Predigt: 8.5.2022 (Gen. 1,1)

9.5.2022

J.Berewinkel

(F. 1) Liebe Geschwister! „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Das ist der erste Satz der Bibel und es ist der wichtigste. Hier wird das Fundament gelegt. Alles Weitere ...

(F. 1)
Liebe Geschwister!
„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“
Das ist der erste Satz der Bibel und es ist der wichtigste.
Hier wird das Fundament gelegt.
Alles Weitere baut auf diesem ersten Satz auf.
Wenn das nicht wahr ist, dann kann man alles Weitere in der Bibel vergessen.

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“
Das ganze erste Kapitel im Buch Genesis entfaltet diesen Satz. Wir haben das eben in der Lesung gehört.
Da wird die Fülle der Welt beschrieben:
Dunkel und Licht
Wasser und Land
Die Planeten
Pflanzen, Tiere, Menschen.

Das ist natürlich kein naturwissenschaftlicher Bericht, sondern ein Bekenntnis.
Ein Bekenntnis, das in poetischer Form sagt:
Diese ganze Welt mit ihrer Schönheit und ihren Rätseln ist Schöpfung. Sie ist hervorgebracht von einer unvorstellbar großen und kreativen Macht.

Eigentlich müssten wir jetzt alle miteinander raus gehen und uns in den Wald setzen und uns das alles anschauen: Die Buchen, die jetzt so wunderbar grün sind, die Buschwindröschen, die Maiglöckchen, die Käfer, die Wolken.
Wir müssten auf die Rotkelchen hören und den Amseln lauschen und dem Summen der Insekten.
Und dann sagen: Wow! Wie schön! Wie erstaunlich, dass es das gibt!

Und wir selbst, die wir da im Wald hocken, wir sind ja Teil davon. Wir beobachten die Schöpfung und sind selbst Geschöpfe, wie Buche und Käfer.

Alles, was wir da sehen und bestaunen und auch wir selbst sind Schöpfung.
Da steckt jemand hinter, der das hervorgebracht hat: Eine kreative Macht,
ein geheimnisvoller Wille.

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“

Manchmal sagen mir Menschen, wenn wir auf den Glauben zu sprechen kommen: Ach, ich hab’s nicht so mit der Religion. Mich interessiert das Thema nicht.

Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen.
Wenn jemand sagt: Ich hab intensiv darüber nachgedacht wie das ist mit Gott und der Schöpfung und bin jetzt zu der Überzeugung gekommen: Nein, ich glaube nicht daran – dann ist das nachvollziehbar und muss respektiert werden. Aber zu sagen: Mich interessiert das nicht und ich will auch gar nicht groß darüber nachdenken – das kann ich nicht begreifen.

Denn die Frage, ob es jemanden gibt, der diese wunderbare Welt hervorgebracht hat oder nicht – die hat Auswirkungen auf unser Leben.

Es gibt ja eine Menge Fragen, die sind vielleicht interessant, aber für unser Leben irrelevant.
Ob es zB in irgendwelchen anderen Galaxien Lebewesen gibt oder nicht – da kann man trefflich drüber diskutieren, aber es ist irrelevant für uns. Es ändert nichts.

Aber die Frage, ob es Gott gibt oder nicht, die ist hoch relevant. Da geht es nicht um irgendwelche müßigen Spekulationen, sondern um etwas, das mein Leben in allertiefster Weise beeinflusst.

(F 2)
Ich möchte Ihnen einen Mann vorstellen, der hat intensiv über diese Frage nachgedacht: Jonathan Sacks. Er lebte in England, starb vor 2 Jahren. Er war Philosoph und er war zugleich jüdischer Rabbiner. Jonathan Sacks hat sich intensiv mit dem Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Religion beschäftigt. Er hat da viel geforscht und geschrieben, war öfters im Fernsehen, hatte von mehreren Universitäten Ehrendoktortitel erhalten, wurde sogar von der Queen zum Ritter geschlagen. Ein großer Gelehrter. Und dieser Jonathan Sacks sagt:

Es gibt zwei unterschiedliche Erzählungen zur Welt. Die eine geht ungefähr so:

Vor knapp 14 Milliarden Jahren hat es einen großen Knall gegeben. Vor diesem Knall war – Nichts.
Bei diesem Knall ist ein winziger Klumpen von Materie explodiert. Materie, die unvorstellbar dicht komprimiert war. Sie dehnte sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit aus. In den ersten Mikrosekunden entstanden aus dem Nichts Raum und Zeit, die Gravitation, die Naturgesetze.
Aus diesem winzigen Klumpen Materie bildeten sich die ersten Atome. Aus Nebeln von Materieteilchen entstanden die Sonnen, die Planeten und alles, was ist.
Einer dieser Milliarden von Planeten kreiste um seine Sonne in zufällig genau dem richtigen Abstand; nicht zu nah, so dass alles verbrennt, nicht zu weit weg, so dass alles gefriert.
Dort entstand zufällig Wasser und durch einen gewaltigen Zufall entstand im Wasser eines Tages Leben. Leben aus toter Materie. Diese Lebensformen entwickelten sich. Sie wurden immer komplexer durch eine endlose Kette von Zufälligkeiten und durch einen knallharten Verdrängungswettbewerb. Was gut funktionierte, überlebte und verbreitete sich. Der Rest verschwand.
So entstanden Pflanzen, Fische und bald Landtiere.
Und dann entstand, durch eine sensationelle Folge von weiteren Zufällen, ein Wesen, das ein erstaunlich großes Gehirn besaß. Dieses Wesen konnte nicht nur gut jagen und Werkzeuge bauen. Es begnügte sich auch nicht damit, zu essen und sich fortzupflanzen. Es fing an, über sich selbst nachzudenken. Es stellte Fragen, die nicht dem Überleben dienen. Es überlegte, wo es herkommt und wozu es auf der Welt ist. Es schrieb Gedichte und sang Lieder und malte Bilder. Es fing an, an höhere Mächte zu glauben und hoffte auf ein Leben nach dem Tod. Aber diese ganzen Gedanken waren natürlich nur eine Spielerei der Natur, ein Nebenprodukt von überschüssigen Gehirnaktivitäten, im Grunde ein Irrweg der Evolution.
Denn so wie diese Welt aus dem Nichts geworden ist, so wird sie eines Tages vergehen.
Eines Tages wird sich unsere Sonne aufblähen und alles Leben auf dem Planeten Erde wird verbrennen.
Und das Weltall wird sich nach endloser Ausdehnung wieder in einem Big Crunch zusammenziehen und im Nichts verschwinden.

Das ist die eine Erzählung, sagt Sacks.

Die andere Erzählung geht so:
Vor unendlich langer Zeit hat Gott einen Anfang gesetzt. Er schuf Raum und Zeit und rief diese Welt ins Dasein. Er steckte seine Energie hinein, so dass Sonnen und Planeten entstanden. Er gab den Funken, dass aus toter Materie Leben erwachte. Er ließ die Fülle der Lebensformen wachsen: Die Pflanzen und Tiere. Und am Ende ließ er Menschen entstehen. Wesen, die sein Ebenbild sind, ein Gegenüber, das fähig ist, Beziehungen einzugehen. Gott legte in uns Menschen die tiefen Fragen hinein: Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Wozu sind wir auf der Welt?
Gott schuf diese Welt und uns Menschen, weil er Liebe ist und weil er Wesen wollte, die auf seine Liebe antworten können, die Liebe empfangen und weitergeben können. Und am Ende kehrt unser Leben und unsere Welt zu Gott zurück. Er ist der Anfang und das Ziel von allem.

Zwei Erzählungen.
Und Sie merken, wie gravierend der Unterschied ist.

Wenn die erste Erzählung wahr ist, dann kommen wir aus dem Nichts und wir verschwinden im Nichts.
Und die ganzen grundlegenden Fragen, die sich jeder Mensch stellt, bleiben ohne Antwort.

(F 3)
Woher komme ich? Warum gibt es etwas? Warum bin ich da?
Man kann dann auf diese Fragen nur die Schultern zucken.
Und auch die Frage nach dem Wozu bleibt ohne Antwort. Wenn die Welt und das Leben nur aus einer Kette von Zufälligkeiten entstanden ist, dann hat die Welt keinen Sinn. Und wenn die Welt als Ganzes keinen Sinn hat, dann hat auch mein kleines Leben keinen übergeordneten Sinn. Ich kann mir zwar einen Lebenssinn ausdenken. Ich kann mir vornehmen: Ich will Spaß haben oder berühmt werden oder Gutes tun. Das ist mein Lebenssinn. Aber so ein selbstgemachter Lebenssinn ist willkürlich. Der ist wie ein kleines Stück Kunstrasen in einer Wüste der Sinnlosigkeit.

Wenn die erste Erzählung wahr ist, dann gibt es kein Woher und kein Wozu. Und es gibt auch kein Wohin. Wenn ich nicht mehr bin als die Atome, aus denen mein Körper besteht, dann verschwinde ich im Nichts. Es bleibt nichts übrig.

Wenn die erste Erzählung wahr wäre, dann hätte das für unsere Sicht vom Leben ziemlich deprimierende Folgen.

(F 4)
Ganz anders, wenn die zweite Erzählung wahr ist.
Wenn Gott diese Welt geschaffen hat, dann steht hinter deinem Leben kein Zufall, sondern ein Plan, ein Wille. Du bist gewollt. Dass es Dich gibt, das sollte so sein. Da ist jemand, der dich und mich ins Dasein gerufen hat, weil er uns liebt. Ich bekomme einen ganz anderen Blick auf mein Leben, wenn ich mich so sehe.

Und ich sehe auch die Natur mit ganz anderen Augen, wenn ich Gott dahinter sehe; wenn ich die Bäume und die Blumen, die Vögel und den Himmel als Geschöpfe sehe, die Gott hervorgebracht hat.
Wenn die zweite Erzählung wahr ist, dann haben wir ein Woher.

Und wir haben dann ein Wozu.
Wenn Gott die Welt geschaffen hat, dann hat das Leben einen Sinn. Einen Sinn, dem wir auf die Spur kommen können. Gott hat uns als Beziehungswesen erschaffen, damit wir in guten Beziehungen leben und Liebe verschenken. Er hat uns mit Intelligenz und Kreativität geschaffen, damit wir in seinem Sinne diese Welt gestalten und bewahren. Und er hat uns als seine Ebenbilder geschaffen, damit wir mit ihm in vertrauensvoller Beziehung leben, als seine Söhne und Töchter.

Und wenn wir dann sterben, dann verschwinden wir nicht im Nichts. Sondern Gott wird uns ein neues Zuhause schenken in seiner Welt.

Wenn Gott diese Welt geschaffen hat, dann gibt es ein Woher, ein Wozu und ein Wohin.

Es macht einen gewaltig großen Unterschied, welche der beiden Erzählungen wahr ist, welcher wir glauben. Es führt zu völlig unterschiedlichen Perspektiven auf unser Leben.

Jetzt gibt es leider keinen objektiven Beweis für die eine oder andere Erzählung. Keine Naturwissenschaft und keine Theologie kann da einen sicheren Beweis bringen.
Aber wir können auf Spurensuche gehen.

Der Sonntag heute heißt ja Jubilate!
Die Aufforderung für heute heißt nicht: Grübelt! sondern: Jubelt!

Und da ist, glaube ich, eine Fährte, die wir aufnehmen können: Uns an der Schöpfung freuen. Darüber staunen und jubeln. Das kann uns weiterbringen.

Vielleicht können Sie ja heute Nachmittag einen Spaziergang machen; durch den Kottenforst streifen und bewusst hinschauen: Einen Baum betrachten, eine Blume bewundern, einem Vogel zuhören, eine Biene beobachten.
Staunen und wundern und dann einmal dem Gedanken Raum geben: Wow! Das alles ist Schöpfung. Gewollt, erdacht, geschaffen von einer großen Kraft, von einer großen Kreativität.

Und dann können Sie anfangen zu jubeln, vielleicht zaghaft und leise. Vielleicht auch mit großer Freude und Gewissheit.

Und vielleicht können Sie dann mit einstimmen in das Bekenntnis, in den ersten und wichtigsten Satz der Bibel: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“

Amen.