Predigt, 31.3.2024 Lukas24, 1-12 (Ostern)

31.3.2024

J.Berewinkel

Ihr Lieben, Sherlock Holmes und sein treuer Freund Watson fahren zum Campen in die Berge. Nach dem ersten Tagesmarsch trinken sie noch eine Tasse Tee und ...

Ihr Lieben,

Sherlock Holmes und sein treuer Freund Watson fahren zum Campen in die Berge. Nach dem ersten Tagesmarsch trinken sie noch eine Tasse Tee und kriechen erschöpft in ihr Zelt, um zu schlafen. Mitten in der Nacht weckt Holmes seinen Begleiter auf: „Watson, schauen Sie mal nach oben – was sehen Sie?“ Watson reibt sich die Augen, gähnt, schaut nach oben und sagt: „Ich sehe einen fantastischen Sternenhimmel! Tausende von Sternen.“ Darauf Holmes: „Gut, gut. Und was sagen Ihnen die Sterne?“
Watson denkt einen Moment nach und antwortet dann: „Astronomisch betrachtet sagen sie mir, dass das Weltall unendlich groß ist. Chronologisch sagen sie mir, dass es etwa drei Uhr sein muss. Theologisch betrachtet sagen sie mir, dass Gott allmächtig ist und wir nur unbedeutende Kreaturen sind.
Und was sagen sie Ihnen, Holmes?“
Holmes atmet tief durch und erwidert: „Watson, der Anblick dieser Sterne sagt nur eines ganz klar: Man hat unser Zelt geklaut!“

Man kann ein- und denselben Sachverhalt ganz unterschiedlich deuten. Wenn man mitten in der Nacht über sich die Sterne sieht, dann kann man unterschiedliche Schlussfolgerungen daraus ziehen.

Das gilt auch im Blick auf Ostern.
Als die Frauen am Ostermorgen im Jahr 30 zum Grab kamen, da sahen sie: Das Grab ist leer. Wie wir es eben gehört und gesungen haben.
Und der Evangelist schreibt – Sie können den Text ja im GD-Blatt mitlesen – sie waren darüber ratlos. Das heißt, sie wussten nicht wie sie das deuten sollen.

Das ist ja klar. Versetzt Euch mal in ihre Lage! Sie waren da im Morgengrauen zum Grab gegangen mit der kleinen Hoffnung, den toten Jesus noch einmal zu sehen, seinen Körper zu konservieren, den Verfall etwas aufzuhalten. Noch ein kleines bisschen von ihm zu haben. Und dann ist da kein Leichnam mehr. Das Grab war ja eine Felshöhle. Viel Platz war da nicht. Sie merken schnell: Der Leichnam ist weg.

Und sie sind ratlos.
Was bedeutet das?
Wo ist er hin? Hat jemand ihn gestohlen? Haben die Behörden ihn verlegt? Sind wir aus Versehen zum falschen Grab gelaufen? Was ist passiert??
Sie wissen nicht, wie sie das deuten sollen.

Erst als zwei Engel kommen und ihnen Nachhilfeunterricht geben, können die Frauen das leere Grab einordnen. Jetzt erinnern sie sich, dass Jesus ja genau das gesagt hat, dass er nicht im Tod bleiben wird, dass er auferstehen wird.

Die Frauen gehen dann zu den Männern und erzählen ihnen vom leeren Grab und dass Jesus auferstanden ist, aber die Männer – typisch Männer! – glauben den Frauen nicht. Sie deuten auch, und sie deuten es als leeres Geschwätz, Hysterie, Wunschfantasien.

Viele Menschen heute deuten den Osterglauben ja so: Da haben sich die Leute etwas ausgedacht, was schön wäre, aber eben nur Fantasie ist.

So sehen es also die Apostel. Nur Petrus reagiert anders. Der will dem auf den Grund gehen. Er geht zum Grab, sieht, dass es leer ist. Sieht die Leinentücher da liegen, die man um den Leichnam von Jesus gewickelt hatte – und wundert sich. Er ist auch ratlos. Wie soll ich das deuten? Was ist passiert?

Ein und dasselbe Faktum lässt unterschiedliche Erklärungen zu.

Übrigens: Dass das leere Grab ein Faktum ist – das sollte nicht bezweifelt werden.

Wir haben ja vier Berichte über das Ostergeschehen in den vier Evangelien. Zwischen den Berichten gibt manche Unstimmigkeiten. Aber in einer Sache sind sich alle vier einig: Das Grab war leer. Und alle sind sich einig: Die Frauen waren die ersten, die es entdeckt haben.

Es ist extrem unwahrscheinlich, dass sich das irgendjemand ausgedacht hat.
In der Antike wurden Frauen vor Gericht nicht als Zeugen zugelassen. Die Männer hatten da ihre Vorurteile, sagten: Frauen sind so emotional. Die verdrehen die Wahrheit so schnell, sind nicht so objektiv. Da kann man sich heute drüber aufregen, aber so war es damals.

Wenn die Entdeckung des leeren Grabes nur eine hübsche Geschichte wäre, die man sich ausgedacht hat, um die Leute von der Auferstehung zu überzeugen, dann hätte man doch mindestens ein paar Männer unter die Zeugen mischen müssen, um das Ganze glaubhaft zu machen. Dass es eine Handvoll Frauen war, die das entdeckt haben – das hat sich keiner ausgedacht. Das ist Fakt.

Und es ist auch äußerst wahrscheinlich, dass das Grab wirklich leer war.
Das Gerücht von der Auferstehung Jesu hat sich ja schnell ausgebreitet. Und es hat die Behörden, die jüdische und die römische, gewaltig unter Druck gesetzt. Sie ergreifen sehr bald repressive Maßnahmen, um dieses Gerücht zu unterdrücken.
Wenn das Grab nicht leer gewesen wäre, wenn der tote Jesus da noch irgendwo gelegen hätte, dann hätte man mit einem Schlag dieses ganze Gerede von der Auferstehung ersticken können. Zeig die Leiche, dann wissen alle, dass er tot ist.

Aber das konnten sie offenbar nicht.
Die Leiche war weg. Das Grab war leer.
Und die Frauen haben es zuerst entdeckt.

Das sind Fakten.
Aber wie deuten wir diese Fakten?

Ist es ein Indiz für Auferstehung oder ist es leeres Geschwätz, ein blödes Versehen, ein Diebstahl, vielleicht sogar ein handfester Betrug?!?

Dasselbe Phänomen kann man sehr unterschiedlich interpretieren. Wie Watson und Sherlock Holmes.

Aber was hat das denn jetzt mit uns heute zu tun, was da genau passiert ist am Ostermorgen, warum das Grab leer war? Das ist ja in jedem Falle lange her. Welche Relevanz hat das denn?

Es gibt in uns Menschen eine tiefe Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Das war früher so und es ist heute genau so.

Ich höre ganz gerne einen Podcast von der ZEIT, der heißt „Die sogenannte Gegenwart“. Da werden Gegenwartsphänomene vorgestellt und diskutiert.
Letztens gab es eine Folge, die war so ein bisschen österlich. Es ging um die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Und es wurden verschiedene Strategien vorgestellt, wie Menschen dieser Sehnsucht nachgehen. Früher, in der Antike, war es der Ruhm, der einen unsterblich macht: Eine große Tat, etwas Großes schaffen, das einen unsterblich macht und in der Erinnerung lebendig hält.
Oder man suchte die Unsterblichkeit in den eigenen Kindern und Enkeln: Da leben meine Gene fort.
Eine moderne Variante dieser Sehnsucht ist die Kryonik: Da lassen Menschen sich einfrieren, nachdem ihr Herz aufgehört hat, zu schlagen. Sie lassen sich einfrieren in der Hoffnung, dass eines Tages die Wissenschaft so weit sein wird, dass man aufgetaut werden kann und dann weiterleben kann.

Andere lassen sich Chips ins Gehirn einpflanzen und hoffen, dass eines Tages der Inhalt des Gehirns, sozusagen die Seele, mit einem neuen Träger aus Silizium verbunden werden kann und so die Seele weiterlebt. Elon Musk hat sich deshalb schon mal so einen Chip einpflanzen lassen.

Es gibt andere Milliardäre wie Bryan Johnson, die wahnsinnig viel Geld ausgeben und Aufwand betreiben, um durch ganz viele Pillen und spezielles Essen ihre Zellen zu verjüngen und so ihr Leben zu verlängern.

In diesem Podcast wurden also diese verschiedenen Strategien vorgestellt und betont, wie tief diese Sehnsucht ist.
Und am Ende ging es um die Religion, um den Glauben. Einer der beiden Moderatoren, Ijoma Mangold, sagte da: Ich hoffe schon, dass Gott mir nach dem Tod ein neues Leben im Paradies schenkt. Die andere Moderatorin, Nina Pauer, sagte: Beneidenswert, wenn man diese Hoffnung haben kann. Aber ich fühle das nicht. Die meisten, die ich kenne, fühlen das nicht. Es bleibt dann, so sagte sie, am Ende wohl doch nur die narzistische Resignation: Dass ich aus meinem Leben im hier und jetzt möglichst viel für mich raushole. Sie sagte das mit echtem Bedauern. Wie schön wäre es, wenn es mehr gäbe!
Die Sehnsucht ist groß.

Und hier wird jetzt Ostern relevant.
Ist das, was die Frauen erzählt haben vom leeren Grab und von der Auferstehung von Jesus nur leeres Geschwätz? War es nur eine Fantasie, weil die Sehnsucht nach Jesus, die Sehnsucht nach Unsterblichkeit so groß war?
Dann gibt es auch für uns heute keine Hoffnung. Der Tod ist das Ende und man kann nur in narzistischer Resignation versuchen, möglichst viel aus diesem kurzen Leben herauszuholen.

Aber wenn das mit Jesus wahr ist, wenn er wirklich auferstanden ist, dann ist damals zum ersten Mal ein Spalt aufgegangen, ein Spalt durch den Tod in ein neues Leben.
Wenn Jesus damals auferstanden ist, dann gibt es auch für uns Hoffnung. Dann gibt es eine Welt jenseits des Todes. Und dann kann Gott auch uns neues Leben schenken. Dann ist das nicht nur eine vergebliche Sehnsucht, sondern eine Sehnsucht, die wirklich erfüllt wird.

Wenn Jesus damals wirklich auferstanden ist, dann brauchen wir uns vor dem Tod nicht mehr fürchten, sondern können gespannt sein, was jenseits der Grenze kommt.
So hat es mal der Vater von Fürstin Gloria von Thurn und Taxis gesagt. Ein gläubiger Mann. Als der im Sterben lag, fragte ihn seine Tochter: Hast du Angst vor dem Tod? Da sagte er: Nein, Lampenfieber!

Wenn Jesus an Ostern auferstanden ist, dann ist der Tod nur der Durchgang in ein neues, größeres Leben.
„Ich war tot und siehe ich bin lebendig und habe den Schlüssel des Todes und der Hölle“, sagt Jesus. Sein Leben macht uns die Tür zum Leben auf.

Man kann also das, was damals am Ostermorgen passiert ist, unterschiedlich deuten.
Wobei Deutungen ja immer etwas Unbestimmtes haben. Ich deute es so, du deutest es so. Aber das bleibt vage. Deute ich mir die Sachen so wie ich es mir wünsche? Oder wie ich es gewohnt bin? Es bleibt alles ein bisschen nebelig und subjektiv.

Für die Jünger und Jüngerinnen damals blieb es nicht bei subjektiven Deutungen. Das leere Grab konnte man unterschiedlich interpretieren. Und darum hat auch das leere Grab bei keinem die Osterfreude ausgelöst.

Erst die Begegnung mit dem auferstandenen Jesus hat den Jüngern Gewissheit gebracht. Alle Evangelien berichten davon, dass Jesus sich seinen Freunden gezeigt hat, dass sie ihn gesehen haben, gehört haben, sogar angefasst haben. Und erst da kommt die Freude auf. Es blieb nicht bei vagen Deutungen. Er stand plötzlich vor ihnen und sprach mit ihnen und da war dann alles klar: Jesus lebt wirklich.

So ist das, glaube ich, auch heute. Wir können Jesus nicht sehen. Die Ostererscheinungen sind vorbei. Physisch ist Jesus nicht mehr da.

Aber weil er auferstanden ist, weil er lebendig ist, kann man ihn auch heute erfahren.
Ich glaube, darauf kommt es an: Dass wir die Begegnung mit dem Auferstandenen ernsthaft suchen, dass wir das Experiment eingehen und uns auf ihn einmal einlassen, ihn ansprechen, Kontakt aufnehmen.
Dann können wir vielleicht eine ähnliche Ostererfahrung machen und echte Osterfreude erleben.

Eine kleine Geschichte zum Abschluss, die das verdeutlicht:

Stellt euch vor: Eine Frau hat einen Sohn. Der ist so Anfang 20 und arbeitet seit kurzem bei der Polizei. Er wohnt noch bei der Mutter, aber ist natürlich beruflich viel unterwegs. Eines Tages sagt er zu ihr: „Heute Nacht wird es spät. Wir haben einen Einsatz. Ich kann dir nichts Genaues sagen, aber mach dir keine Sorgen!“ Natürlich macht sich die Frau jetzt umso größere Sorgen. Polizeieinsätze sind gefährlich! Wer weiß, was für Verbrecher sie da jagen müssen. Den ganzen Abend ist sie unruhig und beschäftigt. Sie bereitet schon mal das Essen für den nächsten Tag vor, unter anderem eine große Schüssel mit Pudding, den der Sohn so gerne isst. Den Pudding stellt sie in den Kühlschrank und geht dann zu Bett und schläft auch irgendwann ein.
Am nächsten Morgen ist sie früh wach. Die Zimmertür des Sohnes ist zu. Ob er wohl da ist? Oder ist er noch unterwegs? Oder Schlimmeres?
Sie geht in die Küche, um das Frühstück zu machen, öffnet den Kühlschrank und sieht – die Schüssel mit Pudding ist ratzeputz leergegessen.
Das wäre typisch für ihren Sohn. Nachts an den Kühlschrank gehen und den Nachtisch für morgen essen. Aber wer weiß? Die leere Schüssel könnte man auch anders deuten. Es könnte ja sein, dass in der Nacht ein Einbrecher da war und den Pudding aufgegessen hat. Nicht sehr wahrscheinlich, aber wer weiß? Es könnte natürlich auch sein, dass sie selbst in der Nacht geschlafwandelt ist und vor lauter Sorgen den Pudding verspeist hat. Oder vielleicht hat sie sich das mit dem Puddingmachen nur eingebildet und aus Versehen die leere Schüssel in den Kühlschrank gestellt.
Verschiedene Deutungen sind möglich und sie bleibt im Ungewissen.
Erst als sie oben die Zimmertüre hört und der Sohn ruft: Mama, wann gibt’s Frühstück? – erst da ist sie sich ganz sicher: Ihr Sohn ist da und ist lebendig!

Wisst Ihr, das leere Grab ist wie die leere Schüssel.
Ein Indiz. Ein starkes Indiz. Aber nicht mehr.

Erst als die Jünger Jesus als Lebendigen erleben, erst da bricht die Osterfreude auf.

Erst wenn wir mit Jesus, dem Lebendigen, in Kontakt kommen, erst wenn wir ihn selber erfahren, wird auch bei uns die Osterfreude aufbrechen.

Das wünsche ich uns allen von Herzen.
Denn der Herr ist auferstanden.
Er ist wahrhaftig auferstanden.
Amen.