Predigt 30.10.2022, Hld 8,6b-7

30.10.2022

J.Berewinkel

Liebe Gemeinde, Wir hören heute ein Liebeslied, und zwar kein Liebeslied, das Gott den Menschen singt, sondern ein Liebeslied einer Frau für ihren Geliebten. Das wurde ...

Liebe Gemeinde,
Wir hören heute ein Liebeslied, und zwar kein Liebeslied, das Gott den Menschen singt, sondern ein Liebeslied einer Frau für ihren Geliebten. Das wurde erst spät erkannt: für das rabbinische Judentum und die Alte Kirche war es doch sehr anzüglich, dass es echte erotische Literatur in der Bibel gibt, die zwar poetisch formvollendet daherkommt, dann auch oft so deutlich formuliert. So wurde versucht, das Lied so auszulegen, dass es eigentlich um Gott und Israel bzw. die Kirche gehe. Aber was im 18. Jh. langsam anerkannt wurde, hat sich heute durchgesetzt: Es geht hier wirklich um die Liebe zwischen zwei Menschen.
Ich lese den Text des Hohelieds nach der Übersetzung von Martin Luther, der zwar etwas anders übersetzt als die neuste Ausgabe der Lutherbibel, aber den Sinn dieses kleinen Gedichts sehr gut trifft:
6 Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, 7 so dass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können. Wenn einer alles Gut in seinem Hause, um die Liebe geben wollte, so könnte das alles nicht genügen.

Liebe Gemeinde,
der Predigttext ist ein beliebter Trauspruch. Ich möchte erst einmal in die Runde Fragen: Hat jemand von Ihnen diesen Trauspruch gewählt?
Ich habe ja im Sommer selbst geheiratet und fühle mich noch ganz frisch verliebt – auch wenn die Hochzeit durch Corona dreimal verschoben werden musste und nun mit über zwei Jahren Verspätung stattfand.
Ich finde es schön, dass in der Bibel, dem Buch des Lebens, auch die Liebe von zwei Menschen so im Mittelpunkt stehen kann. Zum Leben gehört eben auch diese Liebe.
Aber gleichzeitig sagt die Liebe zwischen zwei Menschen auch etwas über Gott. Ich möchte mit Ihnen drei Schritte durch den Text gehen, möglichst ohne Ihnen dabei eine Traupredigt zu halten.

Erster Schritt: „Liebe ist stark wie der Tod, die Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich.“ In diesem Satz steckt eine Erfahrung, die jeder Liebende macht: Die Liebe hat nicht nur Macht, sie ist selbst eine Macht, sie überwältigt, lässt nicht locker, bestimmt unser Denken.
Marcel Reich-Ranicki hat einmal gesagt, dass Literatur eigentlich nur von den Themen Tod und Liebe handelt. Hier werden beide nebeneinandergestellt und verglichen.
Der Tod bestimmt unser ganzes Leben – ja der Tod macht uns erst zum Geschöpf, zum Menschen.
Die Bibel erzählt davon ganz am Anfang in mythischer Sprache bei der Erschaffung des Menschen: Von Erde sind wir genommen, zu Erde müssen wir werden. Gott nahm einen Klumpen Erde und hauchte ihm Atem ein. Adam, der erste Mensch, kommt von Adamah – dem hebräischen Wort für Erde. Und zur Erde wird der Mensch am Ende wieder werden.
Die Bibel drückt hier mythisch aus, dass wir schon bei der Schöpfung, bei der Geburt auf den Tod zugehen. Leben als Geschöpf beinhaltet den Tod. Der Tod ist eine Macht, ja die Grenze die das Leben bestimmt.
Dann stellt das Hohelied dem Tod die Liebe entgegen. Wie der Tod allgemein ist, jeden trifft, ist es auch die Liebe. Kein Mensch kann sich der Liebe entziehen. So unwiderstehlich wie das Totenreich für den Menschen ist, so ist es auch die Liebe.
Irgendwann trifft die Liebe jeden. Genau so, wie wir durch die Macht des Todes bestimmt sind, sind wir auch durch die Macht der Liebe bestimmt.

Zweiter Schritt: „Eine Flamme des Herrn ist sie.“
Wer verliebt ist, ist nicht er selbst. Wer Kinder hat, die dann irgendwann das erste Mal verliebt sind, kann das vielleicht an ihnen beobachten.
Gerade am Anfang einer Liebe verhalten wir uns oft sehr merkwürdig. Manchmal vergessen wir eine wichtige Verabredung, weil wir mit der Liebe beschäftigt sind. Wir haben ein Leuchten in den Augen, wenn wir anderen von unserer Liebe erzählen. Ein Leuchten, das nicht aus uns selbst kommt.
Denn für das Hohelied kommt die Liebe nicht aus dem Menschen, sie ist mehr als ein Trieb, mehr als eine chemische Reaktion. Der Dichter oder die Dichterin, hier spricht ja gerade die Frau zu ihrem Geliebten, weist darauf hin.
Luther hat es erkannt, die heutige Lutherbibel drückt es dagegen nicht mehr klar aus. Denn im Hebräischen Wort für Flamme (Schalhaebaetijah שַׁלְהֶ֥בֶתְיָֽה) ist ein Jah versteckt. Jah ist ein Kürzel für Gott, das in dem bekannten Halleluja, gelobt sei Gott, begegnet. Flamme Jahs, eine Flamme Gottes, das ist die Liebe.
Gott hat den Menschen aus Erde gemacht. Er hat dem Menschen seinen Atem eingehaucht. Und mit seinem Atem, hat er uns auch die Flamme der Liebe eingehaucht. Die Flamme der Liebe, die Gott uns gegeben hat, macht uns erst richtig lebendig.
Die Liebe ist für das Hohelied eine Gabe Gottes. Franz Rosenzweig hat das so ausgedrückt: Der Mensch liebt, weil und wie Gott liebt. Und der Mensch darf lieben, weil ihm die Fähigkeit zur Liebe von Gott gegeben wurde.
Auch wenn es über Jahrhunderte im Christentum wenig beachtet wurde: Jede Liebe, auch die erotische Liebe, kommt in der Bibel von Gott. Er wünscht sich, dass wir uns lieben und gibt uns die Flammen dazu.
So mag jedes Hallelujah auch eine Aufforderung sein, zu lieben, und jede Liebe eine Aufforderung zu einem Gotteslob.

Dritter Schritt: „Wenn einer alles Gut in seinem Hause, um die Liebe geben wollte, so könnte das alles nicht genügen.“
Im Leben verändert sich die Liebe. Sie ist nicht statisch. Die Liebe muss immer wieder gepflegt werden, man muss an ihr arbeiten.
Meine Frau und ich haben etwa die Tradition, dass ich ihr jede Woche Blumen kaufe. Wir versuchen auch jede Woche, auszugehen, ins Kino oder in ein Restaurant.
Es wäre falsch, wenn man gar nichts von seinem Gut für die Liebe gibt. Liebe ist ja durchaus anstrengend. Man investiert sehr viel Zeit und auch Geld in die Liebe.
Aber wenn die Liebe so stark wie der Tod ist, ist es auch wichtig, sie zu pflegen, so gut es geht. Die Liebe kann dann vollständig werden: Eros, Freundschaft, Anteilnahme, Sorge vermischen sich, im besten Fall wird die Verbindung zwischen zwei Menschen immer tiefer. Ich kann mir gar nicht richtig vorstellen, wie intensiv die Liebe nach 20, 30 oder 40 Jahren sein muss.

Aber dieser Vers enthält eine Warnung: So wie Liebe eine Gabe ist, ist sie unverfügbar. Auch wenn einer alles für die Liebe gibt, gibt es keine Garantie, dass er sie erhält. Die Liebe lässt sich nicht kalkulieren. Dann spüren wir die Macht der Liebe in ihrer Abgründigkeit:
Wie der Tod lässt sich die Liebe nicht beherrschen. Auch mit allem Geld der Welt nicht.
Manchmal, das gehört auch zum Wesen der Liebe, verlässt sie uns. Auch wenn man dann alles gibt, bleibt vielleicht nichts anderes übrig, als ihr Ende zu akzeptieren: Alles, was wir besitzen, kann nicht gegen die Liebe eingetauscht werden.
Das Ende der Liebe führt zu viel Schmerz. Vielleicht haben das einige erlebt. Man versucht alles, und doch trennt man sich. Das muss ja nicht mal in der Ehe sein. Jeder der mal das Ende einer Beziehung erlebt hat, kann das nachvollziehen.
Wenn die Liebe wirklich ganz entschwindet, ist es gut, dass schon in den ältesten Gesetzen Israels Regeln zur Trennung festgeschrieben sind. Sie dienen zum Schutz davor, dass die Liebe, die dem Tod an Macht ebenbürtig ist, für die ehemals Liebenden selbst zum Tod wird.
Wenn der Abschied nicht gelingt, wenn zwei Menschen zusammenbleiben müssen ohne Liebe, verhärtet sich das Herz. Die Härte des Herzens – von der Jesus in der Lesung spricht – kann es auch sein, den Geliebten nicht gehen zu lassen, wenn es an der Zeit ist.
Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch sicher nicht trennen. Wir sollen ganz sicher niemanden dazu zwingen auseinanderzugehen, weil die Beziehung nicht unseren Wert- oder Moralvorstellungen entspricht. Wenn Gott zwei Menschen Liebe geschenkt hat, ist es nicht an uns, sie im Leben ihrer Liebe aufzuhalten.
Aber was wieder auseinandergeht, weil die Liebe in ihren vielfältigen Formen fehlt, darf der Mensch auch nicht zwangsweise gefangen halten. Auch wenn wir alles, was wir besitzen hergeben würden: über die Liebe würden wir nicht verfügen.

Wir haben also aus dem Gedicht der Liebenden über die Macht der Liebe erfahren, von der Liebe als Gabe des großen und geheimnisvollen Gottes, und davon dass sie dem Menschen letztlich unverfügbar bleibt.
Ich möchte zum Abschluss einmal fragen, ob Liebe wirklich so stark ist wie der Tod.
Der Text vergleicht die Liebe mit dem Tod. Aber doch spricht er bei genauem Lesen, der Liebe eine größere Qualität zu: „auch viele Wasser können die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken.“
Das Wasser ist ein Symbol für das Chaos, für den Tod. Im Alten Israel war Wasser immer lebensbedrohlich. Die Israeliten lebten ja in den Bergen und hatten nicht viel Erfahrung mit dem Wasser oder dem Meer. Es gab zwar einige wenige Fischerleute, aber keine großen Seefahrer wie bei den Griechen oder Phöniziern.
Wasser war in Israel viel mehr aus Sturmfluten nach dem Winter bekannt, wenn das Eis in den Bergen schmolz und plötzlich Wassermassen Mensch und Tier mitreißen konnten.
„auch viele Wasser können die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken.“
Diese Hoffnung haben die Liebenden. Auch wenn die Macht des Todes das Leben begrenzt, sprengt die Liebe doch diese Grenze. Wer regelmäßig auf Friedhöfen ist, kann etwas von der Macht der Liebe erahnen, die auch im Angesicht des Todes besteht.

Liebe ist aber nicht nur etwas für Paare: Paulus selbst war ja nie verheiratet, berichtet nie von einer Beziehung, und spricht doch andauernd von der Liebe. Weil die Liebe eine Grundhaltung ist, die dem anderen das Beste wünscht. Diese Haltung ist an einem Liebespaar am deutlichsten sichtbar. Aber doch ist diese Haltung nicht nur auf Liebespaare beschränkt. Liebe, die von Gott entzündet wurde, hat immer auch andere Menschen im Blick und sucht ihnen das Beste. Deshalb ist für Paulus die Liebe wichtiger als Glaube und Hoffnung. Die Liebe ermöglicht erst Glaube und Hoffnung.

Denn Liebe lässt sich vom Tod nicht unterkriegen. Gott zeigt uns in Jesus Christus zu, dass Liebe den Tod überwinden kann.
Gottes geliebter Sohn selbst ist gestorben. Jesus ist hinabgestiegen in das Reich des Todes, wie es im Glaubensbekenntnis heißt. Dennoch ist er wieder auferweckt worden von der Liebe seines Vaters. Der Kern des Glaubens ist der Glauben an die Liebe des Vaters.
Das Totenreich mag unwiderstehlich sein. Jeder ist vom Tod betroffen – auch Gottes Sohn selbst. Aber genau so ist jeder von der Liebe betroffen. Der Tod ist für die Liebe nicht das Ende. Die Flamme der Liebe lässt sich nicht auslöschen. Denn die Flamme der Liebe ist die Flamme Gottes, die auch der Tod nicht auslöschen kann.
Dass diese Flamme weiter brennt, auch wenn der Tod über sie hineingebrochen ist, ist die Hoffnung der Liebenden im Hohelied.
Und der Friede Gottes, der größer ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Amen