Predigt, 10.7.2022 „Unzufriedenheit“

10.7.2022

J.Berewinkel

„Teures 0815 Essen. Service langsam und nicht kundenorientiert und unprofessionell“ „Leckeres Essen, sehr große Portionen, lockere Bedienung“ Liebe Geschwister, haben Sie schonmal eine Google-Bewertung hinterlassen? Bei Google-Maps findet ...

„Teures 0815 Essen. Service langsam und nicht kundenorientiert und unprofessionell“

„Leckeres Essen, sehr große Portionen, lockere Bedienung“

Liebe Geschwister,

haben Sie schonmal eine Google-Bewertung hinterlassen? Bei Google-Maps findet man zu jedem Restaurant und jedem Geschäft, sogar zu jeder Schule und Kirche Bewertungen. Zwei davon haben Sie gerade gehört. Einen bis fünf Sterne gibt es da. So kann man sich ganz leicht informieren, wo es gutes Essen gibt, oder wo man lieber die Finger von lässt.

Unzufriedenheit ist das Thema dieser Predigt der Predigtreihe lästige Laster lassen und die Google-Bewertungen verraten viel über das Phänomen der Unzufriedenheit.

Für die Psychologie ist Unzufriedenheit der Zustand, der sich einstellt, wenn die Erwartung höher ist als das Erlebnis bzw. die Realität. Also nur ein Stern. Zufriedenheit kommt dann, wenn die Erwartung erfüllt, oder sogar übertroffen wurde. Also fünf Sterne.

Und dann gibt es noch die Zustände dazwischen. Man kann zwei bis vier Sterne geben, je nachdem, wie sehr die Erwartungen erfüllt wurden.

Aber Zufriedenheit ist auch mehr als Bedürfnisbefriedigung.

Immanuel Kant schreibt dass Zufriedenheit der Zustand ist, wenn der Mensch seine Pflicht erfüllt und sich dessen bewusst ist. Weiter schreibt er, dass man diesen Zustand auch Glückseligkeit nennen kann.

Zufriedenheit und Glückseligkeit können zumindest bei Kant also synonym verwendet werden. Zufriedenheit ist dann also das höchste Ziel aller Religion und Philosophie von Platon über Augustin bis hin zu Kant.

Aber ist Unzufriedenheit dann direkt ein Laster? Müssen wir wirklich immer in Zufriedenheit leben? Können wir das?

Ich denke nicht. Wenn wir immer unter dem Zwang ständen, glücklich und zufrieden zu sein, und alles andere Sünde wäre – wäre das noch echte Zufriedenheit?

Und tatsächlich ist Unzufriedenheit in der kirchlichen Tradition keine klassische große Sünde, bzw. Todsünde wie Trägheit (letzte Woche), Neid oder Gier, die in der Predigtreihe auch noch drankommen.

Unzufriedenheit kann auch sehr wichtig und angebracht sein.

Der Prophet Amos zum Beispiel hat die Reichen Israels angeklagt. Die hausten in Palästen, während die Armen hungerten und die Geringen unterdrückt wurden. Er war unzufrieden über diese Ungerechtigkeit, predigte den Reichen das Gericht.

Wäre Luther nicht mit dem Zustand der katholischen Kirche unzufrieden gewesen, hätte es keine Reformation gegeben.

Ohne Unzufriedenheit über das Tempo der Klimaschutzmaßnahmen, gäbe es keine Demonstrationen, würde niemand darüber berichten, und es würde alles noch langsamer gehen.

Mit gewissen Dingen sollen und können wir uns also nicht zufrieden geben. Das hätte auch schlimme Folgen für unsere Gesellschaft. Manchen Dingen kann man mit gutem Gewissen nur einen Stern geben.

Dann gibt es aber noch eine tiefergehende, fast schon chronische Unzufriedenheit. Diese Unzufriedenheit ist schwerer zu fassen. Sie ist eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben und zeigt sich darin, dass man schnell gereizt ist und keine Geduld hat.

Die chronische Unzufriedenheit kommt oft daher, dass die eigenen Erwartungen an uns selbst nicht erfüllt werden. Aufgaben fallen schwerer als man denkt, und man ist noch nicht so weit, wie man eigentlich kommen wollte.

Und wir sehen in Werbung und Medien dauernd Menschen, die glücklicher und erfolgreicher zu sein scheinen, ein größeres Haus haben und mehr lächeln als man selbst.

Wir selbst haben dann das Gefühl, die eigenen Erwartungen nicht erfüllen zu können. Manchmal schieben wir das dann auf „die Anderen“, die uns daran hindern, oder die Umstände. Es ist leicht unzufrieden zu sein: Wir hätten gerne dieses und jenes und sowieso auch mehr Geld. Da kann Unzufriedenheit dann schnell zum Dauerzustand werden.

Diese chronische Unzufriedenheit sorgt dafür, dass wir uns abkapseln. Sie stört unsere Beziehungen – zu den Menschen und zu Gott. Man möchte mit niemandem mehr etwas zu tun haben, vergräbt sich und ist mürrisch und verstimmt.

Ich denke, jeder hier kennt auch diese tiefergehende Unzufriedenheit. Manche neigen vielleicht eher dazu als andere. Einigen sieht man es leicht an. Andere wirken meist zufrieden. Aber doch vermute ich, dass zumindest punktuell jeder mit dem Laster der Unzufriedenheit zu kämpfen hat.

Sie kann sich ins Herz pflanzen und uns und unsere Beziehungen stören.

Ein biblisches Beispiel dafür sind die Israeliten in der Wüste.

Sie waren in Ägypten unterdrückt und dann von Mose aus dem Land geführt worden.

Dabei sind sie immer wieder in bedrängende Situationen gekommen. Sie hatten nicht immer genug Wasser und Nahrung. Sie verliefen sich in der Wüste.

Da waren sie unzufrieden und beschwerten sich. Und irgendwann als ihnen Gott so fern schien, haben sie sich eigene Götter gemacht. Sie haben etwas angebetet, von dem sie sich mehr Hilfe erhofft hatten als von ihrem fernen Gott. In ihrer Unzufriedenheit wollten Sie mit ihrem Gott nichts zu tun haben. Und hätte Gott nicht gehandelt, wäre das fast das Ende der Geschichte Gottes mit den Menschen gewesen.

In der Erzählung finden Gott und die Israeliten dann doch wieder zusammen. Aber die Geschichte zeigt, wozu dauerhafte Unzufriedenheit im schlimmsten Fall führen kann.

Die Bibel kennt also die Gefahren der dauerhaften Unzufriedenheit. Aber auch wie man mit dem Laster der Unzufriedenheit umgehen kann, lässt sich in der Bibel erkennen. Ich habe vier Aspekte herausgesucht, die helfen können, in Sachen Zufriedenheit zur fünf-Sternebewertung zu kommen:

A) Ehrlich über die eigene Unzufriedenheit sein

Ein wichtiger Schritt ist es, sich einzugestehen, dass man unzufrieden ist. Wenn sich Unzufriedenheit in einen hineinfrisst, wird sie gefährlich. Es verlangt Mut und Ehrlichkeit, Unzufriedenheit auszusprechen.

Jemand, der seine Unzufriedenheit und Verzweiflung in aller Härte ausspricht ist Hiob. Er spricht seinen Freunden gegenüber aus, was er fühlt: „Wenn man doch meinen Kummer wägen und mein Leid zugleich auf die Waage legen wollte! Denn nun ist es schwerer als Sand am Meer.“

Sie müssen nicht immer lächeln. Wenn Sie so tun, als ob alles gut ist, wenn es Ihnen eigentlich schlecht geht, frisst sich die Unzufriedenheit tief ins Herz.

Das ist gar nicht so einfach. Gerade mir fällt es oft schwer, richtig auszudrücken, wenn ich mit etwas unzufrieden bin. Oft zucke ich mit den Schultern und nehme Dinge hin – bis manchmal dann doch die Unzufriedenheit aus mir herausbricht. Dabei zeigt das Hiobbuch, dass am Ende Hiob im Recht ist, der sich nicht mit der Ungerechtigkeit abfinden möchte. Dagegen werden seine Freunde widerlegt, die ihm sagen, er soll sich mit der Situation abfinden, irgendeinen Grund wird es für sein Leid schon geben.

Also erster Punkt: Gestehen Sie sich selbst Unzufriedenheit ein. Unzufriedenheit selbst ist nicht schlimm. Aber der falsche Umgang mit ihr lässt das Herz verbittern.

B) In Kontakt mit Gott bleiben

Dann sollte man diese Unzufriedenheit auch vor Gott bringen. Die Psalmen bestehen zu einem großen Teil aus den sogenannten Klagepsalmen. In ihnen bringen die Beter ihre Beschwerden und Anfechtungen vor Gott und fordern von ihm Hilfe.

Ein solcher Psalm ist der Psalm 73, der Psalm Asafs, den wir am Anfang des Gottesdienstes gesprochen haben: Hier sagt Asaf:

„Soll es denn umsonst sein, dass ich mein Herz rein hielt und meine Hände in Unschuld wasche? Ich bin täglich geplagt, und meine Züchtigung ist alle Morgen da.“

Asaf wendet sich an Gott in seiner Anklage und seiner Zerrissenheit. Für uns ist es ein großer Vorteil, dass wir unsere Unzufriedenheit Gott klagen können. Nicht immer sind Freunde um uns wie bei Hiob, wenn wir unzufrieden sind.

Fast jeder Psalm enthält auch Klagen und Beschwerden – Ähnlich wie beim Eingestehen der Unzufriedenheit, ist es wichtig, diese auch Gott gegenüber auszudrücken – sie rauszulassen.

Mir hat einmal eine Frau erzählt, dass sie schwer mit Gott zu ringen hat, weil sie so stark unter Migräne leidet. Wie Asaf fühlt sie sich geplagt und leidet sehr. Und oft klagt sie auch Gott an: „Was soll das? Ich habe doch immer mein bestes gegeben und gut gelebt?“

Wenn man Gott klagt, heißt das, dass man ihm letztlich vertraut, dass er hört und da ist. So heißt es im Asafpsalm später auch: „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.“

Letztlich hofft und bittet Asaf, dass Gott es besser macht. Diese Hoffnung auf Beistand und Erlösung steckt in jeder Klage. Wer sich bei Gott beklagt, hat nicht mit seiner Situation abgeschlossen. Er bittet, dass es besser wird.

Also: Brechen Sie auch in Unzufriedenheit den Kontakt zu Gott nicht ab. Er ist offen für die Klage, nicht nur für das Lob.

C) Von Gott aus denken

Nun das dritte Beispiel: Paulus und sein Umgang mit der Unzufriedenheit.

Paulus müsste eigentlich oft unzufrieden gewesen sein. Er hatte alles gehabt: Eine gute Karriere vor Augen, eine super Ausbildung, hohes Ansehen und – sein Bürgerrecht lässt darauf schließen – eine wohlhabende Familie, die ihn unterstützen konnte.

Dann hatte er jedoch eine Erscheinung vor Damaskus, die ihn zutiefst verstört hatte. Er hat sich für drei Jahre zurückgezogen, um mit diesem Erlebnis zu ringen. Schließlich hat es dazu geführt, dass er den Menschen von Jesus Christus predigen wollte.

Dabei lief es aber nicht rund: er verlor seine Heimat, wurde von Römern und Juden angegriffen, musste sich mit anderen Missionaren rumärgern, die ihm rhetorisch überlegen waren. Der sogenannte „Stachel im Fleisch“ – was auch immer das war, vielleicht eine Krankheit? – plagte ihn und dreimal hat er darum gebeten, das Gott sein Leid wegnimmt. Oft wurde er gefangengenommen und ist mehr als einmal fast umgebracht worden.

Aus dem Gefängnis schreibt er trotz allem über sich selbst an die Philipper: „Ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie´s mir auch geht. Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides, Überfluss haben und Mangel leiden.“ (Phil 4,11-12)

Paulus scheint als trotz allem ein zufriedener Mann gewesen zu sein.

Warum?

Im Philipperbrief heißt es weiter: „Ich vermag alles, durch den, der mich mächtig macht“ (Phil 4,13).

Dieser Vers kann leicht missverstanden werden. Paulus sagt nicht, dass ihm alles gelingt, was er möchte. Stattdessen sagt er: Auch wenn ich mit manchen Situationen in meinem Leben unzufrieden bin, Hunger habe und Mangel leide, kann ich in allen Situationen zufrieden sein, weil Jesus mir eine neue Perspektive auf mein Leben geschenkt hat.

Paulus weiß, dass er auf Gottes neue, herrliche Welt zugeht. Das lässt ihn manchem Mangel und Frust akzeptieren. Er steht nicht unter dem Druck, all seine Wünsche und Träume in seiner kurzen Lebenszeit zu erfüllen. Er weiß, Gott ist da und umspannt mich mit seiner Ewigkeit.

Von Gott aus gedacht, verändern sich die Erwartungen an das Leben. Für Paulus ist wichtig, wie ich mein Leben führe, welche Haltung ich gegenüber Gott und den Menschen habe. Wohlstand und Sicherheit sind nicht alles. Deshalb war er auch bereit, für seine Überzeugungen ins Gefängnis zu gehen.

Paulus denkt quasi von Gott aus. Gott ist seine Energiequelle, auch die unangenehmen Seiten des Lebens auszuhalten und zu akzeptieren.

D) Sich Gottes Nähe vergegenwärtigen

Das führt uns zum letzten Punkt. Gott möchte uns nahe sein und auch unsere Energiequelle sein.

Dafür hat uns Jesus das Abendmahl gegeben – als Vergegenwärtigung der Nähe Gottes und als Kraftquelle.

Im frühen Christentum war das Abendmahl wirklich ein richtiges Essen. Die kleinen Gemeinden sind zusammengekommen und haben ihr Essen geteilt. Viele, die sonst nicht viel hatten, vielleicht die ganze Woche nicht richtig gegessen hatten, konnten sich so satt essen. Für sie war das Abendmahl nicht nur im geistlichen Sinne eine Kraftquelle. Quasi ein Essen mit fünf Sterne Bewertung.

Und wenn wir gleich das Abendmahl feiern, lädt uns Jesus aufs Neue zu sich ein. Auch wenn wir mit so manchem unzufrieden sind, möchte Gott uns nahe sein. Wir können unsere Unzufriedenheit vor Gott bringen. Wir können uns von seiner Weite überraschen lassen, die viel größer ist als unsere Leben und alles, was wir darin erreichen könnten. Er ruft uns an seinen Tisch und in seine Gemeinschaft. Dort möchte er uns mächtig machen.

Amen.

(Predigt von Vikar Cornelius Brühn am 10.7.2022)