Die Predigt vom 28.3.2021

28.3.2021

J.Berewinkel

(Palmsonntag) Hebr. 12, 1-3 Liebe Geschwister, der Palmsonntag ist ein kleiner Gipfel vor dem großen Gipfel. Ein kleiner Höhepunkt im Leben von Jesus, ehe es auf ...

(Palmsonntag) Hebr. 12, 1-3

Liebe Geschwister,
der Palmsonntag ist ein kleiner Gipfel vor dem großen Gipfel. Ein kleiner Höhepunkt im Leben von Jesus, ehe es auf den ganz großen Höhepunkt zugeht, auf Ostern.
Aber zwischen dem kleinen Gipfel und dem großen Gipfel liegt ein tiefes Tal.
Da muss Jesus durch.

Wir gehen ja auch gerade durch ein Tal; das Coronatal.
Ich hatte lange gehofft, dass wir an Ostern aus dem Tal rauskommen und alles besser wird. Aber jetzt sieht es ganz anders aus. Das ist so frustrierend.

Und die Stimmung im Land wird schlechter.
Es gibt eine neue Wortbildung, die hab ich kürzlich gehört: Die Leute sind „mütend“: Müde und wütend. Alle sind gereizt, genervt. Alle gehen auf dem Zahnfleisch. Und es fällt immer schwerer, verständnisvoll und rücksichtsvoll zu sein. Dieses Tal, in dem wir uns befinden, ist wirklich dunkel und zieht sich nun schon so elend lange hin.

Der Predigttext für diesen Palmsonntag ist geschrieben für Menschen, die auch müde und frustriert sind. Aus ganz anderen Gründen.

Er ist geschrieben an Menschen, die erst vor wenigen Jahren Christen geworden sind. Sie waren von Jesus begeistert und hingerissen. Sie haben sich taufen lassen, haben ihr Leben in seine Hand gelegt und sich entschlossen, Jesus zu folgen.
Aber dann haben sie zunehmend Scherereien bekommen wegen ihrem neuen Glauben. Sie wurden belächelt, wurden ausgegrenzt. Manche haben erlebt, dass Leute auf sie wütend wurden. Man hat sie beschimpft und gemobbt. Die Behörden hatten sie auf dem Kieker. Es gab Repressalien. Alles nur wegen Jesus.
Und jetzt waren es manche einfach leid. Sie waren müde und genervt und drauf und dran alles hinzuschmeißen.

Und nun sagt der Schreiber dieses Briefes an die Hebräer – wir wissen nicht, wer es ist – wie sie in dieser Lage durchhalten können, wie sie durch dieses dunkle Tal durchkommen können.
Er hatte im vorigen Kapitel erzählt von den Glaubenshelden des Alten Testaments, von Abraham und Sara und Mose und Rahab usw.

Und nun schreibt er: Hebr. 12, 1-3

1Wir sind also von einer großen Menge von Zeugen wie von einer Wolke umgeben. Darum lasst uns alle Last abwerfen, besonders die der Sünde, in die wir uns so leicht verstricken. Dann können wir mit Ausdauer in den Kampf ziehen, der vor uns liegt.2Dabei wollen wir den Blick auf Jesus richten. Er ist uns im Glauben vorausgegangen und wird ihn auch zur Vollendung führen. Er hat das Kreuz auf sich genommen und der Schande keine Beachtung geschenkt. Dies tat er wegen der großen Freude, die vor ihm lag: Er sitzt auf der rechten Seite von Gottes Thron.3Denkt doch nur daran, welche Anfeindungen er durch die Sünder ertragen hat. Dann werdet ihr nicht müde werden und nicht den Mut verlieren.

Den Blick auf Jesus richten. Darum geht es.
Er ist uns im Glauben vorausgegangen.
Er ist das Vorbild.

Er ist durch dieses Tal hindurchgegangen ohne aufzugeben.

Am Palmsonntag wurde er noch gefeiert.
Wir haben das eben in der Lesung gehört.
Er wurde von den Leuten bejubelt wie ein Popstar.
Hosianna dem Sohn Davids!
Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!

Die Leute waren begeistert von Jesus. Sie haben ihre Mäntel ausgezogen und vor ihm auf den staubigen Weg geworfen. Sie hätten ihn auch auf Händen getragen.

Und Jesus hat das, glaube ich, genossen. Er hat sich gefreut. Das ist doch klar. So eine Begeisterung. So viel Zustimmung. Das war superschön.

Aber Jesus hat sich nicht von dieser schönen Stimmung abhängig gemacht. Er hat nie nach Zustimmungsraten gefragt, hat nie etwas unternommen, um die Leute bei Laune zu halten oder auf seine Seite zu ziehen.

Und er wusste – wir wissen es ja auch – wie schnell sich so eine Stimmung im Volk verändern kann.
Nur ein paar Tage später kippte es.

Jesus enttäuschte die Erwartungen. Er gründete keine Partei, rief nicht zu den Waffen, schmiss nicht die Römer aus dem Land.
Und dann gab es diese Anstachler, die schlimme Lügen über Jesus verbreiteten und den Mob aufputschten. Und auf einmal schlug die Begeisterung um in Verachtung und Wut.

Gerade noch wie ein König gefeiert
wird Jesus verraten, verhaftet und verhört.
Seine Jünger lassen ihn im Stich.
Wildfremde Leute beschimpfen und bespucken ihn.
Auf einmal steht er da wie ein Verbrecher, allein und verachtet und gehasst.

Und Jesus trägt das.
Er versucht nicht, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen oder sich rechtzeitig davon zu machen.
Er geht durch dieses Tal, sagt Ja zu diesem Weg, weil er weiß: Das ist mein Weg. Das ist Gottes Weg mit mir. Das muss so sein, und so kann es zur Versöhnung kommen zwischen Gott und seinen Menschen.

Richtet den Blick auf Jesus!
Wenn wir uns an ihm orientieren, ihn zum Vorbild nehmen, dann können wir durch dieses Tal, durch diese schwierige Zeit hindurchkommen ohne aufzugeben.

Jesus als Vorbild.
Wir brauchen ja Vorbilder.
In der Lernpsychologie wird neu entdeckt, wie wichtig Vorbilder sind. Die wesentlichen Dinge im Leben lernen wir nicht aus Büchern, nicht in der Theorie, sondern von Menschen, die uns etwas vorleben, die uns ein Modell geben. Ein Modell, das wir nachahmen können.

Ein Kleinkind sieht seine Eltern auf den Beinen herumlaufen und darum versucht es selber, auf seinen Beinen zu stehen.

Ein kleiner Junge sieht die große Schwester Hausaufgaben machen und fängt an, auf einem Blatt irgendwelche Kringel zu malen.

Und das ist ja nicht nur in der Kindheit so. Wir lernen unser ganzes Leben lang durch Vorbilder.
Kein Mensch lernt Tanzen, indem er ein Buch liest. Sondern wir lernen es, in dem wir Menschen beobachten, die mit wunderbarer Leichtigkeit zur Musik durch den Raum schweben.

Und auch für den Glauben sind Vorbilder ganz entscheidend.
Überlegen Sie mal: Was hat Sie in Ihrem Glauben am stärksten geprägt?
Wahrscheinlich waren es keine theologischen Abhandlungen. Ich fürchte, es waren auch nicht einzelne Predigten – so wichtig die sein mögen. Sondern vermutlich waren es Menschen, die Ihnen das Christsein vorgelebt haben; Menschen, an denen Sie etwas sehen konnten. Oder?

Bei mir war das auf jeden Fall so. Ich bin als Jugendlicher Christ geworden. Und da gab es Menschen, vor allem eine Familie, die mir das vorgelebt haben, wie man mit Gott im Alltag leben kann, wie man beten und den Glauben mit anderen teilen kann. Die waren überhaupt nicht perfekt. Da war nicht alles gut. Aber sie haben mir ein Bild gegeben, ein Modell, an dem ich mich orientieren konnte.

Und jetzt sagt uns hier der Schreiber des Hebräerbriefs:
Richtet euren Blick auf Jesus!
Nehmt euch ihn zum Vorbild!

Für die ersten Jünger war das leicht.
Die sahen Jesus mit ihren Augen und konnten wortwörtlich hinter ihm herdackeln.
Das können wir heute so nicht, und das konnten auch die Empfänger dieses Briefes so nicht mehr.

Aber wir können in der Bibel nachlesen, wie Jesus gelebt hat. Wir können lesen, wie er in bestimmten Situationen reagiert hat, wie er mit Ungerechtigkeit umgegangen ist und mit Bosheit und Enttäuschung und Schmerzen.

Du kannst sein Vorbild anschauen und so kannst du ihm hinterher gehen. Schritt für Schritt.

Ich hab vor etlichen Jahren den Kilimandscharo bestiegen, den höchsten Berg in Afrika, knapp 6000 Meter hoch. Da rauf zu kommen, ist technisch kein Problem. Man muss dafür kein guter Kletterer sein und auch nicht über besondere Muskelkraft verfügen. Man braucht nur Ausdauer.
Die ersten Etappen, bis 4000 Meter Höhe, sind ganz locker. Da spaziert man einfach hoch. Aber dann wird es hart. Die letzte Übernachtung ist auf 4.500 Metern Höhe. Da ist die Luft schon so dünn, dass man überhaupt nicht schlafen kann.
Noch in der Nacht sind wir dann aufgebrochen, um zum Gipfel hochzukommen. Jetzt ging es steil den Kraterrand hoch. Ein schmaler Serpentinenpfad, immer höher und höher. Wir waren eine kleine Gruppe, nur drei Leute. Unser Guide, ein Mann aus Japan, der witzigerweise Herr Fudschi hieß, und ich. Der Guide ging vorne weg, dann kam Herr Fudschi und dann ich. Herr Fudschi war ein ganzes Stück älter als ich, klein und zierlich. Und der ging immer vor mir her. Schritt für Schritt.

Mit jedem Schritt wurde es immer schwerer. Die Luft ist da oben so dünn, dass man überhaupt keine Kraft mehr hat. Ich hatte das Gefühl, meine Füße sind aus Blei. Ich kriegte sie kaum noch hoch und war total k.o. Ich war drauf und dran aufzugeben. Aber jetzt ging ja Herr Fudschi vor mir. Und ich dachte immer: Wenn Herr Fudschi aufgibt, dann gebe ich auch auf. Aber Herr Fudschi gab nicht auf. Der ging weiter. Schritt für Schritt, Kurve um Kurve. Und ich hinterher, Schritt für Schritt, Kurve um Kurve. Immer weiter, bis wir auf dem Gipfel waren.

Ohne Herrn Fudschi hätte ich das nicht geschafft. Ganz sicher. Aber weil er vor mir herging, weil er mir ein Vorbild gab, zog er mich mit. Und so kamen wir auf dem Gipfel an. Absolut ausgepumpt, aber total glücklich.

Auf den harten Strecken im Leben brauchen wir einen, der uns vorangeht.

Wir sind ja gerade alle auf einer ziemlich harten Wegstrecke. Wir müssen in dieser Pandemie mit ganz ungewohnten Belastungen und Beschränkungen leben und wissen nicht, wie lange das noch dauern wird.

Und vielleicht ist für manche von uns Corona gar nicht die größte Not. Vielleicht gibt es in Ihrem Leben etwas, was Sie noch viel mehr belastet: Eine Krankheit oder ein Konflikt oder eine Angst.
Und vielleicht fragen Sie sich:
Wie soll ich das schaffen?
Wie kann ich diesen Weg nur bewältigen?
Ich möchte am liebsten alles hinschmeißen und aufgeben.

Und da sagt uns nun der Hebräerbrief: Lasst uns den Blick auf Jesus richten! Er geht voran.

So wie ich Herrn Fudschi vor Augen hatte, so können wir uns Jesus vor Augen stellen.
Er ist den harten Weg vorangegangen.
Er hat Schmerzen und Verzicht und Angst ertragen, ohne aufzugeben.
Und wir können ihm hinterherstapfen auf diesem Weg, Schritt für Schritt, mit unserer Angst, unserem Schmerz, mit Stöhnen und Japsen.
Ohne aufzugeben, ohne abzubiegen, ohne krumme Wege zu gehen. Immer wieder den Blick auf Jesus, der vorausgeht, und Schritt für Schritt hinterher.

Wir haben das eben gesungen:
Ich folge dir durch Tod und Leid,
o Herzog meiner Seligkeit,
nichts soll mich von dir trennen.
Du gehst den engen Weg voran,
dein Kreuzestod macht offne Bahn
den Seelen, die dich kennen.

Du gehst voran und ich hinterher.
So kommen wir durch das Tal.
Und so kommen wir ans Ziel.

Amen.