibel)
14»Schreib an den Engel der Gemeinde in Laodizea: ›So spricht der, der das Amen ist, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang von Gottes Schöpfung:15Ich kenne deine Taten. Du bist weder kalt noch heiß. Ach, wärst du doch kalt oder heiß!16Doch du bist lauwarm, weder heiß noch kalt. Darum will ich dich aus meinem Mund ausspucken.17Du sagst: Ich bin reich, habe alles im Überfluss und mir fehlt es an nichts. Dabei weißt du gar nicht, wie unglücklich du eigentlich bist, bedauernswert, arm, blind und nackt.18Ich gebe dir einen Rat: Kauf Gold von mir, das im Feuer gereinigt wurde. Dann bist du wirklich reich! Und kauf weiße Kleider, damit du etwas anzuziehen hast. Sonst stehst du nackt da und musst dich schämen! Kauf außerdem Salbe und streich sie auf deine Augen. Denn du sollst klar sehen können!19Alle, die ich liebe, weise ich zurecht und erziehe sie streng. Mach also Ernst und ändere dich. 20Hör doch! Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten. Ich werde mit ihm das Mahl einnehmen und er mit mir. 21Wer siegreich ist und standhaft im Glauben, der soll neben mir auf meinem Thron sitzen – so wie auch ich den Sieg errungen habe und neben meinem Vater auf seinem Thron sitze.‹22Wer ein Ohr dafür hat, soll gut zuhören, was der Geist Gottes den Gemeinden sagt!«

Manchmal ist es wichtig, dass Klartext geredet wird und nicht nur Nettigkeiten. Stellen Sie sich vor, Sie gehen zu Ihrem Hausarzt. Der guckt Sie mit ernstem Blick an und sagt: Ich habe zwei schlechte Nachrichten für Sie und eine gute.

Keiner von uns würde dem Arzt sagen: Ach, behalten Sie mal die schlechten Nachrichten für sich! Erzählen Sie mir nur die gute! Wenn wir beim Arzt sind, wollen wir keine Komplimente hören, sondern die Wahrheit. Dann wollen wir eine wahre und klare Diagnose, auch wenn es weh tut.

Was der Auferstandene hier der Gemeinde in Laodizea sagt, ist so etwas Ähnliches. Es ist nicht nett. Es sind keine Komplimente. Sondern es ist eine ernste Diagnose.
Zwei schlechte Nachrichten für Laodizea und eine gute.

Die erste schlechte Nachricht: Du bist lau!
(Glas Sprudel)

15Ich kenne deine Taten. Du bist weder kalt noch heiß. Ach, wärst du doch kalt oder heiß!16Doch du bist lauwarm.

Wenn man an einem kalten Winternachmittag ins Cafè geht, dann freut man sich auf eine heiße Tasse Kaffee. Stellen Sie sich vor, da kriegen Sie einen Kaffee, der nur lauwarm ist. Den lässt man doch zurückgehen!

Oder stellen Sie sich vor, es ist ein heißer Sommertag (das können wir uns gerade nicht so leicht vorstellen) und Sie haben Riesendurst, wollen ein Glas kalten Sprudel trinken. Und dann ist der Sprudel lauwarm.
Ekelig!

Und so, sagt Jesus, sind die Christen in Laodizea: Lauwarm. Weder kalt noch heiß. Lau wie das Wasser von Pamukkale, das nicht mehr heiß war, als es durch Laodizea floss, aber auch nicht kalt.
Wenn wir mal von Laodizea zu uns heute rüberschwenken, dann können wir da auch eine Menge Lauheit entdecken:

Wir sind alle für Klimaschutz, aber er sollte uns nicht zu sehr einschränken.
Wir wollen alle der Ukraine helfen, aber es sollte nicht zu viel kosten.
Wir setzen uns, wie unsere Fußballer, laut für Menschenrechte ein – aber nur, so lange es uns keine Nachteile bringt.

Das ist Lauheit. Weder heiß noch kalt.

Und so eine Lauheit gibt es auch im Christsein.
Man bekennt sich zum Christentum, aber nur solange es nicht schadet.
Man glaubt an Gott, aber hat keine Zeit für ihn.
Man hält sich an die Gebote – solange sie einen nicht einschränken.
Man findet Jesus sympathisch, aber wirklich folgen will man ihm nicht.
Man betet, aber nur, wenn man etwas von Gott will.

Wie ist das bei Dir?
Bei mir?
Das Pfarrersein schützt einen überhaupt nicht vor dem Lauwerden. Du kannst den ganzen Tag mit Gott und Kirche beschäftigt sein und im Herzen so lau sein wie warmer Sprudel.

Laues Christsein ist für den Herrn eine ziemlich ekelige Sache. Da hält er gar nichts von.

Aber die eigene Lauheit muss man ja erst mal erkennen.

Und damit sind wir bei der zweiten schlechten Nachricht: Eine desaströse Selbsteinschätzung.
(leeres Portemonnaie)

Die Leute in Laodizea fanden sich gar nicht lau. Im Gegenteil: Die fanden sich total toll:

17Du sagst: Ich bin reich, habe alles im Überfluss und mir fehlt es an nichts. Dabei weißt du gar nicht, wie unglücklich du eigentlich bist, bedauernswert, arm, blind und nackt.

Laodizea war eine Handelsstadt, eine Bankenstadt. Da gab es viel Geld und auch die Christen waren wohl teilweise sehr reich. Die konnten sich schick anziehen, die konnten bestimmt eine richtig schöne Kirche bauen. Die haben sogar für die Armen gespendet. Und sie waren hochzufrieden mit sich selbst. Wir haben alles. Wir brauchen nichts. Bei uns ist alles super! Unser Portemonnaie ist prall voll.

Aber in Gottes Augen sieht das völlig anders aus:
Du bist bedauernswert, arm, blind und nackt.
Dein Portemonnaie ist leer.
Die Leute in Laodizea haben eine komplett falsche Selbsteinschätzung.

Es ist, wie wenn einer beim Arzt ist und sagt dem Arzt: Wissen Sie, mir geht’s richtig super. Ich bin topfit, kerngesund. Alles Bestens.
Und der Arzt schüttelt nur den Kopf und sagt: Sie sind schwer krank, Sie armer Mensch!

Es kommt vor, dass Selbsteinschätzung und Fremdeinschätzung weit auseinander liegen.
Und es kommt vor, dass unsere Sicht von uns selbst und Gottes Sicht von uns weit auseinander gehen.

Da ist nun ein entscheidender Punkt, dass wir es in diesem Schreiben wirklich mit Gottes Sicht zu tun haben. Dass das, was hier in der Offenbarung steht, nicht nur die Meinung von irgendeinem Theologen ist, von einem greisen Johannes oder so.
Sondern dass hier wirklich der auferstandene Jesus spricht, dass es eine Botschaft von ihm ist, von ihm, der uns durch und durch kennt.

Du denkst, du bist reich und bist in Wirklichkeit arm.
Du denkst, du siehst die Dinge richtig und bist doch in Wirklichkeit blind.

Ich habe den Eindruck, dass das auch uns als Kirche in Deutschland trifft.
Ich glaube, dass wir als Kirche lange in so einer Selbsttäuschung gelebt haben und gerade dabei sind, daraus aufzuwachen.

Wir haben jahrzehntelang in der Täuschung gelebt, dass wir eine reiche Kirche sind. Wir haben immense Kirchensteuereinnahmen. Wir haben riesige Kirchen. Wir sind Volkskirche, gut vernetzt mit dem Staat und der Politik. Geschätzt an den Schulen und Krankenhäusern. Wir haben berühmte theologische Fakultäten, einen Reichtum an Wissen und Büchern, an großen Namen und wissenschaftlicher Anerkennung. Wir haben eine große Organisation und als Evangelische eine tolle synodale Struktur.
Wir sind reich und brauchen nichts.
Aber jetzt merken wir langsam, dass das eine Selbsttäuschung ist.
Dass wir in Wahrheit arm, blind und nackt sind.

Materiell sind wir noch reich.
Aber in geistlicher Hinsicht sind wir bettelarm.
Das geistliche Portemonnaie ist leer.
Der Glaube verdunstet aus der Gesellschaft. Die wenigsten Kirchenmitglieder finden den Gottesdienst relevant. Echte Begeisterung für den Glauben, echte Liebe zu Gott – wo findet man die denn?

Und wir wissen auch keine Lösung. Wir wissen keinen Weg da raus. Da sind wir blind wie die Maulwürfe.

Das ist alles nicht schön, und es ist nicht schön, das zu sagen.
Aber es ist wichtig, dass wir als Kirche und als Einzelne aus der Selbsttäuschung aufwachen und uns das eingestehen:
Wir sind nicht so reich und toll wie wir denken.
In Gottes Augen sind wir arm, blind und nackt.

Zwei schlechte Nachrichten.
Aber jetzt kommt die gute. Jetzt wird es adventlich:

Jesus steht vor der Tür. (Türgriff)

Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten. Ich werde mit ihm das Mahl einnehmen und er mit mir.

Das ist doch überraschend, oder?
Eigentlich müsste man doch denken: Eine Gemeinde, die so lau und selbstzufrieden ist – zu so einer Gemeinde geht Jesus auf Distanz. Mit der will er nichts zu tun haben.

Aber hier sagt er etwas ganz anderes:
Er steht vor der Tür und möchte hinein.

Und damit drückt er doch eine große Sympathie aus.
Denn damit sagt er ja: Ich möchte mit dir zu tun haben. Trotz deiner Lauheit. Trotz deiner Selbstzufriedenheit. Ich will bei dir sein.

Ich stehe vor der Tür.
Diese Türe – das ist die Tür zu unserem Lebenshaus.
Jesus möchte in unser Leben eintreten.

Das ist doch erstaunlich! Finden Sie nicht auch?
Der auferstandene Jesus und Gott selber will in unserer Nähe sein. Er wünscht sich, dass wir in einer richtigen Beziehung mit ihm leben.
Und wenn er in unser Leben tritt, dann können die Dinge zurecht kommen.

Unsere Lauheit, die können wir ja nicht selbst verändern. Wir können die geistliche Temperatur in unserem Herzen nicht selber hochdrehen. Wir können keine Begeisterung für Jesus in uns hochkochen. Das wird nur ein Krampf.
Aber wenn Jesus bei uns wohnt, dann können wir ihn bitten: Zünde du doch in meinem Herzen echte Liebe an! Verwandle doch meine Lauheit in Leidenschaft!

Und wir können auch nicht unsere Selbsttäuschung selbst auflösen. Ein Blinder kann sich nicht sehend machen. Aber wenn Gott bei Ihnen wohnt, dann können Sie ihn bitten: Schenke mir eine klare Sicht auf mich selber. Lass mich mein Leben mit deinen Augen sehen!

Jesus steht vor der Tür und will in unser Leben treten.
Und darum klopft er an.

Auch das ist erstaunlich. Er platzt nicht einfach hinein. Er drängt sich nicht auf. Sondern er klopft.

Ob wir die Türe aufmachen, das liegt an uns.
Die Klinke liegt in deiner Hand.

Stell dir doch gerade mal deine Haustüre vor.
Stell dir vor, da steht jemand vor der Türe und klopft (oder klingelt).
Jetzt gehst du zur Türe und guckst, wer davor steht.
Und dann entscheidest du, ob du dieser Person aufmachst oder nicht.

Und so entscheidest du allein, ob Jesus auch zu dir kommt.
Er steht vor der Türe.
Und die Klinke ist in deiner Hand.

Amen.