Predigt, 2.6.2024 Jer. 23, 21-29

2.6.2024

J.Berewinkel

Liebe Geschwister, für diesen Sonntag ist ein Predigttext vorgeschlagen, der es in sich hat. Es sind Worte von dem Propheten Jeremia. Die Propheten Israels – die sind ...

Liebe Geschwister,
für diesen Sonntag ist ein Predigttext vorgeschlagen, der es in sich hat. Es sind Worte von dem Propheten Jeremia.

Die Propheten Israels – die sind ein Phänomen. So etwas gibt es in der ganzen Religionsgeschichte kein zweites Mal.
Natürlich – es gab und gibt in allen Religionen so spezielle Leute: Seher, Orakel, Schamanen, Leute, die einen besonderen Draht zu den Göttern, zum Jenseits haben.
Aber die Propheten Israels, wie Jeremia, Jesaja, Amos und Hosea – die sind tatsächlich eine Kategorie für sich.
Und unter diesen besonderen Leuten ist Jeremia noch mal ein ganz besonderer.

Ich weiß nicht, wie gut Ihr Jeremia kennt. Er ist der Prophet, der am persönlichsten wird. Der lässt einen sozusagen in sein Herz schauen. Er schreibt ganz offen, wie er das erlebt, Prophet zu sein und wie er darunter leidet.

Eigentlich wollte er gar nicht Prophet sein, hat sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Aber Gott hat so deutlich zu ihm gesprochen, dass er einfach nicht dagegen ankommt.

Jeremia lebte in Jerusalem um 600 vor Christus. Es ist die Zeit, wo der Südstaat von Israel, der Staat Juda, von den Babylonieren bedroht und angegriffen wird und schließlich erobert wird. Der Norden des Landes war schon längst besetzt und aufgelöst. Es war also eine ganz düstere Zeit. Und es war eine Zeit, wo sich viele in Israel von Gott abwendeten. Sie setzten ihre Hoffnung auf andere Götter und auf andere Mächte.

Jeremia hat immer wieder von Gott Botschaften bekommen und hat dann im Namen Gottes zu seinen Leuten gesagt: Kehrt um zu Gott, sonst geht es mit euch bergab! Verändert euer Leben! Hört mit eurem bösen Tun auf, sonst wird das ein schlimmes Ende nehmen!

Er beschreibt leider nicht, wie das genau war, wenn er Gottes Reden hörte. Das ist etwas ziemlich Geheimnisvolles. Ich glaube, Jeremia und die anderen Propheten hatten ein besonders feines Sensorium für Gottes Flüstern. Er nahm Dinge von Gott wahr, die andere nicht wahrnahmen. Er sah manchmal Bilder, Visionen. Manchmal hörte er wohl richtig eine Stimme. Und das muss sehr, sehr deutlich gewesen sein.

Einmal schreibt er: Ich hab mir vorgenommen, nicht mehr in Gottes Namen zu reden, aber dann brannte diese Stimme Gottes in meinem Inneren. Ich konnte das nicht verschweigen.

Und so redet er öffentlich im Namen Gottes: Auf dem Tempelplatz und an anderen öffentlichen Orten. Und er handelt sich einen Haufen Ärger deswegen ein. Die Leute sind stinksauer auf ihn. Die fühlen sich auf den Schlips getreten von seiner Kritik. Die sagen: Du bist doch ein Schwarzseher! Du verdirbst allen die Stimmung! Sie schlagen ihn. Sie werfen ihn ins Gefängnis. Einmal wird er in eine Zisterne geworfen, damit er da stirbt. Das war kein Vergnügen.

Außerdem gab es in Jerusalem auch andere Propheten. Die hatten eine ganz andere Botschaft. Die sagten: Die Babylonier werden uns nie besiegen. Gott ist auf unserer Seite! Hier ist doch Gottes Tempel! Alles wird gut.

Und um solche Leute geht es in dem Predigttext, der für diesen Sonntag vorgeschlagen ist.

Lesen: Jer 23, 21-29

Ich will mal einen Satz aus dieser Rede ins Zentrum rücken:
„Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen?“

Was Jeremia den anderen Propheten vorwirft, ist ja, dass ihre Worte nicht wirklich von Gott kommen. Sie haben keine Botschaft von Gott empfangen, sondern erzählen nur ihre Träume, erzählen nur Stroh.

Menschliche Träume und Gottes Worte – die werden hier gegenübergestellt.
Ein echter Prophet hat eine Botschaft, die von Gott kommt. Die falschen Propheten erzählen nur ihre eigenen Träume.

Träume sind natürlich nichts Schlechtes. Und manchmal redet Gott ja auch tatsächlich durch Träume. In der Bibel gibt es eine Reihe von Beispielen: Josef in Ägypten erlebt das, wie Gott durch Träume zu ihm spricht und andere Leute in der Bibel auch.
So etwas passiert auch heute noch. Ich kenne Menschen, denen Gott im Traum Hinweise gegeben hat. In unseren Träumen sind wir ja ganz offen, ganz empfänglich. Da kann es passieren, dass wir etwas von Gott empfangen. Vielleicht habt Ihr das auch schon mal erlebt.
Das kann also sein, dass Gott auch durch Träume zu Menschen redet.

Aber es kann auch etwas anderes passieren. Ein Traum kann auch ein bloßer Wunschtraum sein.

Und so war das bei diesen anderen Propheten damals. Die hatten Träume. Und sie denken: Das sind Botschaften von Gott. Aber Jeremia sieht sehr nüchtern: Es sind bloß Wunschträume. Es sind nur menschliche Phantasien.

Und es sind Phantasien, die dem Volk gut gefallen. Das ist ja klar: Wenn einer sagt: Es wird alles gut! Gott ist bei uns und kein Feind wird uns etwas anhaben! – Das kommt gut an.
Und wenn die Propheten dann noch zu den Leuten sagen: Ihr braucht euch nicht zu verändern. Lebt weiter so wie bisher – Gott hat euch lieb, ganz egal, was ihr so treibt – na, solche Leute hört man doch gern, oder?!

Die falschen Propheten reden den Menschen nach dem Mund. Kein Wunder, dass die viel beliebter waren als ein Jeremia, der immer so düster daherredet und immer will, dass man umkehrt und sein Leben ändert. Nein, da hört man doch lieber den anderen zu und ihren schönen Träumen.

Wir nennen das, was die falschen Propheten damals machten, Populismus: Einfache Botschaften, die gut klingen und den Leuten gefallen.

Populismus ist also kein neues Phänomen. Aber er treibt immer neue Blüten. Und im Moment floriert er ganz besonders. Die Populisten von heute machen es genau wie die Populisten damals: Bequeme Lösungen anbieten. Wählt uns, dann wird alles gut und ihr braucht euer Leben nicht verändern!
Das ist sehr verführerisch und sehr gefährlich für unsere Gesellschaft.
Ich hoffe, dass Sie und Ihr alle nächsten Sonntag zur Wahl geht und mit dafür sorgt, dass die Macht der Populisten nicht zu groß wird!

Auf unserer Homepage findet Ihr ab Montag übrigens einen Appell unseres Kirchenkreises zur Europawahl. Schaut gerne mal darauf!

Was Jeremia über die falschen Propheten sagt, ist aber nicht nur für die Politik relevant, sondern auch für die Lage unserer Kirche: „Ein Prophet, der da Träume hat, der erzähle seine Träume. Aber wer mein Wort hat, der rede mein Wort.“

Auch in der Kirche ist die Gefahr groß, dass man die eigenen Träume mit Gottes Wort verwechselt.
Vorgestern vor 90 Jahren, am 31. Mai 1934, wurde die Barmer Theologische Erklärung veröffentlicht. Da haben evangelische Theologen um Karl Barth Stellung bezogen gegen die Deutschen Christen. Sie wissen das: Die Deutschen Christen haben sich der Nazi-Ideologie unterworfen. Das war ein kirchlicher Populismus. Da wollte man die nationalsozialistischen Träume von Rasse und Größe und Führerkult mit dem christlichen Glauben verbinden.

Und dagegen sind die bekennenden Christen aufgestanden und haben mit der Barmer Theologischen Erklärung „Nein“ gesagt, haben dem kirchlichen Populismus und den falschen Träumen widerstanden und deutlich gemacht: Jesus Christus ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören und dem wir zu folgen haben und keiner Ideologie, auch wenn sie noch so schön klingen mag.

Wir stehen ja als Kirche immer wieder in der Gefahr, die Botschaft anzupassen an das, was gerade populär ist, was die Menschen gerne hören.

Da sind wir als Pfarrer gefährdet. Wenn du hier auf der Kanzel stehst, dann ist es viel schöner, etwas zu predigen, was den Menschen gefällt; wo du merkst: Da freuen sich die Leute drüber und dafür kriegst du Applaus. Das ist viel angenehmer als etwas zu sagen, was Stirnrunzeln und Ablehnung auslöst.

Aber wenn wir hier nur Sachen sagen, die alle gut finden und die Applaus bringen, dann sind das nichts als Träume! Dann basteln wir uns einen Gott nach unseren Wünschen.

Beim Christsein geht es ja nicht darum, dass Gott sich an unsere Wünsche und Vorstellungen anpasst, sondern umgekehrt: Dass wir unsere Wünsche und Vorstellung an Gott ausrichten und uns von seiner Wahrheit korrigieren lassen.

Wenn wir hier nur unsere Träume ausbreiten, dann macht Kirche und Christsein überhaupt keinen Sinn mehr.

Und das, was für die Politik und für Kirche gilt, gilt auch für uns als Einzelne. Ich werde jetzt noch mal eine Ebene persönlicher.

Denn auch für uns als Einzelne ist das ja eine Frage:
Richte ich mich nach meinen Träumen oder nach Gottes Wort?
Bastele ich mir meinen Glauben so zusammen, wie es mir gut gefällt oder lasse ich mich von dem wirklichen Gott informieren und korrigieren?

Das war ja der Vorwurf von Ludwig Feuerbach. Viele von Euch kennen Feuerbach. Der war ein scharfsinniger Philosoph und ein heftiger Religionskritiker im 19. Jht. Und sein Hauptkritikpunkt war: Die Christen bilden sich ihren Gott nach ihren Wünschen. Gott ist nichts anderes als eine Projektion menschlicher Träume.

In dieser Kritik steckt ein Funken Wahrheit. Jede Religion und auch jeder Mensch steht immer in der Gefahr, sich seinen Glauben nach seinen Wünschen zu basteln. Genau das zu machen, was die falschen Propheten zur Zeit von Jeremia gemacht haben:

Ich stelle mir Gott so und so vor, weil das so schön ist, weil ich das so sympathisch finde, weil mir das so gut tut.

Das ist der Punkt, wo mir selbst auch manchmal Zweifel kommen.
Manchmal taucht bei mir die Frage auf: Ist das, was du da glaubst und predigst, vielleicht alles nur ein schöner Traum? Ist das nur ein Wunschphantasie, weil sonst, ohne Gott, die Welt so trostlos wäre??

Vielleicht kennt ihr ja diesen Zweifel.

Was mir dann hilft, ist das mit Jesus.
Der ist historische Tatsache.
Und ein Gott, der Mensch wird, der sich für uns Menschen hingibt und wie ein Verbrecher stirbt – das ist kein Wunschtraum. Das hat sich keiner ausgedacht.

Da hat Gott wirklich in dieser Welt gewirkt und sich wirklich offenbart.

Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle seine Träume, aber wer mein Wort hat, der rede mein Wort.

Wir sind ja keine Propheten wie Jeremia.
Wir hören Gottes Stimme nicht so unmittelbar.
Und wir können leicht Gottes Worte und die eigenen Träume miteinander verwechseln.

Aber wir haben Jesus, das eine Wort Gottes.
Und wir haben die Bibel. Da sind Gottes Worte aufgeschrieben.

Wenn du dich in deinem Glauben nicht von deinen Träumen leiten lassen willst, sondern dich an Gott ausrichten willst, dann ist die Bibel eine unschätzbare Hilfe.

Das Lesen in der Bibel ist nicht so ganz einfach, ich weiß. Da gibt es vieles, was unverständlich ist. Und da braucht man Geduld und langen Atem.
Aber fang doch einmal an mit dem Neuen Testament! Ein Evangelium ganz durchlesen. Hören, was Jesus gesagt und gemacht hat.
Oder auch einmal den Propheten Jeremia ganz durchlesen.

Wenn wir so die Worte der Bibel aufsaugen, wenn wir unser Herz an die Bibel halten und lauschen, dann können wir da auch Gottes Flüstern hören. Und dann bekommen wir nach und nach ein Gespür und lernen unterscheiden: Was sind nur meine Träume von Gott und was ist wirklich sein Wort.

Es kann auch hilfreich sein, das in Gemeinschaft mit anderen zu tun. In einem Hauskreis oder einem Kurs. Hinweis auf Expedition Glaube!

Das Herz an die Bibel halten und lauschen. So können wir vielleicht auch Gottes Stimme hören.

So werden wir immun gegen populistische Parolen. So lernen wir, Wunschträume und Gottes Wahrheit zu unterscheiden, und so können wir Gottes gute Worte an die Menschen weitergeben.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Gedanken in Jesus Christus. Amen.