Liebe Geschwister,
wir feiern den Israel-Sonntag in einer Situation, wo die ganze Welt mit Sorge auf Israel schaut. Die Gefahr, dass die Situation weiter eskaliert und es zu einem offenen Krieg mit der Hisbollah und dem Iran kommt, ist sehr groß.
An diesem kleinen Volk, da scheiden sich die Geister.
International steht Israel in der Kritik wie noch nie zuvor. Und die Kritik ist ja auch z.T. berechtigt! Es ist schlimm, dass die rechten Hardliner so viel Macht haben in der Regierung und dass die Rechte der Palästinenser so mit Füßen getreten werden.
Schlimm ist aber auch, dass so viele, die Israel kritisieren, den Terror der Hamas und Hisbollah ganz ausblenden und nicht sehen, dass es für Israel immer um die nackte Existenz geht.
Die Situation ist total vertrackt. Ich möchte auch nicht hier von der Kanzel aus die politische Situation analysieren oder bewerten.
Aber es ist doch bemerkenswert, dass ein winziges Land, so groß wie Hessen, so derartig im Zentrum der Weltaufmerksamkeit steht – und das seit Jahrzehnten. Alle Völker schauen auf Israel.
Israel und die Völker – darum geht es heute in der Predigt. Und wie sich Gott dieses Verhältnis gedacht hat.
Israel und die Völker – das ist ein Thema, das sich durch die ganze Bibel zieht, von vorne bis hinten.
Das fängt bei Abraham an, dem Stammvater Israels.
Als Gott den Abraham erwählt, im ersten Buch der Bibel wird davon berichtet, da verheißt er ihm:
(F)
„Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Völker der Erde.“ (Genesis 12, 3)
Alle Völker sollen durch Abraham/Israel gesegnet werden!
Ganz am Anfang, noch bevor das Volk so richtig entstanden ist, wird schon deutlich: Dieses Volk Gottes hat eine Relevanz für alle anderen Völker. Es soll für sie zum Segen werden.
Den gleichen Gedanken findet man dann auch bei den Propheten an mehreren Stellen.
(F)
Bei Jesaja heißt es: Du, Israel, mein Knecht, du bist bestimmt, ein Licht zu sein für die Heiden (42, 6). Und Gott spricht Israel an und sagt: Ihr seid meine Zeugen vor den Völkern! Die Völker sollen durch euch mich erkennen (43, 8-12).
Das ist Israels Berufung von Gott her. Gott hat dieses kleine Volk erwählt, damit andere Völker Gott kennenlernen.
Und diesen Gedanken finden wir auch in dem Predigttext, der für diesen Sonntag vorgeschlagen ist.
Ein Abschnitt aus einem anderen Propheten, dem Propheten Sacharja.
Der hat so etwa ab 520 vor Christus in Jerusalem gewirkt. Das Volk war aus dem Exil zurückgekehrt, zumindest einige waren zurückgekehrt. Die Stadt Jerusalem war noch immer zum großen Teil zerstört. Da war noch alles voller Schutt. Die Stadtmauer war eingerissen Der Tempel wurde so nach und nach wieder aufgebaut, aber es war ein kleines Tempelchen. Kein Vergleich mit der früheren Pracht. Das war eine ziemlich deprimierende Zeit. Israel, Jerusalem, der Tempel – das war völlig unbedeutend. Die kamen in der Weltpresse nirgendwo vor. Und die Leute krebsten so vor sich hin und hatten wenig Erwartung für die Zukunft.
Aber da hinein spricht Gott durch Sacharja und sagt, dass andere Zeiten kommen werden:
„So spricht der HERR Zebaoth: Es werden noch Völker kommen und Bürger vieler Städte, und die Bürger der einen Stadt werden zur anderen gehen und sagen: Lasst uns gehen, den HERRN anzuflehen und zu suchen den HERRN Zebaoth; wir wollen mit euch gehen. So werden viele Völker und mächtige Nationen kommen, den HERRN Zebaoth in Jerusalem zu suchen und den HERRN anzuflehen.
So spricht der HERR Zebaoth: Zu jener Zeit werden zehn Männer aus allen Sprachen der Völker einen jüdischen Mann beim Zipfel seines Gewandes ergreifen und sagen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist.“
Es werden noch andere Zeiten kommen, sagt Gott hier. Ihr könnt euch das jetzt nicht vorstellen, jetzt, wo gerade alles so deprimierend ist, wo Israel und der Tempel Gottes so unbedeutend ist.
Aber es werden anderen Zeiten kommen, da werden Menschen aus allen Völkern nach Jerusalem pilgern. Heiden werden kommen aus vielen großen Städten.
Die Leute werden sich gegenseitig anspitzen: Hey, Leute, wir reisen nach Jerusalem. Wir haben gehört, dass man Gott dort finden kann! Kommt doch mit!
Und dann dieses krasse Bild: Zehn Männer aus verschiedenen Sprachen und Völkern werden einen jüdischen Mann am Zipfel seines Gewandes packen und ihn bitten: Nimm uns mit! Nimm uns mit nach Jerusalem!
Gemeint ist mit diesem jüdischen Mann wohl ein Jude, der irgendwo in der Diaspora wohnt und nun nach Jerusalem zum Tempel pilgert. Zehn Leute hängen sich dran: Hey, nimm uns doch bitte mit! Wir haben gehört, dass Gott bei euch zu finden ist!
Also: Menschen kommen aus aller Welt und ziehen nach Jerusalem, um dort im Tempel Gott zu suchen und zu finden. Sie hängen sich an die jüdischen Pilger dran und sie laden sich gegenseitig ein: Kommt mit! Wir gehen auch hin!
Was hier beschrieben wird, ist ein bestimmtes Modell von Mission.
(F)
Menschen bewegen sich von außen nach innen, kommen nach Jerusalem, kommen zum Tempel, kommen zu Gott.
Man könnte das „Mission Modell 1“ nennen: Mission in der Komm-Struktur bzw. in der Komm-mit-Struktur.
Das ist übrigens ein Modell, das wir auch in der Kirche und Gemeinde finden.
Jeder Gottesdienst, wie hier heute Morgen, ist ja so ein Ort, wo man Gott suchen und finden kann.
Wir feiern, dass Gott mitten unter uns ist, dass man ihn hier begegnen kann, in seinem Wort! Er lädt uns ein an seinen Tisch, zum Abendmahl und er lädt jeden Menschen ein. Ob Du von dir sagst: Ich bin Christ. Ich bin gläubig. Oder ob Du Zweifel hast und eher suchend bist – jeder ist bei Gott willkommen!
Und es wäre doch wunderbar, wenn hier das passiert, was Sacharja in seiner Vision beschreibt: Dass Menschen andere Menschen mitnehmen: Kommt, wir gehen da hin. Wir gehen morgen zum Gottesdienst! Kommt doch mit!
(Bsp)
Wen könntest Du nächste Woche oder übernächste mitnehmen? Überleg doch mal! Bestimmt gibt es Menschen in deinem Umfeld; Nachbarn, Freunde. Sprich sie doch mal an: Du, ich gehe da hin. Willst du nicht mitkommen?!
Wir haben in zwei Wochen wieder einen G-MIT-Gottesdienst. Das ist ja so ein Gottesdienst in etwas modernerer Form. Das ist eine super Gelegenheit, andere einzuladen, auch Leute, denen der ganz klassische Gottesdienst vielleicht nicht so ganz zusagt.
Wenn jeder von uns beim nächsten GD einen mitbringt – dann wären wir schon ganz schön viele. Und wenn von denen jeder zweite wiederkommt und auch einen mitbringt – dann wird es hier bald zu eng werden.
Mission Modell 1 oder Mission in der Komm-mit-Struktur – das wird hier bei Sacharja beschrieben.
Jetzt ist das ja nicht nur ein Wunschtraum, sondern eine Verheißung: Gott sagt das ja durch den Propheten.
Hat sich das eigentlich erfüllt? Was denkt ihr?
Ich würde sagen: Ein bisschen schon, aber so ganz noch nicht.
Zur Zeit von Jesus hat sich das, was hier prophezeit ist, tatsächlich schon ein stückweit erfüllt.
Herodes der Große hatte den Tempel von Jerusalem in gigantischen Maßen ausbauen lassen. Aus dem kleinen Tempelchen war ein Prachtbau geworden mit riesigem Tempelvorplatz. Alles mit blendend-weißem Marmor gebaut, das zentrale Heiligtum strahlend-schön mit einem vergoldeten Dach, das in der Sonne glitzerte. Der Tempel von Jerusalem galt damals als eines der Weltwunder.
Und es kamen tatsächlich viele Menschen aus vielen Völkern dorthin. Nicht nur wegen dem schönen Gebäude, um da ein Selfi mit Tempel im Hintergrund zu machen. Sondern es gab in der griechisch-römischen Welt ein hohes Interesse an dem Gott der Juden. Viele Menschen fanden ihre Götter lächerlich. Zeus und Aphrodite und Neptun – das waren Figuren, die konnte man nicht ernstnehmen. Aber die Lehre, dass es nur einen einzigen, unsichtbaren Gott gibt – das war für viele hoch attraktiv.
Es lebten ja damals im Römischen Bereich viele Juden in der Diaspora. Die lebten in Rom, in Korinth, in Antiochien und Alexandrien. In allen Städten gab es kleine jüdische Gemeinden. Und viele Heiden hatten Kontakt und hörten von diesem Gott und seinem Tempel in Jerusalem. Viele von ihnen wurden sogenannte Proselyten. Das waren Heiden, die an den Gott Israels glaubten. Und viele reisten nach Jerusalem.
Besonders bei den großen Festen, zum Passafest, zum Laubhüttenfest, da reisten zigtausende von Juden aus aller Welt nach Jerusalem und viele Heiden und Proselyten reisten mit.
Wir lesen in der Apostelgeschichte von dem Finanzminister aus Äthiopien, der nach Jerusalem gereist ist, um dort Gott zu finden.
Wir lesen in den Evangelien von heidnischen Pilgern, die zum Fest nach Jerusalem gekommen sind.
Also, da hat sich schon einiges erfüllt. Es war keine Massenbewegung, aber es gab doch viele einzelne, die so hinzogen nach Jerusalem.
Aber dann geschah etwas, das alles veränderte. Und es scheint so, dass sich damit auch Gottes Plan veränderte.
Jesus kam auf die Welt. Und in ihm hat Gott selbst sich auf den Weg zu uns Menschen gemacht.
Jesus – der Messias Israels, der, auf den alle Verheißungen der Propheten zulaufen.
Er ist der Immanuel. Gott ist mit uns. In ihm ist Gott in noch ganz anderer Weise gegenwärtig als im Tempel.
Und dieses Bild aus Sacharja, dass sich zehn Leute an den Rockzipfel eines jüdischen Mannes hängen – das hat sich auch in krasser Weise in Jesus erfüllt. Wir haben eben in der Lesung gehört, wie sich damals die Menschen um Jesus drängten, wie sie alle versuchten, ihn zu berühren und wie da diese eine Frau den Saum seines Gewandes berührt und so geheilt wird.
In Jesus ist Gott ganz nahe gekommen.
Der Messias hätte von seinem Volk als Erlöser begrüßt und gefeiert werden sollen. Und unter seiner Herrschaft wäre Jerusalem noch viel mehr zum Ort geworden, wo die Völker hinströmen, um Gott zu finden.
Aber es kam anders. Die Euphorie um Jesus schlug bald in Ablehnung um. Er war so anders als man sich den Messias vorgestellt hatte. Und so wurde der Messias von seinem Volk, von Israel, verworfen. Und er wurde von auch von den Römern, den Heiden, verworfen. Verworfen und hingerichtet.
Und damit veränderte sich etwas. Gott scheint seinen Heilsplan modifiziert zu haben.
Als Jesus auferstanden ist und sich seinen Jüngern zeigt, da sagt er ihnen: Geht in die ganze Welt und macht alle Völker zu meinen Jüngern!
Merkt Ihr den Unterschied zu vorher? Zu Sacharjas Vision?
Aus „Kommt!“ wird „Geht!“
(F)
Aus der Bewegung von der Peripherie zum Zentrum wird eine zentrifugale Bewegung vom Zentrum an die Peripherie.
Das ist Mission im Modell 2:
Aus der Komm-Mission wird eine Geh-Mission.
Geht hin zu den Menschen!
Bleibt nicht sitzen.
Ladet nicht nur ein, sondern geht hin, auf die Menschen zu.
So fing Kirche einmal an, dass Menschen losgezogen sind von Jerusalem in die Dörfer ringsum und in die Länder ringsum und immer weiter bis an die Peripherie.
So ist das Evangelium nach Deutschland gekommen.
So ist es hier nach Bonn gekommen.
Und für die Zukunft unserer Kirche und unserer Gemeinde wird es entscheidend sein, dass wir in diese Bewegung hineinkommen.
Dass wir uns selber auf den Weg machen zu anderen Menschen, als Hauptamtliche, aber auch als normale Gemeindeglieder. Nicht nur schöne Angebote machen und abwarten, dass Leute kommen, sondern Menschen besuchen. Nachbarn, Freunde. Aktiv auf andere zugehen und den Glauben mit ihnen teilen.
Das war Gottes Idee für Israel.
Gott hat dieses Volk erwählt, nicht nur, damit es selbst Gott kennenlernt, sondern damit durch dieses Volk auch andere Völker Gott kennenlernen. Das war und das ist immer noch Israels Berufung.
Und für uns als Christen gilt das gleiche.
Wir sind Gottes Volk und Gottes Kinder. Aber wir sollen dieses Privileg nicht nur für uns behalten, als wäre das unser Privatbesitz, sondern wir sollen es mit anderen teilen, damit wir für andere zum Licht und Segen werden, damit durch dich andere Menschen Gott finden.
Der katholische Theologe Christian Hennecke sagte mal einen bemerkenswerten Satz angesichts der zurückgehenden Mitgliederzahlen in den Volkskirche. Er sagte: „Was wir jetzt brauchen, ist ein fundamentales Desinteresse an Selbsterhalt und eine fundamentale Leidenschaft für die Sendung“, also für Mission.
Es werden noch andere Zeiten kommen. Das hat Gott durch Sacharja dem Volk Israel zugesagt in einer düsteren Zeit.
Und er sagt es auch uns heute zu.
Bei diesem Gott ist unsere Zuflucht. Bei ihm unsere Stärke. Von diesem Gott wollen wir jetzt singen.
Und der Friede Gottes …