Predigt, 29.1.2023 Phil. 3, 1-21 (Teil 3 der Predigtreihe zum Philipperbrief)

29.1.2023

J.Berewinkel

Liebe Geschwister, ich war bei einem Hausbesuch bei einer älteren Dame. Nach den ersten Begrüßungssätzen sagte sie sehr freundlich – in ihrer Stimme klang dabei ...

Liebe Geschwister,

ich war bei einem Hausbesuch bei einer älteren Dame. Nach den ersten Begrüßungssätzen sagte sie sehr freundlich – in ihrer Stimme klang dabei eine Mischung aus Entschuldigung und Rechtfertigung: „Wissen Sie, Herr Pfarrer, ich bin ja kein großer Kirchgänger. Aber ich bemühe mich, ein guter Christ zu sein.“

Wenn diese Frau dem Apostel Paulus diesen Satz gesagt hätte, dann hätte der große Augen gemacht.

Und wenn man ihn selbst fragen würde: Paulus, bemühst Du Dich, ein guter Christ zu sein? dann würde er wohl antworten: „Gott bewahre, nein!

Man kann sich bemühen, ein guter Mensch zu sein.

Oder man kann Christ sein.

Aber zwischen diesen beiden Möglichkeiten muss man wählen. Beides zugleich geht nicht.“

Und wenn wir jetzt ziemlich irritiert nachfragen würde: Ja, wieso das denn nicht? Christsein und Gutsein gehört doch wohl zusammen!?

Dann würde Paulus uns von seinem Leben erzählen.

Damit sind wir mitten drin im 3. Kapitel vom Philipperbrief. Hier erzählt uns Paulus von seinem Lebensweg. Es gibt keine Stelle im ganzen NT, wo Paulus so offen und persönlich über sich und seinen Glaubensweg spricht wie hier. Man spürt hier regelrecht seinen Pulsschlag.

Schauen wir rein in das Kapitel.

Am Anfang klingt das Thema „Freude“ noch mal an, Freude im Herrn, V1, aber dann wird Paulus ziemlich scharf. Er spricht da von „Hunden“ und „Falschen Lehrern“ und „Verstümmelten“.

Eine scharfe Warnung von einer bestimmten Gruppe von Menschen.

Diese Leute, die er hier erwähnt, waren so etwas wie Missionare. Sie gingen durch die neu entstandenen Christengemeinden und brachten ihre eigene Lehre mit. Sie sagten den jungen Christen: Das mit Jesus ist gut und richtig. Wir glauben auch, dass er von Gott gekommen ist. Aber an Jesus glauben genügt nicht. Ihr müsst auch das Gesetz Gottes befolgen. Ihr müsst die jüdischen Rituale einhalten und euch beschneiden lassen, den Sabbat halten, kein Schweinefleisch essen, usw.. Und nur wenn ihr das alles tut, nur dann seid ihr richtig. Nur dann könnt ihr vor Gott bestehen.

Und auf solche Lehren reagierte der Paulus sehr scharf. Wer so etwas lehrt, der verdreht das Evangelium. Der macht aus der Guten Nachricht eine schlechte Nachricht.

Paulus ist an dieser Stelle so empfindlich, weil er genau das jahrelang gelebt hat und es dann hinter sich gelassen hat.

Und nun erzählt er von seinem eigenen Leben, ab V.4: Er hatte die allerbesten Voraussetzungen, um ein guter, gerechter Mensch zu sein.

Er gehörte von Geburt an zum Volk Gottes, am 8. Tag beschnitten, wie es das Gesetz fordert. Er kennt seinen jüdischen Stammbaum und kann ihn bis zum Stammvater Benjamin zurückverfolgen.

Paulus hat von Jugend an versucht, den Willen Gottes zu erfüllen. Er hasste Halbheiten und faule Kompromisse. Wenn er mit seinem brillanten Intellekt etwas als richtig erkannte, dann hat er das mit aller Konsequenz umgesetzt. Er wollte mit allen Fasern seines Lebens ein guter, gerechter Mensch sein.

Zwei mal die Woche hat er gefastet, ging am Sabbat zur Synagoge, studierte die Thora. Er ließ keinen Gottesdienst und keine Bibelstunde ausfallen. Er achtete darauf, am Schabbat nicht mehre Schritte zu laufen, als erlaubt war; aß nur koscher und wäre eher verhungert als irgendetwas Unreines zu essen. Von allem, was er hatte, gab er 10% an Gott ab.

Sein ganzes Leben vom Aufstehen bis zum Schlafengehen – alles stand unter der einen Frage: Was will Gott?

Wir denken jetzt vielleicht: Ach, das ist ja furchtbar übertrieben! So fanatisch, so gesetzlich sollte man doch nicht sein. Aber wenn wir ihn gesehen hätten, mit was für einer Konsequenz und Hingabe er das lebte – das müsste uns doch beschämen, wenn wir sehen, wie lasch und träge wir selber dagegen sind.

Paulus sagt von sich selbst (V6): Nach dem Maßstab der Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, war ich untadelig.

Einer, der sich wirklich bemüht hat, ein guter Mensch zu sein.

Er wollte vor Gott gerecht sein und anerkannt sein.

(Bild: Bewerbungsmappe)

Ich will es mal mit einem Vergleich verdeutlichen. Wenn man heute als junger Mensch einen begehrten Job bekommen will, dann muss man eine gute Bewerbungsmappe einreichen: Beste Noten, ehrenamtliches Engagement, super Referenzen. Bloß keine Fehlzeiten oder dunkle Flecken. Der Lebenslauf muss so geschönt sein, dass alles top aussieht.

So ähnlich war das bei Paulus. Er wollte zu Gott in den Himmel kommen und bewarb sich mit einem Top-Lebenslauf.

Und jetzt kommt das große Aber (V.7)

Aber alles, was mir damals als Vorteil erschien, sehe ich jetzt – von Christus her – als Nachteil.“

Paulus hatte eine Begegnung mit Jesus Christus. Und das hat sein Lebenskonzept komplett auf den Kopf gestellt. In der Apostelgeschichte wird darüber berichtet, wie Paulus (damals ließ er sich noch Saulus nennen) auf dem Weg nach Damaskus war, um die Christen gefangen zu nehmen. Er war der festen Überzeugung, dass Jesus ein Hochstapler und Gotteslästerer ist und dass man Gott einen Gefallen tut, wenn man diese Sekte ausrottet. Er hatte da überhaupt kein schlechtes Gewissen. Im Gegenteil. Saulus war ganz von seiner guten Mission überzeugt.

Und dann ist ihm der auferstandene Jesus begegnet. Er hört diese Stimme vom Himmel: Saul, Saul, was verfolgst Du mich?

Und mit großem Schrecken muss er realisieren: Der, den ich für einen Hochstapler hielt, den ich verfolgte, der ist Gottes Sohn!

Und damit war sein ganzes Lebenskonzept völlig über den Haufen geworfen.

Die Bewerbungsmappe war hin.

(Bild: Befleckte Bewerbungsmappe)

Alles hin!

Ich habe gedacht, ich kämpfe für Gott und habe in Wirklichkeit gegen ihn gekämpft.

Ich dachte, ich bin auf der Seite der Guten und habe in Wahrheit einen Riesenmist gemacht.

Ich dachte, ich blicke alles und habe mich total verrannt.

Dieses ganze Aufbauen meiner eigenen Gerechtigkeit, meines guten Lebenslaufes – das ist alles komplett in sich zusammengebrochen.

Alles, was für mich bisher wertvoll war, ist wertlos geworden.

Und während ihm das so immer mehr dämmert, da wird dem Paulus noch etwas anderes klar:

Dieser Jesus ist wirklich gerecht. Er hat die wirklich blütenweiße Bewerbungsmappe. Und wer zu ihm gehört, dem gibt er Anteil an seiner Gerechtigkeit.

Er legt mir den Arm auf die Schulter und sagt:

Du gehörst zu mir.

Meine Gerechtigkeit ist deine Gerechtigkeit und deinen Mist, deine Schuld nehme ich auf meine Kappe.

Und darum sagt Paulus mit solcher Leidenschaft (V. 9) „Zu ihm will ich gehören“. Denn dann muss ich mir nicht mehr meine eigene Gerechtigkeit aufbauen. Ich muss mir nicht mehr Gottes Anerkennung verdienen, sondern Gott schenkt mir seine Anerkennung – ganz umsonst.

Im Vergleich dazu ist alles, was mir früher wichtig war, total wertlos. Meine ganzen moralischen Leistungen, alles, worauf ich so stolz war, das ist im Vergleich zu Jesus nichts als Dreck!

Martin Luther hat das, was Paulus erlebte, ja ganz ähnlich erlebt. Er hat durch Lektüre der Paulusbriefe begriffen: Ich muss mich nicht selbst gerecht machen, um in den Himmel zu kommen, weil Jesus mir seine Gerechtigkeit schenkt.

Das klingt vielleicht ziemlich abstrakt und theoretisch. Aber das, was Paulus hier schreibt und was auch Luther erlebt hat, das hat auch für uns heute hohe Relevanz.

Vielleicht ist der Wunsch, vor Gott gut dazustehen, ist bei uns nicht so stark ausgeprägt. Aber es gibt einen ganz erheblichen Druck, vor anderen Leuten gut dazustehen. Von der Bewerbungssituation haben wir ja schon gesprochen. Aber auch sonst ist doch so ein hoher Druck da, sich möglichst gut darzustellen:

In den Sozialen Medien werden uns ständig Bilder von Perfektion gezeigt: Der perfekte Körper, die perfekten Klamotten, der perfekte Urlaub und die perfekte Familie. Und ständig vergleichen wir uns mit diesen perfekten Bildern und merken: Da komme ich nicht dran.

Ich finde es total entlastend zu wissen: Bei Gott muss ich nicht perfekt sein. Ich muss mir nicht seine Anerkennung durch Bestleistungen verdienen. Weil Jesus da ist und seinen Arm um mich legt.

Und weil ich vor Gott nicht perfekt sein muss, kann ich auch vor den Menschen Schwäche zeigen und Fehler eingestehen.

Das ist die Gute Nachricht. Und Paulus hat das existenziell durchlebt.

Das hat ihn aber nicht passiv gemacht.

Das könnte man ja denken:

Wenn Gott sowieso Ja zu mir sagt, egal, wie ich mich verhalte, dann muss ich mich ja gar nicht mehr anstrengen, gut zu leben. Dann kann ich mich auf die Couch legen, kann die Sau rauslassen – ist doch egal.

Das wurde ja Paulus und auch Luther vorgeworfen: Die Rechtfertigung aus Gnade allein macht die Leute faul und passiv.

Bei Paulus war es nicht so. Das macht er im nächsten Abschnitt deutlich:

Ich bin noch nicht am Ziel. Aber ich laufe auf das Ziel zu.

Hier führt er ein ganz neues Bild ein:
Er sieht sich wie einen Läufer, einen Langstreckenläufer.

Ich bin noch nicht da, aber ich laufe auf das Ziel zu.

Er ist weiter ein engagierter Mensch. Er strengt sich an für Gottes Sache.

Allerdings anders als früher. Er rennt nicht mehr, damit Gott ihn annimmt, sondern weil er ihn schon angenommen hat.

Er schreibt: Ich bin schon von Christus ergriffen. Er hat mich schon angenommen und Ja gesagt. Und gerade deshalb will ich seinen Willen tun, will mich für ihn engagieren, will mein Leben von ihm verändern lassen.

Ich bin noch nicht am Ziel. Aber ich laufe darauf zu. Wo betrifft das Ihr Leben?

Was sind Ihre Ziele?

Worauf laufen Sie zu?

Paulus möchte sich nicht auf dem ausruhen, was er schon erreicht hat. Ein gemächliches Leben – das ist nichts für ihn. Er will in Bewegung bleiben. Er will wachsen in seiner Beziehung zu Gott, will ihm immer näher kommen. „Ich vergesse, was hinter mir liegt und strecke mich aus nach dem, was vor mir liegt.“

Da ist eine Menge Dynamik drin. Und das kann uns doch für unseren Lebensweg anspornen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen und Euch da geht. Ich bin jetzt schon lange Christ und ich merke: Die Versuchung ist da, stehen zu bleiben. Mich auf dem auszuruhen, was ich erreicht habe:

Man hat ja so im Laufe der Jahre bestimmte Überzeugungen und Ansichten gewonnen und bleibt dabei stehen. Man hat Gewohnheiten entwickelt und Verhaltensmuster und kann darin erstarren.

Paulus fordert uns heraus:

Bleib in Bewegung! Erstarre nicht!

Du kannst immer noch neue Erkenntnisse gewinnen und neue Verhaltensweisen entwickeln.

Du kannst neue Gedanken über Gott denken und eine noch tiefere Beziehung zu ihm bekommen!

Du kannst der Liebe noch mehr Raum geben und ungute Gewohnheiten ablegen.

Veränderung ist möglich!

Und dann richtet Paulus den Blick auf das Ziel. Das ist für ihn der Himmel, die Welt Gottes. Davon spricht er in V. 14 und dann auch ganz am Ende in V. 20:

Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.“

Wir können das Thema jetzt zum Schluss nur noch ganz kurz antippen.

Für Paulus war der Himmel eine Realität, auf die er zuging. Wir hatten es schon im 1. Kapitel gesehen. Da sagte er: Wenn ich sterbe, dann werde ich beim Herrn sein. Das ist noch viel besser als hier. Er war sich völlig sicher und er lebte darauf zu.

Für die meisten von uns ist das mit dem Himmel irgendwie fern und blass. Etwas, was unser Leben im Alltag wenig beeinflusst.

Ich weiß nicht, wie Sie darüber denken. Ob Sie daran glauben, dass Sie in diese Welt Gottes kommen werden, wenn Sie sterben.

Mein Eindruck ist, dass diese Hoffnung wenig Kraft hat, auch bei uns, die diese Hoffnung haben. Irgendwie strahlt sie wenig auf unser Leben aus.

Das hat vielleicht damit zu tun, dass immer wieder den Christen vorgeworfen wird: Ihr vertröstet die Leute aufs Jenseits. Und das war ja auch so. Es gab über Jahrhunderte eine falsche Fixierung aufs Jenseits über die das Leben hier und jetzt vernachlässigt wurde. Feuerbach sagte: Die Christen sind „diesseitsvergessene Kandidaten des Jenseits“ Deswegen gibt es so eine Scheu. Man will kein weltfremder Träumer sein. Und so ganz sicher mit dem Himmel sind wir uns ja auch nicht.

Aber das hat dazu geführt, dass die Hoffnung auf Gottes Welt wenig Kraft hat. Aus der Jenseitsfixierung wurde eine Diesseitsfixierung.

Der große Theologe Eberhard Jüngel schrieb einmal:

Als Kinder der Aufklärung haben wir inzwischen das Diesseits so sehr lieben gelernt, dass wir aus diesseitsblinden ´Kandidaten des Jenseits´ zu jenseitsvergessenen ´Studenten des Dieseits´ geworden sind. Die christliche Hoffnung auf ein Leben in Gottes kommendem Reich hat sich zum bloßen Interesse an einem Leben vor dem Tod ermäßigt.“

Für Paulus war die Hoffnung eine große Motivationskraft für sein Leben hier und heute.

Gottes Himmel ist kein ferner Ort irgendwo hinter der Milchstraße, sondern es ist die Wirklichkeit, die unsere Wirklichkeit umfängt. Sie ist die tiefere Wirklichkeit hinter dem Vordergründigen und Materiellen.

Dort, sagt Paulus, haben wir ein Zuhause, ein Bürgerrecht.

Ich glaube, es würde uns gut tun, uns mehr in diese Wirklichkeit hineinzudenken, das in unser Bewusstsein einziehen zu lassen.

Denn wenn wir in diesem Bewusstsein leben, dass Gottes Welt uns umgibt, dann werden wir nicht verbittern und nicht resignieren. Dann gibt es keinen Grund, aufzugeben.

Dann können wir gelassen und zugleich beharrlich daran mitbauen, dass Gottes Wille geschieht, im Himmel wie auf Erden.

Amen.