Predigt G-MIT-Gottesdienst, 12.11.2023

12.11.2023

J.Berewinkel

Samuel Koch: Wir werden heute Geschichten erzählen von Menschen, die im Leid, in der Dunkelheit an Gott festhalten. Ein Mensch, der trotz eigene Leids am Leben festhält, ...

Samuel Koch:
Wir werden heute Geschichten erzählen von Menschen, die im Leid, in der Dunkelheit an Gott festhalten.
Ein Mensch, der trotz eigene Leids am Leben festhält, ist Samuel Koch. Samuel Koch, der seit seinem Unfall bei Wetten dass im Rollstuhl sitzt und dessen Unglück sehr öffentlich zur Schau gestellt wurde.
Er berichtet in davon, wie sein Vater direkt nach dem Unfall sagte: „Ich weiß, dass Samuel wieder glücklich werden wird.“
Warum sagte sein Vater das, fragte Samuel Koch sich? Platter Optimismus war nach Ansicht Kochs nicht die Sache des Vaters und auch der Vater selbst war ja betroffen, da er an dem Unfall beteiligt war.
Samuel Koch formuliert in seinem Buch StehaufMensch die Antwort: „Weil es wohl um das geht, was mich damals wie heute immer und immer wieder neu positiv denken und in die Zukunft schauen lässt: Hoffnung. Hoffnung ist weitaus mehr als nur ein paar rosige Gedanken, mit denen ich mich irgendwie über eine Misere rette. Hoffnung ist aktiv – im Grunde ist es eine existenzielle Trotzreaktion.
Hoffnung braucht ein Ziel. Und je schlimmer die Krise ist, die man erlebt, desto stärker muss die Hoffnung sein. Diese Hoffnung führt praktisch dazu, dass ich jetzt gerade Stehtraining mache, um meine Knochendichte langfristig stabil zu halten, meinen Kreislauf in Schwung zu bringen, Arthrose und Osteoporose vorzubeugen. Weil ich die Hoffnung habe, dass vielleicht doch eines Tages jemand den medizinischen Durchbruch entdeckt und ich dann meinen Körper am Start haben muss. In der Gegenwart tut es mir aber auch gut. Und dann gibt es da noch die langfristigere Hoffnung, bei manchen Menschen sogar überlebenslang über unsere irdische Existenz hinausgehend. Ich hoffe darauf, dass Gott mit allem, was mir passiert ist, ein langfristiges Ziel verfolgt. Und dass dieses Leben nicht alles ist, was ich zu erwarten habe.“
Samuel Koch berichtet auch von einem seiner Schlüsselmomente, in dem er in der schlimmsten Zeit seines Lebens nach seinem Unfall zum ersten Mal diese hoffnungsvolle Zuversicht gespürt hat: „Gerade fing mir an zu dämmern, dass ich diesmal nicht glimpflich davongekommen war. Ich würde nicht wie nach meinen sonstigen Unfällen auf meinen eigenen Beinen gesund und munter die Klinik verlassen. Du wirst nie wieder laufen können, nie wieder selbstständig leben. Drei endlose Monate hatte ich auf den Rücken gelegen, mit dem Kopf eingespannt in einer Schraubstockkonstruktion. Und nun ‚durfte‘ ich ein paar Minuten im Rollstuhl sitzen. Man fuhr mich auf den Balkon. Schmerzen. Frustration. Alle Träume für ewig zerplatzt? In diesem Moment war es die einzig logische Konsequenz, mich an Gott zu wenden. Wohin sonst sollte ich jetzt noch gehen? Das Loch in meinem Hals, durch das ich bis vor Kurzem noch beatmet worden war, war noch nicht ganz zugewachsen, als ich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder bewusst durch Mund und Nase unklimatisierte Bergluft einatmete. Und plötzlich verspürte ich eine scheinbar grundlose Freude. Eine, die von innen heraus kam. Über die Luft zum Atmen, die Schönheit der Schöpfung, die Menschen in meiner Umgebung und das Leben als solches.“

Martin Dreyer: Volxbibel
Martin Dreyer ist der Gründer der Jesus Freaks. Das ist eine überkonfessionelle christliche Jugendbewegung, die sich in den 90er Jahren gegründet hat. Er war in diesen Jahren viel unterwegs und enorm gefragt – reiste um die Welt und hielt Vorträge. Dabei war er wegen seiner direkten Art schon von Anfang an eine umstrittene Figur.
Martin Dreyer selbst hatte in dieser Zeit Drogenprobleme – mit den Drogen hatte er schon in seiner Schulzeit begonnen und konnte sich nicht von ihnen lösen. Trotz seiner zur Schau gestellten christlichen Überzeugung nahm er heimlich weiter Drogen und seine Versuche, sich von den Drogen zu lösen scheiterten immer wieder. Eine Überdosis führte in 1999 in eine Suchtherapie. Die Ärzte teilten ihm dort mit, dass er sein Leben lang auf Hilfe angewiesen sein wird.
Was dann passiert, bezeichnet er als ein Wunder: Er lernt seine heutige Frau Rahel kennen und beginnt ein neues Leben in einer neuen Stadt, studiert Pädagogik und macht sein Diplom. Er erzählt von dieser Zeit: „Vor einigen Jahren hatten die Ärzte noch prophezeit, dass ich auf Lebzeiten ein Pflegefall sein würde, denn mein Gedächtnis war dauerhaft geschädigt. Aber jetzt war ich plötzlich in der Lage, einen Hochschulabschluss mit 1,7 zu bestehen.“ Zusätzlich arbeitete er in einem Kölner Jugendzentrum und nahm sich dort den Bedürfnissen und Wünschen der Jugendlichen an, die sozial ausgegrenzt waren und teilweise genau wie er mit einer Drogensucht zu kämpfen hatten. Die Jugendlichen konnten ihn verstehen und er konnte sie verstehen.
Er erkannte, wie schwer der Zugang für diese Jugendlichen zum Glauben und besonders zur Bibel war. Das Projekt der Volx-Bibel entstand in dieser Zeit. Martin Dreyer setzte sich mit den Jugendlichen zusammen und übertrug das Neue Testament in deren Sprache – später folgte das Alte Testament. Dieses Projekt mit Jugendlichen gab ihm Kraft und eine Orientierung. Es gelang ihm, endlich dauerhaft mit den Drogen aufzuhören. Er hatte das Gefühl, wirklich Menschen zu erreichen, die die christliche Botschaft so dringend brauchten, wie er sie früher gebraucht hätte und immer noch braucht.
Die Volxbibel erregte damals große Aufmerksamkeit und war ein Bestseller. Sie war aber nicht unumstritten. Jeden Tag erhielt Dreyer an die 600 Mails mit Anfeindungen und Kritik. Er hielt trotzdem an seinem Projekt fest und erklärt: „Die Leser sollen sagen: Die Situation kenne ich.“ Die Volxbibel soll andere dazu bringen, trotz allem „mit diesem Jesus zu leben“, sagt Dreyer.
Heute existiert heute die Volxbibel immer noch. Als Open-Source Projekt wird sie aktuell von vielen Menschen in einer Online-Community komplett überarbeitet. So gibt die Volxbibel Dreyer und anderen heute noch großen Halt.

Real Life Guys und Psalm 73:
Die Real Life Guys ist der Name eines erfolgreichen Youtube-Kanals. Die beiden Brüder Johannes und Philipp Mickenbecker aus Darmstadt wollten damit junge Menschen dazu bewegen, in die Natur zu gehen und Abenteuer zu erleben. Mit Projekten wie dem Bau eines Baumhauses oder eines U-Boots aus Badewannen regten sie Jugendliche dazu an, selbst etwas in der Natur zu machen. So sollten diese weniger zuhause vor dem Handy oder PC zu hängen.
Ihr Kanal hat 1,6 Millionen Abonnenten und war sehr beliebt. Dann veröffentlichte Philipp seine schwere Erkrankung an Lymphdrüsenkrebs im Oktober 2020. Bereits als Teenager war 2013 der Krebs das erste Mal aufgetreten, aber er hatte es nie öffentlich zu einem Thema gemacht. Erst in dieser letzten Phase seines Lebens sprach er auch öffentlich über seine Erkrankung, die ihm anfangs riesige Angst gemacht hat. Dabei betont er immer wieder, welche Kraft ihm sein Glaube gibt, mit diesem Schicksalsschlag umzugehen. Kurz vor seinem Tod unternimmt er noch eine Island-Reise mit Freunden, die seine Abschiedsreise sein soll. Die Ärzte geben ihm zu diesem Zeitpunkt noch zwei Wochen bis zwei Monate. Immer wieder drückt Philipp die Hoffnung aus, dass es nach dem Leben weitergeht. Zugleich lässt ihn die Diagnose seine Gegenwart intensiver erleben. Er erzählt: „Mir ist bewusst geworden, dass jede Minute im Leben wertvoll ist. Zeit ist etwas, was man nie zurückbekommen kann.“ Und er blickt am Ende ehrlich auf seinen nahenden Tod in der Hoffnung, dass es danach für ihn weitergeht: „Mir reicht es auch, wenn Gott mich im Himmel gesund macht.“
Am 9. Juni 2021 stirbt er dann, weniger als ein Jahr nach der Bekanntmachung seiner Krankheit. Bis zum Schluss sind seine Familie und Freunde bei ihm und begleiten ihn.
Heute gibt es auch eine Dokumentation, die aktuell noch im Kino zu sehen ist. Eine Dokumentation über Philipp und seinen Abschied, in der es auch immer wieder um seine Hoffnung geht, dass Gott ihn bei sich aufnehmen wird: „Gott nimmt schweres nicht weg, sondern er trägt uns durch“ sagt er. Bei Gott wird es für ihn weitergehen, da ist er sich sicher.

Sie haben jetzt drei Geschichten gehört. Drei Geschichten von Menschen, die Leid und Dunkelheit in ihrem Leben erfahren haben. Deren Geschichte nicht immer gut ausging. Und die doch an Gott festhalten. Menschen, für die Gott Hoffnung ist, für die Gott Orientierung ist und letztlich auch Sehnsucht. In ihren Krisen berichten alle auch von Angst und Zweifeln. Aber auch von diesen Momenten der Hoffnung, die immer wieder aufscheinen
Es gibt in der Bibel einen Psalm, der etwas ganz Ähnliches berichtet: Der Psalm 73. Dort berichtet ein Psalmbeter von seinem Leben: Ich aber wäre fast gestrauchelt mit meinen Füßen. Um ein Haar hätte ich den Halt verloren. Der Beter berichtet davon, wie es anderen viel besser geht als ihm selbst. Wie er ein schweres Leben geführt hat, mit vielen Rückschlägen und Konflikten. Das Ganze führt er über mehr als 20 Verse aus. Und dann wechselt da plötzlich der Ton:
Trotzdem bleibe ich immer bei dir. Du hast mich an die Hand genommen. Du führst mich nach deinem Plan. Und wenn mein Leben zu Ende geht, nimmst du mich in deine Herrlichkeit auf. Wen habe ich denn im Himmel? Bei dir zu sein, ist alles, was ich mir auf der Erde wünsche. Auch wenn mein Leib und mein Leben vergehen, bleibst du, Gott, trotz allem mein Fels und mein Erbteil für immer! Ich aber bekenne: Gott nahe zu sein, ist gut für mich. Bei Gott, dem Herrn, habe ich meine Zuflucht. Von allen seinen Werken will ich gerne erzählen.

Trotzdem bleibe ich immer bei dir – heißt es in der Basisbibel. Ich sehe die Ungerechtigkeit der Welt, sehe das Leiden, all das steckt in dem dennoch. Der Beter verschließt nicht die Augen vor der Welt, vor dem Krieg, vor der eigenen Unfähigkeit, etwas zu tun.
Trotzdem gebe ich dich nicht auf Gott. Trotz all dem Schlechten, all der Erfahrungen der Ungerechtigkeit, gibt er Gott nicht auf.
Das ist für mich ein Kernsatz des Glaubens – zum Glauben gehört auch die Ratlosigkeit und der Zweifel. Auch die Klage, dass man eine Kerze entzündet für alles, was belastet. Aber auch, dass man Gott nie ganz aufgibt. Die Hoffnung, dass die Dinge nicht so bleiben müssen, wie sie sind. Die Hoffnung, dass Gott etwas Besseres für uns wünscht.
Dietrich Bonhoeffer hat einmal zur Hoffnung etwas Schönes geschrieben: „Nicht unserer Hoffnungen werden wir uns einstmals zu schämen haben, sondern unserer ärmlichen und ängstlichen Hoffnungslosigkeit, die Gott nichts zutraut, die in falscher Demut nicht zugreift, wo Gottes Verheißungen gegeben sind.“
Oft kommen wir uns zynisch oder naiv vor, wenn wir allzu schnell hoffen. Aber Glaube ist Hoffnung. Das ist ganz entscheidend etwa für Samuel Koch, aber auch für den Psalmbeter. Da ist der Glaube an Gott der Treibstoff für die Hoffnung, die uns auch im Angesicht vom Bösen, ermöglicht, dass wir nicht aufgeben, uns für das Gute einsetzen und mit Gott gehen.
So heißt es ja auch weiter im Psalm: „. Du hast mich an die Hand genommen. Du führst mich nach deinem Plan. Und wenn mein Leben zu Ende geht, nimmst du mich in deine Herrlichkeit auf.“
Diese Hoffnung des Psalmbeters, dieser Protest gegen die Welt, wie sie ist, und die Zuversicht und dieses Vertrauen in Gott, wünsche ich uns allen. Denn bei Gott ist sogar noch mehr möglich, als wir zu hoffen wagen.
Amen