GD, 20.8.2023 Predigtreihe Josef , Teil 3

20.8.2023

J.Berewinkel

Wir kommen heute zum dritten und letzten Teil unserer Predigtreihe über Josef. D.Bonhoeffer: „Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen ...

Wir kommen heute zum dritten und letzten Teil unserer Predigtreihe über Josef.
D.Bonhoeffer: „Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann. Dazu braucht er Menschen, die sich alles zum Besten dienen lassen.“
Josef war so ein Mensch. Wir hatten uns an den beiden letzten Sonntagen die Etappen seines Lebens angeschaut:
Wie er als Teenager von seinen Brüdern beneidet wird, weil er der Liebling vom Papa war.
Wie der Neid zum Hass wird und sie ihn in eine Zisterne werfen und ihn dann an Sklavenhändler nach Ägypten verkaufen.
Wie er dort manches Auf und Ab erlebt, wie dadurch sein Charakter geformt wird und er schließlich eine fantastische Karriere beim Pharao macht. Der Pharao vertraut ihm alles an und Josef sorgt für die Menschen und ernährt sich in den Hungerjahren.

Und nun sind wir bei der siebten Etappe angelangt:
Josefs Begegnung mit seinen Brüdern.
Es ist eine der dramatischsten Geschichten in der ganzen Bibel, spannend wie ein Psychothriller.

Josef war also Regierungschef geworden und hat geheiratet.
Seinem ersten Sohn gibt er den Namen: Manasse, d.h. „der vergessen lässt“, denn, so begründet es Josef: Gott hat mich vergessen lassen all meine Mühe und das ganze Haus meines Vaters.“

Das, was er in seiner Familie, mit seinen Brüder erlebt hat, das hing die ganzen Jahre über Josef wie eine ständige dunkle Wolke, das bohrte in ihm wie ein ständiger Schmerz.
Und nun, mit Karriere, Heirat, Kind, denkt er: Jetzt kann ich endlich dieses dunkle Kapitel meines Lebens vergessen. Endlich das alles hinter mir lassen und nicht mehr daran denken müssen!

Aber dann wird er plötzlich mit seiner Vergangenheit konfrontiert.
Wir haben es eben in der Lesung gehört. Die Brüder Josefs reisen nach Ägypten, um dort Getreide zu kaufen, weil auch in Kanaan Hungersnot ist.

Ungefähr 20 Jahre ist es her, dass Josef seine Brüder zum letzten Mal gesehen hatte. Und nun stehen sie plötzlich vor ihm und bitten ihn um Getreide. Sie erkennen ihn nicht – kein Wunder. Er war damals 17, ist jetzt 37, ist als Regierungschef geschminkt und geschmückt wie das damals üblich war. Sie wagen es kaum, ihn anzusehen.
Aber er erkennt sie sofort. Und der erste Gedanke, der ihm kommt, ist: Rache! Jetzt sind sie in meiner Hand! Jetzt zahle ich es ihnen heim! Jetzt sollen sie zittern!

Josef hatte versucht, seine Vergangenheit zu vergessen, den Schmerz zu verdrängen. Aber man merkt hier an seiner Reaktion: Er ist mit seiner Vergangenheit überhaupt nicht versöhnt. Die Wunden sind nicht geheilt. Da ist nur eine Kruste drübergewachsen. Und sobald er die Brüder wieder sieht, bricht die Wunde sofort auf: Rache!
Und er macht ihnen gehörig Angst: Ihr seid Spione! D.h. mit anderen Worten: Ihr müsst sterben!

Die Brüder ahnen ja nichts. Die sind wie vor den Kopf geschlagen, versuchen irgendwie sich zu rechtfertigen: Nein, wir sind wirklich Brüder! Und dann erzählen sie von der Familie, vom Vater, der zu Hause ist, vom kleinen Bruder Benjamin, der bei ihm ist und von einem anderen Bruder – peinlicher Moment – der … der lebt nicht mehr.

Aber Josef bleibt hart: Wenn ihr wirklich keine Spione seid, dann bringt euren kleinen Bruder hierher, sagt Josef, bringt ihn hierher als Beweis eurer Unschuld! Einer von euch bleibt als Geisel, bis ihr euren kleinen Bruder gebracht habt.

Die Brüder gehen völlig niedergeschlagen raus. Und dann sagen sie etwas, das wirft ein völlig neues Licht auf diese Brüder:
V. 21: „Das ist die Strafe für das, was wir unserem Bruder Josef angetan haben. Wir haben seine Todesangst gesehen. Als er uns um Erbarmen anflehte, haben wir uns taub gestellt. Deswegen müssen wir selbst nun diese Angst ausstehen.“

20 Jahre liegt das schon zurück, dass sie ihren Bruder verkauft haben. Und der erste Gedanken, den sie haben, als sie einmal in Schwierigkeiten kommen, ist: das hat mit unserem Bruder zu tun.

Das heißt doch: die ganzen 20 Jahre haben sie diese Schuld mit sich herumgeschleppt; 20 Jahre lang unter dem schlechten Gewissen gelitten.
20 Jahre lang haben sie diese Szene in ihrem Kopf gehabt: wie der Bruder sie mit panischer Angst in den Augen anfleht: Bitte, verkauft mich nicht! und wie sie nicht darauf hörten.
Sie bekamen dieses Bild nicht mehr aus ihren Gedanken raus, haben ihr ganzes Leben lang Angst: Das kommt noch mal auf uns zurück!

Nicht nur Josef konnte die Sache nicht vergessen. Die Brüder konnten es auch nicht.

Schuld vergeht nicht im Laufe der Zeit. Man kann Schuld verdrängen, verdecken, verharmlosen – solange eine Schuld nicht bekannt und bereinigt wird, bleibt sie da und wirkt.
Und viele Menschen leiden an einer alten, unbereinigten Schuld: Eine schlimme Sache, die nicht hätte geschehen dürfen und die doch geschehen ist. Die Schuld ist noch immer da, ungeklärt, unvergeben und sie drückt auf das Gewissen.

Für mich ist es etwas vom Schönsten und Wichtigsten beim Christsein, dass ich mit meiner Schuld anders umgehen kann. Ich muss meine Schuld nicht verdrängen und verharmlosen, sondern ich kann sie los werden. Jesus ist aus genau diesem Grund gekommen, um unser Schuldproblem zu lösen, um mir meine Schuld abzunehmen, mich frei zu machen.

Schuld kann vergeben werden. Es gibt ein altes Ritual, das uns helfen kann, diese Vergebung konkret zu erfahren. Das ist die Beichte. Ich meine jetzt nicht Beichte als Pflichtübung, als frommes Ritual, wie sie ja vielfach verstanden wird. Beichte ist nichts rein Katholisches. Luther hat sein Leben lang die Beichte praktiziert. Sie meint ja im Kern: Dass ich vor Gott und vor einem menschlichen Zeugen eine Schuld, die mich in meinem Gewissen belastet, ausspreche, ans Licht bringe: Das und das habe ich getan! Und dass mir dann dieser Bruder oder Schwester im Namen Jesu zusagt: Diese Sünde ist dir vergeben!

Ich möchte Ihnen Mut machen, die Möglichkeit zur Beichte wahrzunehmen, bei einem Menschen, dem Sie vertrauen. Nicht als Pflichtübung, sondern als ein Angebot, das Gott uns macht, Vergebung konkret zu erfahren.

Zurück zu Josef.

Der ist hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sich zu rächen und der Sehnsucht nach Versöhnung. Und darum macht er bei der zweiten Begegnung einen Test mit ihnen.

Die Brüder hatten zuhause ihrem Vater erzählt, was passiert ist, dass einer von ihnen, Simeon, als Geisel in Ägypten festgehalten wird, bis sie Benjamin mitbringen.
Jakob ist alt und inzwischen etwas starrköpfig. Er weigert sich Benjamin ziehen zu lassen. Er hängt unheimlich an seinem Jüngsten und hat Angst, dass ihm etwas zustoßen könnte.
Aber dann, nach langem hin- und her, können sie ihn überreden. Juda, einer der ältesten Söhne, verspricht seinem Vater hoch und heilig: Ich bringe dir den Benjamin heil zurück. Ich bürge für seine Sicherheit. Dann lässt Jakob ihn schweren Herzens mitziehen.

Sie kommen nach Ägypten und werden von Josef total freundlich behandelt. Der macht ein Fest für sie, lässt Simeon frei. Er isst und trinkt mit ihnen, füllt ihre Säcke mit Getreide und lässt sie in Frieden ziehen.
Aber dann bringt er die Spannung auf den Höhepunkt: Bevor sie losziehen, lässt Josef in den Getreidesack von Benjamin seinen silbernen Becher verstecken.

Josef will sie wohl testen. Haben sie sich verändert? Werden sie noch einmal einen Bruder opfern, um selber heil davon zu kommen?

Jetzt versetzt Euch mal in die Brüder hinein! Die brechen am Morgen gut gelaunt auf. Alles ist noch mal gutgegangen! Puh, das haben wir geschafft.
Dann hören sie hinter sich Pferdegetrappel, Soldaten kommen herangaloppiert. Ein Beamter von Josef sagt ihnen mit zornigster Miene: Ihr habt meinen Herrn bestohlen!
Die Brüder bekommen einen riesigen Schrecken. Nein! Wir haben nichts. Schau nach. Wenn du bei einem von uns irgendwas findest, soll er sofort sterben!
Und dann wird ein Sack nach dem anderen geöffnet. Nichts wird gefunden. Zum Schluss ist Benjamins Sack an der Reihe. Sie machen ihn auf. Und da blinkt oben auf dem Getreide ein silberner Becher.
Was muss da in den Köpfen der Brüder vorgegangen sein! Die Vorstellung, ohne Benjamin zurückzukehren, das Gesicht des Vaters… Stellt euch das nur einmal vor!

Und dann stehen sie wieder alle vor Josef. Der sagt: Ihr alle dürft nach Hause gehen, aber euer Bruder Benjamin muss als Sklave hier in Ägypten bleiben.

Und dann tritt Juda vor. Und was er nun sagt, das gehört für mich zum Bewegendsten in der ganzen Geschichte:

1.Mose 44, 30-33:
„Ich kann nicht ohne den Jungen zu unserem Vater, zurückgehen. Sein Herz hängt doch so sehr an ihm! Wenn er sehen müsste, dass der Junge nicht bei uns ist, würde er sterben. Dann würden wir unseren alten Vater vor Kummer ins Totenreich bringen. Ich habe bei meinem Vater für den Jungen gebürgt … Darum lass doch bitte mich anstelle des Jungen hierbleiben! Ich werde meinem Herrn als Sklave dienen.“

Juda ist bereit, sein Leben für seinen kleinen Bruder zu opfern, selber Sklave in Ägypten zu werden, das zu werden was Josef geworden ist, damit der Bruder frei bleibt und dem Vater erhalten bleibt.

An diesem Punkt, wo klar wird, dass die Brüder Benjamin nicht im Stich lassen werden, da lässt Josef seine Maske fallen, gibt sich zu erkennen:

45, 1-5
„Josef konnte sich nicht mehr beherrschen und rief vor allen, die um ihn herum standen: Geht alle hinaus! Weg von hier! Als kein Ägypten mehr dabei waren, gab sich Josef seinen Brüdern zu erkennen. Er brach in Tränen aus und weinte so laut, dass die Ägypter es hörten.“
Sie fallen sich um den Hals, weinen und lachen. Riesenschrecken und Riesenfreude – alles zugleich.

So ist Versöhnung!
Ein riesiger Stein, der Josef und den Brüdern von Herzen fällt.
Es ist, als würde nach 20 Jahren Regenwetter die Sonne wieder scheinen.
Nach 20 Jahren findet Vergebung und Versöhnung statt.

Wie hat Josef das eigentlich geschafft, seinen Brüdern zu vergeben?
Das ist ja eine ganz entscheidende Frage für uns alle.
Viele Familien und viele Gemeinden gehen kaputt, weil es nicht gelingt, sich zu versöhnen.

Ich hatte mal ein Trauergespräch; es ist schon etliche Jahre her. Da sprach ich mit der Tochter, deren Vater gestorben war. Sie erzählte viel von ihrem Vater, war da ganz einfühlsam, weich, bewegt. Und dann kamen wir irgendwie auf ihren Bruder zu sprechen. Und mit einem Moment versteinerte sie. Das Gesicht wurde hart, die Stimme kalt. Sie erzählte, was ihr Bruder ihr angetan hat – Jahre her und dass sie mit ihm kein Wort mehr redet. An Versöhnung war nicht zu denken.

Sie kennen so etwas sicher. Es kommt in so vielen Familien vor und auch in Gemeinden.
Da ist in der Vergangenheit etwas passiert. Da ist ein Mensch an einem anderen schuldig geworden und das steht nun da wie eine große, hohe Mauer. Man kann und man will sich nicht versöhnen. „Das werde ich dir nie verzeihen!“ Kennen Sie das von sich selbst? Oder in Ihrem Umfeld?

Wenn wir in heilen Beziehungen leben wollen, dann wird das nur gelingen können durch Vergebung und Versöhnung!

Wie hat Josef das also geschafft, seinen Brüdern zu vergeben?

Natürlich half es ihm, dass er Zeit hatte. Zwischen dem ersten Besuch der Brüder und dem zweiten lagen etliche Monate, in denen er mit sich selbst gerungen hat.

Natürlich half es ihm zu sehen, dass seine Brüder sich verändert haben.

Aber das Entscheidende ist doch etwas anderes:
Josef sieht das, was damals geschehen ist, jetzt mit anderen Augen. Er sieht es in einem anderen Licht:

Als er sich seinen Brüdern zu erkennen gibt, da sind die erst mal vor Schock wie erstarrt und dann sagt er ihnen: Ich bin Josef, euer Bruder, den ihr nach Ägypten verkauft habt. Seid nicht betrübt und macht euch keine Vorwürfe … Denn Gott hat mich euch vorausgeschickt, um vielen Menschen das Leben zu retten.“ Kp. 45,5)

Das ist doch unglaublich, was er da sagt, oder?!
Gott hat mich vor euch her nach Ägypten geschickt!

Wir sehen einen jungen Mann, der gefesselt auf ein Kamel gezogen wird, der sich mit allen Kräften wehrt und strampelt und um Hilfe schreit. Wir sehen Brüder, die grinsend zuschauen, sehen Kaufleute, die zufrieden sind über einen guten Sklavenkauf.

Aber Josef sieht jetzt noch etwas anderes: Er sieht: In all dem Schlimmen, das da passiert ist, war Gott da.
Und Gott war der eigentliche Regisseur. Gott hielt auch in dieser schlimmen Situation die Fäden in der Hand.

Später sagt es Josef seinen Brüdern noch mal mit anderen Worten:
(50,20) „Ich hattet Böses gegen mich beabsichtigt. Aber Gott hatte beabsichtigt, es zum Guten zu wenden.“

Gott hat eure bösen Pläne, eure Sünde in seinen Dienst genommen, um mich hierher in diese Position zu bringen und so euch am Leben zu erhalten, euch vor dem Hungertod zu retten!

Das Böse wird nicht verharmlost. Es war schlimme Schuld.
Aber Gott kann selbst das Böseste der Menschen in seinen Dienst nehmen und noch etwas Gutes daraus machen.

1700 Jahre später ist etwas Ähnliches geschehen.
Da wurde auch ein Mann von seinen Brüdern, von dem eigenen Volk, an die Heiden ausgeliefert. Der musste auch ganz nach unten, musste die tiefste Erniedrigung, tiefstes Leiden aushalten.
Da hat Gott auch die bösen Pläne der Menschen in seinen Dienst genommen. Und durch das Leiden des einen hat er die vielen gerettet.
Dass Jesus gekreuzigt wurde, das ist Schuld von Menschen, schlimmste Schuld.
Und doch hat Gott diese böse Tat benutzt, um daraus etwas Gutes zu machen: um die Schuld der Welt auf sich zu ziehen und so alle Schuld zu vergeben.

So groß ist Gott. So souverän und tief wirkt er in dieser Welt.

Josef hat etwas davon erkannt.
Er hat erkannt: Mein Leben und alles, was in meinem Leben geschieht, ist in Gottes Hand.
Und als ich in der Hand meiner Brüder war und in den Händen der Sklavenhändler, da war ich doch gleichzeitig in einer größeren Hand, die mich hält und die etwas Gutes mit meinem Leben vorhat.

Wir haben unsere Predigtreihe begonnen mit dem Wort von Dostojewski: Habe dein Schicksal lieb. Es ist der Weg Gottes mit deiner Seele.
Josef war mit seinem Schicksal versöhnt. So konnte er auch seinen Brüdern vergeben. So konnte Versöhnung geschehen.

Ich wünschte mir, dass wir das von Josef lernen: dass wir unsere Lebensgeschichte mit anderen Augen betrachten: Meine Lebensgeschichte mit all den Aufs und Abs, dem Guten und dem Bösen, ist Gottes Geschichte mit mir, ist Gottes Weg mit meiner Seele.

Und der Friede Gottes, der unsere Vernunft übersteigt, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.