Liebe Geschwister,
die Adventszeit ist eine spannende Zeit. Wir gehen auf Weihnachten zu.
Für Kinder ist es besonders spannend, weil sie ahnen, dass sie da wahrscheinlich etwas geschenkt bekommen.
Für uns Erwachsene ist es auch spannend, weil wir noch nicht wissen, wie wir die ganzen beruflichen und familiären Erwartungen auf die Reihe kriegen sollen.
Und für Maria war es auch eine spannende Zeit.
Sie hatte ja nicht nur 4 Wochen Adventszeit, sondern 9 Monate. Es fing damit an, dass ihr dieser Engel begegnet ist, ein seltsames Wesen aus einer anderen Welt. Er hatte ihr gesagt, dass Sie ein Kind bekommen wird, obwohl sie noch mit keinem Mann etwas zu tun gehabt hat und dass dieses Kind ein ganz besonderes Kind werden wird, das von Gott kommt und Erlösung bringt.
Maria hatte sehr schnell Ja dazu gesagt. Ja, ich stelle mich Gott zur Verfügung. Ich bin bereit, dieses besondere Kind zu empfangen. Sie war damals ja noch ganz jung, vielleicht 14 Jahre alt. Gerade mal verlobt. Das war damals so. Mädchen heirateten, wenn sie 14, 15 Jahre alt waren.
Wahrscheinlich hat sie noch überhaupt nicht begriffen, was das für praktische Konsequenzen hat.
Aber dann, als der Engel verschwunden war, sickerten die Konsequenzen so nach und nach ins Bewusstsein. Was soll ich meinen Eltern sagen, wenn ich schwanger werde? Und was werden die denken? Und was soll ich Josef sagen? Wer wird mir glauben, dass dieses Kind von Gott kommt?
Maria schwirrte der Kopf. Sie braucht jetzt erst mal Abstand und Ruhe. Und so beschließt sie, ihre Tante Elisabeth zu besuchen. Sie hatte gehört, dass Elisabeth auch schwanger ist, obwohl sie schon so alt war. Da hatte wohl auch Gott irgendwie seine Finger im Spiel. Mit der kann sie vielleicht reden. Die wird mich vielleicht verstehen
Maria macht sich auf den Weg nach Judäa zu Elisabeth. Und bei dieser Begegnung mit ihrer Tante passiert wieder so etwas Merkwürdiges:
Als Elisabeth Maria sieht, da gerät sie völlig aus dem Häuschen und ruft:
Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist das Kind in deinem Bauch. Wie komme ich zu der Ehre, dass die Mutter meines Herrn mich besucht?
Maria ist total überwältigt. Sie spürt, dass hier wirklich Gott am Werk ist.
Ich denke, Maria hatte immer geglaubt, dass es Gott gibt. Aber jetzt erlebt sie diesen Gott. Erlebt, dass er lebendig ist, dass er einen Plan hat, dass er handelt und dass sie selbst eine aktive Rolle in diesem Plan spielt. Dass da an ihr und durch sie etwas Bedeutendes passiert.
Und sie spricht ein Lob auf Gott aus.
Es ist ein Loblied auf Gott, das wir in der Lesung eben gehört haben und das später das „Magnifikat“ genannt wird. So fängt es nämlich im Lateinischen an: Magnifikat anima mea dominum.
Meine Seele erhebt den Herrn.
Lesen Sie den Text doch noch einmal durch:
Lk 1, 46-55
In diesem Loblied wird deutlich, was für ein Typ Maria war. Was für einen Charakter sie hatte.
Schauen wir uns das doch mal zusammen an.
Was würden Sie sagen? Ist Maria eher ein bescheidener Mensch oder eher ein selbstbewusster?
…
1. Sie hat ein gesundes Selbstbewusstsein
Sie nennt sich selbst eine „unbedeutende Dienerin“.
Da ist keine Rede von Sündlosigkeit oder dass sie in irgendeiner Weise besser ist als andere. Sie ist ein ganz normaler Mensch, hat sich diese Erwählung in keiner Weise verdient. Sie weiß: ich bin nur ein ganz normales, einfaches Mädchen.
Und gleichzeitig kann sie von sich sagen: ich bin wichtig. Alle kommenden Generationen werden von mir reden. Gott hat Großes an mir getan. Sie weiß und fühlt, dass ihr Leben Gewicht hat und großen Wert. Maria hat ein kerngesundes, fröhliches Selbstbewusstsein.
Wir kennen alle Menschen, die ein krankes Selbstbewusstsein haben. Krankes Selbstbewusstsein – das kann sich auf zwei Arten auswirken:
Bei den einen ist es verkümmert. Sie fühlen und denken: Ich bin ein Nichts. Ich bin unbedeutend. Wenn es mich nicht gäbe, wäre die Welt keinen Deut ärmer. Die könnten nie wie Maria sagen: ich bin wichtig!
Und auf der anderen Seite gibt es Leute mit einem total aufgeblähten Selbstbewusstsein. Die halten sich für den Mittelpunkt der Welt. Die denken ernsthaft: Ohne mich läuft nichts. Die könnten nie wie Maria sagen: Ich bin nur eine unbedeutende Dienerin.
Bei Maria kommen Bescheidenheit und Selbstbewusstsein zusammen. Und das geht, weil sich ihr Selbstbewusstsein nicht auf ihre Qualitäten gründet, sondernd auf Gott.
Gott hat mich wunderbar geschaffen. Darum hat mein Leben Wert.
Er hat mich angesehen. Darauf beruht mein Ansehen.
Er hat mich in seiner Liebe erwählt. Darum bin ich wichtig. Ihr Selbstbewusstsein ist unabhängig von ihren Erfolgen oder Misserfolgen.
Und das ist doch wichtig für uns.
Es ist etwas total Heilsames, wenn unser Selbstbewusstsein auf Gott gegründet ist. Dann werden wir uns nicht unterschätzen und auch nicht überschätzen. Dann bekommen wir ein gesundes Verhältnis zu uns selbst. So wie Maria das hatte.
Ein zweiter Punkt, den ich bei Maria erstaunlich finde:
2. Sie hat einen vorbehaltlosen Glauben.
Als Maria dieses Loblied singt, da hat sie von ihrer Schwangerschaft noch nichts gemerkt.
Sie hat von diesem seltsamen Engel seltsame Worte gehört.
Sie hat von ihrer Tante diesen merkwürdigen Ausruf gehört.
Bisher hatte sie nur Worte und Versprechen gehört. Sonst nichts. Sie hatte noch keinen Schwangerschaftstest gemacht, keine Übelkeit gespürt. Da ist kein dicker Bauch. Von dem versprochenen Kind ist noch nichts zu merken.
Sie hat nur ein Wort. Ein unglaubliches Wort.
Und sie hat diesem Wort vorbehaltlos geglaubt.
Und sie redet in ihrem Loblied so, als wäre das alles schon Wirklichkeit:
Gott wendet sich mir zu.
Er handelt wunderbar an mir.
Sie sieht noch nichts. Sie spürt noch nichts. Sie hat nur Worte, aber sie spricht so, als hätten sich die Zusagen Gottes schon erfüllt. Sie glaubt Gottes Worten.
Ein Missionar in Südamerika wollte die Bibel in die Sprache eines indigenen Stammes übersetzen. Irgendwann stand da in der Bibel das Wort „glauben“. Und jetzt musste er ein Wort in dieser Sprache finden, mit dem man „glauben“ übersetzen kann. Aber irgendwie fand er kein passendes Wort. Da gab es ein Wort für „etwas vermuten“. Aber das ist ja noch etwas anderes als glauben. Es gab auch ein Wort für „etwas wissen“ – aber auch das passt ja nicht so ganz. Und er suchte weiter. In diesem Stamm war es üblich, dass man nachts nicht auf einer Matratze schläft, sondern in einer Hängematte. Die Leute befestigten abends ihre Hängematte zwischen zwei Bäumen und schliefen da drin. Und es gab in ihrer Sprache ein spezielles Wort für dieses Festmachen der Hängematte an einen Baum. Und da war diesem Missionar plötzlich klar, wie er „glauben“ übersetzen: Seine Hängematte an Gott, an Gottes Wort festmachen.
Glauben heißt: ich hänge mich an Gott. Ich hänge mich an seine Worte. Ich verlasse mich auf ihn und seine Zusage.
So hat das Maria gemacht und das können wir von ihr lernen.
Eine dritte Beobachtung:
3. Maria erwartet eine Revolution
Das Loblied von Maria ist ein sehr politisches Lied. Da geht es nicht nur um Innerlichkeit, um Seelenpflege. Sie hofft und rechnet damit, dass Gott diese Welt real verändert. Schauen Sie mal rein, was sie da so sagt:
Er fegt die Überheblichen hinweg.
Er stürzt die Machthaber vom Thron und hebt die Unbedeutenden empor.
Er füllt den Hungernden die Hände.
Das schmeckt doch ziemlich nach Revolution, oder?
Maria war ja ein Mädchen aus dem einfachen Volk. Und damals saßen in Israel die Römer auf dem Thron. Die beuteten das Volk aus, zusammen mit den Aristokraten und Großgrundbesitzern und mit Gaunern, die Geschäfte machten.
Maria weiß: Gott ist auf unserer Seite. Auf der Seite der Armen, der Unterdrückten. Er ist nicht der buddy der Könige, sondern ein Freund der einfachen Leute.
Jahrhundertelang ist das im Christentum verdreht worden.
Seit Konstantin gab es in Europa ein Bündnis zwischen Thron und Altar, zwischen Kirche und Machthabern.
Die Kirche hat sich zu großen Teilen von den Machthabern, den Kaisern und Fürsten kaufen lassen, instrumentalisieren lassen.
Und dem Volk wurde gesagt:
Gott steht auf der Seite der Herrschenden.
Ihr dürft sie nicht in Frage stellen. Eine Auflehnung gegen die Herrscher wäre doch eine Auflehnung gegen Gott!
Das Magnifikat macht sehr deutlich: Das ist grundverkehrt.
Gott steht auf der Seite der Armen.
Und er setzt sich ein für ihr Recht.
Aber da tut sich natürlich die Frage auf:
Wann macht er das denn?
Wann füllt er die Hände der Hungernden?
Wann stürzt er die Machthaber vom Thron?
Wann hilft er den Unterdrückten in der Ukraine, im Iran, in China?
Damals haben viele Menschen gedacht:
Wenn der Messias kommt, dann ist es soweit.
Der wird die Unterdrückung beenden und die Korruption und die Ungerechtigkeit.
Wahrscheinlich hat Maria es genau so erwartet und gehofft, dass der Sohn, den sie bekommen soll, die Römer aus dem Land jagt und selber den Thron besteigt.
Aber dann hat es Jesus so ganz anders gemacht.
Er hat tatsächlich eine Revolution angezettelt, aber keine Revolution mit Waffen, sondern eine Revolution der Liebe.
Er wusste, dass man das Böse nicht besiegen kann, indem man die Bösen an der Spitze austauscht.
Sondern er ist dem Bösen an die Wurzel gegangen.
Er hat die Menschen von innen her verändert.
Er hat korrupten Zöllnern Liebe geschenkt und so ihr Herz verändert, dass sie teilen konnten.
Er hat Menschen, die von Hass und Rachsucht erfüllt waren, befähigt zu vergeben.
Und so ist eine Revolution in Gang gekommen, die von innen her Menschen verändert.
Und die geht bis heute weiter:
Da wo Menschen sich von Jesus anstecken lassen, kommt Veränderung in Gang: Da wird Hass und Unrecht überwunden:
Reiche fangen an, mit Armen zu teilen.
Mächtige verzichten auf ihre Macht.
Hochmütige werden bescheiden.
Es kam anders, als Maria erwartet hat.
Aber ihr Sohn hat tatsächlich eine Revolution entfacht.
Und wenn wir uns Gott zur Verfügung stellen, wie Maria das gemacht hat, dann kann diese Revolution auch bei uns und durch uns weitergehen.
Amen.