Predigt 30.3.2025 Philemonbrief

30.3.2025

J.Berewinkel

(Voraus ging Theaterstück „Philemon“) Ihr Lieben, den Brief von Paulus an Philemon – den gibt’s wirklich. Der ist erhalten. Und er steht so wie wir ihn gerade ...

(Voraus ging Theaterstück „Philemon“)

Ihr Lieben,
den Brief von Paulus an Philemon – den gibt’s wirklich. Der ist erhalten. Und er steht so wie wir ihn gerade gehört haben, in der Bibel. Ziemlich weit hinten. Ziemlich unauffällig. Es wird auch nie darüber gepredigt. In diesem Brief stehen keine großen theologischen Erörterungen wie im Römerbrief. Es ist ja auch gar kein offizieller Brief, den Paulus da schreibt, sondern ein persönlicher. Und trotzdem hatten die Kirchenväter, als sie darüber nachdachten, was in die Bibel gehört, den Eindruck: Dieser Brief gehört dazu. Weil es ein Brief von Paulus ist. Klar. Aber auch, weil da ein wichtiges Thema angesprochen wird.
Denn der Brief macht deutlich, wie der Glaube an Jesus sich ganz konkret im Leben auswirkt. Wie der Glaube Beziehungen verwandelt. Wie er uns hilft, andere Menschen mit anderen Augen zu sehen.

Die Geschichte, die da im Hintergrund steht, ist wirklich kurios. Sie könnte aus einem Roman stammen, aber ist wirklich passiert:
Onesimus, ein Sklave, ist seinem Herrn, Philemon, davongelaufen. Die wohnten in der Nähe von Kolossä, einer kleinen Stadt in der heutigen Türkei, ganz nahe bei Pamukkale. Das kennen vielleicht manche von ihrem Türkeiurlaub.

Onesimus haut also ab und flieht nach Ephesus, in die große Metropole. Da taucht er unter. Irgendwie kommt er mit Paulus in Kontakt. Der sitzt dort gerade im Gefängnis wegen seinem Glauben.
Vielleicht saß Onesimus in Klemme und dachte: Dieser Paulus kann mir vielleicht helfen. Er kannte ihn vermutlich vom Hörensagen. Wahrscheinlich hat er ihn im Gefängnis besucht. Das war damals möglich. Paulus hat viel Besuch im Gefängnis bekommen. Wir wissen es nicht genau.
Wie auch immer – die beiden kommen ins Gespräch. Paulus konnte es nicht lassen, diesem jungen Burschen von Jesus zu erzählen. Dass bei ihm Vergebung möglich. Dass er ein Kind Gottes werden kann.
Dort im Gefängnis wird Onesimus Christ. Er legt sein Leben in die Hand von Jesus, nimmt ihn als seinen Herrn an.
Wie soll es nun weiter gehen?

„Du musst zurück“, sagt Paulus.
„Aber das kann ich nicht! Philemon wird mich auspeitschen.“
„Es gibt keinen anderen Weg. Dich weiter verstecken – das wäre lebensgefährlich. (Wenn man weggelaufene Sklaven erwischte – denen ging es richtig übel) Und nicht richtig. Du musst dich mit Philemon versöhnen. Es wird hart. Aber es ist der einzige Weg! Vertrau Jesus und geh zurück. Ich will sowieso einen Mitarbeiter nach Kolossä schicken mit ein paar Briefen an die Gemeinden dort. Ich werde ihm auch einen Brief an Philemon mitgeben. Geh mit ihm!“

Und dann fasst Onesimus den Entschluß und geht tatsächlich zurück.

In Onesimus muss sich eine erstaunliche Veränderung vollzogen haben.
Vor wenigen Wochen war er vor Philemon geflohen. Er hatte das Sklavenleben nicht mehr ausgehalten. Wie wird seine Beziehung zu Philemon gewesen sein? Wahrscheinlich wird er Hass empfunden haben. Und gleichzeitig hat er ihn gefürchtet. Hat sich nie getraut, sich zu beschweren, seinen Ärger auszusprechen. Hat alles nur runtergeschluckt. Und als er es nicht mehr aushält, rennt er einfach weg, verkriecht sich vor ihm.
Flucht vor dem Konflikt.

Das gibt es bis heute: dass Menschen vor Konflikten mit anderen fliehen: Sie gehen dem Chef oder der Kollegin aus dem Weg und fressen den Ärger in sich hinein. Oder Flucht vor dem klärenden Gespräch mit dem Ehepartner, Flucht in die Arbeit, in den Verein oder hinter den Fernseher.
Es ist eben viel bequemer, sich in seinen Ärger zu verkriechen und vor sich hin zu schmollen als einen Konflikt offen anzugehen.
Das gleiche Muster wie bei Onesimus.
Aber dann lernt er Jesus kennen, vertraut ihm sich an. Und Jesus bringt eine neue Qualität in sein Leben. Er bekommt einen Mut wie er ihn früher nicht gekannt hatte. Mut, vor dem Konflikt mit Philemon nicht mehr zu fliehen, sondern ihn anzugehen, die Schimpftiraden, die Blamage, Prügel und vielleicht Schlimmeres zu ertragen und die Beziehung in Ordnung zu bringen.

Kennt Ihr so eine Situation, wo man weiß: Dieses Gespräch wird jetzt total schwierig. Ich kriege einen Riesenärger. Das wird hoch peinlich. Aber es muss sein.
Manchmal muss man sich solchen Situationen stellen.

Onesimus hat diesen Mut gefunden, weil er bei Gott, bei Jesus einen festen Halt hat. Er weiß jetzt. Mein Leben ist in SEINER Hand, egal wie Philemon reagieren wird. ER ist jetzt meine Bezugsgröße, mein Herr. Und so wird durch die Beziehung zu Jesus auch seine Beziehung zu Philemon neu.
Aber auch Philemons Beziehung zu Onesimus verändert sich.
Jedenfalls traut ihm Paulus das zu.

Und wie muss der Philemon hin- und hergerissen gewesen sein!!

Er hatte ja das Recht auf seiner Seite. Nach damaligem Recht war Onesimus Eigentum von Philemon. Flucht war Rechtsbruch. Und so was gehörte bestraft. Wo käme man denn hin, wenn man so was einfach durchgehen lassen würde!

Aber Paulus traut Philemon ein völlig anderes Verhalten zu:
Dass er dem Sklaven, der ihn hintergangen und bestohlen hat, vergibt. Einfach so.

Und er geht sogar noch viel weiter: Es geht nicht nur um Schwamm drüber und weitermachen wie früher.
Sondern Paulus traut dem Philemon eine ganz neue Beziehung zu Onesimus zu.
Er schreibt: „Vielleicht war er ja deshalb eine Zeit lang von dir getrennt, damit du ihn für immer zurückbekommst. Du bekommst allerdings keinen Sklaven mehr, sondern etwas viel Besseres: einen geliebten Bruder!“

Das ist wirklich ein Hammer! Philemon soll Onesimus nicht mehr als seinen Sklaven betrachten, nicht mehr als sein Eigentum, nicht mehr als bloße Arbeitskraft, sondern als geliebten Bruder!
Er soll und kann ihn mit anderen Augen sehen: Als Mensch, der genau so wertvoll, genau so wichtig ist wie er selbst. Als Bruder, mit dem er auf gleicher Augenhöhe lebt.

Was Paulus da sagt, ist hochexplosiv. Er hat nämlich damit indirekt das ganze Sklavenwesen in Frage gestellt! Und das in einer Gesellschaft, die von der Sklaverei lebte. Ohne die Sklaven wäre die ganze Volkswirtschaft damals zusammen gebrochen!

Paulus hat nie formal gefordert, dass die Sklaverei abgeschafft wird. Er hat schon gar nicht die christlichen Sklaven gegen ihre Herren aufgehetzte. Im Gegenteil. Er sagte ihnen, dass sie ihren Herren gehorchen sollen. Er wusste natürlich, wie explosiv das Thema war. Es gab ja immer wieder Sklavenaufstände und die wurden auf brutalste Weise niedergeschlagen.

Aber mit dem, was Paulus hier dem Philemon schreibt, höhlt er die Sklaverei von innen her aus. Wer seine Sklaven als geliebte Brüder und Schwestern betrachtet, der kann sie nicht mehr behandeln wie das Vieh, kann sie nicht mehr ausbeuten, wird ihnen nach und nach Rechte geben und Würde und Mitsprachemöglichkeiten.

Philemon wird schwer gekämpft haben damit.
Und wir wissen nicht, wie er auf diesen Brief reagiert hat. Wir haben ja nur den Brief selber.

Aber es scheint so, dass er am Ende doch tat, was der Paulus ihn gebeten hat: dass er Philemon als Bruder aufgenommen hat und wohl auch die Freiheit geschenkt hat.
Jedenfalls ist Onesimus nach alten Quellen später Bischof geworden. Der kleine weggelaufene Sklave – Bischof einer großen Kirche!

Jesus verändert Beziehungen!

Wenn wir den auferstandenen Jesus Christus ernsthaft als unseren Herrn, als Lebensmeister akzeptieren, werden sich auch unsere Beziehungen verändern. Dann sehen wir die eigene Angestellte, den jungen Kollegen, die Frau an der Kasse, den Zeitungsausträger mit anderen Augen. Wir werden diese Menschen nicht mehr nur als Mittel zum Zweck sehen.
Wir werden die Menschen, mit denen wir zu tun haben, nicht mehr nur nach ihrem Nutzwert betrachten, mit der Frage im Hinterkopf: Was nützt der mir?
Sondern als von Gott geliebte Geschöpfe, als potenzielle Brüder und Schwestern.

Wir werden auch Menschen nicht mehr auf das Bild, das wir von ihnen haben, festlegen. Werden nicht mehr sagen: „Der war und der bleibt so!“
Und wir werden sie nicht auf ihre Vergangenheit festlegen, was sie da falsch gemacht haben, sondern werden einen Strich durch die Vergangenheit ziehen und ihnen eine neue Chance geben.

Ich habe ja eine Zeit lang in Tansania gelebt. Da gab es eine Situation, da wurde das ganz anschaulich. Es ist schon lange her, aber ich habe diese Szene noch genau vor Augen.
Wir waren mit einer Gruppe von Leuten in einem Gefängnis gewesen. Unser Leiter war ein Pfarrer, der hatte dort einen Gottesdienst gefeiert. Im Gefängnis saßen zu einem großen Teil richtige Verbrecher.
Und zum Gottesdienst kamen Gefangene und Wärter. Die einen hatten blaue Uniformen und die anderen beige Gefängniskleidung.
Wir haben in diesem Gottesdienst auch Abendmahl gefeiert. Es war ein lutherischer Gottesdienst. Da war es so, dass man in kleinen Gruppen nach vorne ging und sich vor dem Altar niederkniete und dort Brot und Wein empfing.
Und ich habe noch vor Augen wie da am Schluss zwei sich hinknieten, ein Wärter in blauer Uniform und ein Gefangener in der beigen Kluft.
Sonst der krasse Kontrast: Der eine befiehlt, der andere muss spuren. Der eine frei, der andere gefangen. Einer oben, der andere unten.

Aber jetzt waren sie auf einmal beide gleich.
Beide vor dem selben Herrn,
beide auf Knien,
beide mit leeren Händen.
Beide empfingen Brot und Wein.
Beide empfingen Vergebung ihrer Sünden.
Beides Gottes Kinder, auf einer Ebene.
Zwei Brüder.

Jesus ist der große Verwandler, der alle unsere Hierarchien, Machtstrukturen, alle unsere verkorksten Beziehungen durch seine Liebe löst und heil machen will und kann.
Und der Friede Gottes …
Amen.