Predigt, 7.8.2022 Mk. 12, 41-44

7.8.2022

J.Berewinkel

Der Predigttext, der für diesen Sonntag vorgeschlagen ist, führt uns auf den Tempelplatz in Jerusalem. Der stand damals, wo heute der Felsendom steht. Den haben ...

Der Predigttext, der für diesen Sonntag vorgeschlagen ist, führt uns auf den Tempelplatz in Jerusalem. Der stand damals, wo heute der Felsendom steht. Den haben Sie sicher schon mal im Fernsehen gesehen. Vielleicht waren manche von Ihnen auch schon einmal dort gewesen.
An derselben Stelle war also vor 2000 Jahren der Tempelplatz. Es war ein riesiges Gelände. Mehrere Fußballfelder groß.
Herodes der Große hatte den Tempel neu gebaut. Unglaublich prächtig. Voller Gold und Marmor. Er galt damals als eins der Weltwunder. Juden aus der ganzen Welt kamen dahin. Bei den großen Festen waren zehntausende von Menschen auf dem Tempelgelände. Und auch an normalen Tagen war immer wahnsinnig viel los.

Im hinteren Bereich stand der eigentliche Tempel, wo nur die Priester reindurften. Davor gab es mehrere Vorhöfe. Da waren Altäre, wo Tiere geopfert wurden. Da wurde gesungen und gebetet.
Am Rande saßen die Händler, die Opfertiere und Souveniers verkauften.
Und überall schwirrten Menschen herum. Manche opfern oder beten. Viele trafen sich, um zu diskutieren und viele machten einfach Sightseeing.

Wenn Jesus in Jerusalem war, dann hielt er sich oft auf dem Tempelplatz auf. Er hatte dort heftige Diskussionen mit Priestern und Pharisäern. Er lehrte da seine Jünger. Und manchmal – schaute er einfach den Leuten zu. So beginnt der Predigttext.

Es ist ein ganz kurzer Abschnitt. Wir gehen ihn jetzt einmal Vers für Vers durch.

„Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten.“

In einem der Vorhöfe auf dem Tempelplatz gab es eine Schatzkammer. Davor waren mehrere Spendenbehälter. Opferstöcke, Gotteskästen – wie immer man das nennen will.

Es gibt alte Berichte aus der Zeit, die beschreiben, wie das so ablief. Neben den einzelnen Spendenkästen saß jeweils ein Priester. Die Leute kamen mit ihrem Geld dahin und sagten dem Priester, was sie spenden wollen. Der überprüfte das und bestätigte es. Damit das mit den Finanzen alles sauber ist. Und wir können uns vorstellen: Da war ein reges Kommen und Gehen und Münzen klirren.

Und gegenüber von dieser Stelle setzt sich Jesus hin und schaut zu.
Das ist doch interessant, oder?
Jesus setzt sich hin, nimmt sich Zeit und beobachtet die Menschen. Ihn interessiert das.

Er schaut hin – nicht als der Obernörgler, der immer nur nach Fehlern sucht. Sondern er schaut mit wachem Interesse und großer Wertschätzung.

Und das ist ein Punkt, der ist auch für uns heute wichtig.
An Jesus, der damals auf der Erde war, sehen wir ja, wie Gott ist, wie er heute ist. Wie er zu uns ist.
So wie Jesus damals die Leute anschaute, so schaut er uns heute an.

Früher wurde Kindern manchmal gesagt: Der liebe Gott sieht alles. Da klang dann so eine gewisse Drohung mit: Pass auf! Mach bloß keinen Fehler!

Aber es ist doch eigentlich etwas Wunderschönes, dass Jesus, dass Gott uns anschaut und zuschaut. Er tut es, weil wir ihm wichtig sind. Er schaut uns zu, wie Eltern ihrem Kind beim Spielen zuschauen.
Er schaut uns zu, wie wir leben, wie wir unsere Beziehungen gestalten und unsere Arbeit, wie wir unsere Zeit, unsere Gaben, unser Geld einsetzen.
Er schaut uns an, voller Interesse und Wärme und Wohlwollen. Manchmal auch mit Sorge, aber nie als Nörgler.

Jesus setzte sich und sah dem Volk zu.

„Und viele Reiche legten viel ein.“

Der Tempel war nicht nur wahnsinnig groß und schön. Er kostete auch wahnsinnig viel Geld. Hunderte von Priestern arbeiteten da, viele hundert Leviten, die für Ordnung sorgten. Ständig musste irgendwo saniert und ausgebessert werden. Das kostete alles Geld. Das können Sie sich ja vorstellen. Es gab die Tempelsteuer, die jeder Jude zahlen musste. Aber darüber hinaus brauchte man eben auch diese Spenden.

Wie gut, dass viele Reiche viel einlegten!
Das wird uns übrigens als Kirche in Zukunft nicht anders gehen. Wir haben lange gut von der Kirchensteuer leben können und alles finanzieren können. Die Kirchensteuer wird bald deutlich zurückgehen. Davon werden wir künftig nur noch die Grundversorgung bezahlen können. Wenn wir als Gemeinde etwas aufbauen wollen, wenn wir innovativ werden und neue Leute erreichen wollen, dann wird das nur über Spenden gehen.

Ich bin froh, dass das schon jetzt passiert: Viele von Ihnen spenden. Und etliche spenden richtig viel. Und so können wir tolle Projekte durchführen in der Kirchenmusik oder im Kinderbereich oder in der Kita.

Wenn viele Menschen spenden, kann noch viel mehr wachsen in dieser Gemeinde. Und das wird in den kommenden Jahren noch wichtiger werden.

Also: Viele Reiche legten viel ein.
Und manche zeigten das auch gerne.
Man musste ja dem Priester sagen, wie viel man spendet und manche haben eine richtige Show daraus gemacht. Die kamen da an in prächtigen Klamotten mit einem ganzen Tross von Leuten, zückten ihren großen Geldbeutel und posaunten es laut heraus: 200 € für den Herrn! Oder: Ich spende 500 € für den Herrn!
Und alle drehten sich um und schauten, wie die großen Münzen in den Gotteskasten fielen.
Und dann kommt jemand dahin, der ist ganz anders drauf.

„Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das ist ein Heller.“

Diese Szene muss man sich einmal vorstellen!
Eine arme Witwe.
Diese Frau erinnert uns ein bisschen an die Witwe von Zarepta, von der wir vorhin in der Lesung gehört haben. Sie hat kein Einkommen. Vielleicht keine Kinder, die sie versorgen. Die Verwandten kümmern sich nicht. Eine bitterarme Frau.

Wir sehen sie in abgewetzter Kleidung. Eine hagere Gestalt, verhärmtes Gesicht.

Langsam und scheu geht sie zum Gotteskasten und zeigt dem Priester zwei Kupfermünzen, zwei Lepta. Luther übersetzt das mit „Scherflein“. Es sind die kleinsten Münzen, die es damals gab. Kaum mehr wert als ein 5-Cent-Stück.
„Zwei Lepta für den Herrn“, sagt die Witwe leise und verschämt.

Der Priester nickt grummelnd und winkt die Frau weiter. Es ist so unbedeutend, was die Frau da macht. Die paar Cent. Was soll das! Er hat die Frau im nächsten Moment schon wieder vergessen.

Aber Jesus ist wie elektrisiert.
Er ruft seine Jünger zusammen, weil er ihnen etwas ganz Wichtiges zeigen will. Und so winkt er uns jetzt herbei! Schaut hin und hört zu!

„Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.“

Das ist göttliche Arithmetik.
Zehn Cent sind mehr als fünfhundert Euro.
Denn für Gott zählt nicht das Geld, sondern das Herz.

Jesus sieht deutlich: Die vielen Reichen, die so großzügig gespendet haben – die haben alle etwas von ihrem Überfluss abgegeben.

Das ist ja normal. So spenden wir auch.
Man spendet, was man nicht braucht.
Man gibt von dem, was übrig ist.

Aber bei dieser Witwe ist es anders.
Sie hat alles gegeben, was sie hatte.
Den letzten Heller.

Und Jesus nimmt das wahr.
Er hatte ja so eine besondere Fähigkeit, in das Innere der Menschen schauen zu können. Er war ein Herzenskenner. Das sehen wir in vielen Evangelienberichten: Er schaut einen Menschen an und weiß, was in diesem Menschen vorgeht.
Er sieht diese Witwe und erfasst ihre Lebenssituation.
Er erfasst: Sie gibt hier ihre letzten Reserven in den Opferstock.

Jesus nimmt das wahr.
Und das finde ich sehr bewegend.
Keiner hat diese Frau beachtet. Alle guckten nur nach den Reichen und Schönen. Sie war ein Niemand.
Aber Jesus beachtet sie, und er wertschätzt sie.
Er rückt sie in den Mittelpunkt, und er würdigt, was sie da getan hat. Er hat sie so hochgeschätzt, dass seine Jünger diese Begebenheit festgehalten haben und wir uns bis heute an diese Frau erinnern.
Das ist doch bewegend, oder?

Wir sagten ja vorhin schon: An Jesus sehen wir wie in einem Spiegel wie Gott ist. Wie Gott zu uns ist.

Gott sieht und achtet das Kleine, Unscheinbare.
Er sieht dich in deiner Situation.
Er sieht und würdigt deinen Einsatz, den kein anderer wahrnimmt. Deinen Einsatz für deine Familie, für deine Nachbarin und den Kollegen.
Er sieht und würdigt, was du für Gott tust, auch wenn es nur ganz klein aussieht.
Er sieht den kleinen Schritt, den du auf ihn zugehst.
Er sieht das kleine Fünkchen Glauben, mit dem du dich ihm zuwendest.

Jesus sieht tief in unser Herz und in das Herz dieser Frau und er würdigt, was er da sieht.

Aber es bleibt ja die Frage:
Warum macht die Frau das eigentlich?
Wieso spendet sie ihr letztes Geld für Gott?
Habt Ihr eine Idee?

Sie musste das nicht. Es gab keine Pflicht, da etwas in den Kasten zu werfen.
Sie wusste auch selber, dass die paar Cent für den Tempelerhalt völlig belanglos waren.

Und wenn sie unbedingt etwas spenden will: Warum gibt sie nicht nur ein Lepta, sondern alles?

Es könnte sein, dass sie sich mit diesem Schritt ganz und ganz bewusst in Gottes Hände fallen lässt.
Pokerspieler würden sagen: Sie geht „all in“. Setzt alles, was sie hat, auf Gott.

Es ist ein Schritt der Hingabe. Komplette Hingabe.
Ich gebe dir alles, was ich habe und verlasse mich ganz auf dich! Ich lasse mich in deine Hände fallen und vertraue darauf, dass du für mich sorgen wirst.

Jesus sagt: Sie hat alles eingelegt, was sie zum Leben hatte.
Da steht im griechischen Original das Wort „bios“. Das kennen wir von „Biologie“ und so. „Bios“ bedeutet „Leben“ und dann auch das, was man zum Leben brauch, der Lebensunterhalt.

Jesus sagt hier also wörtlich:
Sie hat ihr ganzes Leben eingelegt.
Sie hat ihr ganzes Leben auf Gott gesetzt.

Im Kleinen verbirgt sich etwas Großes.
In zwei kleinen Münzen verbirgt sich eine große Hingabe.

Wie könnte bei uns so ein Akt der Hingabe an Gott aussehen?
Wo könntest du vor Gott deine Taschen leer machen?
Wo könntest du ein Wagnis eingehen?
Es geht nicht um große Taten, sondern um kleine Zeichen echten Vertrauens.
Welche Kupfermünzen könntest Du ihm geben?

Jesus war jedenfalls tief berührt von dieser Frau. Vielleicht auch deswegen, weil er genau das gleiche tun wird.
Nur wenige Tage nach dieser Szene auf dem Tempelplatz wird Jesus verhaftet werden und verurteilt und hingerichtet werden. Er weiß das schon. Und er geht bewusst diesen Weg.

Er hat auch sein ganzes Leben eingelegt.
Er hat sich auch ganz an Gott hingegeben, für uns.

Gleich werden wir das Abendmahl feiern.

Da gibt uns der Auferstandene zwei ganz unscheinbare Dinge: Ein kleines Stück Brot.
Ein kleiner Schluck Wein.
Wie zwei kleine Kupfermünzen.

Aber in dem Kleinen verbirgt sich eine große Hingabe.
In diesen kleinen Zeichen schenkt er sich selbst, da gibt er uns Anteil an sich.
Kleine Zeichen einer großen Hingabe.

Wir können unsere Hände leer machen wie die Hände der armen Witwe leer waren. Und dann können wir uns mit leeren Händen von Gott beschenken lassen.
Amen.