Predigt, 27.2.2022 T-Erlöse uns von dem Bösen!

27.2.2022

J.Berewinkel

Liebe Geschwister, als am Donnerstag der Krieg gegen die Ukraine begann, hat das bei vielen von uns einen Schock ausgelöst. Irgendwie hatte ich und wahrscheinlich viele ...

Liebe Geschwister,
als am Donnerstag der Krieg gegen die Ukraine begann, hat das bei vielen von uns einen Schock ausgelöst. Irgendwie hatte ich und wahrscheinlich viele von uns doch die Hoffnung: So ganz schlimm wird’s nicht kommen. Putin pokert. Wenn der Preis zu hoch wird, lässt er’s. Dass er jetzt tatsächlich einen souveränen Staat angreift, Menschen tötet, Häuser bombardiert, schlimme Zerstörung anrichtet – das ist einfach schockierend. Schockierend auch, dass die ganzen Verhandlungen, die ganzen Zusagen der letzten Wochen, dass er keinen Krieg plant usw. – dass sich das alles als reine Lüge entpuppt, dass er hemmungslos den Westen belügt, aber auch sein eigenes Volk.

Wir sind gerade konfrontiert mit einem Maß an Bosheit, an Skrupellosigkeit, das schwer zu fassen ist.
Das Böse hat uns entsetzt.

Es gibt eine Bitte, die hat uns Jesus in den Mund gelegt:
(Folie)
Erlöse uns von dem Bösen!
Es ist eine der vier Bitten im Vater-unser.
Über diese Bitte möchte ich gern mit Ihnen und Euch heute nachdenken.

Erlöse uns von dem Bösen!
Damit sagt Jesus:
Das Böse ist eine Realität.

Für Menschen, die an Gott glauben, ist das ein Problem.
Wenn Gott diese Welt gemacht hat und wenn Gott gut ist, vollkommen gut – wie kann es dann in seiner Schöpfung Böses geben? Wo kommt das Böse her? Das passt doch nicht zusammen! Das ist ein dunkles Rätsel, das ich nicht aufgelöst kriege.

Manche Menschen sagen: Angesichts von so viel Bösem kann man doch nicht mehr an Gott glauben!

Aber wenn wir uns jetzt die Alternative überlegen, dann ist das auch ein Problem.
Denn wenn es keinen Gott gibt, keine wie auch immer geartete höhere Macht – was ist denn dann?
Dann ist die Welt aus einem gigantischen Zufall entstanden ist und alles hat sich nach dem Prinzip der natürlichen Auslese allmählich entwickelt. Und wenn das so ist – dann gibt es nichts Böses.
Dann gibt es nur die Macht des Faktischen.
Und die einzige Wahrheit ist, dass sich die stärkeren Lebensformen gegen die schwächeren durchsetzen.

Wenn es keinen Gott gibt, dann gibt es kein Gut und Böse. Wo soll das denn auch herkommen?
In einem materialistischen Weltbild ist die Ethik einfach ein Produkt der Evolution. Werte und Moral brachten bestimmte Vorteile für die Entwicklung der Spezies, aber sie haben keine Wahrheit, nur einen Nutzen. In diesem Weltbild gibt es kein Gut und Böse.

Aber ob wir an Gott glauben oder nicht – wir merken doch, dass das so nicht stimmt. Wir spüren doch, dass das, was Putin da gerade macht, wirklich schlimm ist. Dass man andere Menschen nicht einfach umbringen darf, auch wenn es Vorteile bringt. Wir wissen doch ganz tief im Inneren, dass das eine Wahrheit ist und nicht nur ein irgendwie antrainiertes Empfinden. Aber wo kommt diese Wahrheit her?

Das Böse ist real. Und es ist ein Rätsel, für den, der an Gott glaubt, aber auch für den, der nicht an ihn glaubt.

Die Bibel ist leider sehr spärlich mit Auskünften zu dieser Frage. Sie erklärt die Existenz des Bösen nicht. Das bleibt ein Geheimnis.

Aber sie deutet etwas an, eine Spur, die uns hilft, es ein bisschen zu verstehen.

In der Urgeschichte wird berichtet, dass es zwischen Gott und uns Menschen schon ganz am Anfang einen Riss gegeben hat. Gott hat uns Menschen als seine Partner geschaffen. Wir sind geschaffen, um mit Gott in einer ganz innigen, vertrauensvollen Beziehung zu leben. Aber diese Urgeborgenheit in Gott, dieses Urvertrauen ist zerbrochen. Wir Menschen sind auf Distanz zu Gott gegangen. Da ist ein Riss entstanden. Und in diesen Riss strömte das Böse hinein: Misstrauen gegen Gott. Und mit dem Misstrauen, die Angst zu kurz zu kommen. Mit der Angst die Gier und der Neid. Das Verlangen nach Macht, Gewalt, Mord, Lüge.

Warum das so gekommen ist, das bleibt ein Rätsel. Das liegt hinter dem Vorhang verborgen.
Aber Fakt ist, dass das Böse da ist in dieser Welt.

Und Jesus sagt in dem Gebet nicht: Erkläre uns das Böse!, sondern: Erlöse uns von dem Bösen!

Die Frage ist nämlich, wie wir mit dem Bösen umgehen.

Es gibt einen Umgang mit dem Bösen, der ist schlicht naiv.
Der SPIEGEL schrieb in der Online-Ausgabe vor ein paar Tagen vom „Ende der Naivität“.

Wir sind ja in Deutschland seit dem Ende des Krieges vor wirklich schlimmem Bösen weitgehend verschont geblieben. Wir leben in einem Rechtsstaat, wo man uns nicht beraubt und die Menschenwürde achtet. Und irgendwie hatten viele von uns doch die Vorstellung: Eigentlich wollen die Menschen doch alle das Gute und mit gutem Zureden und Geld und Freundlichkeit kann man alle Probleme lösen.

Auch bei uns in der evang. Kirche gab es manche, die so dachten: Wenn wir die Waffen abschaffen und zu allen nett und freundlich sind – dann gibt es keine Feindschaft. Wir umarmen alle und alles wird gut.

Und jetzt sind wir aus dieser Naivität aufgewacht. Jetzt müssen wir einsehen: Das Böse ist real.
Es gibt Menschen, die Böses wollen, denen Menschenrechte und Wahrheit und Werte egal sind.
Da hilft kein sanftes Zureden.
Denen muss man mit Macht entgegentreten.
Mit Androhung und mit Ausübung von Gewalt. Mit Sanktionen, die schmerzen, die anderen wehtun und uns selber.

Das Böse ist eine Realität. So ist diese Welt. Leider. Und ein Staat, eine Regierung hat die Aufgabe, dieses Böse einzudämmen, damit es sich nicht immer weiter ausbreitet. Wir müssen Schranken aufzurichten gegen das Böse, mit Macht, mit Strafen, mit Polizei, mit Militär. Das ist nötig und alles andere ist naive Träumerei.

Es gibt allerdings auch eine andere Naivität.
Und das ist die Vorstellung, dass wir mit „Hau drauf“ das Böse besiegen können.

Man kann das Böse mit Gewalt eingrenzen; und man muss es auch. Aber man kann es nicht mit Gewalt besiegen.

Der Apostel Paulus hat etwas sehr Tiefes gesagt in seinem Brief an die Römer:

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten!“ (Röm 12,12)

Man denkt ja so schnell: Wenn ich den bösen Menschen besiege, dann habe ich das Böse besiegt.

Aber das Böse ist viel subtiler. Und es ist ansteckend wie ein Virus. Es springt auf uns über.

Wenn einer mich schamlos belügt und betrügt – dann bin ich ihm gegenüber auch nicht mehr offen und ehrlich.

Wenn einer brutal gegen meine Familie vorgeht, dann werde ich auch brutal.

Das Böse infiziert uns an. Schneller als wir denken.
Denn das Böse steckt ja nicht nur im anderen. Nicht nur in einem Putin. Nicht nur in meinem Feind.
Sondern es hat einen Brückenkopf in jedem von uns.

Der russische Schriftsteller Alexander Solschenizyn hat einmal einen bemerkenswerten Satz geschrieben. Er war ja jahrelang in einem sowjetischen Arbeitslager gewesen und hat dort furchtbar viel Böses gesehen. Er schreibt:

„Wenn es doch so einfach wäre! – dass irgendwo schwarze Menschen mit böser Absicht schwarze Werke vollbringen und es nur darauf ankäme, sie unter den übrigen zu erkennen und zu vernichten. Aber der Strich, der das Gute vom Bösen trennt, durchkreuzt das Herz eines jeden Menschen. Und wer mag von seinem Herzen ein Stück vernichten?“

Das Böse steckt nicht nur in den anderen.
Der Strich, der das Gute vom Bösen trennt, durchkreuzt jedes Herz.

Wenn Jesus uns das Gebet in den Mund legt: Erlöse uns von dem Bösen! Dann meint er damit nicht: Erlöse uns von den anderen!
Sondern: Erlöse uns von dieser Macht, die sich auch in meinem Herzen eingenistet hat.

Jesus gibt uns dieses Gebet und er ist zugleich der Ort, wo diese Erlösung real werden kann.
Jesus hat nämlich tatsächlich das Böse besiegt, mit dem Guten.

Er war nie naiv. Er wusste, dass er Feinde hatte, und er wusste, dass sie ihm das Allerschlimmste antun würden. Jesus hat die Macht des Bösen nie unterschätzt. Aber er hat sich nicht anstecken lassen.

Diese Woche fängt die Passionszeit an. Da denken wir an diesen Weg, den Jesus gegangen ist.
Wie er von den eigenen Leuten verraten wird. Wie ihn die engsten Freunde im Stich lassen und verleugnen. Wie ihm ein verlogener Prozess gemacht wird und keiner für ihn aussagt. Wie er gefoltert wird und gedemütigt.

Er versucht nicht, sein Leben zu retten.
Auf die Lügen antwortet er mit Wahrheit.
Und als er am Kreuz hängt, betet er für die, die ihn foltern: Vater, vergib ihnen. Sie wissen nicht, was sie tun.

Das Böse lief bei Jesus ins Leere.
Es konnte ihn nicht vergiften.
Und mit seiner Auferstehung hat er gezeigt, dass das Gute am Ende siegen wird. Es hat den längeren Atem.

Ich möchte gerne bei Jesus lernen.
Bei ihm kriegen wir den längeren Atem.
Mit seiner Hilfe können wir aushalten.
Und mit der Kraft seiner Güte kann das Böse besiegt werden.

Und dann können wir jetzt schon ansatzweise erleben, worum wir im Vaterunser bitten:

Erlöse uns von dem Bösen!

Amen.