Predigt, 9.7.23 Johannes 1, 35-42

9.7.2023

J.Berewinkel

Ihr Lieben, kürzlich habe ich mich mit einem jungen Mann unterhalten. Der macht gerade sein FSJ in einer Gemeinde. Ich fragte ihn, wieso er das macht, ...

Ihr Lieben,

kürzlich habe ich mich mit einem jungen Mann unterhalten. Der macht gerade sein FSJ in einer Gemeinde. Ich fragte ihn, wieso er das macht, und er erzählte, dass er erst vor kurzem zum Glauben gekommen ist. Und zwar ziemlich seltsam. Seine Eltern haben mit dem Glauben nichts am Hut. Er ist ganz kirchenfern aufgewachsen. Aber plötzlich, wie aus heiterem Himmel, hat er angefangen, das Vaterunser zu beten. Er weiß selbst nicht, warum und wie. Und er begann, in der Bibel zu lesen. Ganz von sich, ohne, dass ihn da jemand zu ermuntert hätte.

Das ist ziemlich ungewöhnlich. Die meisten Menschen entdecken den Glauben, weil da irgend jemand ist, der ihnen davon erzählt: im Elternhaus, in der Gemeinde, ein Freund, eine Lehrerin.

Wie ist das bei Ihnen, bei Euch? Wie habt Ihr von Gott erfahren? Wer hat Euch da etwas erzählt?

Glauben ist wie ein Licht, das irgendwann angeht (Teelicht anzünden). Aber meistens geht dem etwas voraus.

So war das auch bei den allerersten Menschen, die zum Glauben an Jesus kamen.

Der Predigttext, der für heute vorgeschlagen ist, berichtet davon, wie das bei ihnen anfing.

Lesen: Joh 1, 35-42 (Basisbibel)

35Am nächsten Tag stand Johannes mit zwei seiner Jünger wieder dort. 36Als Jesus vorbeiging, schaute Johannes ihn an und sagte: »Seht doch! Das ist das Lamm Gottes!« 37Die beiden Jünger hörten diese Worte und folgten Jesus. 38Jesus drehte sich um und sah, dass sie ihm folgten. Da fragte er sie: »Was wollt ihr?« Sie antworteten: »Rabbi«– das heißt übersetzt »Lehrer« –»wo wohnst du?« 39Er forderte sie auf: »Kommt und seht selbst!« Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte. Sie blieben den ganzen Tag bei ihm. Das geschah etwa um die zehnte Stunde.

40Andreas war einer der beiden Jünger, die Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren. Er war der Bruder von Simon Petrus. 41Andreas traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: »Wir haben den Messias gefunden« –das heißt übersetzt »der Christus«. 42Er brachte Simon zu Jesus. Jesus sah ihn an und sagte: »Du bist Simon, der Sohn des Johannes. Dich wird man Kephas nennen« – das heißt übersetzt Petrus und bedeutet »Fels«.

Der Evangelist Johannes hat einen sehr markanten Schreibstil. Er schreibt ganz einfach, ganz reduziert und zugleich sehr tiefgründig. Alles Überflüssige ist weggelassen und nur das Wichtige, das Paradigmatische, das Typische wird herausgestellt.

In diesem kurzen Bericht gibt es zwei Mal einen Dreischritt.

(F. Dreischritt)

Ein Doppel-Dreischritt von Bezeugen-Bewegen-Erleben.

1. Bezeugen (Sprechblase)

Da ist Johannes der Täufer. Er ist ein Zeuge. Er sieht Jesus vorbeigehen und sagt den Leuten, die da um ihn herumstehen: Seht doch! Das ist das Lamm Gottes!

Vielleicht kennen Sie den Isenheimer Altar in Colmar. Da ist das eindrücklich ins Bild gesetzt: Johannes der Täufer, der auf Jesus, das Lamm Gottes, hinweist, mit einem überlangen Zeigefinger: Der ist es!

Das ist schon sehr bemerkenswert. Der Täufer war damals in Israel sehr populär. Wir wissen das auch aus anderen historischen Quellen, von Josephus zum Beispiel. Die Menschen waren in großen Scharen zu Johannes an den Jordan gekommen und haben sich von ihm taufen lassen. Und es gab nicht nur die, die sich da taufen ließen und dann wieder nach Hause gingen, sondern es gab auch Menschen, die für eine Zeit bei Johannes blieben, die seine Jünger wurden, seine Schüler.

Und hier bemerkt der Evangelist etwas, das auch historisch interessant ist: Die allerersten Jünger von Jesus kamen demnach aus dem Dunstkreis des Täufers.

Wir kennen ja aus den anderen Evangelien die Berichte, wo Jesus seine ersten Jünger am See Genezareth berief, von ihren Fischerbooten weg. Nach dem Johannesevangelium hatte das Ganze eine Vorgeschichte.

Andreas und der andere Jünger, der hier nicht mit Namen genannt wird, waren Anhänger des Täufers gewesen. Sie waren also schon Jünger. Sie glaubten an Gott und sie glaubten, dass der Täufer ein Prophet ist. Sie waren offenbar geistlich ganz wach, ganz interessiert, hungrig nach Gott und danach, dass sein Reich kommt.

Und dann hören sie, wie ihr Meister sie auf einen anderen Meister verweist: Das ist er. Das ist der, der von Gott kommt! Das Lamm, das die Sünden der Menschen trägt. Der Messias, der die Befreiung bringt.

Er schickt seine Jünger weg, einem anderen hinterher.

Das ist wirklich beeindruckend: Der Täufer versucht nicht, seine Anhänger bei sich zu behalten, seinen Einfluss zu vergrößern, seine Wichtigkeit hervorzuheben, sondern er weist von sich selbst weg auf einen anderen. Später im Johannesevangelium sagt er im Blick auf Jesus: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen (Joh. 3, 30). In den anderen Evangelien sagt er: Ich bin nur der Vorbote, nur der Wegbereiter für einen anderen.

Der da, dieser Jesus, das ist der eigentliche Meister.

Der Täufer ist ein Zeuge für Jesus.

Und jetzt passiert etwas Entscheidendes. Jetzt kommt nämlich der zweite Schritt:

2. Bewegen (Füße)

Die beiden Jünger kommen in Bewegung.

Sie hätten ja auch sagen können: Aha, das ist also der Messias. Prima. Dann wissen wir das ja. Sie hätten auch stehen bleiben können.

Aber das reicht ihnen nicht, sondern sie setzen sich in Bewegung und laufen Jesus hinterher. Ganz wörtlich.

Das ist etwas, was sich durch die ganzen Evangelien durchzieht. Da ist ganz viel Bewegung. Die Leute lernen Jesus kennen, indem sie laufen. Sie laufen auf Jesus zu, sie gehen ihm hinterher. Sie laufen durch Galiläa kreuz und quer, laufen durch Samaria und nach Jerusalem. Immer in Bewegung.

Mit dieser äußeren Bewegung einher geht eine innere Bewegung. Auf dem Weg hinter Jesus her verändern sie sich. Ihre Sicht auf Gott, ihre Vorstellung von der Welt, was möglich und was unmöglich ist – alles kommt in Bewegung. Alles ändert sich.

Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt:

Jünger-sein heißt in Bewegung sein.

Man kann auch sagen: Christsein heißt: Losgehen. Christsein ist kein Standpunkt, den ich einmal beziehe und auf dem ich dann mein Leben lang stehen bleibe.

Sondern Christsein heißt: Ich setze mich in Bewegung und gehe hinter Jesus her.

3. Erleben (Kerze)

Und dann kommt der dritte Schritt: Sie erleben etwas.

Jesus dreht sich um und es kommt ein Gespräch in Gang. Sie fragen etwas schüchtern: Wo wohnst du denn?

Und Jesus lädt sie ein: Kommt und seht selbst!

Sie gehen mit und bleiben den Rest des Tages bei ihm.

Und dann schreibt der Evangelist: Das geschah etwa um die zehnte Stunde, also ungefähr um vier Uhr nachmittags.

Manche Ausleger grübeln, was das bedeuten soll, ob die zehnte Stunde eine symbolische Zahl oder was. Ich glaube, dieser Moment war für die beiden so eindrücklich – das hat sich in ihr Hirn gebrannt.

Manche Dinge, die uns ganz tief berühren, die vergessen wir nicht.

Ich weiß noch ganz genau, wo meine Frau und ich uns zum ersten Mal geküsst haben. Vielleicht können Sie sich an ähnliche Momente erinnern. So was vergisst man nicht.

Und für Andreas und seinen Mitjünger war das so ein Moment: Da haben wir zum ersten Mal mit Jesus gesprochen! Das war da und da um 4 Uhr!

Diese erste Begegnung hat sie zutiefst beeindruckt. Da fing so eine Art Liebesgeschichte an. Sie haben etwas erlebt, das sie nie mehr vergessen werden.

Aber sie konnten es nur erleben, weil der Täufer sie auf Jesus hingewiesen hat und weil sie sich in Bewegung gesetzt haben.

Das war der erste Dreischritt.

Jetzt kommt der zweite Dreischritt:

1. Bezeugen (Sprechblase)

Es beginnt mit dem Bezeugen.

Jetzt wird nämlich Andreas der Zeuge.

Schauen Sie mal in V. 40: Andreas trifft seinen Bruder Simon Petrus. Und er erzählt ihm: „Wir haben den Messias gefunden!“

Er sagt nicht: Der Täufer hat uns erzählt, dass Jesus der Messias ist. Er wiederholt nicht, was ein anderer ihm gesagt hat. Sondern: Wir haben den Messias gefunden!

Er hat eine eigene Erfahrung gemacht und eine eigene Überzeugung gewonnen. Da ist ein Licht bei ihm angegangen.

Er war losgegangen hinter Jesus her, weil ein anderer – der Täufer – an Jesus geglaubt und ihn bezeugt hat. Das war sozusagen ein Glaube aus zweiter Hand.

Aber dann ist er Jesus selber begegnet. Das ist ein Glaube aus erster Hand, aus eigener Erfahrung.

Ich denke, das ist für uns heute wichtig: Dass aus einem Glauben aus zweiter Hand ein eigener Glaube wird mit eigenen Erfahrungen. Dass wir das Licht des Glaubens nicht nur bei anderen sehen, sondern dass es in unserem eigenen Herzen angeht.

Wenn du sagst: Ich glaube an Gott, weil mir der Pfarrer oder die Oma gesagt hat, dass es den gibt – das wird dich nicht tragen. So ein Glaube aus zweiter Hand ist vielleicht der Anfang, aber noch nicht das Ziel.

Andreas kann Zeuge sein, weil ihm selber ein Licht aufgegangen ist: Wir haben ihn gefunden.

Und dann kommt wieder der zweite Schritt:

2. Bewegen (Füße)

„Er brachte Simon zu Jesus“.

Ein ganz kurzer, schlichter Satz. Aber er ist paradigmatisch. Hier wird ganz prägnant ausgedrückt, was Mission bedeutet und wie Kirche entsteht.

Das Wort „Mission“ ist ja leider etwas belastet durch eine z.T. üble Missionsgeschichte. Manche denken bei „Mission“ auch an Leute, die einem unbedingt etwas aufdrängen wollen, die anderen den Glauben wie ein Teppichverkäufer aufschwatzen.

Das ist unangenehm. Und so etwas wollen wir nicht.

Aber eigentlich bedeutet Mission etwas wunderschönes. Es bedeutet, einen anderen Menschen auf dem Weg zu Jesus zu begleiten.

Er brachte Simon zu Jesus.

Das war auf der wörtlichen Ebene so.

Andreas wusste ja, wo Jesus steckt und konnte ihn da hinführen.

Aber es war eben auch in einem tieferen Sinne so. Andreas hatte Jesus kennengelernt und konnte jetzt seinem Bruder helfen, diesen Weg zu Jesus zu gehen.

Er hat ihn neugierig gemacht, hat seine Fragen beantwortet, hat seine Bedenken zerstreut. Und so hat er ihn ermutigt, sich selber auf Jesus zuzubewegen.

Das ist Mission im eigentlichen Sinne.

Mission bedeutet nicht, anderen etwas aufzudrängen, was die gar nicht haben wollen, sondern anderen zu helfen, ihren eigenen Weg zu Jesus und zum Glauben zu finden.

Und das ist etwas, was für unsere Kirche heute entscheidend ist.

Wir erleben ja gerade in Deutschland einen massiven Abbruch in unserer Kirche. Einen Abbruch der Tradition.

Für die Zukunft der Kirche und für die Zukunft des Glaubens wird entscheidend sein, dass die, die Christen sind, ihren Glauben an andere weitergeben.

Wenn jeder seinen Glauben wie so ein kleines Teelicht nur für sich behält, vielleicht noch die Hände schützend darumlegt, damit uns niemand den Glauben auspustet – dann wird der Glaube nicht mehr weitergegeben. Und dann wird irgendwann dieses Licht verlöschen.

Was wir dringend brauchen, ist mehr Mut. Dass wir offener und selbstverständlicher unseren Glauben teilen, mit anderen darüber sprechen, das Licht weitergeben.

Wir brauchen mehr Mut zur Mission.

Ohne anderen etwas aufzudrängen, aber auch ohne falsche Scheu und Scham.

So können wir anderen helfen, ihren Weg zu Jesus zu finden.

Und dann kann es zum dritten Schritt kommen:

3. Erleben (Kerze)

Simon kommt zu Jesus, und es kommt zu einer merkwürdigen Begegnung. Noch bevor Simon ein Wort herausbringt, sagt Jesus zu ihm: Du bist Simon, der Sohn des Johannes.

Mit einem Blick erkennt er ihn.

Das finden wir öfters in den Evangelien. Jesus sieht einen Menschen und erkennt ihn auf einen Blick. Er guckt Menschen an als wären sie ein aufgeschlagenes Buch.

Du bist Simon, der Sohn von Johannes.

Alles liegt da offen vor ihm: Die Eltern von Simon, seine Kindheit, alles, was in seinem Leben gelungen und misslungen ist. Sein Charakter. Seine Macken.

Du bist Simon. Ich kenne dich!

So sieht Jesus auch uns an. Mit einem Blick sieht er hinter meine Masken und weiß, wer ich bin. Wer ich wirklich bin.

Aber dabei bleibt es nicht. Es kommt dieser zweite Satz: Dich wird man Kephas nennen, den Fels.

Aus dir will ich einen Felsen für meine Gemeinde machen.

Simon, dieser cholerische Fischer, dieser wankelmütige Mensch, der schneller redet als er denkt, der Jesus große Versprechen macht und ihn dann verleugnet – dich wird man Fels nennen. Ich werde dich zu einem Menschen machen, auf den man bauen kann.

Er sieht Simon an und weiß, was aus diesem Menschen werden kann.

Und so sieht er uns an; kennt unsere ganzen Macken und Schwächen. Aber sieht uns mit Augen der Liebe an und sieht, was aus uns werden kann, sieht dein Potenzial, sieht den Felsen in dir.

Simon hatte sich auf den Weg zu Jesus gemacht, um ihn kennenzulernen.

Und jetzt erlebt er:

Der, den ihn kennenlernen möchte, der hat mich schon erkannt.

Der, den ich finden will, hat mich schon gefunden.

Wenn heute ein Mensch zum Glauben kommt, kann er dieselbe Entdeckung machen.

Am Anfang denkt man: ich habe Gott gesucht. Ich habe mich wie ein Blinder durch alle möglichen Zweifel hindurch nach vorne getastet, immer näher an Gott heran, bis ich ihn schließlich gefunden habe.

Aber dann merkt man: Nicht ich habe Gott gefunden, sondern er hat mich gefunden.

Nicht ich habe ihn erkannt – er hat mich erkannt.

Ich habe mich auf ihn zubewegt, ja, aber er hat sich schon längst vorher auf mich zubewegt.

Mein ganzes Suchen und Finden ist sozusagen eingebettet in Gottes Suchen und Finden.

Simon erlebt aus erster Hand: In diesem Jesus tritt Gott selbst in mein Leben und nimmt meine Lebensgeschichte in seine liebevollen Hände.

Und so wird er ein Jünger,

wird selber ein Zeuge und wird viele andere in Bewegung bringen und zu Jesus führen.

Und so folgen immer neue Dreischritte:

Bezeugen – bewegen – erleben.

Von damals bis heute.

Amen.