Predigt, 10.3.2024 1Petr. 5, 1-4 (Einführung Presbyterium)

10.3.2024

J.Berewinkel

Liebe Geschwister, wenn ich Hausbesuche mache, dann kommt es manchmal vor, dass der Besuchte sagt: Na, Herr Pfarrer, kommen Sie Ihre Schäfchen besuchen? Man sagt das dann natürlich ...

Liebe Geschwister,
wenn ich Hausbesuche mache, dann kommt es manchmal vor, dass der Besuchte sagt:
Na, Herr Pfarrer, kommen Sie Ihre Schäfchen besuchen?
Man sagt das dann natürlich mit einem Schmunzeln und leichter Ironie. Denn ernsthaft wird sich ja keiner als Schaf bezeichnen.

Dieses Bild von der Gemeinde als Schafherde – ich möchte dem gerne mal mit Euch auf den Grund gehen. Wo kommt das her? Und wer ist eigentlich das Schaf und wer der Hirte?

In dem Bibeltext, den wir eben euch neuen Pb-Mitgliedern vorgelesen haben, kommt dieses Bild ja auch vor.
Da wird den Presbytern, den Gemeindeältesten, gesagt: „Leitet die euch anvertraute Gemeinde Gottes wie ein Hirte seine Herde!“

Die Presbyter und Presbyterinnen – sind hier also die Hirten (nicht der Pfarrer)!
Und die Gemeindeglieder sind die Herde, sind die Schafe.

Aber am Ende von diesem Abschnitt spricht Petrus von einem anderen Hirten. Er schreibt: „Wenn dann der oberste Hirte erscheint, werdet ihr den Siegeskranz empfangen, dessen Herrlichkeit unvergänglich ist.“

Es gibt also einen obersten Hirten. Damit meint er Jesus.

Das Bild von Schafen und Hirten ist aber noch älter. Das kommt schon im Alten Testament vor.
Wir haben ja vorhin Psalm 23 gesprochen.

(ppp: Ps 23)
Da sagt der Psalmschreiber:
„Der Herr ist mein Hirte.“
Wenn er so sagt: Gott ist mein Hirte, dann sagt er damit von sich: Ich bin das Schaf.

Wenn der Psalmschreiber sich hier mit einem Schaf vergleicht, dann ist das keine Selbstabwertung. Er will damit nicht sagen, dass er nur einen Schafs-IQ hat.
Sondern es ist eine Vertrauensaussage.
Er sagt damit:
Du, Gott, bist für mich wie ein guter Hirte! Du sorgst für mich! Du führst mich. Du bist mir nah, auch im dunklen Tal. Dir kann ich voll vertrauen.

Er macht nicht sich klein, sondern er macht Gott groß.

Und er weiß natürlich:
Ich hab als Mensch mein Leben nicht in der Hand.
Ich kann noch so schlau sein, noch so reich sein – im Letzten habe ich mein Leben nicht in der Hand.
Ob mein Herz morgen noch schlägt, das kann ich nicht sicherstellen.
Ich vertraue mir nicht selber, aber ich vertraue Gott.

Schafsidentität hat also nichts mit Abwertung zu tun, sondern bedeutet, ins rechte Verhältnis zu Gott zu treten.
Sich seine Abhängigkeit von Gott bewusst machen.

Der Theologe Hermann Bezzel hat mal sehr schön beschrieben, was Frömmigkeit ist.
Er sagte: „Frömmigkeit ist der Entschluss, die Abhängigkeit von Gott als Glück zu bezeichnen.“

Der Herr ist mein Hirte. Ich hänge an ihm und vertraue ihm.

Darum und in diesem Sinne sind wir alle Schafe – sofern wir diesem Hirten vertrauen.

Jesus greift dieses Bild übrigens auf.

(ppp: Joh. 10,11)
Er sagte einmal von sich selber:
„Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte gibt sein Leben für die Schafe.“ (Joh.10,11)

Die Schafe, das sind die Menschen, die Jesus vertrauen; die sich von ihm führen lassen. Seine Jünger.

Und für die setzt Jesus als Hirte sein Leben ein.
Hier wird klar, dass das Bild von Hirte und Schafherde nicht irgendeine schöne Idylle beschreibt.
Als Hirte hat Jesus sein Leben eingesetzt und hingegeben.
Wir sind ja gerade in der Passionszeit, wo wir daran denken.
So hat Jesus sein Leben gesehen: Dass er als Hirte sich für uns Menschen hingibt.
Dass er sein Leben einsetzt, damit wir das Leben haben, damit wir mit Gott versöhnt sind und miteinander und ewiges Leben haben.

Und er ist nicht im Tod geblieben.
Als Auferstandener geht er uns voran.
Er ist auch heute als Hirte für uns da.

(ppp: Hirte – Herde)
Hier sehen wir es als Grafik:
Jesus ist der gute Hirte, und wir als Gemeinde, als Kirche, sind seine Schafe. Wir hören auf ihn. Wir trauen ihm. Wir folgen ihm.

Das ist das Wesen von Kirche.

Martin Luther hat das einmal sehr schön auf den Punkt gebracht. Er schreibt in den Schmalkaldischen Artikeln: „Es weiß gottlob ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche sei, nämlich die heiligen Gläubigen und Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören.“

So einfach ist das, sagt, Luther, dass ein kleines Kind das versteht: Kirche, das sind die Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören.
Kirche – übrigens egal ob katholisch oder evangelisch – sind wir, wenn wir auf die Stimme von Jesus hören als unserem Hirten.

Er der Hirte. Wir die Schafe. So weit, so klar.
Das versteht ein Kind von sieben Jahren.

Jetzt wird es ein bisschen komplexer.
Denn Schafe können zu Hirten werden.

Wir haben das ja vorhin gesehen in dem Brief von Petrus. Da schreibt er die Presbyter als Hirten an, die sich um die Herde Gottes kümmern sollen:

(F: 1.Petr.5)
„Leitet die euch anvertraute Gemeinde Gottes wie ein Hirte seine Herde!“

Die Presbyter sind hier also die Hirten.
Er macht aber zugleich deutlich, dass sie vor Jesus, dem obersten Hirten, verantwortlich sind.
Sie sind also einerseits Teil der Herde und haben Jesus zum Hirten.
Aber sie nehmen zugleich Hirtenfunktion wahr.
Sie sollen die Gemeindeglieder leiten und geistlich nähren und für sie sorgen – wie Hirten für die Schafe sorgen.

Dabei unterstreicht Petrus, dass das Hirtesein kein Machtanspruch ist. „Spielt euch in eurer Gemeinde nicht als Herrscher auf!“, schreibt er. „Macht es nicht, um irgendwelchen Profit daraus zu ziehen!“, sondern dient der Gemeinde, wie Jesus es gemacht hat.

Also – Presbyter sind Schafe und Hirten zugleich.

Mit uns Pfarrern ist es übrigens genau so. Das alte Wort für Pfarrer ist ja Pastor. Das ist das lateinische Wort für Hirte.
Als Pfarrer ist man für die Gemeinde verantwortlich. Und dafür sind wir ausgebildet und hauptberuflich angestellt.
Aber natürlich bin ich als Pfarrer – wie die Presbyter – zugleich Schaf. Teil der Herde, unter Jesus als dem Hirten.

(ppp: Hirte – Schafe/Hirten – Herde)
Wir sehen es hier noch mal grafisch:
Jesus, der Auferstandene, der Hirte, beruft Menschen, damit sie mit ihm zusammen den Hirtendienst ausüben, als seine Mithelfer, die in seinem Sinne die Gemeinde leiten.

Eine kurze Zwischenüberlegung:
Was qualifiziert eigentlich diese Menschen zum Hirtendienst? Ob jetzt hauptamtliche Theologen oder Presbyter und Presbyterinnen?
Man könnte ja denken: Für so einen Hirtendienst muss man geistlich besonders qualifiziert sein. Das sind die besonders Frommen, die Glaubenselite sozusagen.

Aber da würden wir ganz falsch liegen.
Petrus schreibt ja diesen Brief, und an ihm wird deutlich, was für Qualitäten es braucht.
Petrus war ein Nachfolger von Jesus und als solches der totale Versager. Er hat Jesus in dem entscheidenden Moment im Stich gelassen. Er hat ihn verleugnet und allein gelassen. Eine echte Glaubensniete.

Aber dann, als Jesus auferstanden ist, da hat er ausgerechnet diesen Petrus berufen und hat ihm den Auftrag gegeben: „Weide meine Schafe!“
Er hat ihn also als Hirten eingesetzt, als seinen Hilfshirten: Weide meine Schafe! Kümmere dich um meine Gemeinde!

Ich finde das interessant: Gerade da, wo Petrus am Nullpunkt ist und geistlich nichts zu vorzuweisen hat, wo er mit seiner Frömmigkeit und seinem Eifer total gescheitert war, gerade da wird er berufen zum Hirtendienst.

Und die einzige Frage, die Jesus ihm vorher stellt, ist: Hast du mich lieb?
Also – willst du wieder zu mir gehören? Willst du mit mir verbunden sein?

Wenn Jesus Menschen zu Hirten beruft, dann erwartet er von uns nicht fromme Höchstleistungen und einen riesigen Glauben, sondern dass wir uns mit unseren Zweifeln und unserem Scheitern an ihn hängen und ihn nicht loslassen. Dass wir ihn ein kleines bisschen lieb haben. Mehr nicht.

Also: Schafe werden zu Hirten, obwohl sie gar nicht qualifiziert sind. Und sie bleiben doch Teil der Herde.

Jesus, der Hirte.
Pfarrer/Presbyterium als Schafe und Hirten
Die Gemeinde als die Herde.

Jetzt wird es noch ein bisschen komplexer.

In einem anderen Brief im Neuen Testament hat der Apostel Paulus etwas sehr Interessantes geschrieben:

(ppp: Eph 4)
„Jesus hat jedem eine besondere Gabe geschenkt: Die einen hat er zu Aposteln gemacht. Andere zu Propheten oder zu Verkündern der Guten Nachricht. Und wieder andere zu Hirten oder Lehrern. Deren Aufgabe ist es, die Heiligen (das ist die Gemeinde) für ihren Dienst zu schulen. So soll der Leib von Christus aufgebaut werden. Schließlich sollen wir alle vereint sein im Glauben und in unserer Kenntnis von Gottes Sohn. Wir sollen zu vollendeten Menschen werden und erwachsen genug, Christus in seiner ganzen Fülle zu erfassen.“ (Epheser 4, 11-13)

Jesus, der Auferstandene, gibt den Menschen in seiner Gemeinde unterschiedliche Gaben und Aufgaben. Manche macht er zu Hirten und Lehrern.
Hier haben wir also die Hirten wieder.

Aber die Hirten sind nicht dazu da, die Schafe dumm und klein zu halten. Im Gegenteil: Die Hirten haben die Aufgabe, die anderen Gemeindeglieder zu schulen und aufzubauen. Das Ziel ist, dass die Gemeindeglieder in ihrem Glauben reifen, dass sie Christus tiefer erkennen, dass sie geistlich erwachsen werden.

Das moderne Wort dafür ist „Empowerment“. Es geht um Ermächtigung. Um die Entfaltung von Potenzial und Gaben. Um geistliche Mündigkeit.

Das simple Bild von Hirt und Herde wird auf einmal sehr dynamisch.

(ppp: Hirte – Schafe/Hirten – mündige Gemeinde)

Der Hirtendienst von Pfarrern und Presbytern ist kein Betüdeln der Gemeindeglieder. Kein „Wir machen das schon für euch.“
Sondern das Ziel ist eine mündige Gemeinde, dass alle in der Gemeinde sich geistlich weiter entwickeln, im Glauben wachsen, ihre Gaben entfalten und Verantwortung übernehmen. Verantwortung für die Gemeinde, für andere Menschen.

Also – alle werden ein Stück weit zu Hirten.
Aus Schafen werden Hirten.
Das gilt nicht nur für Pfarrer und Presbyterium, sondern für die ganze Gemeinde.

Und das ist ein Punkt, der für die Zukunft sehr wichtig werden wird.

In unserer Gemeinde und Kirche ändert sich vieles.
Wir gehen auf eine Fusion zu, werden eine große Gemeinde. Es wird weniger Pfarrpersonen geben.
Wenn ich in Ruhestand gehe, wird es möglicherweise keinen Pfarrer geben, der hier vor Ort wohnt.

Und auch die Arbeit des Presbyteriums wird sich verändern. Es wird einen größeren Verantwortungsbereich haben.

Wir haben bisher ja eine sehr komfortable Situation gehabt: Kleine Gemeinde, volle Pfarrstelle. Viele Hauptamtliche.

So ein Komfort ist wunderbar.
Aber er kann auch dazu führen, dass man als Gemeindeglied denkt: Die Hauptamtlichen, die machen den Service, die machen das Programm, und wir sind die Gäste und gucken uns das an. Wir zahlen ja dafür die Kirchensteuer, damit die uns versorgen.

Oder um es im Bild zu sagen:
Das sind die bezahlten Hirten. Die sorgen für uns.
Wir sind ja nur die Schafe. Wir futtern, wir konsumieren.

Von Euch denkt natürlich niemand so. Aber es soll Menschen geben, die diese Haltung haben.

Für die Zukunft unserer Gemeinde wird es entscheidend sein, dass es hier zu einem Mentalitätswandel kommt.
Dass wir das Modell aus dem Epheserbrief tatsächlich verinnerlichen:

Jeder in der Gemeinde ist berufen, Hirte und Hirtin zu werden, also Verantwortung zu übernehmen, für sich und für andere.
Selber zu schauen: Wie kann ich im Glauben wachsen? Wo finde ich geistliches Futter? Was bringt mich weiter?
Und zu schauen: Wie kann ich andere fördern? Wie kann ich mich mit meinen Gaben einbringen? Was kann ich beitragen, damit die Gemeinde sich gut entwickelt? Was kann ich tun, damit neue Leute dazu kommen? Wen kann ich einladen in den Gottesdienst oder in den Chor? Wem kann ich helfen, der gerade Unterstützung braucht?

Wenn wir anfangen, diese Fragen zu stellen – was meint ihr, was dann für eine Dynamik abgehen wird?!!

Und genau so ist Gemeinde gedacht.
Das ist das neutestamentliche Bild von Gemeinde.

Und so eine Gemeinde hat Zukunft:
Eine Herde von Schafen, die auf Gott als dem Hirten vertrauen, die auf Jesus hören und ihm folgen.
Und die auf diese Weise mündig werden und selber Hirten für andere werden.

Und der Friede Gottes, der unsere Vernunft übersteigt, bewahre eure Herzen und Gedanken in Jesus Christus. Amen.