Predigt, 8.10.2023 Ex 20 – Zehn Gebote

8.10.2023

J.Berewinkel

Ihr Lieben, der Predigttext, der für diesen Sonntag vorgeschlagen ist, sind die Zehn Gebote. Die Zehn Gebote, die Gott dem Mose für das Volk Israel ...

Ihr Lieben, der Predigttext, der für diesen Sonntag vorgeschlagen ist, sind die Zehn Gebote. Die Zehn Gebote, die Gott dem Mose für das Volk Israel gegeben hat.
Die Zehn Gebote, das ist sicherlich einer der fundamentalsten Texte in der Bibel. Sie sind die Zusammenfassung von Gottes Willen für den Menschen. Wir haben eben in der Lesung gehört, wie Jesus sie aufgreift.

Die Zehn Gebote hatten einen enormen Einfluss auf die Gesetzgebung im christlichen Abendland – bis heute. Und sie prägen unser ethisches Bewusstsein, unser Empfinden für das, was gut und böse ist, was man machen kann und was nicht.

Vielen von Ihnen haben wahrscheinlich die Zehn Gebote irgendwann mal Konfirmandenunterricht auswendig gelernt. Unsere Konfis erst vor wenigen Wochen!

Ich bin mal gespannt, ob wir sie zusammen kriegen. Lasst uns doch mal versuchen, die Zehn Gebote aufzuzählen…

(Folie 1)
Hier sind sie, die Zehn Gebote, wie sie in 2.Buch Mose, Kapitel 20, aufgeschrieben sind. Hier in einer etwas verkürzten Version und in der Übersetzung der Basis Bibel:

Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägypten aus dem Leben in der Sklaverei geführt habe.
1. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!
2. Du sollst dir kein Bild von Gott machen!
3. Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen!
4. Du sollst den Feiertag heiligen!
5. Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!
6. Du sollst nicht töten!
7. Du sollst nicht ehebrechen!
8. Du sollst nicht stehlen!
9. Du sollst nichts Falsches über deinen Nächsten sagen!
10. Du sollst nicht begehren, was deinem Nächsten gehört!

Übrigens: wenn Sie etwas bei der Zählung irritiert, dann liegt es daran, dass es unterschiedliche Zählungen gibt. In der katholischen Kirche und in der lutherischen Tradition wird das Bilderverbot mit dem ersten Gebot zusammengefasst. Damit man auf die Zehnzahl kommt, hat man dafür das Begehrensverbot aufgesplittet: im Originaltext ist das nämlich etwas länger. Da heißt es: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, noch Knecht, noch Magd, noch Rind, noch Esel noch irgendetwas, das deinem Nächsten gehört.

In der jüdischen und evangelisch-reformierten Zählung ist es etwas anders. Da zählt das Gebot „Du sollst dir kein Bild von Gott machen!“ als ein eigenes Gebot. Dafür gilt dann das Begehrensverbot als ein einziges Gebot. Was auch eigentlich textgemäßer ist.
Jedenfalls kommt es dadurch zu einer unterschiedlichen Zählung. Du sollst nicht töten ist also zB nach katholisch-lutherischer Zählung das 5. Gebot und nach jüdisch-reformierter Zählung das 6. Gebot, usw.

Wir können natürlich nicht in einer einzigen Predigt die ganzen Gebote durchgehen. Da würden wir ja bis heute Abend hier sitzen.
Ich möchte mir stattdessen heute mit Ihnen mal den Anfang genauer anschauen.
Aus der Kommunikationswissenschaft wissen wir ja: Entscheidend für die Vermittlung von Inhalten ist das Framing, also der Rahmen, in dem man die Inhalte setzt.
Das Framing ist tatsächlich auch für das Verständnis der Gebote entscheidend.

Als ich in der Grundschule war, hatten wir Religionsunterricht bei einem alten Pastor. Der brachte uns auch die Zehn Gebote bei. Dieser Pastor war ein sehr verbiesterter und strenger Typ. Der lachte nie. Der gab schon mal eine Ohrfeige. Er wirkte immer verbissen und schien wenig Freude am Leben zu haben.
Und die Gebote Gottes, so wie er sie rüberbrachte, schienen ein Spiegel von seinem Charakter zu sein. Unser Eindruck war: Gott ist so wie dieser verbiesterte Pastor. Ein griesgrämiger, miesepetriger Gott, der alles verbietet, was Spaß macht. Die Gebote sind dazu da, unser Leben einzuschränken und alles Vergnügen ausmerzen. Und wer es heroisch schafft, sich immer daran zu halten, der wird am Ende mit dem Himmel belohnt.
Das war sozusagen der Frame, in dem ich die Zehn Gebote kennenlernte.

Wenn wir die 10 Gebote so lesen, dann sind das 10 Einschränkungen, 10 Belastungen, 10 Zumutungen. Und je weniger man darüber weiß, desto besser!

In der Bibel finden wir ein total anderes Framing. Die Gebote werden in einem Kontext der Befreiung gesetzt.
Hier im einleitenden Vers heißt es: „Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägypten aus dem Leben in der Sklaverei geführt habe.“

Gott führt aus der Sklaverei in die Freiheit. Das ist die Grunderfahrung des Volkes Israel gewesen. Sie waren ein Sklavenvolk in Ägypten gewesen. Manchmal wird das als bloße Legende abgetan. Letzte Woche sah ich eine Folge von Terra X. Da wurde die Befreiung aus Ägypten als reiner Mythos beschrieben. Ich glaube, da sollte man vorsichtiger sein. Für Israel war diese Erfahrung der Befreiung aus Ägypten so grundlegend und so zentral, dass man sich nur schwerlich vorstellen kann, dass das alles frei erfunden ist. Sie haben Gott tatsächlich als einen Gott erlebt, der sie aus der Unterdrückung herausgeführt hat.
Und alles, was dieser Gott dem Volk jetzt sagt und gebietet, steht unter diesem Vorzeichen: Ich will eure Freiheit! Ich will für Euch das Beste!
Die Zehn Gebote sind gegeben, um ein Leben in Freiheit zu schützen.

Als unser Sohn Janek anderthalb Jahre alt war, da war das eine Phase, wo er alles ausprobierte und wo wir ihm ständig Sachen verbieten mussten.
Am liebsten ging er immer an den Kühlschrank und holte sämtliche Eier raus, um damit herumzuwerfen.
Und ständig mussten wir ihm sagen: Nein Janek, nicht an den Kühlschrank!
Nein, nicht diese hübschen blauen Tabletten essen!
Nicht die Herdplatte anpacken!
Nicht auf die Straße laufen!
Nicht aus dem Fenster springen!

Einmal stand er in der Küche, die Hand am Kühlschrankgriff und sagte: Nein, Nein, Nein! – und dann grinste er und machte sie doch auf!

Wir hatten ein etwas merkwürdiges Gefühl dabei. Es ist schon schlimm, wenn ein Kind als erstes das Wort NEIN beherrscht, weil wir es ihm anscheinend so oft sagten!
Aber was soll man machen? Wir leben in Welt, die für so ein Kind voller Gefahren ist und von denen es noch nichts weiß. Wir müssen Nein sagen, um es zu schützen.
Und natürlich hat er dann, als er älter wurde, gemerkt, dass hinter unserem Nein ein großes JA steht, ein Ja zu ihm: Ja, wir lieben dich! Ja, wir wollen, dass Du lebst! Und wir sind bereit, für dich alles zu tun, alles zu geben, wenn es dein Leben bewahrt und zur Entfaltung bringt!

Hinter den Neins stand ein großes Ja.

Und genauso ist es bei Gott und seinen Geboten auch!
Die 10 Gebote fangen im Hebräischen fast alle mit einem „Nicht“ an:
Nicht sollst du andere Götter nehmen mir haben!
Nicht sollst du dir ein Bild von mir machen!
Nicht sollst du meinen Namen missbrauchen!

Nicht, nicht, nicht! Nein, nein, nein.

Aber diese ganzen Neins der Gebote sind umfangen von einem großen JA.

Ja, ich will deine Freiheit! Ja, ich will dein Leben schützen! Ja, ich will dein Gott sein und mit dir durchs Leben gehen.

In einer Gesellschaft, wo diese Zehn Gebote Geltung haben, wo sich alle daran halten, da können alle in Freiheit leben.
Wobei das ja erst mal ein bisschen widersprüchlich klingt. Denn die Gebote scheinen ja gerade unsere Freiheit einzuschränken.

Viele verstehen unter Freiheit Autonomie. Ich kann machen, was ich will. Da ziehen die Gebote Grenzen.
Denn in der Bibel gibt es ein anderes Verständnis von Freiheit. Freiheit ist nicht einfach: Machen können, was man will.
Sondern Freiheit ist, dass sich das Leben in einer guten, heilsamen Weise entfalten kann, so wie der Schöpfer sich das gedacht hat. Und zwar das eigene und das der anderen.

Nehmen wir zB das Feiertagsgebot. Das schränkt unsere Freiheit ein. Sonntags kann ich nicht einkaufen. Es zugleich schützt es uns davor, nur noch für die Arbeit zu leben. Es gebietet Pause und Ausruhen, für uns und für andere. Und damit ermöglicht es einen freien Tag für alle – im Idealfall.

Oder nehmen wir das Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“. Das schränkt unsere Freiheit ein; klar. Ich soll nicht mit jedem, den ich gerade attraktiv finde, irgendetwas anfangen. Aber dadurch wird die Ehe zu einem geschützten Raum, in dem sich die Beziehung zwischen zwei Menschen frei entfalten kann und durch Krisen und Tiefen hindurch wachsen kann.

Du sollst nichts Falsches über deinen Nächsten sagen – dieses Gebot ermöglicht Vertrauen. Ich kann mich darauf verlassen, dass andere über mich keine Lügen erzählen. Und nur da wo Wahrheit und Verlässlichkeit ist, kann sich eine Gemeinschaft frei und gut entfalten.

Es gibt keine absolute Freiheit. Sondern Freiheit gibt es nur in Bindung. Und das gilt auch für das erste Gebot: Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.

Dahinter steht die Überzeugung: Wenn wir uns von Gott, dem wahren Gott, loslösen, dann kommen wir unter den Einfluss anderer Mächte.
Wenn Gott nicht mehr unser Herr ist, dann werden andere Kräfte zu unseren Göttern.
Wenn ich mich nicht mehr auf Gott verlasse, dann verlasse ich mich auf anderes: Auf mein Geld, meine Klugheit, auf die Ärzte oder die Versicherung.

Ich glaube, da ist etwas dran. Wir leben immer in einer letzten Bindung. Es gibt immer etwas, worauf ich mich im Letzten verlasse.
Martin Luther sagte mal: Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott!

Es gibt keine absolute Freiheit, sondern nur Freiheit in Bindung.

Ich will es mal mit einem Bild veranschaulichen.
Letzten Sommer waren meine Frau und ich im Urlaub in Meran. Da ist Birgit zum ersten Mal im Leben mit einem Paraglider geflogen. Ich hatte da zu viel Schiss, aber Birgit hat sich getraut. Und es war super. Herrlicher blauer Himmel. Wunderschöne Berge. Und ein traumhafter Weitblick. Ich habe das nur von unten gesehen, aber sogar von da sah das großartig aus. Ein ultimatives Gefühl von Freiheit.

Aber diese Freiheit gibt es nur in Bindung. In Bindung an den Paraglider. Nur wenn du ganz fest mit diesem Gerät verbunden bist, kannst du frei fliegen. Sobald man da aussteigt, ist es mit der Freiheit vorbei.

Und so ist es mit der Freiheit im Leben. Diese Freiheit, diese freie und heilsame Entfaltung gibt es nur in Bindung. In der Bindung an Gott und an seine Weisungen, seine Gebote.

Ich weiß nicht, wie Ihnen und Euch das mit so einer Aussage geht.

Es gibt Situationen, da ist uns allen ganz klar, wie wichtig diese Gebote sind.
Wenn in Israel oder in der Ukraine Menschen skrupellos getötet werden.
Oder wenn die staatliche Propaganda in Russland und anderen Ländern hemmungslos Lügen verbreitet – dann spüren wir, wie wichtig solche Normen sind.
Und wie zerstörerisch es ist, wenn man sich nicht daran hält.

Aber es gibt auch Situationen, wo auch bei uns gestritten wird, wie weit diese Gebote noch gelten.

Du sollst nicht töten! Eigentlich klar.
Aber wie ist das an den Rändern des Lebens?
Darf man Embryonen töten? Sind das nur Zellklumpen oder sind es nicht doch Menschen, die Schutz brauchen?
Und wie ist das mit der Sterbehilfe? Das wurde ja kürzlich im Bundestag heftig diskutiert und manche fordern im Namen der freien Selbstbestimmung, dass man Menschen auf ihren Wunsch hin eine tödliche Spritze geben darf.

Das sind schwierige Fragen und nicht immer gibt es da einfache Antworten.

Und manchmal kommt man auch selber in eine Lebenssituation, wo ich mit einem Gebot in Clinch gerate und mich frage: Soll ich mich wirklich daran halten oder ist jetzt, in meiner Situation, nicht doch eine Ausnahme möglich?

Ich weiß nicht, ob Ihr so etwas kennt.

Das Leben ist kompliziert und unübersichtlich wie ein Dschungel. Die Zehn Gebote sind in diesem Dschungel wie ein Kompass.
So ein Kompass zeigt uns nicht immer einen klaren Weg, aber er zeigt uns die Richtung.

Und so geben uns die Zehn Gebote Orientierung. Sie zeigen uns die Richtung, in der ein Leben in Freiheit und Würde möglich ist, für uns Einzelne und für unsere Gesellschaft.

Und dann noch ein letzter Gedanke.
Es gibt keinen Menschen, der nicht hier oder da an den Geboten scheitert.

Gleich werden wir das Abendmahl feiern.
Und im Abendmahl wird deutlich: Ein Leben in Gemeinschaft ist nur möglich, wo Vergebung ist.

Im Abendmahl sagt uns der auferstandene Jesus zu: Ich geb mein Leben hin, meinen Leib und mein Blut, zur Vergebung aller Schuld. Und alles, was du gebrochen hast an Geboten – das nehme ich in meinen Tod hinein.

Wir stehen gleich im Kreis um den Altar mit leeren Händen, lassen unsere Schuld vor Gott los und empfangen seine Vergebung.
Und dann können wir auch anderen vergeben, wo sie seine Gebote gebrochen und uns geschadet haben.

Gott führt uns aus der Sklaverei, damit wir Leben haben in Freiheit und Gemeinschaft.

Und der Friede Gottes, der unsere Vernunft übersteigt, bewahre eure Herzen und Gedanken in Jesus Christus. Amen.