Predigt, 31.7.2022 Gier (Teil 5 der Predigreihe: Lästige Laster lassen)

31.7.2022

J.Berewinkel

Kurz vor dem sechsten Geburtstag von unserem Sohn Tobias haben meine Frau und ich einen pädagogischen Fehler gemacht. Das kam so: Wir hatten keine Idee für ...

Kurz vor dem sechsten Geburtstag von unserem Sohn Tobias haben meine Frau und ich einen pädagogischen Fehler gemacht.
Das kam so: Wir hatten keine Idee für ein Geburtstagsgeschenk. Eigentlich hatte Tobias alles, was er braucht. Ihm selbst fiel auch nichts ein. Er war im Grunde wunschlos glücklich. Aber ein Geburtstag ohne Geschenke? Das geht ja nicht! Also gaben wir dem Sprössling einen Katalog der Firma Jakoo in die Hand. Die kennen Sie bestimmt. Sie verkaufen wunderschöne Spielsachen. „Schau doch mal, ob du etwas Schönes darin findest. Vielleicht bekommst du etwas davon zum Geburtstag. Aber nur ein kleines bisschen!!“ Das war pädagogisch unklug. Tobias nahm den Katalog, holte sich ein paar post-it-Streifen und war für mindestens eine Stunde in seinem Zimmer verschwunden. Nichts war von ihm zu hören. Dann brachte er uns den Katalog zurück. Er war gespickt mit zahllosen post-its. Auf fast jeder Seite des Katalogs hatte er Sachen gefunden, die schön waren und die er haben wollte. Auf einmal hatte der zufriedene Junge jede Menge Wünsche!
Für ein Kind ist das ja normal. Wir können darüber schmunzeln, wenn so ein kleiner Kerl unendlich viele Wünsche hat. Aber dieses Bild – der kleine Tobias mit dem großen Katalog und den zahllosen Wunschzetteln – das ist für mich zu einem Gleichnis für uns Menschen heute geworden.

Unser Leben ist wie das Durchblättern eines bunten Kataloges. Wir werden auf Schritt und Tritt konfrontiert mit verlockenden Angeboten. Die Werbung investiert Milliarden, um Wünsche in uns zu wecken, die wir vorher noch gar nicht hatten. Wünsche, Begierden werden von außen in uns eingepflanzt.

Aber was von außen an uns herangetragen wird, das trifft auf ein Herz, das prinzipiell verführbar ist. In uns Menschen steckt eine Neigung zur Gier. Wenn mir in der Werbung etwas Tolles gezeigt wird, dann löst das etwas in mir aus, einen Wunsch, ein Begehren, weil mein Herz anfällig dafür ist.

(Folie 1)
Gier – das ist ein Hunger, der tief in der Seele sitzt.
Ein tiefes Verlangen nach Mehr.

Das griechische Wort für Gier heißt Pleonexia, und bedeutet wörtlich: Mehr-haben-wollen. Deswegen spricht man auch von der Habgier.

Mehr-haben-wollen. Dabei geht es nicht nur um Geld oder Besitz. Das Verlangen nach Mehr kann sich auf alle möglichen Dinge richten: Mehr Schuhe, mehr Schokolade, mehr Sex, mehr Alkohol, mehr Versicherungen, mehr Reisen, mehr Bücher, mehr Ehre, mehr likes oder clicks.

Wahrscheinlich hat jeder von uns einen Bereich, wo er besonders anfällig ist für die Gier. Beim einen ist es die Ehre, beim andern das Essen. Aber vermutlich hat jeder von uns einen Bereich, wo Du spürst, dass da ein ganz tiefer Hunger ist.

Und dieser Hunger ist der Spalt, wo die Gier eindringen kann, wo sie sich ausbreitet und wo sie anfangen kann, uns zu beherrschen.

Diese Gier ist zutiefst menschlich und zutiefst problematisch.

Die Gier zählt in der kirchlichen Tradition zu den 7 Todsünden, also zu Verhaltensweisen, die Leben gefährden, die zerstörerisch sind.
Wieso eigentlich? Was ist das Problem bei der Gier?
Es gibt ein doppeltes Problem. Das erste ist:

(Folie 2)
Die Gier beschädigt die eigene Seele.
Sie wirkt sich destruktiv aus auf unsere psychische Gesundheit. Wenn sich die Gier in unserem Herzen ausbreitet, dann werden wir immer unzufrieden sein.

Im zweiten Teil unserer Predigtreihe hatte Cornelius von der chronischen Unzufriedenheit gesprochen. Gier macht unzufrieden. Wir haben immer das Gefühl: Ich brauche mehr. Es reicht noch nicht. Mein Leben ist nicht gut.

In der aktuellen ZEIT steht ein treffendes Zitat von der ungarischen Philosophin Agnes Heller. Sie schreibt: „Modere Gesellschaften sind unzufriedene Gesellschaften. Es reicht nie.“

Dazu kommt der Neid. Darüber hatte ja Frau Balser letzten Sonntag gepredigt. Wenn die Gier uns beherrscht, dann sehen wir immer, was die anderen haben und was ich nicht habe und das löst diesen Stich im Herzen aus. Das will ich auch!

Die Gier macht uns unzufrieden und unglücklich. Sie setzt uns in ein Hamsterrad und wir kommen nicht zur Ruhe.
Die Gier führt dazu, dass wir Dinge tun, die uns nicht gut tun: Dass wir mehr essen als uns gut tut, mehr horten als uns gut tut, unseren Kopf füllen mit Fantasien, die uns nicht gut tun. Sie beschädigt unseren Körper und unsere Seele.

(Folie 3)
Aber die Gier beschädigt auch diese Welt.
Sie zerbricht Ehen und Freundschaften.
Sie führt zu Ungerechtigkeit und Streit und Krieg.
Sie ist der Grund, dass die Schere zwischen Armen und Reichen immer größer wird, dass der Regenwald gerodet wird und immer mehr CO2 in die Luft gepustet wird.

Gier zerstört Solidarität. Wenn wir uns von der Gier beherrschen lassen, dann wird unsere Solidarität mit der Ukraine nicht lange halten und es wird im Winter ein Hauen und Stechen geben, wer wieviel Gas bekommt.
Mahatma Gandhi hat einmal diesen treffenden Satz gesagt: „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht genug für jedermanns Gier.“

Und darum warnt uns Jesus vor der Gier.

(Folie 4)
Wir haben das eben in der Lesung gehört. Da sagte er: Hütet euch vor aller Habgier!
Hütet euch! Passt auf, dass die Gier nicht in euer Herz eindringt und es beherrscht!

Und dann erzählt er diese Geschichte von einem gierigen Großbauern.
Er ist ein reicher Mann. Er hat also schon ganz viel. Seine Scheune ist bereits voll. Und jetzt sehen ihn auf seinen Feldern stehen. Riesige Felder soweit du gucken kannst. Felder voller Getreide. Eine fette Ernte kommt da.

Er könnte doch eigentlich sagen: Wow! Ich hab so viel! Ich fülle meine Scheune bis oben hin und was übrig bleibt, das verteile ich an Leute, die nichts haben. Auch damals war Weizen Mangelware und es gab viele Arme. Er hätte viele Menschen satt und glücklich machen können. Aber er tut etwas anderes:

Er führt ein Selbstgespräch. Ein Gespräch mit seiner Seele und dieses Gespräch ist äußerst interessant.

„Was soll ich tun? Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Güter und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre! Habe nun Ruhe! Iss und trink und hab guten Mut!“

Liebe Geschwister, in diesem Selbstgespräch offenbart sich die Illusion der Gier. Der Mann bildet sich ein: Wenn ich noch diese Ernte einfahre, wenn ich eine noch größere Scheune voll mit Getreide habe, dann finde ich endlich Ruhe! Dann bin ich endlich zufrieden. Dann habe ich genug und kann das Leben genießen!
Aber das ist natürlich eine Illusion! Er wird die Ernte einfahren und dann wird er weiter rackern und raffen und horten, und bei der nächsten Ernte würde er noch größere Scheunen bauen.

Das ist das Wesen der Gier: Sie ist nie zufrieden. Sie ist nie gestillt. Selbst wenn die Scheuen voll sind und das Konto und der Kühlschrank. Das Herz bekommt nicht genug.

(Experiment: Becher mit Loch mit Wasser füllen)

Ich möchte das einmal veranschaulichen.
Ein Herz, in dem die Gier wohnt, ist wie so ein Becher. Wenn man in diesen Becher Wasser füllt, dann füllt man und füllt man – aber er wird nicht voll. Weil da ein Loch drin ist.
So ist das mit einem Herzen, in dem die Gier haust: Du bekommst und bekommst: Gutes Gehalt, Shopping, Urlaub, Anerkennung. Wonach man halt begehrt.
Aber das Herz wird nicht voll. Es wird nicht satt. Der Hunger wird nicht gestillt. Du brauchst immer mehr und mehr.

Das hat vermutlich mit Lebenserfahrungen zu tun. Mit Erfahrungen in unserer frühen Kindheit, die uns vielleicht gar nicht mehr bewusst sind. Erfahrungen, wo wir Mangel erlebt haben und die sich im Herzen festgesetzt haben. Aber sie prägen unser Empfinden und Verhalten bis heute.

Wie können wir frei werden von der Gier?
Vielleicht müssen wir es etwas bescheidener formulieren: Wie kommen wir dahin, dass die Gier uns weniger beherrscht?

Es gibt drei Übungen, die uns dabei helfen können:

(Folie 5.1)
1. An der Quelle leben

Das ist das Entscheidende. Im Psalm 36 betet jemand zu Gott: „Bei dir ist die Quelle des Lebens.“
Von Gott kommt das Leben.
Er ist es, der mir das Leben schenkt, der mich versorgt, der mir meine Lebenszeit gibt. Da ist die Quelle von allem.
Und wenn ich nahe an dieser Quelle bin, dann brauche ich keine Angst mehr haben, zu kurz zu kommen. Dann kann ich zufrieden werden, wie ein Kind, das an der Mutterbrust liegt, das gestillt ist.

Ich glaube tatsächlich, dass dieser tiefe Hunger in uns gestillt werden kann, wenn wir immer wieder bewusst Gottes Nähe suchen.
Da können wir das aussprechen, wonach wir verlangen.
Da können wir unsere Angst rauslassen.
Da können wir uns von Gott zusagen lassen: Ich sorge für dich! Ich ernähre dich!
Und so kann in Gottes Nähe unser Vertrauen wachsen.
Und je mehr unser Herz mit Vertrauen gefüllt ist, um so weniger Platz hat die Gier.

2. Das eigene Maß finden

John Rockefeller, der erste Milliardär der Geschichte, wurde mal gefragt, wann er genug verdient hat. Er sagte: Wenn ich noch ein bisschen mehr habe.

Er hatte kein Maß. Das ist das Problem.
Besser ist es, einmal für sich zu klären: Wann habe ich genug? Wann habe ich genug Geld auf dem Konto? Genug Aktien im Depot, genug Kleider im Schrank, genug Länder gesehen, genug Applaus bekommen?
Was ist ein gutes Maß für mich?

Das Wort „genug“ ist ja ein Zauberwort.
Wer sagen kann: Ich habe genug!, der ist mit einem Schlag frei von der Gier.

Und das kann man tatsächlich üben. Paulus sagt einmal: Ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie es mir auch geht. (Phil. 4, 11)

Ich habe es gelernt! Ich hab mich darin geübt, mit wenig genug zu haben und zufrieden zu sein.

Finde dein Maß! Finde heraus, was genug ist! Das macht frei und zufrieden und die Gier kann sich nicht ausbreiten.

3. Dankbarkeit einüben

Dankbarkeit ist der beste Impfstoff gegen die Gier.

Bestimmt kennen Sie Menschen, bei denen man eine tiefe Dankbarkeit spürt. Nicht so eine aufgesetzte Dankbarkeit, sondern eine echte, die von Herzen kommt. Gibt es so jemanden in Ihrem Bekanntenkreis?

Wenn Sie an so eine Person denken, dann werden Sie merken: Bei diesem Menschen hat die Gier keine Chance! Die sind immunisiert. Da hat die Gier keinen Angriffspunkt.

Und auch bei uns selbst ist das so. In Momenten, wo wir zutiefst dankbar sind, sind wir frei von aller Gier.

Dankbarkeit ist eine Haltung, in der wir das Leben als Geschenk begreifen. Wo wir spüren: Mir werden jeden Tag die Hände gefüllt. Ich komme nicht zu kurz.

Und diese Haltung der Dankbarkeit können wir einüben. Wir können sie üben, indem wir tatsächlich immer wieder bewusst Gott „Danke!“ sagen.

Beim Blick auf den gedeckten Tisch: Danke, dass du mir zu essen schenkst!

Beim Blick auf den Kontoauszug: Danke, dass ich genug zum Leben habe!

Beim Blick in den vollen Kleiderschrank: Danke, dass ich nicht frieren muss!

Beim Blick auf die Fotos an der Wand: Danke für meine Kinder, Eltern, Partner, Enkel, Freunde!

Es gibt jeden Tag hundert Anlässe, Gott Danke zu sagen. Und jedes Dankgebet fördert die Haltung der Dankbarkeit.

Und je mehr die Dankbarkeit unser Herz erfüllt, desto weniger Platz hat die Gier.

 

Unsere Juli-Predigtreihe geht jetzt zu Ende.
Wir können lästige Laster lassen.
Trägheit, Unzufriedenheit, Empfindlichkeit, Neid und Gier – die müssen nicht unser Leben bestimmen.
Veränderung ist wirklich möglich, wenn wir Gott in unserem Leben Raum geben.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Gedanken in Jesus Christus.
Amen.