Predigt, 3.12.2023 (1. Advent) Ps 24

3.12.2023

J.Berewinkel

Liebe Geschwister, der Predigttext, der für diesen 1. Advent vorgeschlagen ist, ist der Psalm, den wir vorhin gemeinsam gesprochen haben: Psalm 24. Von dem Psalm kennt man ...

Liebe Geschwister,
der Predigttext, der für diesen 1. Advent vorgeschlagen ist, ist der Psalm, den wir vorhin gemeinsam gesprochen haben: Psalm 24.
Von dem Psalm kennt man vor allem den zweiten Teil. Da wird es so richtig adventlich. Das ist auch der Teil, den Georg Weissel in „Macht hoch, die Tür“ vertont hat.
Aber es lohnt sich, sich den ganzen Psalm einmal genauer anzuschauen.
Ich habe noch nie über diesen Psalm gepredigt und habe jetzt bei der Vorbereitung einige überraschende Entdeckungen gemacht. In diesem Psalm steckt eine ganz erstaunliche Dynamik.
Schauen wir uns das einmal an.

(F.)
Der Psalm beginnt ganz weit:
„Die Erde ist des HERRN und was darinnen ist,
der Erdkreis und die darauf wohnen.
Denn er hat ihn über den Meeren gegründet
und über den Wassern bereitet.“

Die ganze Welt ist hier im Blick. Die ganze Erde und alle Bewohner. Eine universale Perspektive.

Die Erde ist des HERRN.
Gott und Welt gehören zusammen.
Die ganze Welt gehört ihm und gehört zu ihm.

Denn Gott hat diese Welt erschaffen.
Er wird hier wie ein Architekt beschrieben, wie ein Baumeister. Er hat die Erde gegründet über den Meeren.

Im hebräischen Denken hat das Meer nichts Romantisches. Sondern es ist etwas Bedrohliches. Das Meer – das ist Chaos. Darin versinkt man. Darauf kann man nicht leben.
Aber Gott hat diese Erde über dem Chaos errichtet als Lebensort.

Diese Welt ist bedroht vom Chaos.
Das erleben wir in diesen Tagen besonders intensiv.
Und auch unser Leben ist bedroht.

Aber Gott hält unser Leben im Dasein.
Er hält die ganze Welt in seiner Hand.
Er hält alle Menschen im Dasein, hält sie über dem Abgrund. Und kein Mensch geht über diese Erde, für den sich Gott nicht interessiert.

Er will wirklich unser Gott sein und wir seine Menschen.

„Die Erde ist des Herrn“ – das ist die ganz weite Perspektive. Ganz universal.
So fängt es an.

Und dann spitzt es sich plötzlich zu.
Es wird enger.

„Wer darf auf des HERRN Berg gehen,
und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?
Wer unschuldige Hände hat
und reinen Herzens ist,
wer nicht bedacht ist auf Lüge
und nicht schwört zum Trug.“

Dieser Gott, der die ganze Welt gemacht hat,
der hat sich ein Volk erwählt.
Ein Volk, mit dem er in besonderer Verbindung ist, mit dem er einen Bund geschlossen hat: Das Volk Israel. Es ist schon bemerkenswert, dass dieses kleine Volk immer wieder im Zentrum der Weltgeschichte steht. Wir können da jetzt nicht näher drauf eingehen. Aber Gott hat sich dieses Volk erwählt, um sich durch Israel der ganzen Welt bekannt zu machen.
Und er hat sich in diesem Land Israel einen Ort erwählt, wo er in besonderer Weise präsent ist: Den Tempel in Jerusalem auf dem Berg Zion.

Der Tempel stand dort, wo jetzt der Felsendom steht. Der Tempel wurde zerstört. Aber jahrhundertelang war er dort.
Der Tempel auf dem Zionsberg – das ist die heilige Stätte, der Berg des Herrn.
Jahrhundertlang waren Menschen aus ganz Israel und Juden aus aller Welt dorthin gepilgert, in der Erwartung, dort Gott ganz nahe zu kommen.

Der Tempel – das ist ein Symbol für Gottes Gegenwart in dieser Welt. Es ist der Ort, wo wir mit Gott in Berührung kommen, in Kontakt treten.

Für uns ist der Tempel nicht mehr in Jerusalem. Der Tempel – das kann unsere Kirche sein. Das kann aber auch draußen die Natur sein oder das kleine Zimmer, wo du betest. Oder eine Gemeinschaft von Menschen, wo man miteinander über Gott spricht.

Gott ist auf ganz vielfältige Weise in dieser Welt gegenwärtig. Und wir können ihn an vielen Orten treffen. Im Tempel sein – das heißt: Mit Gott verbunden sein. Ihm ganz nahe sein.

Für Israel war dieser Ort also der Zionsberg in Jerusalem. Da pilgerten die Leute hin.

Und da stellte sich die Frage:
Wer darf da eigentlich rein?
Wer darf diesen Ort betreten?
Wer bekommt Einlass in den Tempel?

Die Antwort des Psalms ist:
„Wer unschuldige Hände hat
und reinen Herzens ist,
wer nicht bedacht ist auf Lüge
und nicht schwört zum Trug.“

Jetzt wird es eng.
Zutritt zu Gott haben die, die unschuldige Hände haben.
Das heißt: Die mit ihren Händen nichts Böses getan haben. Niemandem Gewalt angetan haben. Niemandem mit ihren Händen etwas weggenommen haben.
Tja, wer hat solche Hände?

Und Zutritt zu Gott haben nur die, die mit ihrem Mund nicht lügen. Aus deren Mund kein Trug kommt, nichts Falsches.
Puh! Wer von uns könnte da sagen: Da bin ich qualifiziert?

Und dann:
Zutritt zu Gott haben die, die reinen Herzens sind.
Ein reines Herz.
Ein Herz, in dem nichts Böses steckt, keine fiesen Gedanken, keine boshaften Fantasien.

Da fallen wir doch alle raus, oder?
Gibt es jemanden unter uns, der qualifiziert wäre?
Der unschuldige Hände hat, einen Mund ohne Lüge und ein reines Herz?
Ich gehöre jedenfalls nicht dazu.

Es wird sehr eng.

Und natürlich fragt man sich:
Wieso macht Gott es denn so eng?
Wieso legt er die Hürde so hoch?
Wieso lässt er nicht einfach alle zu sich, die moralisch halbwegs in Ordnung sind?

Die Bibel gibt uns hier eine Auskunft, die erst mal etwas befremdlich wirkt:
Gott selbst ist heilig.
Er ist rein, ohne jegliches Böses.
In einem Brief im NT heißt es: Gott ist Licht und keine Finsternis ist in ihm.
In seinem Reich, in seiner Nähe ist kein Platz für Dunkelheit, für Bosheit.
In Gottes Gegenwart ist vollkommene Harmonie. Da passt nichts Disharmonisches hinein.

Es ist wie bei einem Symphonieorchester, das perfekt spielt. Wenn jemand wie ich dazukäme und mitspielen würde und dann laufend schiefe Töne produziert – das würde die ganze Harmonie zerstören.

Menschen mit Dreck an den Händen, mit Lügen auf den Lippen, mit boshaften Gedanken im Herzen passen einfach nicht zu Gott.

Und deswegen bleibt die Türe zum Tempel geschlossen. Wir passen da nicht rein.
Und der Segen und die Gerechtigkeit, die da zu finden ist, bleibt für uns unerreichbar.

Wir scheinen nicht zu Gott zu passen.
Aber auch das Umgekehrte gilt:
Gott scheint nicht zu uns zu passen,
zumindest nicht zu uns Menschen in Deutschland.

Auch da wird es nämlich eng.
Viele von Euch haben sicher die Ergebnisse der aktuellen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung mitbekommen. Der Rückgang von Religion, von kirchlicher Bindung geht weiter. Der christliche Glaube hat für immer weniger Menschen in unserem Land Relevanz.
Gott scheint für sehr viele Menschen in unserem Land ohne Bedeutung zu sein. Sie haben keinen Kontakt zu ihm und vermissen das auch nicht.

Die Türe zum Tempel ist sozusagen von beiden Seiten aus geschlossen.
Stillstand.

Aber jetzt kommt ein plötzlicher Wechsel.
Jetzt kommt Bewegung in den Psalm.

„Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!“

Auf einmal ein lauter Befehl:
Öffnet die Tore!
Der König kommt!

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.
Es kommt er Herr der Herrlichkeit.

Lasst uns diese Zeile einmal miteinander singen!

(Singen)

Der Wechsel in diesem Psalm ist völlig abrupt. So abrupt, dass manche Ausleger denken, dass das ursprünglich zwei separate Psalmen waren.
Aber im gesamtbiblischen Zusammenhang macht dieser Wechsel perfekten Sinn.

Die Begegnung mit Gott, um die es beim Tempel geht, ist blockiert.
Einerseits, weil wir Menschen, so wie wir sind, einfach nicht zum heiligen Gott passen.
Und andererseits weil Gott nicht in unsere moderne Lebenswelt zu passen scheint.
Die Türe ist zu.
Wir können von uns aus Gott nicht erreichen.
Der Zugang ist versperrt.

Aber jetzt kommt eine umgekehrte Bewegung:
Gott kommt! Er kommt zu uns!

Vielleicht hat der Psalm ursprünglich im Sinn, dass Gott zum Tempel kommt, dass er im Tempel einzieht.
Aber auch da war daran gedacht, dass er zu den Menschen kommt, die dort auf ihn warten.

Und im gesamtbiblischen Zusammenhang wird klar:
Gott möchte zu allen Menschen kommen.
Nicht nur zu denen, die im Tempel warten.
Nicht nur zu denen, die moralisch schon hochqualifiziert sind, sondern zu allen.

Jetzt wird es wieder ganz weit.
Macht die Tore weit auf!
Macht die Türen in der Welt hoch!
Der König der Ehre will kommen.
Zur ganzen Welt!

Wir haben das eben im Evangelium gehört, wie Jesus kam und wie die Leute ihn zugejubelt haben:
Hosianna dem Sohn Davids!
Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!
Jesus ist der König der Ehre.

Er kommt, aber ganz anders als man sich das vorgestellt hat.
Nicht auf einem Schlachtross, nicht „mächtig im Streit“, sondern auf einem Esel.
Und auch nicht mit Prunk und Geld, sondern ganz arm und einfach.
Er kommt auch nicht nur zu den Frommen; nicht nur zu denen, die immer zum Gottesdienst gehen und sich um eine weiße Weste bemühen.
Sondern er kommt zu den ganz Normalen.

In Jesus zeigt uns Gott: Ich will zu euch Menschen.
Zu euch mit den verdreckten Händen und unreinen Herzen. Ihr seid zwar nicht moralisch qualifiziert. Aber ich liebe euch trotzdem.
Ich will nicht warten, bis ihr es zu mir schafft, sondern ich komme zu euch. Ich bringe in Ordnung, was zwischen uns steht.

Diese Bewegung – das ist Advent.
Freue Dich! Dein König kommt zu dir!

Und Jesus will uns als Gemeinde, als Kirche in diese Bewegung mit hinein nehmen.

Ich glaube, dass wir als Kirche im Moment in einer großen Versuchung stehen. Wir sehen ja, dass die Mitgliederzahlen zurückgehen, dass Einfluss und finanzielle Möglichkeiten abnehmen. Und die Versuchung ist groß, den Rückzug anzutreten, wie bei einer verlorenen Schlacht. Zurück in die sichere Burg.
Finanzen sichern, Ressourcen sammeln, den Bestand wahren.

Natürlich muss man realistisch planen und wissen, dass wir künftig weniger Pfarrleute haben und weniger Geld. Aber das darf uns nicht dazu bringen, in die Defensive zu gehen und uns aus der Welt zurückzuziehen.

Gott will uns in seine Bewegung mit hineinnehmen: Hin zu den Menschen, zu allen Menschen. Zu denen, die an ihn glauben und auch zu den anderen.

Darum ist es wichtig und richtig, dass wir neue Gottesdienstformate anbieten für Menschen, die mit der traditionellen Form nichts anfangen können.

Es ist richtig, dass wir niederschwellige Angebote machen, das Repair-Café, das gestern wieder stattfand oder das Weihnachtskonzert in zwei Woche; Angebote, wo Leute mit weniger Kirchenbindung Impulse bekommen.

Es ist wichtig und richtig, dass wir Angebote für Kinder und Jugendliche machen, wo sie von klein auf in Berührung mit Jesus kommen können und dass wir Glaubenskurse anbieten, wo Menschen über ihre Zweifel und ihre Sehnsucht sprechen können und den Glauben neu kennenlernen können.

Lasst uns bitte nicht zu eng denken!
Lasst uns nicht die Türen zumachen, sondern im Gegenteil: Sie ganz weit aufmachen, dass wir rausgehen und hingehen, damit der König der Ehre auch hier bei den Menschen in Bonn ankommt.

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.
Jetzt singen wir mal diese erste Strophe! Mit weit geöffnetem Mund und weitem Herzen!
Danach hören wir dann ein Musikstück von Orgel und Posaune.

Und der Friede Gottes…