Predigt, 20.2.2022 T-Gemeinde/Ac 4, 32

22.2.2022

J.Berewinkel

Liebe Gemeindeglieder, in der Gemeindeversammlung gleich werden wir die Kandidatinnen und Kandidaten für das neue Pb kennenlernen. Das ist eine wichtige und große Sache. Und bei ...

Liebe Gemeindeglieder,
in der Gemeindeversammlung gleich werden wir die Kandidatinnen und Kandidaten für das neue Pb kennenlernen. Das ist eine wichtige und große Sache. Und bei so einer Gelegenheit lohnt es sich, mal genauer darüber nachzudenken:
Wozu das alles?
Wozu gibt es überhaupt Gemeinde?
Wozu gibt es Kirche?

Wir brauchen da ja nichts schönreden. Im Moment macht die Kirche keine gute Figur.
Das Erscheinungsbild der katholischen Kirche ist ein Desaster.
Aber auch unsere evangelische Kirche und wir als Auferstehungsgemeinde geben nicht gerade ein glänzendes Bild ab.
Manche fragen sich:
Wenn die schon in der Gemeinde kein friedliches Miteinander hinkriegen – wozu bin ich dann noch in diesem Laden?
Wieso setzen Menschen ihre Kraft und Zeit für so einen Verein ein?
Was soll das alles?
Erinnern Sie sich noch an die Serie „Ein Herz und eine Seele“? Wahrscheinlich nur die Älteren. Eine Fernsehserie aus den 70ern. Da ging es um eine Familie, in der ständig gestritten wurde. Ein Familienvater, der ein echtes Ekel war, eine etwas beschränkte Ehefrau, aufmüpfige Kinder. Die haben sich immer gefetzt. Witzig, aber auch schrecklich. Der Titel „Ein Herz und eine Seele“ war blanke Ironie.

Dieser Begriff „Ein Herz und eine Seele“ ist ja ein Zitat. Der stammt ursprünglich aus der Bibel. Und da ist er überhaupt nicht ironisch gemeint. Er beschreibt das Klima in der Urgemeinde. Lukas hat einen Bericht über die Urkirche geschrieben. Da sagt er folgendes:

(Bild 1)
„Die ganze Gemeinde war ein Herz und eine Seele.“ (Ac. 4, 32)

Der türkische Schriftsteller Yasar Kemal hat einmal gesagt: Alle Veränderungen der Welt haben mit einer Handvoll Menschen begonnen. So war das in der Urgemeinde. Es fing an mit einer Handvoll Menschen, die ein Herz und eine Seele waren.

Wir haben vorhin in der Lesung gehört, wie das so war in der Urgemeinde, ganz am Anfang, als die Kirche gerade entstanden war. Die Jünger von Jesus hatten an Pfingsten Heiligen Geist empfangen. Da haben sie erst so richtig begriffen, dass Gott etwas mit ihnen vorhat, dass der auferstandene Jesus durch sie die Welt verwandeln will. Da ist die Liebe Gottes vom Kopf ins Herz gerutscht.

Damit war eine ungeheure Energie freigesetzt worden. Es war eine faszinierende Gemeinschaft: Sie teilten alles miteinander, sie lernten miteinander von Jesus, sie beteten und feierten zusammen. Und das strahlte aus. Immer mehr Menschen wurde neugierig und kamen zum Glauben und wurden Teil dieser Gemeinschaft.

So war Kirche: Eine Gemeinschaft, in der Gottes Liebe sich kristallisierte; in der sie spürbar war und erlebbar.

Und das ist der Sinn von Kirche.
Es ist eine Gemeinschaft, durch die Gott in dieser Welt agieren will und sie mit seiner Liebe verwandeln will.

Wobei auch diese Urgemeinde ihre Probleme hatte. Die waren nicht von Natur aus „ein Herz und eine Seele“. Die Leute, die Jesus um sich gesammelt hatte, hatten alle ihre heftigen Macken. Und es war ein total heterogener Haufen. Die kamen aus verschiedenen Milieus. Da waren Hauptschüler und Akademiker zusammen, manche waren total fromm erzogen und andere kamen aus der Prostitution oder hatten eine kriminelle Vergangenheit. Es gab politisch Rechte und Linke, Leute, die in Israel geboren waren und andere mit Migrationshintergrund.

Die hatten es echt nicht leicht miteinander und es gab auch immer wieder Streitigkeiten.
Aber sie hatten ein Geheimnis:

(Bild 2)
Sie hatten eine gemeinsame Mitte.
Der auferstandene Jesus war ihr Zentrum.
Dem vertrauten sie, den liebten sie, dem wollten sie folgen. Von ihm ging ein Feuer aus, eine Liebe, die sie einfach anzog.

Sie waren „ein Herz und eine Seele“, weil es in der Mitte ein Herz gab, ein Herz voller Liebe.
Daraus waren sie ausgerichtet und das war es, was sie verbunden hat – trotz aller Unterschiede.
Sie konnten sich vergeben, konnten sich ertragen, weil sie diesen gemeinsamen Bezugspunkt hatten.

Und das hatte eine wahnsinnige Ausstrahlung.
Die Urgemeinde verbreitete sich mit rasantem Tempo. Aus einer kleinen Truppe in Jerusalem wurde eine Bewegung, die in kurzer Zeit den ganzen Mittelmeerraum erfasste.
Bis heute staunen Historiker, wie das nur möglich war.
Eine Handvoll Leute hat in wenigen Generationen das ganze Römische Reich umgekrempelt. Ohne Geld, ohne Soldaten, ohne Werbekampagne. Gegen tausend Widerstände und trotz staatlicher Unterdrückung.

Der Grund liegt im Zentrum:
Sie schöpften aus einer großen Liebe.
Und das war für die Umwelt ungeheuer attraktiv.
Es schlossen sich einfach immer mehr Menschen an.

Im Laufe der Jahrhunderte änderte sich das allerdings.

(Bild 3)
Äußere Strukturen und Hierarchien und Regeln wurden immer wichtiger und die Mitte trat in den Hintergrund. Was die Leute zusammenhielt, war mehr die Mitgliedschaft, die äußere Form, nicht mehr das Feuer im Zentrum.

Und das ist ja unser Problem heute. Kirche wird meist wahrgenommen als eine äußere Institution, mit Regeln und Macht und Geld. Aber die Mitte, dieses Herz, diese Liebe – die ist kaum wahrnehmbar.
So eine Kirche ist nicht wirklich attraktiv. Das scheint ein Auslaufmodell zu sein. Warum sollte man dazu gehören?

Es gab allerdings in der Geschichte der Kirche immer wieder Aufbrüche und Erneuerung, wo sich noch mal alles verändert hat.

Es gab zum Beispiel die Herrnhuter Brüdergemeinde. Die feiern in diesem Jahr ihr 300. Gründungsjubiläum. Die Herrnhuter kennen viele von uns von dem berühmten Stern, den wir ja auch in der Weihnachtszeit hier hängen hatten. Sie kennen die Herrnhuter vielleicht auch durch die Losungen, ein Andachtsbuch, das sie rausgeben.

Vor 300 Jahren, 1722, fing alles an. In der Oberlausitz. Da wohnte der Graf Zinzendorf. Der war ein von Jesus begeisterter junger Mann. Bei ihm klopften eines Tages Flüchtlinge an. Es waren mehrere Familien, sie kamen aus Böhmen, waren über Nacht über die Grenze geflohen. Sie waren evangelisch, von Jan Hus inspiriert. In ihrer Heimat durften sie ihren Glauben nicht leben, und deswegen entschlossen sie sich zur Flucht über die Grenze.

Zinzendorf nahm sie auf und zeigte ihnen einen Platz, wo sie sich niederlassen konnten. Da bauten sie sich ihre Häuser. Und weil sie sich hier sicher und in Gottes Hut fühlten, nannten sie den Ort „Herrnhut“. Im Laufe der nächsten Jahre kamen noch weitere Flüchtlinge dazu. Die Siedlung wuchs. Es lief gut.

Aber es gab auch jede Menge Spannungen. Spannungen zwischen den Flüchtlingen. Spannungen zwischen den Flüchtlingen und den Ansässigen. Die waren einfach sehr verschieden, mit unterschiedlichen Traditionen großgeworden und zum Teil echte Hitzköpfe.

Aber dann passierte es, dass in einem Gottesdienst sie ganz tief von Gottes Liebe berührt wurden. Sie entdeckten dieses große Herz, mit dem Gott sie liebt und dass sie alle von dieser Liebe leben. Das war der Moment, wo sie erst zu einer wirklichen Gemeinschaft wurden.
(Bild 4)
Sie wurden wieder, was Kirche eigentlich ist: Eine Gemeinschaft, die auf Jesus ausgerichtet ist und von seiner Liebe lebt.

Zinzendorf hat später ein Lied gedichtet, wo er das ausgedrückt hat. Wir werden es nachher singen.
Da textet er:
„Herz und Herz vereint zusammen, sucht in Gottes Herzen Ruh“.

Und das war nicht nur fromme Phrase. Das haben die Herrnhuter wirklich gelebt. So wurden sie zu einer Erneuerungsbewegung für unsere Kirche.

Die Herrnhuter waren eine ungeheuer missionarische Bewegung. Die gingen in die ganze Welt zu den Ärmsten der Armen, um mit ihnen Gottes Liebe zu teilen. Die gingen zB zu den Sklaven in die Karibik, haben dort unter Sklaven auf den Plantagen gearbeitet, haben versklavte Menschen freigekauft und alles getan, damit diese Menschen Gottes Liebe erfahren.

Und auch in Deutschland haben die Herrnhuter viele Gemeinden inspiriert.
Die Gottesdienste der Herrnhuter waren ausgesprochen fröhlich und herzlich, nicht so steif und kalt wie sonst.

Die Laien wurden bei ihnen aufgewertet, Frauen übernahmen Verantwortung. Es gab ein Netzwerk von Seelsorgerinnen und Seelsorgern und eine intensive diakonische Arbeit.
Adelige und Bauern saßen in dieser Gemeinschaft an einem Tisch, was ein Riesenskandal war.

Da kam ein neuer Stil in die Kirche, ein neuer Schwung. Es war ein echter Aufbruch.
Weil sie diese gemeinsame Mitte hatten, dieses Herz, das sie verband.

Und das macht mir Hoffnung für die Gegenwart.
Was die Urgemeinde erlebte, was die Herrnhuter erlebten, dass kann auch heute passieren.
Der Auferstandene ist derselbe wie damals.
Und der ist mitten unter uns.

Wenn wir uns als Einzelne auf Jesus ausrichten, wenn wir uns tief von Gottes Liebe berühren lassen, dann wird ein neuer Anfang möglich werden.
Das hoffe ich und darum bete ich.
Dann können Wunden heilen, Versöhnung geschehen und ein Aufbruch passieren.

Neuer Anfang – das heißt nicht, dass man Ungutes unter den Teppich kehrt. Unrecht muss angesprochen werden, ungute Strukturen müssen verändert werden.
Da hat der Bevollmächtigtenausschuss in den letzten Monaten wertvolle Arbeit geleistet und gute Voraussetzungen geschaffen.

Und jetzt können wir mit Hoffnung nach vorne schauen.
Unsere Auferstehungsgemeinde kann eine Auferstehung erleben.
Wenn wir uns auf die Mitte zubewegen, auf Gottes Herz, dann werden wir uns näher kommen und eine echte Gemeinschaft werden.

Dann werden wir über Sachfragen heftig diskutieren, aber gemeinsame Lösungen finden.
Dann werden die Stammgäste im Gottesdienst sich über neue Besucher freuen und sie willkommen heißen.

Dann werden Kinder in der Gemeinde sich wohl fühlen und schon ganz früh Gott kennenlernen.

Dann werden wir eine Lerngemeinschaft sein, wo die Jungen von den Alten und die Alten von den Jungen lernen und wir alle gemeinsam von Jesus lernen.

Dann werden wir noch mehr die Menschen im Blick haben, die Hilfe brauchen, bei uns und woanders.

Dann werden wir unterschiedliche Musikstile und Glaubenstraditionen nicht als Bedrohung empfinden, sondern als Bereicherung.

Wenn wir so aus Gottes Liebe leben, dann werden Menschen, die mit Kirche nichts am Hut haben, neugierig werden und kommen und andere mitbringen.

Dann werden unsere Gottesdienste lebendiger und voller und diese Gemeinde wird ausstrahlen in die ganze Umgebung.

Wir werden „ein Herz und eine Seele“ sein –
wenn Gottes Herz unsere Mitte ist.
Amen.