Predigt 6.11.2022, Röm. 14, 10-13.19

6.11.2022

J.Berewinkel

Liebe Geschwister, wir machen heute mal einen kleinen Ausflug nach Rom. Nicht in das Rom der Gegenwart, sondern nach Rom im Jahr 56 nach Christus. Es ist ...

Liebe Geschwister,
wir machen heute mal einen kleinen Ausflug nach Rom. Nicht in das Rom der Gegenwart, sondern nach Rom im Jahr 56 nach Christus.
Es ist Sonntagmorgens und die Gemeinde dort feiert auch gerade Gottesdienst, so wie wir.

Es ist eine sehr lebendige Gemeinde. Immer mehr Leute kommen zum Gottesdienst. Immer mehr Menschen werden Christen. Die hatten vorher an irgendwelche heidnischen Götter geglaubt. Und jetzt haben sie sich Jesus zugewendet, wollen ihm nachfolgen.
Vieles in der Gemeinde ist richtig super. Wenn da nicht diese eine Sache wäre. Die vermiest die Atmosphäre irgendwie.

Es haben sich nämlich in der Gemeinde zwei Lager gebildet. Die streiten sich um ein Thema, das uns heute völlig fremd ist. Aber es war damals bei den Christen hoch brisant.
Es geht um die Frage, was man von Götzenopferfleisch hält.

Damals war es ja so, dass es in jeder Stadt eine Menge Tempel gab für alle möglichen Götter. In diesen Tempeln wurden Tiere als Opfer für die Götter dargebracht. Das heißt, die Tiere wurden im Tempel geschlachtet. Ein bestimmter Teil wurde auf den Altar gelegt und von den Leuten gegessen, die das Opfer gebracht haben. Aber einiges von dem Fleisch blieb auch übrig. Und das wurde auf dem Markt verkauft.

Jetzt gab es Christen, die sagten: Dieses Fleisch ist für andere Götter geopfert worden. Das kann ich als Christ doch nicht essen! Das ist doch eine Art Götzendienst, wenn ich das esse!

Und weil man auf dem Fleischmarkt nie genau wusste, wo welches Fleisch herkommt (Herkunftszertifikate gab es noch nicht), sagten manche Christen: Ich esse überhaupt kein Fleisch. Besser nur Gemüse essen als sich mit Götzenopferfleisch zu verunreinigen.
Aber dann gab es in der Gemeinde andere Leute, die sagten: Ich hab kein Problem damit. Das ist zwar vielleicht für irgendeinen Götzen geopfert worden. Aber diese Götzen gibt es ja sowieso nicht. Was soll’s? Fleisch ist Fleisch. Schmeckt doch lecker!

Und dieses beiden Gruppen standen sich in der Gemeinde gegenüber. Und sie redeten übereinander.

Die Vegetarier sagten: Ah, diese Fleischfresser! Die sind so was von lasch. Die nehmen doch Gottes Gebote überhaupt nicht richtig ernst. Hauptsache es schmeckt ihnen, alles andere ist ihnen wurscht.

Und die Fleischesser, die schüttelten den Kopf über die Vegetarier: Ach, was sind die eng und verbohrt. So gesetzlich und so ängstlich. Wie gut, dass wir da weiter sind. Wir können die Freiheit genießen, die uns Jesus schenkt!

Und so wurde übereinander abgelästert: „Die sind so lasch!“ „Die sind so eng!“ „Die blicken es doch nicht!“ „Die sind doch gar keine richtigen Christen!“
Und die Atmosphäre in der Gemeinde war vergiftet.
Jetzt springen wir mal gerade zurück in die Gegenwart.
Heute gibt es keinen Streit über Götzenopferfleisch.
Aber wir erleben doch in einem zunehmenden Maße eine Fraktionierung der Gesellschaft.
Ganz krass in den USA, Brasilien, Israel.
Aber auch bei uns.

Durch die sozialen Netzwerke hat sich das noch einmal extrem verschärft. Da kannst Du deine negative Meinung über einen anderen Menschen mit einem Klick gleich hundert anderen Leuten mitteilen.
Und du kannst es sogar anonym machen.
Das Netz ist verseucht mit Verurteilungen und Hass und übelsten Verrissen.

Wahrscheinlich gehören Sie nicht zu den Leuten, die jede Woche Hassmails schreiben oder andere Menschen öffentlich zerreißen.

Aber man kann ja so ganz fein und geschickt andere in ein schlechtes Licht rücken. Eine süffisante Bemerkung über den Kollegen im Büro und der andere ist durch. Steht da als der Depp.
Ich glaube, das passiert uns allen ganz leicht. Oder?

Wir springen wieder zurück nach Rom.
Paulus weiß, wie die Lage bei den Christen in Rom ist.
Und er schreibt ihnen einen Brief. Den Römerbrief. In dem Brief spricht er viele Themen an. Und natürlich geht er auch auf diesen Streit ein.

Lesen Röm 14, 10-13.19 (Basisbibel)

Hier ist ein Richterstuhl (Stuhl hinstellen)

Wir lieben es, auf diesem Stuhl zu sitzen.
Über andere zu richten. Unser Urteil zu fällen.
Aber Paulus sagt seinen Leuten in Rom und uns heute:
Das ist nicht dein Platz.
Der Platz ist schon besetzt.
Auf dem Richterstuhl sitzt Gott.
Gott ist der Richter. Er wird über jeden Menschen das Urteil fällen. Und darum brauchen wir es nicht tun.
Und wir können es ja auch nicht. Niemand schaut in einen anderen Menschen hinein. Du weißt nicht, warum ein anderer so reagiert und nicht anders. Letztlich kann wirklich nur Gott über uns Menschen ein angemessenes Urteil fällen. Denn nur Er kennt uns wirklich.

Also, der Richterstuhl ist schon besetzt. Das ist nicht unser Platz.
Wir stehen nicht über den anderen, sondern neben ihnen, als Schwestern und Brüder. Stehen auf derselben Ebene.
Und darum sollen wir sie nicht richten oder verurteilen.

Wobei man da natürlich einen Einwand machen kann:

Wir können doch auch nicht zu allem schweigen!
Wenn Unrecht passiert, wenn einer etwas Schlimmes tut, das muss man doch ansprechen und aussprechen!
Wenn einer nach China reist und mit Xi Geschäfte machen will, dann sollte der nicht zu allem Unrecht schweigen.
Und auch in unserer kleinen Welt ist es doch wichtig, dass wir Konflikte nicht unter den Teppich kehren, sondern ehrlich ansprechen.

Paulus selbst hatte ja auch keine Scheu, kritische Sachen anzusprechen und die Leute zu ermahnen.

Wie geht das:
Nicht richten, aber ermahnen? Nicht verurteilen, aber Konflikte führen und Kritik üben?
Die Grenze zwischen beiden ist hauchdünn.

Ich möchte euch 3 Anregungen geben wie das gehen kann.

1. Nicht über, sondern mit dem anderen reden!

Vielleicht habt ihr das auch schon mal gesehen: In manchen Lokalen gibt es ein Schild mit dem Hinweis:
Wenn Sie mit uns zufrieden waren, sprechen Sie mit anderen darüber! Wenn nicht, sprechen Sie mit uns!

Das ist eine clevere Werbestrategie.
Wir können das aber auch leicht umformulieren und dann zu einer Lebensregel für uns machen:
Wenn es etwas Gutes über einen anderen zu erzählen gibt, erzähl es anderen.
Wenn es etwas Kritisches zu sagen gibt, sag es dieser Person selbst! Und nur ihr!
Was meint Ihr, wie das unsere Gesellschaft verändern würde, wenn das so praktiziert wird! Das Klima in den Büros, in der Nachbarschaft, beim Kaffeeklatsch würde sich schlagartig verwandeln!

2. Prüfe deine Motive!

Aus welchem Motiv heraus sage ich etwas Kritisches?

In der Streitfrage um das Götzenopferfleisch war der Paulus übrigens ganz klar. Er sagt: Das Fleisch ist nicht unrein. Man kann es ruhig essen. Er gibt in der Sache der Fleischesserfraktion Recht.

Aber dann sagt er: Wirklich wichtig ist nicht das Fleisch, sondern die Liebe.
Wenn Du merkst, dass ein anderer Christ durch deinen Fleischgenuss in seinem Gewissen verletzt wird, dann lass es!
Und so sagt er hier im Predigttext: „Lasst uns aufhören, uns gegenseitig zu verurteilen! Achtet vielmehr darauf, den Bruder oder die Schwester nicht zu Fall zu bringen!“

Im Fokus soll nicht die Frage stehen: Wer von uns hat Recht? Sondern: Was dient meinem Mitbruder und meiner Mitschwester?

Bevor ich also etwas Kritisches zu jemanden sage, sollte ich also mein Motiv prüfen:
Warum will ich das sagen? Was treibt mich da?
Ist das Liebe? Will ich damit dem anderen etwas Gutes?
Oder will ich nur Recht behalten, meinen Ärger loswerden, meine Überlegenheit zeigen?

Kritik üben kann ganz wichtig sein. Aber sie wird nur etwas Gutes bewirken, wenn sie aus einer Haltung der Wertschätzung und des Wohlwollens geschieht.

3. In den Schuhen des anderen gehen!

Vielleicht kennt ihr dieses indianische Sprichwort: Bevor du über einen anderen urteilst, geh eine Meile in seinen Mokassins!

Bevor wir über einen anderen Menschen ein Urteil fällen, sollten wir erst mal eine Meile in seinen Schuhen laufen. Das heißt: Uns in seine Lebenssituation hineinfühlen.

Oft machen wir es so: Wir sehen, wie ein Mensch sich verhält, finden das seltsam, ärgerlich und haben ganz schnell unser Urteil über diesen Menschen gefällt. Dabei wissen wir gar nicht, was hinter seinem Verhalten steckt, was ihn dazu gebracht hat, so zu reagieren und nicht anders.

Wir waren als Familie mal in einer fremden Stadt mit dem Auto unterwegs. Wir wollten Freunde besuchen und suchten noch für deren Kinder eine Kleinigkeit. Da kurvten wir also durch dieses Städtchen auf der Suche nach einem Geschäft. Ich achtete überhaupt nicht auf die Schilder, guckte nur links und rechts und plötzlich war ich mitten in der Fußgängerzone. Es war Samstagvormittag, jede Menge Menschen in der Fußgängerzone und wir mit dem Auto da mittendrin. Ich konnte auch nicht einfach wieder rückwärts fahren, sondern musste ein paar Meter durch die Fußgängerzone bis zur nächsten Seitenstraße.
Und Ihr hättet mal die Blicke der Leute sehen sollen! Die sprachen Bände: Was soll denn das! Unverschämt! So ein rücksichtsloser Rüpel! Hat der denn keine Augen im Kopf!

Die dachten genau das von mir, was ich auch von Leuten denke, die mit dem Auto durch die Fußgängerzone fahren!
Weil ich mir nicht die Mühe mache, mich in ihre Situation hineinzudenken. Weil ich nicht in ihren Mokassins laufe.

Bevor wir uns über einen anderen Menschen ein Urteil machen, lasst uns erst eine Meile in seinen Mokassins laufen! Dann werden wir diesen Menschen anders wahrnehmen und anders beurteilen!

Wir sitzen also nicht hier auf dem Richterstuhl.
Der Platz ist besetzt. Der gehört Gott allein.
Wir stehen hier, auf einer Ebene mit unseren Mitmenschen.

Wenn wir nicht über sie, sondern mit ihnen reden,
wenn wir aus Liebe und nicht aus Rechthaberei Kritik üben und wenn wir uns, ehe wir den Mund aufmachen, in den anderen hineinversetzen –

dann wird sich etwas gewaltig verändern, auch bei uns! Dann wird unsere Gemeinde eine klatschfreie Zone.
Ein Ort, wo man zwar um wichtige Dinge streiten und sich auch Kritisches sagen kann, aber alles in einer Atmosphäre der Wertschätzung und Liebe geschieht.

Und dann können wir bei aller Verschiedenheit fröhlich Gottesdienst feiern.

Amen.