Predigt 3.7.2022 Lästige Laster lassen: Trägheit

3.7.2022

J.Berewinkel

Liebe Geschwister, eigentlich wissen wir genau, was wir tun sollten. Was gut für uns wäre: Eigentlich sollten wir jeden Morgen eine kleine Runde joggen. Aber wenn man dann ...

Liebe Geschwister,
eigentlich wissen wir genau, was wir tun sollten.
Was gut für uns wäre:

Eigentlich sollten wir jeden Morgen eine kleine Runde joggen. Aber wenn man dann morgens im Bett liegt, dann merkt man auf einmal, dass es viel bequemer ist noch ein bisschen liegen zu bleiben und so drehen wir uns lieber auf die andere Seite und schlafen noch eine halbe Stunde.

Eigentlich sollten wir endlich mal ein klärendes Gespräch mit der Kollegin führen. So viel hat sich da angestaut an Missverständnissen und Groll. Das wäre wirklich fällig, darüber zu reden. Aber gerade heute – ach, da fühlen wir uns gar nicht darnach. Und so gehen wir der Kollegin doch lieber aus dem Weg.

Eigentlich sollten wir uns am Feierabend endlich mal an die Lohnsteuer machen. Es ist wirklich höchste Zeit. Aber dann sitzen wir auf der Couch und merken, dass es viel angenehmer ist, einen spannenden Film zu schauen als Formulare auszufüllen.

Immer wieder passiert das: dass wir Dinge nicht tun, obwohl wir sie für gut und richtig und wichtig halten.
Wie kommt das eigentlich?

Es ist die Trägheit, die uns davon abhält.

Um die Trägheit und wie wir sie überwinden können geht es heute. Es ist das erste lästige Laster, mit dem wir uns in unserer Predigtreihe befassen.

Trägheit – was ist das überhaupt?
Wir kennen den Begriff aus der Physik. Da bedeutet Trägheit: Jedes Ding, das eine gewisse Masse hat, hat Beharrungskräfte. Es widersetzt sich dem Versuch, es in Bewegung zu bringen oder seine Bewegungsrichtung zu ändern. Man muss Kraft dafür aufwenden. Und zwar vor allem für den Anfang. Ein stehendes Auto in Bewegung bringen, das kostet viel Kraft. Wenn es erst mal rollt, ist es ziemlich einfach.

Das gleiche gilt für unser Leben. Auch da gilt das Gesetz der Trägheit. Auch da gibt es Beharrungskräfte.

Es kostet Kraft, unseren Körper morgens in Bewegung zu bringen, nachdem er die ganze Nacht in Ruhestellung war. Die innere Trägheit widersetzt sich dem.

Es kostet auch Kraft, unseren Verstand in Bewegung zu bringen. Auch unser Verstand hat eine angeborene Trägheit. Und wenn er vor der Alternative steht: Sich von einem Spielfilm berieseln lassen oder eine schwierige Rechenaufgabe lösen, dann wählt er den Spielfilm. Das ist weniger anstrengend.

Noch mehr Kraft kostet es, die Bewegungsrichtung unseres Lebens zu ändern. Also: eingefleischte Verhaltensweisen abzulegen und neue einzuüben.

Die Trägheit steckt in uns drin, in Körper, Seele und Geist. Sie widersetzt sich allen Versuchen, uns innerlich oder äußerlich in Bewegung zu bringen.

In der kirchlichen Tradition gilt die Trägheit, die acedia, als eine der Hauptsünden. Sie zählt zu den Wurzelsünden oder Todsünden und steht in einer Reihe mit Zorn, Geiz, Neid, Hochmut und Wollust.

Unwillkürlich schütteln wir da den Kopf und denken: Ist das nicht zu streng? Ist denn die Trägheit wirklich so schlimm? Ist sie nicht etwas eher Harmloses, im Grunde ganz Sympathisches? Eine Schwäche, für die wir doch alle Verständnis haben? Die Trägheit tut doch nichts Böses! Was ist so schlimm an ihr?

Die Trägheit tut wirklich nichts Böses. Aber sie verhindert sehr viel Gutes. Das ist der Punkt.
Die Trägheit ist die große Bremserin, die uns daran hindert, das Gute zu tun. Zahllose wichtige Taten in unserem eigenen Leben und in der Weltgeschichte sind nicht geschehen, weil die Trägheit sie verhindert hat.

Die Trägheit ist wie eine schwere schwarze Decke, die sich über unser Leben legt und alle positiven Kräfte, alle guten Ideen, alle Vorsätze, alle Sehnsüchte nach Veränderung erstickt und unter sich begräbt.

Der Psychologe Karl Ernst sagt: Man muss die Trägheit von der Muße unterscheiden. Muße ist bewusste Rekreation. Trägheit ist das Gegenteil davon. Die Trägheit, sagt Ernst, ist ein Verzagtsein, eine Resignation, eine Mir-ist-alles-egal-Haltung.

Wenn die Trägheit uns beherrscht, dann verwahrlosen wir, äußerlich und innerlich.
Wir lassen uns dann einfach treiben, statt unser Leben bewusst zu steuern.

Die Trägheit führt dazu, dass Menschen ungesund leben und krank werden. Dass begabte Menschen unter ihren Möglichkeiten bleiben. Die Trägheit hindert uns daran, zu reifen, uns zu entwickeln, unsere Gaben zu entfalten.

Warum ist in den letzten 15 Jahren so wenig für den Klimaschutz passiert, obwohl doch alle längst wussten, wohin das führt? Es war zu einem ganz wesentlichen Teil Trägheit!

Die Trägheit blockiert auch jedes Weiterkommen in der Beziehung zu Gott.

Der große Kirchenvater Augustinus beschreibt in seinen „Bekenntnissen“ ganz eindrücklich, wie die Trägheit ihn jahrelang daran hinderte, Christ zu werden. Er beschreibt sich da wie einer, der im Bett liegt und eigentlich endlich aufstehen sollte. Aber er schafft es einfach nicht, sich aufzuraffen. Immer wieder dreht er sich von einer Seite auf die andere, weiß im Kopf: Ich sollte endlich ganze Sache machen mit Gott. Ich sollte endlich mein Leben ändern. Aber – ach nein, nicht jetzt. Vielleicht später.

„Später“ ist übrigens das Lieblingswort der Trägheit. Das mag sie ganz besonders.

Die Bibel sagt, dass über jedem Menschen, über jedem von uns, eine große, großartige Berufung steht. Gott hat uns als seine Ebenbilder geschaffen. Wir sind berufen, zusammen mit ihm diese Welt zu gestalten, Beziehungen zu gestalten, unser eigenes Leben zu gestalten. Wir sind berufen, schöpferisch tätig zu sein, daran mitzuwirken, dass Gottes guter Wille in dieser Welt geschieht.
Das ist die großartige Berufung unseres Lebens: Hand in Hand mit Gott über diese Erde zu gehen, schöpferisch zu gestalten und zu regieren.

Aber die Trägheit und immer wieder die Trägheit, verhindert das. Sie hindert uns, das zu werden, was wir nach Gottes Willen sein könnten. Sie verhindert, dass wir unser gottgeschenktes Potenzial ausleben.

So gesehen hat die kirchliche Tradition gar nicht Unrecht, wenn sie die Trägheit als eine der Hauptsünden einstuft.
Wenn die Trägheit uns beherrscht, dann verfehlen wir unsere Lebensbestimmung.

Wie ist das bei Ihnen? Wer es morgens um zehn zur Kirche schafft, der kann ja so ganz träge nicht sein.
Aber vielleicht gibt es auch bei Ihnen einen Bereich im Leben, wo Sie merken, dass die Trägheit Sie bindet. Dass es etwas Gutes und Wichtiges gibt, was Sie eigentlich tun wollen, aber die Trägheit hält Sie davon ab. Gibt es das? …

Wie können wir die Trägheit überwinden?
Wie können wir freier werden?

Ich möchte dazu mit Ihnen in die Bibel schauen, ins AT. Da gibt es ein schönes Beispiel von Trägheit und wie sie überwunden wird. Es steht im Buch Nehemia.

Nehemia lebte etwa 450 v. Chr. Es war schon fast 150 Jahre her, dass die Juden ihre Unabhängigkeit verloren hatten. Die Babylonier hatten Jerusalem belagert und dann total zerstört: Der Tempel war verbrannt, die Stadtmauer niedergerissen und der größte Teil der Bevölkerung nach Babylonien verschleppt worden.
Viele Jahre später durften die Juden wieder zurückkehren. Jerusalem wurde wieder bevölkert. Die Menschen bauten ihre zerstörten Häuser auf. Das Leben kam in Gang. Aber die Stadtmauer lag noch immer in Trümmern. Stellen Sie sich das einmal vor! Eine Stadtmauer in Trümmern: Überall Steinhaufen, verbrannte Balken, Hühner und Ziegen, die zwischen den Geröllhaufen herumspazierten. Es gab keinen Schutz vor Räubern. Und es war ein jämmerlicher Anblick. Die Jerusalemer nahmen sich zwar immer wieder vor: Eigentlich müssten wir endlich mal an die Mauer rangehen. Aber die Trägheit war groß. Es war so eine riesige Aufgabe. Und jeder hatte noch so viel damit zu tun, sein eigenes Häuschen auszubessern. „Dieses Jahr nicht mehr. Vielleicht nächstes Jahr. Später“ Und so wurde die Sache Jahr um Jahr verschoben.

Dann tritt Nehemia auf. Ein Jude, der in Babylon politische Karriere gemacht hatte. Der kommt als neuer Verwaltungschef nach Jerusalem. Er sieht das Desaster mit der Stadtmauer. Und es gelingt ihm, die Jerusalemer zu motivieren, ihre Trägheit zu überwinden und mit dem Aufbau anzufangen.
Wie hat er das geschafft?

Man kann hier von Nehemia vier Prinzipien lernen wie Trägheit besiegt werden kann.

1. Entwickle eine Vision!

Die Jerusalemer hatten sich längst an den Anblick der kaputten Mauer und einer kaputten Stadt gewöhnt. Sie hatten das hingenommen, dass überall Schutthaufen herumlagen. Sie hatten überhaupt kein Bild davon, wie es anders aussehen könnte. Und darum hatten sie auch gar keinen Antrieb, etwas zu verändern.

Nehemia entzündete in ihnen eine Vision. Er malte ihnen ein Bild vor die Augen von einem Jerusalem, das aufgebaut ist und das blüht. Das von einer starken Mauer umgeben ist und in dem man sicher wohnt. Ein Jerusalem, wo schmucke Häuser stehen und Ställe für das Vieh und die Straßen sauber sind.

Da entstand eine Vision in den Köpfen: Ja, so könnte es werden! So schön, so sicher und gut.

So eine Vision, ein positives Bild von der Zukunft, hat eine enorm motivierende Kraft. Wer ein großes Ziel vor Augen hat, der schafft es, seine Trägheit zu überwinden und auf das Ziel hinzuarbeiten.

Ich hatte kürzlich mit dem Leiter einer theologischen Ausbildungsstätte gesprochen. Der erzählte mir von einem Studenten, der vor Jahren zu ihnen gekommen war. Ein echter Problemfall. Der hatte die Schule mit Ach und Krach geschafft, eine Ausbildung hatte er schon abgebrochen. Er war sehr übergewichtig und ließ sich einfach gehen. Jeder Anstrengung wich er aus und war ständig auf Tour. Und das hatte er in seinem bisherigen Leben immer so gemacht. Er lebte völlig unter seinen Möglichkeiten. Trägheit hielt ihn fest.

Aber dann, erzählte er mir, ist mit diesem jungen Menschen irgendwas passiert. Irgendwie muss er kapiert haben, dass dies hier seine große Chance ist und dass er mit dieser Ausbildung einmal etwas richtig Großartiges machen kann. Auf einmal sprang bei diesem Mann der Motor an. Er legte sich ins Zeug, disziplinierte sich. Bekam super Noten, aß gesünder, machte ein gutes Examen und ist jetzt Leiter von einem großen christlichen Werk. Eine Vision, ein Bild von seiner Zukunft hat ihn aus seiner Trägheit befreit.
So wie damals die Jerusalemer.

2. Schöpfe Kraft im Gebet!

Das ganze Buch Nehemia ist voll von Gebeten. Nehemia war offenbar ein intensiver Beter. Er hat über alles, was er erlebt, mit Gott gesprochen.

Im Gebet formten sich die wirren Gedanken zu einem klaren Entschluss. Er hat Klarheit gewonnen, was er tun soll.
Im Gebet hat er Gewissheit bekommen, dass Gott auf seiner Seite ist, wenn er dieses Projekt angeht. Im Gebet hat er Kraft geschöpft. Da wurde sein Wille stark und fest.

Wenn Sie in einem bestimmten Bereich Ihres Lebens die Trägheit überwinden wollen, nehmen Sie sich Zeit zum Gebet! Sprechen Sie mit Gott darüber!

Vielleicht ist das für manche von uns etwas Ungewohntes. Aber probieren Sie es doch einmal aus. Erzählen Sie Gott, was Sie bedrückt, was Sie gerne ändern wollen. Fragen Sie ihn, wie er darüber denkt. Bitten Sie ihn um Klarheit, wie Sie es anfangen sollen und um Kraft, die ersten Schritte zu tun.

Die Trägheit zu überwinden – das kostet Kraft. Und im Gebet können Sie diese Kraft schöpfen.

3. Suche Unterstützer!

Nehemia behält seine Ideen nicht für sich, sondern er teilt sie mit anderen. Er ruft die Jerusalemer zusammen. Sie überlegen und planen gemeinsam. Und dann packen sie gemeinsam dieses große Projekt an.
Wer eine Stadtmauer aufbauen will, der schafft das nicht allein. Der braucht Unterstützer.

Und genau so brauchen wir Unterstützung, wenn wir in unserem Leben Veränderungsschritte gehen wollen. Wenn wir die eigene Trägheit besiegen und in einem bestimmten Bereich vorankommen wollen.

Gemeinsam geht es besser. Das ist ja eine Erfahrung, die Menschen in ganz vielen Bereichen machen: Ob Lauftreff oder Weight Watchers oder Anonyme Alkoholiker. Wenn Sie in irgendeinem Bereich Ihres Lebens etwas verändern wollen, suchen Sie Leute, mit denen Sie das zusammentun können, die Sie unterstützen!

Der Neurologe und Psychotherapeut Joachim Bauer schreibt einmal: „Niemand kann sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Wer sich verändern will, sollte andere suchen, die ihn begleiten.“

4. Entwickle gute Gewohnheiten!

Jeden Morgen standen die Jerusalemer an ihrer Mauer. Nachdem der Anfang geschafft war, wurde es ihre Gewohnheit, nach dem Frühstück gleich zur Mauer zu laufen und weiter zu machen. Jeden Morgen. Tag für Tag. Woche für Woche. Es entwickelte sich eine neue Routine. Und durch diese Regelmäßigkeit hatte die Trägheit gar keine Chance mehr hochzukommen.

Gute Gewohnheiten sind der Schlüssel, um die Trägheit in Schach zu halten. Was wir täglich praktizieren, das erfordert viel weniger Energie als etwas, das wir nur sporadisch machen. Sie kennen das vom Zähneputzen. Was automatisiert läuft, das erfordert kaum Willensstärke.
Es ist wie mit dem Auto, das man anschiebt: Wenn es erst einmal ins Rollen gekommen ist, dann ist es gar nicht mehr so schwer, es in Bewegung zu halten.

Die Trägheit muss nicht die große Bremserin unseres Lebens sein. Es kann uns gehen wie den Leuten in Jerusalem:

Sie hatten eine Vision im Kopf;
sie schöpften aus dem Gebet Kraft;
sie unterstützten sich gegenseitig und
hatten gute Gewohnheiten entwickelt.

So haben sie die Trägheit überwunden und nach nur 52 Tagen war die Mauer tatsächlich fertig.

Amen.