Ich möchte heute mit Ihnen über einen Satz aus dem Hebräerbrief sprechen. Da steht in Hebr 10, 23:
(Folie)
„Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken, denn Gott ist treu, der sie verheißen hat.“
Letzten Sonntag haben wir hier einen sehr bewegenden Gottesdienst gefeiert. Es war ein Gottesdienst mit etwas anderer Gestaltung, mit sehr vielen Menschen. Da ging es um die Frage: Was liegt hinterm Horizont? Was liegt jenseits von Raum und Zeit? Was passiert, wenn wir sterben? Wo kommen wir da hin?
Wir hatten da einen Moment, wo die Gottesdienstteilnehmer ihre eigenen Erwartungen auf Zettel schreiben konnten. Da kam so viel zusammen, das konnten wir gar nicht alles vorlesen. Aber es war sehr bewegend.
Ein paar dieser Zettel möchte ich Ihnen vorlesen …
Ein breites Spektrum von Hoffnung, aber auch Fragen und Zweifeln.
Da staunt jemand über die Kraft, die von der Hoffnung ausgeht. Wie stark die Hoffnung macht.
Hoffnung ist eins der zentralen Themen im christlichen Glauben. Glaube, Liebe, Hoffnung – das macht den Markenkern des Christentums aus.
Aber was ist das eigentlich: Hoffnung? Was bewirkt sie?
Es gibt ja eine alte Kritik an der christlichen Hoffnung. Die findet man schon bei Heinrich Heine und Karl Marx. Die sagen: Die Hoffnung auf den Himmel führt dazu, dass die Leute das Diesseits vergessen. Wer auf den Himmel hofft, der wird gleichgültig gegenüber dem Leid und der Ungerechtigkeit. Der sagt sich: Was soll’s? Im Himmel wird alles besser. Also müssen wir das jetzt ertragen statt die Welt zu verändern. Hoffnung als Opium, das das Volk ruhigstellt.
In einem der statements klang das ja auch so ein bisschen an: Lasst uns nicht zu viel über das Jenseits spekulieren und darüber das Leben hier vergessen.
Aber: Echte Hoffnung wirkt sich anders aus. Echte Hoffnung lullt uns nicht ein, sondern im Gegenteil: Sie bringt uns in Schwung.
Ich will das einmal mit einer Geschichte verdeutlichen:
Stellt euch vor: Eine Gruppe von Kriegsgefangenen, lauter junge Männer, sitzen in einer dunklen Zelle. Sie sitzen da seit Monaten. Das Essen reicht nicht zum Sattwerden. Die Wärter sind gehässig. Und kein Ende ist abzusehen. Die Stimmung ist mies. Der Ton zwischen den Gefangenen wird immer rauer. Sie raunzen sich nur noch an und lästern über die Wärter. Sie liegen den ganzen Tag auf ihren Pritschen, dämmern vor sich hin. Sie vernachlässigen ihren Körper, waschen sich nicht, rasieren sich nicht mehr, ihre Kleidung lassen sie vergammeln. Wozu auch die Mühe? Die Wunden pflegen sie nicht. Eiter und Gestank breiten sich aus. Was soll’s?!
Doch dann wird eines Tages ein kleiner Zettel in die Zelle geschmuggelt. Irgendwoher. Da stehen nur zwei Worte drauf: Befreiung naht!
Diese zwei Worte verwandeln alles.
Auf einmal zieht Hoffnung in ihren Stumpfsinn ein.
Aussicht auf Freiheit! Auf ein Leben in Licht und in Würde!
Und diese Perspektive verwandelt die Männer.
Sie reden wieder miteinander.
Der Ton ändert sich, wird hoffnungsvoll, respektvoll, ehrenhaft.
Sie wollen ordentlich aussehen, wenn die Befreier kommen, waschen sich, rasieren sich, flicken die Jacken und Hosen. Sie behandeln gegenseitig ihre Wunden.
Und wenn die Wärter sie schikanieren, dann reagieren sie mit einem geheimnisvollen Lächeln.
Die Erwartung der Befreiung hat sie schon befreit.
Die erwartete Zukunft verändert die Gegenwart.
Und genau so hat sich die Hoffnung auf die ersten Christen ausgewirkt.
Sie rechneten fest damit, dass das Reich Gottes kommt, dass die Zeit kommt, wo Gott sichtbar wird, wo seine Liebe alles bestimmen wird, wo es kein Unrecht mehr geben wird, keine Lüge, keine Bosheit, kein Leid.
Und diese Zukunft, die sie erwarteten, die hat ihre Gegenwart verändert. Sie fingen jetzt schon an so zu leben wie es einmal sein wird.
Weil im Reich Gottes kein Unterschied mehr sein wird zwischen Armen und Reichen, darum haben jetzt schon Arme und Reiche an einem Abendmahlstisch gesessen und alles geteilt.
Weil Gott jedes Leben wichtig ist, haben die Christen Leben geschützt, haben ausgesetzte Kinder aufgenommen, sich um Waisen und Witwen gekümmert.
Weil sie den Tod nicht mehr fürchteten, haben sie die Pestkranken gepflegt, während alle anderen aus den Peststädten geflüchtet sind.
Und wenn die römischen Behörden sie zwingen wollten, den Kaiser anzubeten und die Götter zu verehren, dann haben sie mit freundlichem Lächeln gesagt: Nein, das werden wir nicht! Und wir fürchten eure Drohungen auch nicht!
Die Hoffnung hat die Gegenwart verwandelt.
Die Hoffnung auf Gottes Reich hat eben nicht die ungerechten Zustände auf der Erde zementiert, sondern im Gegenteil.
Sie hat die Christen befreit, sich in dieser Welt für andere Menschen einzusetzen, Liebe zu verschenken. Sie hat sie mutig und innovativ gemacht. Die Hoffnung machte die Christen zu friedlichen Revolutionären. Sie haben die Gesellschaft und ihre Werte durch ihre Hoffnung radikal umgekrempelt.
Und darum ruft der Schreiber des Hebräerbriefes die Christen auf:
(Folie)
Lasst uns festhalten am Bekenntnis der Hoffnung!
Festhalten an der Hoffnung, wie an einem Seil; wie an einer Hängebrücke, die uns über den Abgrund der Resignation und Verzweiflung führt.
Das Gegenteil von Hoffnung ist ja nicht Engagement und Anstrengung. Das Gegenteil von Hoffnung ist die Resignation, die Apathie: Es hat ja doch keinen Sinn! Was soll’s!
Wir sind in Deutschland im Moment in einer Situation, wo die Gefahr groß ist, dass Menschen wirklich in Resignation und Apathie verfallen.
Wenn eine Krise auf die nächste kommt,
wenn man merkt, wie die ganzen Bemühungen um Frieden zu nichts führen oder die Bemühungen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren – dann kann das dazu führen, dass Menschen die Hoffnung verlieren und aufgeben.
Die Welt ist so komplex und wir Menschen sind so starr und stur, dass es ja einen wirklich pessimistisch machen kann.
Lasst uns festhalten am Bekenntnis der Hoffnung!
Das Besondere der christlichen Hoffnung ist ja: Wir setzen unsere Hoffnung nicht auf die Vernünftigkeit der Politiker oder auf unsere eigenen Kräfte. Sondern wir setzen unsere Hoffnung auf Gott, darauf, dass Gott diese Welt in seiner Hand hat. Dass Gott diese Welt erhält und dass er sie eines Tages verwandeln wird. Dass diese Welt und unser persönliches Leben nicht einfach im Nichts verschwindet, sondern verwandelt wird und auferstehen wird.
Wir hoffen darauf, weil Gott es versprochen hat und weil er treu ist.
Aber was genau hat Gott versprochen?
Was ist jetzt konkret die christliche Hoffnung?
Wie wird diese neue, verwandelte Welt aussehen?
Wir hatten letzte Woche schon ein bisschen darüber gesprochen. Wir haben auch gesehen: Die Bibel ist da sehr zurückhaltend mit Beschreibungen. Da gibt es keine Ausmalungen, wie das Leben in Gottes neuer Welt aussehen wird.
Aber es gibt so ein paar Schlaglichter. Kleine Bilder. Die lassen uns etwas ahnen, wie es da sein wird.
Eine Aussage haben wir vorhin im Römerbrief gelesen.
(Folie)
Da schreibt Paulus: „Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“ (Röm. 8, 39)
Die Hoffnung ist also, dass wir auch jenseits des Todes mit Gott, mit Jesus verbunden sind, von ihm geliebt sind. In Gottes neuer Welt wird diese Liebe nicht nur ein Wort sein, sondern wir werden sie ganz ungetrübt und unmittelbar erfahren. Da wirst du sozusagen eingebettet sein in göttliche Liebe – wie der Embryo im Fruchtwasser. Nichts kann dich scheiden von der Liebe Christi!
Das ist die Hoffnung. Und weil wir diese Liebe dort in Fülle empfangen werden, können wir sie jetzt schon großzügig mit anderen teilen.
(Folie)
Ein zweites Schlaglicht: Der Apostel Petrus schreibt in einem Brief: „Wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.“ (2.Petr.3,13)
Es ist eine der schlimmsten Erfahrungen im Leben, wenn man Ungerechtigkeit erlebt und diese Ungerechtigkeit nicht aufgedeckt und bestraft wird. Es ist furchtbar, was Menschen im Iran jetzt an Ungerechtigkeit erleben oder in Russland und an vielen Orten. Und es ist unerträglich, dass die Bösen oft ungeschoren davonkommen.
Ich hatte mal bei einem Hausbesuch mit einem älteren Mann gesprochen. Der erzählte mir, dass er früher als Techniker in einer Firma gearbeitet hat. Er hatte da eine neue Technologie entwickelt; irgendwas erfunden, was richtig gut war. Er hatte es seinem Vorgesetzten gezeigt und der hat das dann bei der Firmenleitung als seine eigene Erfindung ausgegeben. Er wurde dafür ausgezeichnet und der eigentliche Erfinder ging leer aus. Und es ist nie aufgedeckt worden.
Für diesen Mann war das total schlimm. Das war schon Jahrzehnte her, aber er knabberte immer noch daran und es machte ihn immer noch wütend. Ungerechtigkeit ist eine schlimme Wunde.
Unsere Hoffnung ist, dass Gott eines Tages für Gerechtigkeit sorgen wird. Da wird alles Unrecht aufgedeckt und zurecht gebracht werden.
Und weil in Gottes neuer Welt Gerechtigkeit herrschen wird, können wir uns jetzt schon so gut es geht für Gerechtigkeit einsetzen. Auch zum Beispiel für Klimagerechtigkeit und für einen fairen Ausgleich zwischen den reichen und den armen Ländern dieser Erde.
(Folie)
Ein letztes Schlaglicht: Der Apostel Johannes hatte am Ende seines Lebens eine Vision. Da schenkte ihm Gott einen Blick hinter den Vorhang, einen Blick in die neue Welt. Er hat das aufgeschrieben, was er da gesehen hat im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung. Da schreibt er:
„Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.“ (Offb 21, 4)
Gott wird die Tränen abwischen.
Stellt euch das einmal vor!
Da nimmt dich Gott auf seinen Schoß und wischt dir mit einem großen Tuch die Tränen ab!
Die Tränen über alles Schlimme, allen Schmerz, den du erlebt hast.
Da wird er dir auch die Tränen der Trauer abwischen.
Manche von Ihnen haben in diesem Jahr einen geliebten Menschen verloren und wahrscheinlich gibt es immer wieder die Phasen, wo man weint, weil die Trauer so groß wird.
In Gottes Welt wird es keine Trauer mehr geben. Da wird es auch keinen Grund zur Trauer mehr geben. Weil alles im Reinen ist, weil alles gut ist.
Deine Trauer ist nicht ewig. Sie ist jetzt da. Sie braucht ihre Zeit. Die kann man auch nicht verkürzen. Aber die Zeit der Trauer ist begrenzt. Eines Tages wirst du nicht mehr trauern. Das ist die Hoffnung. Und diese Hoffnung hilft uns, unsere Trauer jetzt zu ertragen.
Hoffnung lullt nicht ein.
Hoffnung ist eine vitalisierende Kraft.
Was wir von der Zukunft erwarten, das verändert unsere Gegenwart.
Weil wir auf Gottes neue Welt zugehen, können wir jetzt schon unser Leben von dieser neuen Welt prägen lassen.
Darum: Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken, denn Gott ist treu, der sie verheißen hat.
Amen.