Thema: Gemeinde gemeinsam leiten/Verantwortung teilen
Liebe Geschwister,
Gemeindearbeit ist Teamarbeit.
Deswegen bin ich total froh über unser Presbyterium; dass wir da wirklich als Team arbeiten, dass da Menschen sind, die sich für die Gemeinde einsetzen, Verantwortung übernehmen und wir gemeinsam Gemeinde leiten, so wie es eben beschrieben wurde.
Das ist etwas richtig Schönes.
Und es ist zudem ur-evangelisch.
Gemeinde – das ist Aufgabe aller.
Martin Luther schrieb einmal, in kritischer Abgrenzung von der römischen Kirche:
(F: Lutherzitat)
„Man hat’s erfunden, dass Papst, Bischöfe, Priester und Klostervolk wird der geistliche Stand genannt… Doch soll niemand darüber schüchtern werden, … denn alle Christen sind wahrhaft geistlichen Standes… Deshalb weil wir eine Taufe, ein Evangelium, einen Glauben haben und sind gleiche Christen, denn die Taufe, Evangelium und Glauben, die machen allein geistlich und Christenvolk. Demnach so werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht, wie Petrus sagt…Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei.“ (An den christlichen Adel deutscher Nation)
Herrlich formuliert: Alle, die aus der Taufe gekrochen sind, sind Geistliche, sind Geweihte, sind Priester.
Für Luther gibt es keinen Gegensatz zwischen Geistlichen und Laien. Es gibt keine zwei Klassen.
Was Luther hier formuliert, hat man später das „Priestertum aller Gläubigen“ genannt.
Es ist eins der Kernelemente der Evangelischen Kirche.
Aber es ist zugleich ur-christlich.
Luther verweist ja auf Petrus, genauer auf den 1. Petrusbrief. Auf den Text, der in Ihrem GD-Blatt abgedruckt ist. Petrus schreibt hier an die Christen und beschreibt, was für eine Rolle sie durch Jesus haben in dieser Welt, in der Kirche.
Lesen: 1 Petr. 2, 4-10 (Basisbibel)
4Kommt her zu ihm! Er ist der lebendige Stein, der von den Menschen verworfen wurde. Aber bei Gott ist er erwählt und kostbar. 5Lasst euch auch selbst als lebendige Steine zur Gemeinde aufbauen. Sie ist das Haus, in dem Gottes Geist gegenwärtig ist. So werdet ihr zu einer heiligen Priesterschaft und bringt Opfer dar, in denen sein Geist wirkt. Das sind Opfer, die Gott gefallen, denn sie sind durch Jesus Christus vermittelt. 6Deshalb heißt es in der Heiligen Schrift: »Seht, ich lege auf dem Berg Zion einen ausgewählten, kostbaren Grundstein. Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen.« 7Für euch ist er kostbar, weil ihr an ihn glaubt. Aber für diejenigen, die nicht an ihn glauben, gilt: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Grundstein geworden.8 Er ist ein Stein, an dem man Anstoß nimmt, und ein Fels, über den man stolpert. Sie stoßen sich an ihm, weil sie dem Wort keinen Glauben schenken. Doch genau dazu sind sie bestimmt.9 Aber ihr seid das erwählte Volk: eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk, eine Gemeinschaft, die in besonderer Weise zu Gott gehört. Denn ihr sollt die großen Taten Gottes verkünden. Er hat euch nämlich aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen. 10 Ihr, die ihr früher nicht sein Volk wart, seid jetzt Gottes eigenes Volk. Ihr, die ihr früher kein Erbarmen fandet, erfahrt jetzt seine Barmherzigkeit.
Zwei Mal ist hier von der „Priesterschaft“ die Rede.
In V. 5: „Ihr werdet zu einer heiligen Priesterschaft, die geistliche Opfer bringen“. Und noch mal in V. 9:
„Ihr seid eine königliche Priesterschaft.“
Petrus bezieht das auf die ganz normalen Gemeindeglieder: Ihr alle, also Männer und Frauen, Arme und Reiche, Studierte und Schlichte, ihr alle seid Priester!
Auch das ist ein Zitat.
Petrus zitiert hier einen Text aus dem AT, aus dem 2. Buch Mose. Da spricht Gott zu dem Volk Israel, als er sie aus Ägypten geführt hat und einen Bund mit ihnen schließt. Und er sagt ihnen zu:
(F: Text)
„Ihr sollt für mich ein Volk von Priestern sein, ein heiliges Volk.“ (2. Mose 19, 6)
Und für Petrus ist klar: Das, was Gott dem Volk Israel zugesagt hat, das gilt durch Jesus auch für die Gemeinde. Also auch für Menschen, die früher Heiden waren und gar nichts mit Gott am Hut hatten. Durch Jesus werden sie in diese Verheißung hineingenommen, werden sie auch Priester.
Also: Luther zitiert Petrus und Petrus zitiert das AT und alle sind sich einig: Jeder Getaufte, jeder, der an Jesus glaubt, ist ein Priester.
Aber was heißt das denn?
Was ist ein Priester?
Was versteht Ihr darunter? …
In der Welt der Religionen sind mit dem Priesteramt immer zwei wichtige Aspekte verbunden.
>Die Priester sind die, die direkten Zugang zu Gott haben. Sie dürfen in den Tempel hinein. Sie dürfen Gott oder den Göttern nahe sein, in unmittelbaren Kontakt zu Gott treten.
Und das gilt, sagt Petrus, sagt Luther, nun für die ganze Gemeinde. Jeder darf in direkten Kontakt zu Gott treten. Das ist nicht nur das Privileg einer bestimmten Kaste, sondern der Zugang ist durch Jesus für jeden frei.
>Und ein zweiter Aspekt des Priesterseins:
Priester sind die, die vor Gott für andere eintreten.
Sie sollen für das Volk Opfer bringen und beten, ihnen von Gott erzählen und sie segnen.
Sie sollen also ihre besondere Nähe zu Gott nicht nur für sich ausnutzen, sondern damit anderen Menschen dienen.
Priesterlich leben heißt: Für andere da sein und anderen Gott nahe bringen.
Und das, sagt Petrus den Christen, ist euer Privileg und eure Aufgabe. Ihr habt freien Zugang bei Gott, seid ganz nah an seinem Herzen und sollt euch bei Gott für andere einsetzen, für andere beten und seine Liebe in Tat und Wort mit anderen teilen.
Eigentlich ist das doch ziemlich klar, was Petrus hier schreibt, oder?
Und trotzdem hatte sich die Kirche in den folgenden Jahrhunderten dann ganz anders entwickelt.
Aus der Gemeinde von Schwestern und Brüdern, wo alle Priester sind, alle auf einer Ebene stehen, hat sich nach und nach eine Amtskirche entwickelt. Eine Kirche mit ganz starken Hierarchien und großen Unterschieden.
Auf der einen Seite das einfache Christenvolk, auf der anderen Seite die Kleriker, die besondere Weihen haben, die hauptamtlich in der Kirche arbeiten, die die Macht und das Wissen besitzen.
Das ist schleichend gekommen.
Immer mehr Verantwortung und immer mehr Macht wurde der geistlichen Elite zugeschoben. Und vom Priestertum aller Gläubigen sprach bald keiner mehr.
Dann kam Luther und die Reformation.
Der hat das wieder ans Licht gehoben, hat das Priestertum aller Gläubigen stark gemacht.
Aber wenn wir uns mal ehrlich unsere Evangelische Kirche anschauen – da ist doch das Priestertum aller Gläubigen weitgehend nur Theorie geblieben.
Faktisch sind wir doch auch als Evangelische ziemlich Pfarrerzentriert und Hauptamtlichenzentriert.
Die Sprache verrät uns: Wir sprechen davon, dass der Pfarrer den Gottesdienst „hält“. Wir sprechen von „Gottesdienstbesuchern“. Da ist also einer, der vorne steht und alles macht und hält und andere, die sich das als Besucher angucken.
In der Theorie sind wir als Evangelische eine Gemeinde von Schwestern und Brüdern, von Priestern, in der Praxis sieht es aber oft ganz anders aus.
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir an dieser Stelle umdenken. Dass wir Gemeinde neu denken.
Wir werden umdenken müssen. Denn in Zukunft wird es viel weniger Pfarrer und Pfarrerinnen geben. Die Zeit der Pastorenkirche geht zu Ende.
Aber es ist nicht nur wegen der Not, dass wir da umdenken müssen. Sondern weil dieses Konzept der Amtskirche grundfalsch ist, unevangelisch und unbiblisch.
Schauen wir uns noch mal an, was Petrus schreibt:
(F: 1. Petr. 4, 9)
Ihr seid das erwählte Volk: eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk, eine Gemeinschaft, die in besonderer Weise zu Gott gehört. Denn ihr sollt die großen Taten Gottes verkünden.
Hier spürt man eine ganz große Wertschätzung, eine ganz große Würde, die den Menschen in der Gemeinde zugesprochen wird!
Petrus ist überzeugt: Gott hat durch Jesus jedem Christenmenschen diese priesterliche Würde verliehen.
Als Pfarrer trage ich einen Talar. Eine besondere Kluft, die uns Ordinierte herausstellt. Das ist ok. Wir haben als Ordinierte eine besondere Aufgabe in der Gemeinde.
Aber eigentlich müssten wir alle hier im Gottesdienst eine besondere Kluft tragen. Stellt euch mal vor: Jeder hat so eine priesterliche Stola um die Schulter.
Jeder hier ist in Gottes Augen Priester, Geistlicher.
Wir haben alle eine besondere Würde und Vollmacht vor Gott.
Und damit einher geht, dass wir alle eine besondere Verantwortung tragen: Priester sein für diese Welt. Die Menschen mit Gott zusammenbringen.
Für Petrus und für das ganze NT gibt es also keine zwei Klassen von Christen, die Geistlichen und das Volk. Sondern die ganze Gemeinde hat von Gott Vollmacht und Verantwortung bekommen.
(Folie: Fußball)
Es ist wie beim Fußball: Da spielt das Team auf dem Platz und auf den Rängen sind die Zuschauer.
Manche Leute denken: Die Hauptamtlichen in der Kirche, die sind die Spieler auf dem Feld und die normalen Gemeindeglieder sind die Zuschauer auf den Rängen.
Aber das neutestamentliche Bild ist ein ganz anderes:
Die ganze Gemeinde ist auf dem Platz. Jedes Gemeindeglied gehört zum Team. Ihr alle seid das Team, das spielt.
Natürlich – in so einem Team gibt es verschiedene Aufgaben.
Und natürlich – die Hauptamtlichen, auch wir Pfarrer, spielen da eine besondere Rolle.
Es geht mir nicht darum, uns als Pfarrer überflüssig zu machen oder uns Hauptamtliche abzuwerten.
Wir haben mehr Zeit. Wir haben durch die Ausbildung gewisse Kompetenzen und mehr Verantwortung. Klar. Wir sind vielleicht die Spielmacher auf dem Platz.
Aber alle gehören ins Team. Alle sind auf dem Feld und spielen mit!
Dürfen mitspielen und sollen auch mitspielen.
Ich bin sehr froh, dass bei uns in der Gemeinde viele Leute auf dem Platz sind und mitspielen. Da sind eine Menge Leute sehr aktiv: In den Chören und in den verschiedenen Gruppen. Viele, die Aufgaben übernehmen und mithelfen. Das ist toll.
Aber es gibt auch sehr viele, die noch so auf den Rängen oder am Spielfeldrand stehen und zugucken.
Ich würde mir wünschen, dass noch viel mehr auf den Platz kommen und Teil des Teams werden.
Dass noch viel mehr Menschen entdecken: Ja, ich gehöre zum Team. Ich bin auch Priester in dieser Gemeinde, habe diese Würde und teile diese Verantwortung.
(F: Gemeinde gemeinsam leiten)
Es geht darum, dass wir die Gemeinde gemeinsam gestalten und auch leiten.
Eine besondere Rolle spielen dabei die Mitglieder des Presbyteriums.
Denn hier im Presbyterium kommt der Gedanke vom Priestertum aller Gläubigen besonders deutlich zum Ausdruck.
Wisst Ihr eigentlich, wo unser Wort „Priester“ herkommt? Es kommt von dem Wort „Presbyter“. Presbyter ist griechisch, bedeutet eigentlich „Ältester“. Und aus Presbyter wurde dann irgendwann Priester.
Presbyter – das waren die, die schon in der Urgemeinde die Leitung innehatten.
Und das ist in unserer Evangelischen Kirche bis heute so geblieben. Da hat sich etwas richtig Gutes in unserer Kirchenordnung erhalten:
Die Leitung der Gemeinde liegt in den Händen von Ehrenamtlichen. Und die werden wiederum von der ganzen Gemeinde gewählt.
Da leuchtet etwas von dem allgemeinen Priestertum aller Gläubigen auf.
Da wird deutlich:
Gemeinde – das ist etwas, das wir gemeinsam gestalten und für das wir gemeinsam Verantwortung tragen.
Mit unterschiedlichen Gaben und Aufgaben, aber alle als Priester vor Gott.
Einen entscheidenden Punkt gibt es dabei noch. Der steht ganz am Anfang von dem Text von Petrus, in V. 4: „Kommt her zu ihm!“
Zu ihm – damit ist Jesus gemeint. Jesus, der Auferstandene. Der ist der Grundstein, auf dem die Gemeinde aufgebaut ist. Er ist das Fundament, auf dem die Gemeinde steht.
Er ist derjenige, der uns den Zugang zu Gott freigemacht hat. Er ist der eigentliche Priester. Und er nimmt uns in sein Priesteramt mit hinein.
Jesus ist beim Christsein der Schlüssel zu allem.
Und wenn du deine Rolle in der Gemeinde finden willst, dann ist Jesus tatsächlich der Schlüssel dazu.
Kommt her zu ihm!
Das sagt Petrus den Leuten damals und er sagt es uns heute.
Es geht darum, dass wir als Einzelne uns auf Jesus zubewegen, mit ihm in Kontakt treten, ein erstes Mal und dann immer wieder. Dass wir ihn ansprechen, uns ihm öffnen und ihm hingeben, als Freund und als Meister.
Und dann, wenn wir so an seiner Seite sind, dann können wir gemeinsam diese Gemeinde leiten und dann können wir als Priester in der Gemeinde und in der Welt ein Segen sein. Amen.