Predigt: 9.10.2022: Glaube, der die Welt überwindet

9.10.2022

J.Berewinkel

Sehnsucht nach Superhelden und dem Sieg des Guten Liebe Gemeinde, sechs Superheldenfilme von Marvel werden dieses Jahr im Kino zu sehen sein, oder waren dort schon zu ...

Sehnsucht nach Superhelden und dem Sieg des Guten

Liebe Gemeinde,
sechs Superheldenfilme von Marvel werden dieses Jahr im Kino zu sehen sein, oder waren dort schon zu sehen. Dazu starten noch sechs Marvel-Serien, ebenfalls mit Superhelden angereichert. DC veröffentlicht ebenfalls sogar mehr als sechs Superheldenfilme in diesem Jahr. Unter den Helden finden sich Namen wie Dr. Strange, Thor oder Black Panther.
Falls Ihnen die Namen der Helden nicht viel sagen, ist das nicht weiter schlimm. Denn die Filme verlaufen durchaus nach dem gleichen, sehr erfolgreichen Schema. Ein Benachteiligter bzw. Außenseiter – der oft besonders begabt ist, man denke an Superman oder gleich den Gott Thor, oder dem etwas Besonderes passiert, wie Spiderman oder Hulk – wird zum Kampf gegen das Böse gerufen, und triumphiert schließlich auch. Und wenn nicht sofort, dann in der Fortsetzung.
Obwohl – oder gerade weil – die Geschichten sich oft ähneln, sind sie so erfolgreich. Wir genießen es, uns zurückzulehnen, mit Popcorn, Cola oder Bier im Kinosessel zu versinken und die Action zu bewundern. Die Fülle der aktuellen Superheldenfilme zeigt: Wir sehnen uns scheinbar nach dem Sieg des Guten.
In diesen Filmen scheint ein ganz tiefes Bedürfnis des Menschen erfüllt zu sein.

Und doch wissen wir genau: die Welt ist nicht einfach in gut und böse unterteilt. Alle, die sich als Retter ihres Volkes sehen oder sahen, die mit Gewalt gegen das Böse an sich, oder heutzutage auch gegen „westlichen Satanismus“ vorgehen wollten, werden schnell selbst zum Bösen. Obwohl sie sich ja oft als die Guten ansahen. So berechtigt oder unberechtigt diese Selbstwahrnehmung auch war. Die Einteilung in gut und böse taugt in unserer Welt nicht viel. Man vergisst schnell Details oder ignoriert das Leid der Menschen, die auf der anderen Seite stehen.

Der Gottesknecht
Das Volk Israel machte 587 vor Christus eine prägende Erfahrung. Die Hauptstadt Jerusalem wurde zerstört und in mehreren Deportationswellen wurde ein großer Teil der Bevölkerung ins Exil nach Babylon geschickt. Die Könige hatten versagt. Sie konnten die Unabhängigkeit Israels nicht sicherstellen. Immer wieder hatte man auf einen mächtigen Helden gewartet, der Babylon zurückschlagen konnte. Aber kein göttlicher Superheld war gekommen. Und Israel als Staat war untergegangen.
In dieser Zeit wurden viele Annahmen der Vergangenheit hinterfragt. Und eine neue Stimme ist in den sogenannten Gottesknechtsliedern zu hören. Sie sind uns im Jesajabuch überliefert worden.
Text
Ich lese einen Teil des zweiten Gottesknechtslieds:
Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merkt auf!
Der Herr hat mich berufen von Mutterleibe an;
er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war.
2Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt.
Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt.
3Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will.
4Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz.
Doch mein Recht ist bei dem Herrn und mein Lohn bei meinem Gott.
5Und nun spricht der Herr, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet hat,
dass ich Jakob zu ihm zurückbringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde – und ich bin vor dem Herrn wert geachtet und mein Gott ist meine Stärke –,
6er spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen,
sondern ich habe dich auch zum Licht der Völker gemacht, dass mein Heil reiche bis an die Enden der Erde.

Mit diesen Worten spricht der Gottesknecht. Das sind eindrückliche Sätze. Allerdings nicht leicht verständlich. Ein paar Punkte sind mir aufgefallen.
Licht für alle Menschen
Was mir als Erstes auffällt: Der Gottesknecht soll ein Licht sein. Er soll dabei von allen Menschen gesehen werden. Nicht nur den Zerstreuten Israels soll er leuchten, sondern auch denen, die Israel in die Deportation gebracht haben. Auch den vermeintlichen Feinden gilt also das Licht, das Heil des Gottesknechts. Sie werden nicht bekämpft, sondern miteingeschlossen in das Heil.
Friedliches Vorgehen
Dann ein Zweites: Der Gottesknecht sieht sich als scharfes Schwert und als spitzer Pfeil. Ganz schön gewalttätig. Aber nur auf den ersten Blick. Denn der Mund ist nun das Schwert und der Pfeil wird verwahrt. Und der Mund, Worte können auch eine Waffe sein. Allerdings erscheint es mir hier anders gemeint zu sein: Der Gottesknecht soll durch seine Worte Gottes Bote sein und nicht durch Waffen anderen seine Botschaft aufzwingen. Er soll den Menschen von Gott erzählen. Er soll so etwas bauen – vielleicht auch altes niederreißen –, aber nicht brutal zerstören.
Enttäuschung und Hoffnung
Das Dritte ist dieser Satz, der Enttäuschung, aber auch Hoffnung ausdrückt: „Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz… doch mein Lohn ist bei meinem Gott.“ Der Gottesknecht sieht sich scheitern. Vielleicht wünscht er sich manchmal doch, dass er ein echtes Schwert hätte und nicht nur seinen Mund, auf den die Menschen nicht hören. Das spannende ist aber, dass er – auch wenn er kein Ergebnis seiner Arbeit sieht – darauf vertraut, dass sein Lohn bei Gott ist.
Jesus ist das Licht
Wer ist aber dieser Knecht?
Das gehört zu den großen Rätseln des Alten Testaments.
Einige Ausleger sehen im Gottesknecht einen Propheten sprechen.
Viele jüdische Texte sehen im Gottesknecht aber den kommenden Messias. Verschiedene Autoren beschäftigen sich dann damit, wann und wie der Gottesknecht kommen könnte.
Und auch wir Christen sind es gewohnt, den Gottesknecht mit unserem Messias, mit Jesus Christus, zu identifizieren.
Vielleicht ist Ihnen das direkt in den Sinn gekommen, als Sie die Worte „ich habe dich zum Licht der Völker gemacht“, gehört haben.
Jesus sagt beim Evangelisten Johannes bekanntlich: „Ich bin das Licht der Welt.“
Der Text kann gut auf Jesus bezogen werden: Jesus wendet sich zuerst an Israel, dann aber auch an alle Menschen, indem er etwa der kanaanäischen Frau hilft, die nicht zu Israel gehört; er predigt, anstatt militärisch zu kämpfen; er leistet bei seiner Verhaftung keinen Widerstand.
Und auch Jesus hat oft die Erfahrung des Scheiterns gemacht. Nur ganz wenige Menschen hören ja wirklich auf ihn.
Einmal heilt Jesus zehn Aussätzige und nur einer kommt zurück zu ihm. Jesus wird dann später verraten und gefoltert. Dann stirbt er am Kreuz, von der Menge verspottet. Eigentlich gescheitert.
Aber doch macht Gott ihn zum Licht.
In dem Gottesknechtslied klagt der Knecht zuerst. „alles ist vergeblich, unnütz und umsonst“. Und dann antwortet Gott ihm: „ich habe dich zum Licht der Völker gemacht.“
Und so erweckt Gott den gescheiterten Jesus von den Toten. Wie genau man die Auferstehung auch verstehen mag, bin ich davon überzeugt, dass das Christentum keinen Bestand gehabt hätte ohne sie. Hätten die Jünger nicht doch Jesu Gegenwart auch nach seinem Tod erlebt, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Bewegung Bestand gehabt hätte.
Gott hat Jesus für uns zum Licht gemacht. Eine mögliche Interpretation des Textes.
Jeder ist ein Licht
Es gibt aber auch eine andere reizvolle Interpretation. Diese Interpretation stammt aus dem babylonischen Talmud. Dort heißt es, dass jede und jeder Einzelne ein Gottesknecht ist. Jeder und jede kann zum Licht für andere werden. Und dabei ist es egal, ob man nur einem einzigen Menschen leuchtet, oder einhundert Menschen: „Ein Licht für einen, ein Licht für hundert Menschen.“
Und etwas Ähnliches sagt auch Jesus in den Evangelien. Er sagt den Jüngern: Ihr seid das Licht der Welt.
Wir sind von also Jesus aufgefordert, der Welt ein Licht zu sein.
Im Gottesknechtslied heißt es gleich an drei Stellen, dass der Knecht schon von Mutterleibe an von Gott ausgewählt wurde. Quasi schon vor der Geburt wurde der Knecht zum Licht gemacht. Das klingt ja schon etwas pathetisch. Wer würde behaupten, dass er als Baby von Gott mit einer Aufgabe betraut wurde?
Paulus drückt diesen merkwürdigen Gedanken etwas anders aus. Er sagt: Jeder Mensch hat von Gott seine Gaben erhalten. In diesen Gaben sollen die Menschen Gott loben und auf ihn hinweisen. Der eine kann vielleicht gut reden, der andere gut zuhören und wieder einer kann heilen oder ist handwerklich begabt. Vielleicht wissen Sie, wo bei Ihnen eine solche Gabe liegt, vielleicht müssen Sie auch noch darüber nachdenken.
Aber ich bin mir sicher, es gibt sie. Und in diesen Gaben scheint ihr Licht.
Superkraft des Glaubens
Und so entwirft das Gottesknechtslied ein neues Heldenkonzept, das sich für uns in Jesus Christus erfüllt, uns sogar uns miteinschließt. Jedem Menschen hat Gott die Gabe gegeben, Licht zu sein.
Denn das Licht, das wir ausstrahlen, speist sich aus Gott selbst.
Und Jesus hat die Menschen immer wieder eingeladen, auf Gott zu schauen – sei es im Gebet oder im Abendmahl – und so sein Licht aufzunehmen.
Ich stelle mir das ein bisschen so vor, wie wenn der Mond von der Sonne angestrahlt wird, und dann nachts selbst zu leuchten beginnt. Wenn wir auf Gott schauen, fangen wir automatisch an zu leuchten, auch wenn wir das meistens gar nicht richtig merken.
Und von diesem Leuchten umgeben, können wir die Kraft finden, auf Menschen friedlich zuzugehen, ob sie uns freundlich oder eher feindlich begegnen; Wir können uns auch gegenseitig stärken und unsere Gemeinschaft feiern.
Vielleicht ist es gerade in dieser Zeit, wo viele Lichter zum Energiesparen ausgeschaltet sind, wichtig, dass wir einander leuchten. Dass wir uns einfach treffen und uns Zeit nehmen uns zuhören – in unseren Sorgen und Hoffnungen. Dass wir diese Sorgen und Hoffnungen vor Gott bringen. Uns gegenseitig unterstützen, wo es mal nötig ist. Einzelne nicht in Verbitterung und Hoffnungslosigkeit abrutschen lassen.
Auch wenn unsere Bemühungen meist Stückwerk bleiben, können wir vertrauen, dass Gott uns trotzdem zum Licht machen wird. Denn das Licht Gottes, das auf uns scheint, und uns scheinen lässt ist unsere Superkraft.
So verhelfen wir wie die Superhelden dem Guten zum Sieg: schon, wenn wir nur für einen einzigen Menschen da sind.
Und wenn wir darauf vertrauen, entsteht der feste Glaube, von dem der Wochenspruch sagt, dass er der Sieg ist, der die Welt überwunden hat.
Amen