GD 13.08.23 Predigtreihe Josef Teil 2

14.8.2023

J.Berewinkel

Liebe Gemeinde, letzte Woche haben wir uns an die Josefsgeschichte herangewagt. Wir haben von dem arroganten jungen Mann gehört, dem sein Ego zum Verhängnis geworden ist. ...

Liebe Gemeinde,

letzte Woche haben wir uns an die Josefsgeschichte herangewagt. Wir haben von dem arroganten jungen Mann gehört, dem sein Ego zum Verhängnis geworden ist. Der sich über seine Brüder erhoben hat, der gesegnet und auserwählt ist, aber diesen Segen zum Grund eigener Überheblichkeit gemacht hat.
Der, der doch Papas Liebling und Gottes auserwählter Träumer war, konnte sich nicht zurückhalten. Er erhob sich über seine Brüder. Er träumte davon der Größte unter ihnen zu sein und sagte das allen. Aber der Träumer musste aufwachen. Es hatte sich ausgeträumt, als er auf dem nassen Boden der Zisterne saß, sein Kleid von seinen Brüdern zerrissen war.

Und dann wurde es noch schlimmer, er wurde nach Ägypten verkauft, dem Land des Götzenkultes, dem Land der katzen- und ibisköpfigen Götter.

Er gelangte in das Haus von Potifar, dem hohen Beamten. Dort legte er eine steile Karriere hin. Der Herr ist mit ihm, heißt es. Und Josef verhält sich geschickter, ist bescheidener und etwas demütiger. Er nimmt den Segen Gottes an und bringt anderen Segen.
So sitzt Josef, der ehemalige Träumer, der jetzt Oberverwalter ist, im Palast des Potifars. Er sitzt da „schön an Gestalt und hübsch von Angesicht“.

Etappe 4: Erneuter Absturz

Josef hat dazugelernt. Seinen Fehler vom Anfang macht er nicht nochmal, er möchte sich nicht über andere erheben.

Doch er wird versucht.
Frau Potifar, eine namenlose Verführerin, schaut auf diesen jungen Fremdling. Sieht sein Geschick, sein gutes Aussehen, seine kluge Rede…
Sie begehrt ihn und ruft ihn zu sich. Das haben wir gerade in der Lesung gehört.
„Leg dich zu mir, schlafe bei mir.“ Mehrfach ruft sie dies zu ihm.

Wir sind ja heute bei solchen Dingen sehr sensibel und durch Me Too vorsichtig. Aber man sollte auch keine modernen Maßstäbe an eine antike Person anlegen und sie zu schnell verurteilen. War es nicht auch Recht des Hausherren mit den Dienerinnen zu schlafen? Zeigt sich hier nicht ein Hauch von antiker Gleichberechtigung? War Josef nicht ihr eigener Sklave – ihr eigener Besitz und dazu noch selbst ohne Frau? War es nicht eine Ehre für ihn, von der mächtigen Herrin des Hauses ausgesucht zu werden? Würde er dadurch nicht noch größer werden?

Und so ruft sie Josef mehrfach zu sich, doch er kennt seine Grenze: „Alles im Hause meines Herrn Potifar hat er in meine Hand gegeben; er ist in diesem Haus nicht größer als ich, und er hat mir nichts vorenthalten, außer dir, seiner Frau.“

Josef lässt sich nicht darauf ein. Sicherlich fühlt er sich versucht. Kann sich nur schwer beherrschen, aber weiß doch, wie weit er lieber nicht gehen sollte. Vielleicht hat er gelernt, dass es für ihn nicht gut endet, wenn er groß sein möchte. Er hält sich zurück.

Letztlich führt das zu seinem Absturz. Diesmal stürzt er ab, weil er nicht groß sein möchte. Frau Potifar stellt ihm eine Falle. Als niemand da ist, versucht sie ihn zu verführen. Josef läuft davon, sie entreißt ihm aber schwungvoll das Gewand. Sie sieht ihn auf den Hof laufen und ruft nach dem Personal.
Sie beschuldigt Josef. Josef, der von der ausländischen Fachkraft nun zum enthemmten Fremden wird, der nicht Mal von der Frau des Hauses die Hände lassen kann.

So stürzt Josef ein zweites Mal. Diesmal nicht in ein Loch. Sondern ins Gefängnis. Potifar verschont Josefs Leben, aber er muss ihn doch bestrafen. Und so endet Josef im Gefängnis.
Josef hatte gedacht, er hätte etwas gelernt. Er hätte gelernt, sich nicht zu erheben, nicht der größte sein zu wollen. Er wollte ein bescheidener korrekter Verwalter sein – ein ruhiges Leben führen. Seinen Bräuchen im Ausland treu bleiben und dennoch angepasst zu leben – seine Träume von Größe hatte er aufgeben. Und das brachte ihm am Ende zum Fall.

Josef stürzt hier anders – stürzt er am Anfang noch über sich selbst, stürzt er hier über eine unmögliche Situation. Und er akzeptiert sein Schicksal. Es wird auch nicht berichtet, dass er versucht zu fliehen. Er hat schon viel erlebt und lässt sich nicht leicht aus der Ruhe bringen. Vielleicht ruft er zu Gott, der ihn schon einmal gerettet hat.

Ich glaube, das können wir hier an Josef bewundern. Manchmal gibt es Situationen, die wir nicht lösen können. Situationen, die uns auf den Boden treten, in denen wir so oder so Schaden nehmen. Josef sieht das und nimmt diese Situation an. Er vertraut doch auf Gott, dass dieser ihm weiter beisteht. Er wagt es, die eigentlich gefährlichere, aber in seinen Augen richtige Entscheidung zu treffen, und vor Frau Potifar zu fliehen.

Dietrich Bonhoeffer spricht in seiner Ethik davon, dass wir in unseren Entscheidungen, immer das Wagnis eingehen, Schaden zu nehmen. Und dass wir auch immer wieder Schaden nehmen durch Entscheidungen für das in unseren Augen Richtige. Aber ohne Entscheidung ist kein Leben in der Wirklichkeit möglich. Für Josef war auch kein Leben möglich ohne Entscheidung. Und er entschied sich gegen Frau Potifar und so für den Absturz.

Für das in seinen Augen angemessene Verhalten nimmt er großen Schaden in Kauf. Und er trägt die Konsequenzen. Er beschuldigt die Frau nicht für ihren Annäherungsversuche.

Er erleidet das Unrecht der falschen Anschuldigung.
Platon vertritt ja schon die merkwürdige These: Es ist besser, Unrecht zu erleiden, als anderen Unrecht zu tun. So erleidet Josef hier sein Unrecht, er verschlimmert die Situation nicht noch durch eine Gegenanklage. Er wehrt sich nicht gegen seine Festnahme und vertraut auf Gott, dass er das Wagnis seiner Entscheidung anerkennt und die Entscheidung für richtig befindet.
Das ist für mich eine Botschaft des Textes: Vertraue darauf, dass Gott, die Wahrheit deiner Tat sieht. Versuche nicht dein Leid zu schmälern durch die Vergrößerung des Leids der anderen. Geh den Weg der Gerechtigkeit und lass Gott, die Wahrheit deines Handelns sehen und deine Schritte leiten.

Etappe 5: Josef im Gefängnis

So ist Josef also abgestürzt trotz seiner gerechten Tat. Er ist nun im Gefängnis.
Wie damals in der Grube steigt Josef ein zweites Mal ab. Er landet diesmal wirklich ganz unten. Vom Sklaven zum Angeketteten.
Doch auch hier zerbricht Josef nicht. „Aber der Herr war mit Josef und neigte ihm die Herzen zu.“ So heißt es zu Beginn seiner Gefängniszeit, von der wir noch in der Lesung gehört haben.

Josef wird auch im Gefängnis wieder zum Verwalter. Der Gefängnisaufseher überlässt Josef das Tagesgeschäft und dieser arbeitet weiter gewissenhaft. Weder zu hart noch zu weich scheint er das Gefängnis zu führen. Seine geschickte Rede scheint manchen Konflikt einzuhegen und Streit zu verhindern.
Ob Josef noch selbst träumt? Ob er, der als Verwalter so viel erfolgreicher ist, als er als Träumer je war, nachts immer noch von Ähren träumt, die sich vor ihm verneigen? Oder hat er seine Träume aufgegeben? Versucht sich nun endgültig von Tag zu Tag durchzuschlagen?

Über Josef Träume hören wir jetzt nichts mehr. Aber Gott schickt dem Träumer die Träume anderer Menschen.
„Und es begab sich danach, dass sich der Mundschenk des Königs von Ägypten und der Bäcker versündigten an ihrem Herrn, dem König von Ägypten. 2Und der Pharao wurde zornig über seine beiden Kämmerer, den Obersten der Mundschenken und den Obersten der Bäcker, 3und gab sie in Gewahrsam ins Haus des Obersten der Leibwache, in das Gefängnis, wo Josef gefangen lag. 4Und der Oberste der Leibwache befahl Josef zu ihnen, dass er ihnen diente. Und sie saßen einige Zeit im Gefängnis. 5Und es träumte ihnen beiden, dem Mundschenk und dem Bäcker des Königs von Ägypten, in einer Nacht einem jeden ein eigener Traum, und eines jeden Traum hatte seine Bedeutung. 6Als nun am Morgen Josef zu ihnen hineinkam und sah, dass sie bedrückt waren, 7fragte er sie und sprach: Warum seid ihr heute so traurig? 8Sie antworteten: Es hat uns geträumt, und wir haben niemand, der es uns auslege. Josef sprach: Auslegen steht bei Gott – doch erzählt mir’s!”

Der Mundschenk und der Bäcker träumen in einer Nacht zwei Träume!
Josef erfährt davon, durch seine Zugewandtheit. Weil er die beiden ansieht, sieht, dass es ihnen schlecht geht, fragt er sie.
Die beiden kommen nicht auf Josef zu. Er wendet sich den beiden zu und ihm wird dadurch die Möglichkeit geschenkt, sein Talent, das ihn einst ins Unglück gestürzt hat, Träumen und Träume deuten, zu seinem Wohl einzusetzen!
Und dann berichten die beiden Josef von ihren Träumen.
Josef hat inzwischen Bescheidenheit gelernt: Auslegen steht bei Gott – nicht mehr bei ihm. Und doch möchte er ihnen helfen. Er weiß um sein Talent.

Im Traum des Mundschenks reift Wein heran, der dann ausgedrückt wird und vom Mundschenk in einem Kelch dem Pharao überreicht wird. Wein, den der Pharao dann gerne trinkt.

Im Traum des Bäckers werden Brotkörbe, die er mühevoll zu Pharao trägt, von Vögeln gefressen.

Die Deutung liefert dann Josef: der Mundschenk wird vom Pharao wieder eingesetzt und der Bäcker wird hingerichtet werden.

Josef hilft Beiden aus freien Stücken. Er bittet den Mundschenk nur darum, ihn nicht zu vergessen. Das geschieht aber zunächst.

Wir lernen aus der Zeit im Gefängnis, dass Gott uns immer wieder Menschen schickt, die verborgene Überraschungen für uns bereithalten. Denen wir helfen können. Dabei erhält Josef nicht sofort seinen Lohn vom Mundschenk. Nein, der Mundschenk vergisst ihn. Aber Josef vertraut darauf, dass seine Hilfe gesehen wird. Gesehen wird von Gott. Und dass Gott dann neue Situationen folgen lässt, in denen sich die Hilfe dann doch auszahlt.

Wenn wir nur helfen würden aus Eigennutz, in der direkten Erwartung auf eine Gegenleistung, würde unsere Gesellschaft schnell zerbrechen. Ein reines Dienstleistungsdenken führt in eine kalte Welt. Eine Welt ohne Gott und Liebe, die sich nicht erhalten kann. Wir sind darauf angewiesen, uns beizustehen, gegenseitig an unserem Leben Anteil zu haben – dem anderen zuliebe.

Würde Josef dem Mundschenk nur nach Gegenleistung seinen Traum deuten, wäre sein Skelett vielleicht heute noch irgendwo in einem ägyptischen Gefängnis auszugraben. Er wäre vielleicht bis zu seinem Tod Gefängnisverwalter geblieben.
Aber Josef handelt anders: Er folgt dem Ruf seines Gottes, seine Mitmenschen zu lieben, ihnen das Beste zu wünschen, auch wenn sie ihn vergessen.
Er übernimmt Verantwortung in seiner Situation, auch wenn er selbst im Gefängnis unfrei ist, sucht er anderen das Beste.

Etappe 6: Karriere bei Pharao
Im Gefängnis beweis Josef seine Größe. Eine Größe, die sich selbst auch zurücknehmen kann. Eine Größe, die ihm als junger Mann gefehlt hat.

Und tatsächlich denkt der Mundschenk wieder an Josef. Viele Jahre später – vielleicht hat Josef die Begebenheit schon wieder vergessen. Er hat schließlich auch anderen im Gefängnis geholfen, hat vielen Menschen ihr Kreuz erleichtert.

Letztlich ist es Gott, der Josef zurück ins Spiel bringt. Das geschieht wieder durch Träume.
Träume bringen Josefs Leben voran. Bei all seiner gewissenhaften Arbeit, sind es doch die Träume Gottes in den Menschen, die Josefs Leben prägen.
Diesmal durch die Träume des Pharaos.

Der Pharao träumt den berühmten Traum von den sieben fetten schönen Kühen und den sieben mageren hässlichen Kühen, die aus dem Nil steigen und die fetten Kühe auffressen. Und den Traum von den sieben dicken und vollen Ähren und den sieben dünnen Ähren.

Die Träume führen Josef vor den Pharao. Der Mundschenk erinnert sich doch noch an den gefangenen Hebräer.

Und Josef verbindet nun seine beiden Talente. Traumdeuten und Verwalter sein.
Er erkennt, dass sich die Träume jeweils auf sieben reiche Jahre und auf sieben arme Jahre beziehen. Und was macht man, wenn man weiß, dass in Zukunft magere Jahre anstehen könnten?
Man sorgt vor und sammelt den Ertrag der guten Jahre, um nicht Hunger zu leiden.

Traumdeuten und Verwalter sein, sind vielleicht gar nicht so fremde Talente. Beide haben etwas mit Weitsicht zu tun, mit Einfühlungsvermögen, mit einem besonderen Gespür für den anderen Menschen. Für beides braucht man den Geist Gottes, der Unterscheidung ermöglicht:

38Und der Pharao sprach zu seinen Knechten: Wie könnten wir einen Mann wie diesen finden, in dem der Geist Gottes ist?
39Und der Pharao sprach zu Josef: Weil dir Gott dies alles kundgetan hat, ist keiner so verständig und weise wie du. 40Du sollst über mein Haus sein, und deinem Wort soll all mein Volk gehorsam sein; allein um den königlichen Thron will ich höher sein als du.

Und der Pharao setzt Josef erneut ein als Verwalter. Damit ist er auf der sechsten Etappe seiner wechselseitigen Reise angekommen. Er wird Ernährer eines ganzen Volkes – später werden wir sehen, mehrerer Völker.
Josef etabliert sich wieder, ja er wird sogar noch mächtiger, steigt noch höher auf, als bei Potifar.
Er heiratet eine ägyptische Frau, nimmt einen ägyptischen Namen an und ihm werden Söhne geboren. Der heutige Abschnitt endet wirklich mit einem Happy End. Zumindest einem vorläufigem. Denn ein Schmerz ist noch nicht beseitigt. Die Gedanken um seine Brüder und seinen lieben Vater treiben Josef weiter um. Wie es da weitergeht, ist dann das Thema für den Abschluss der Predigtreihe.

Josef den Träumer hat das Deuten eigener Träume hat Josef in die Grube gebracht. Er wurde Sklave, konnte dann weit aufsteigen. Eine unmögliche Situation hat ihn tief fallen lassen – gerade weil er sich nicht auf die Frau eingelassen hat. Und wie seine eigenen Träume, ihn fallen gelassen haben, so haben die Träume anderer ihn aufsteigen lassen.

Vielleicht ist das für mich die Botschaft dieser heutigen Etappen: Wenn Josef an andere denkt, gelingt auch sein eigenes Leben. Wenn er seine Bedürfnisse nicht über die der anderen stellt, wenn er dem Rufen der Frau nicht nachgibt, wenn er im Gefängnis die Betrübten anspricht und ihnen hilft, wenn er das Volk mit Nahrung versorgt, dann gelingt sein Leben. Wenn er davor dagegen von eigener Größe geträumt hat, diese versucht hat, umzusetzen, landet er schnell unten.

Darin ist Josef schon ein Ausblick auf einen anderen, der nach ihm kommen wird, und für andere leiden und sterben wird und danach erhöht wird.

Und uns ist er ein hoffnungsvolles Vorbild. Wo wird nicht nur die anderen ansehen, sondern ihnen wirklich helfen, da gelingt auch unser Leben. Dann können wir Gott dort am Werk erkennen, wo wir uns selbst zurückgenommen haben. Dann sind wir auch ein Segen, wie Josef ein Segen ist, wie Israel ein Segen für die Völker ist.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.