Predigt, 17.12.2023 Mt. 11, 2-6

17.12.2023

J.Berewinkel

Liebe Geschwister, Johannes der Täufer steht heute, am 3. Advent, im Mittelpunkt des Gottesdienstes. Welche Bilder habt Ihr im Kopf, wenn Ihr an Johannes denkt? Wir sehen vielleicht ...

Liebe Geschwister,
Johannes der Täufer steht heute, am 3. Advent, im Mittelpunkt des Gottesdienstes.

Welche Bilder habt Ihr im Kopf, wenn Ihr an Johannes denkt?
Wir sehen vielleicht einen Asketen. Einen Mann, der in der Wüste lebte, der sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährte und wilde Klamotten trug.

Wir sehen vielleicht Johannes, wie er am Jordan steht und die Menschen tauft. Taufe als Ausdruck der Umkehr.

Wir sehen einen prophetischen Mann. Einer, der eine von Gott geschenkte Klarheit hat. Er weiß: Bald ist es so weit. Bald kommt der Messias, der Christus, der Gesalbte Gottes! Er wird Recht schaffen. Er wird das Böse aus der Welt schaffen! Er wird endlich den Willen Gottes durchsetzen gegen alle Bosheit und alle Machtgier und allen Lug und Trug.

So tauft und predigt Johannes und wartet…
Und dann sieht er eines Tages Jesus an den Jordan kommen. Er sieht ihn und irgendwie weiß er mit prophetischem Durchblick:
Das ist er! Das ist der, der kommen soll. Der Gesalbte!

Und er sagte es weiter! Er sagt es seinen eigenen Anhängern: Geht hinter dem her. Der ist es! Der muss zunehmen, ich aber muss abnehmen. Er soll immer wichtiger werden. Meine Aufgabe geht zu Ende.

Johannes hatte so eine wahnsinnige Gewissheit in seinem Glauben. So eine Klarheit und Entschlossenheit!

Und wir stehen daneben, als kleine Durchschnittschristen und denken: Wow! Was für ein Mensch! Was für ein Glaube! Wie lusch und schwammig ist mein Glaube dagegen!

Wir haben vorhin den Predigttext gehört und sehen ihn hier noch einmal. Hier in diesem Bericht von Matthäus sehen wir Johannes auf einmal in einer ganz anderen Verfassung.
Er sitzt im Keller. Und zwar wortwörtlich. Im Kellergewölbe des Palastes von Herodes Antipas. Das war der Fürst in der Region, wo Johannes wirkte. Herodes Antipas – ein Sohn von Herodes dem Großen.

Johannes war zu weit gegangen. Er hatte nicht nur die Bosheit der Menschen im Allgemeinen thematisiert. Er hatte es gewagt, öffentlich Herodes Antipas zu kritisieren. Der hatte nämlich seinem Bruder Philippus die Frau ausgespannt und dafür seine eigene Frau in die Walachei geschickt. Viele Leute in Israel tuschelten mit vorgehaltener Hand darüber. Johannes sprach das offen aus: Das ist nicht in Ordnung. Das ist gegen Gottes Willen.

Damals ließ sich ein Herrscher so etwas nicht gefallen. Herodes fackelte auch gar nicht lange und steckte Johannes in den Knast.

Da sitzt er nun, irgendwo tief in den Kellergewölben unter der Erde und muss mit dem Schlimmsten rechnen. Es ist kalt. Es ist dunkel und dreckig. Er sitzt da Wochen lang. Vielleicht schon Monate lang.
Johannes ist ein harter Mann. Der kann vieles aushalten. Aber diese ständige Dunkelheit und Einsamkeit – das zehrt an ihm.

Ab und zu darf Besuch zu ihm. Einige seiner Anhänger kommen. Sie bringen ihm Essen. Und sie bringen Nachrichten. Johannes will vor allem eins wissen:

Was ist mit Jesus? Er ist doch der Gesalbte, der Christus! Der wird die Herrschaft Gottes durchsetzen. Der wird das Böse eliminieren. Er wird die ungerechten Herrscher vom Thron stürzen.
Was passiert da draußen? Hat er schon angefangen? Sammelt er eine Armee? Bringt er die Leute hinter sich zum großen Aufstand gegen Rom und seine Vasallen? Was tut er??

Jedes Mal, wenn Besucher kommen, fragt er sie. Und jedes Mal sagen sie leise: Nein. Er macht nichts in diese Richtung. Er erzählt den Leuten von Gott. Er trifft sich mit Zöllnern. Er besucht Kranke und macht sie gesund.

Was? Sonst nichts?
Sie schütteln den Kopf.

Johannes ist irritiert. Wieso tut Jesus nichts gegen das Böse? Es ist doch so in den Heiligen Schriften verheißen: Der Messias wird Recht und Frieden schaffen! Aber jetzt sind schon Monate vergangen und dieser Herodes Antipas ist immer noch auf dem Thron und knechtet die Leute und treibt sein böses Spiel. Und ich sitze im Gefängnis, weil ich ihm die Wahrheit gesagt habe. Wie kann das sein, dass der Messias da ist und das Böse immer noch herrscht?

Und langsam, aber unaufhaltsam kriechen Zweifel hoch in Johannes.
Irgendwas stimmt doch nicht.
Habe ich mich geirrt?
War das gar nicht Gottes Stimme, die ich da gehört habe?
Habe ich mir da nur etwas eingebildet?
Ist Jesus doch nicht der Gesalbte Gottes?
Ich war mir doch so sicher! Aber es passt nicht zusammen!

Stellt ihn euch vor, wie er da sitzt, auf dem Boden in seiner dunklen Zelle. Verlassen. Enttäuscht. Und voll von Zweifeln.

Machen wir mal kurz einen Sprung in die Gegenwart.
Jetzt, genau an diesem Tag, sitzen auf der ganzen Welt tausende von Menschen in Gefängnissen. Und es geht ihnen wie Johannes.

Zahllose Menschen sitzen im Gefängnis, weil sie die Wahrheit gesagt haben. Weil sie Unrecht ausgesprochen und Machthaber kritisiert haben. Ein Nawalny in Russland, Narges Mohammadi im Iran und viele, viele Namenlose in Nordkorea, in China, in der Türkei.

Und Tausende sitzen in Gefängnissen wegen ihrem Glauben.
Man hört in den Medien davon so wenig, aber es ist eine Realität: In vielen Ländern werden Menschen in Gefängnisse gesteckt oder in Arbeitslager verbannt, weil sie Christen sein, weil sie glauben, dass Jesus der Gesalbte ist. Jetzt, während wir hier GD feiern.

Und ich denke, vielen wird es gerade wie Johannes gehen: Dass da auch Zweifel hochkriechen. Anfechtungen: Wieso lässt du das zu, mein Gott? Warum zeigst du deine Macht nicht deutlicher? Wieso besiegst du das Böse nicht?

Uns hier in Europa geht es so unendlich viel besser. Wir werden nicht bedroht oder gefangengesetzt, weil wir Christen sind. Aber viele von uns kennen doch auch diese gleichen Fragen, die Johannes hatte:

Wieso sehe ich nicht mehr von Gottes Macht und Liebe?
Wieso greift er nicht deutlicher ein?
Warum besiegt Jesus das Böse nicht? In dieser Welt und auch im eigenen Umfeld?

Überall erleben wir, wie das Gute scheitert. Erleben, dass Hass stärker ist als Versöhnung, dass sich die Lüge gegen die Wahrheit durchsetzt.
Wir erleben im eigenen Leben, wie gute Vorsätze scheitern, wie Beziehungen zerbrechen, wie Glaube und Liebe und Hoffnung abnehmen statt zunehmen.

Und dann kommen die Zweifel hoch: Ist das überhaupt wahr, das mit Jesus? Ist er wirklich der Retter der Welt?

Gehen wir noch mal zurück zu Johannes ins Gefängnis. Wie ist er umgegangen mit seinen Zweifeln?
Das ist jetzt das Interessante!
Als beim nächsten Mal Besucher kommen, da gibt es ihnen einen Auftrag. Er gibt ihnen eine Frage mit auf den Weg: Geht zu Jesus und fragt ihn: Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?

Mit seinen Zweifeln an Jesus wendet sich Johannes – an Jesus!
Er fragt ihn einfach!
Er teilt seine Irritation, seine Verunsicherung mit ihm. Bist du es wirklich?

Ich finde das für unseren Umgang mit Zweifeln total hilfreich.

Man kann sich ja in seine Zweifel so richtig eingraben. Immer nur im eigenen Kopf herumrühren. Oder sie wegdrängen und nicht wahrhaben wollen.

Aber viel sinnvoller ist es, unsere Zweifel mit Jesus selber zu besprechen. Das heißt: Die eigenen Zweifel und Anfragen eingestehen! Sie zulassen und aussprechen. Und sie dann zu Gott, zu Jesus bringen.
Wie ein Kind das angebrochene Spielzeug zum Papa bringt, so können wir unsere Zweifel ihm hinhalten:
Herr, ich bin so unsicher! Ist das eigentlich wahr, das mit dir?! Wieso sehe ich so wenig davon?

Mache deine Zweifel zu einem Gebet!

Wenn wir so mit unseren Zweifeln umgehen, dann können sie uns weiterbringen. Dann brauchen wir keine Angst davor haben. Dann können sie sogar unseren Glauben und unser Verständnis vertiefen.

Als die Boten dann zu Johannes zurückkommen, bringen sie eine Antwort mit.
Aber was für eine Antwort!
Auf die Frage „Bist Du es?“ sagt Jesus nicht einfach: Ja, klar! Was denkst Du denn!

Sondern er sagt den Boten:
„Sagt Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt. Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“

Für unsere Ohren klingt das als würde Jesus damit sagen: Mensch, Johannes, wie kannst du nur zweifeln? Ich tue lauter Wunder. Wie könnte es denn offensichtlicher sein, dass ich der Messias bin?!! Das liegt doch auf der Hand!

Ich selbst wäre übrigens völlig zufrieden, wenn Jesus das heute bei uns machen würde. Wenn hier in der Gemeinde die Gelähmten aus ihren Rollstühlen aufspringen und Blinde plötzlich sehen könnten.
Dann wären doch unsere Zweifel alle weg, oder?
Oder hättet Ihr dann noch irgendwelche Zweifel?

Aber für Johannes war das nicht ganz so einfach.
Sein Problem war: Er hatte eine bestimmte Vorstellung davon, was der Gesalbte tun wird, wenn er kommt.
Er hatte die Vorstellung, dass der Messias im ganzen Land das Recht aufrichtet, den guten Willen Gottes durchsetzt und die Macht des Bösen bricht. Es waren sehr konkrete und auch sehr politische Erwartungen, die Johannes hatte.

Und die hatte er sich ja nicht aus den Fingern gesogen. Er hatte sie aus der Bibel! Da ist das ja verheißen, dass der Messias diese Dinge tun wird. Das steht so bei Jesaja und den anderen Propheten: Der Kommende wird das Recht aufrichten. Er wird Recht schaffen den Armen und die Gewaltherrscher wird er vom Thron stoßen und wird Schwerter zu Pflugscharen umschmieden. Das hat er doch gelesen.
Das war sein Bild, seine Erwartung.
Das was er von Jesus mitkriegte, passte nicht dazu. Und darum zweifelte er.

Das ist ja immer so: Zweifel entstehen, wenn unser Bild von Gott, von Jesus, von der Bibel nicht mit unseren Erfahrungen zusammenpasst. Dann sind wir irritiert. Dann kommt das Bild ins Wanken.

Was Jesus dem Johannes nun sagt, das ist nicht nur eine Aufzählung seiner Wunder so nach dem Motto: Boah, guck mal, was ich alles kann!

Sondern diese Aufzählung – Blinde sehen, Lahme gehen, … – das sind alles Zitate aus den Propheten. In Jesaja 35 heißt es von der Zeit, wenn der Messias kommt: „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken.“

Was Jesus dem Johannes sagt, heißt also: Schau, alles das, was ich tue, sind Werke des Messias!
Dein Bild vom Gesalbten ist nicht falsch, aber es ist zu eng, zu einseitig.

Jesus zeigt ihm, dass die Bibel noch viel mehr über den Messias sagt als das, was er bisher im Kopf hatte. Und auf diese Weise weitet er ihm das Verständnis vom Gesalbten und vom Reich Gottes.

Das Reich Gottes, die große Veränderung, kommt nicht von außen nach innen. Das Reich Gottes fängt nicht mit äußeren, politischen Veränderungen an, mit neuen Gesetzen und neuen Regierungen usw.
Sondern das Reich Gottes wächst von innen nach außen.

Die Veränderung, die der Christus bringt, beginnt immer beim Einzelnen: Armen wird die Gute Nachricht erzählt. Gottes Liebe schlägt Wurzeln in einzelnen Herzen. Einzelne werden heil und frei.

Das alles passiert leise, ohne die große Welle zu machen. Und ohne jegliche Gewalt. Das Böse wird nicht von außen, nicht mit Macht besiegt, sondern wird von innen her überwunden.

Die enge Sicht vom Gesalbten, die Johannes hatte, die aufs Politische, aufs Äußere fixiert war, die wird hier korrigiert und geweitet.

Wenn wir es so machen wie Johannes, wenn wir unsere Zweifel mit Jesus besprechen, dann kann genau das Gleiche passieren: Dass Jesus uns die Bibel erklärt, dass er unser Verständnis des Glaubens weitet.
Dass er unser kleines Bild von Gott, von Jesus, vom Reich Gottes aufbricht und es weiter und größer macht.

Und wenn wir so zusammen mit Jesus auf die Welt schauen, dann werden wir vielleicht etwas Neues wahrnehmen. Wir werden sehen: Ja, das Böse ist noch da. Überall. Gott wendet keine Gewalt an, um es zu eliminieren. Er übt keinen äußeren Druck aus. Er manipuliert nicht die Gehirne. Er öffnet keine Gefängnistore.

Sondern Gott wirkt ganz leise. Behutsam. In der Welt und im eigenen Leben. Gott wirkt sanft, ohne unseren Willen oder Widerwillen zu brechen.

Noch geht Gottes veränderndes Wirken nur so weit, wie ich es ihm erlaube. Und wie du es ihm erlaubst.
Aber wo Menschen sich dem Einfluss Gottes wirklich öffnen, da passieren dann reale Veränderungen.
Es passiert – heute und hier in unserer Gemeinde – dass Menschen ganz allmählich ihr Misstrauen gegen Gott verlieren und kleine Vertrauensschritte gehen.
Es passiert, dass Menschen es schaffen, Fehler einzugestehen und Schuld anderer zu vergeben.
Es passiert, dass Menschen – ganz langsam – anfangen, nicht nur sich selbst zu sehen, sondern die Bedürfnisse anderer in den Blick zu nehmen.

Ganz langsam wächst das Reich Gottes, von innen nach außen, so weit wie Menschen solche Veränderung zulassen.

Noch lässt Gott dem Bösen Raum in dieser Welt.
Und noch sind wir immer wieder irritiert und verunsichert, weil wir Gott nicht verstehen. Noch kommen die Zweifel hoch.
Aber wir müssen uns nicht in unseren Zweifeln verrammeln wie in einer Kerkerzelle.

Mache deine Zweifel zu einem Gebet, wie Johannes es tat!

Und der Friede Gottes, der alle unsere Vernunft und Zweifel übersteigt, wird eure Herzen und Gedanken in Jesus Christus bewahren. Amen.