Predigt Lk 17,11-19, 14. So. n.Tr.

10.9.2023

J.Berewinkel

Liebe Gemeinde, Erinnern Sie sich noch: An die Zeit der Masken. An die Zeit, die wir in Isolation und Quarantäne verbracht haben. Ich vermute mal, dass ...

Liebe Gemeinde,

Erinnern Sie sich noch: An die Zeit der Masken. An die Zeit, die wir in Isolation und Quarantäne verbracht haben. Ich vermute mal, dass mindestens Einige von uns auch Corona hatten. Und die, die es durch einen positiven Test und Symptome auch wussten, waren dann in Isolation. Zehn bis vierzehn Tage zuhause isoliert. Essen wurde von Freunden oder Lieferdiensten gebracht. Ab und zu erkundigte sich das Gesundheitsamt freundlich aber energisch, wie es uns ging.

Dann hatten wir irgendwann unseren negativen Test in der Hand und durften wieder vor die Tür. Hatten vielleicht noch Nachfolgen, die hoffentlich inzwischen abgeklungen sind. Inzwischen erscheint mir Corona wahnsinnig weit weg. Schnell ist die Pandemie aus dem Bewusstsein geraten – auch wenn es aktuell ja wieder einige warnende Stimmen gibt. Aber es scheint, andere Krisen haben uns nun im Griff – es wird ja nicht langweilig. Corona ist doch inzwischen im Hintergrund unseres Sorgenpanoramas.

Aber wie die Zeit der Isolation war, an dieses Gefühl, allein zu sein, an die Langeweile und auch der Angst, daran erinnere ich mich noch gut.
Wie es war, nicht rauszukommen. Von der Gesellschaft isoliert zu sein, von ihr als gefährlich betrachtet zu werden, ist ein schrecklicher Zustand.

Im heutigen Predigttext geht es genau um solche. Menschen, die von der Gesellschaft isoliert waren. Die keinen Umgang mit anderen pflegen konnten. Sie hatten zwar kein Corona. Das ist ja eine Krankheit, die man den meisten gar nicht direkt ansieht. Sie hatten Aussatz und waren deutlich als krank, als unrein, erkennbar. Sie wurden schon von ferne erkannt und die Leute gingen ihnen aus dem Weg. Damit ist wohl Art Hautflechte oder ein Ausschlag gemeint, aber nicht Lepra oder etwas ganz tödlich. Auf jeden Fall aber eine ansteckende Krankheit, so dass schon die jüdischen Reinheitsvorschriften, wie unsere Medizin, vernünftigerweise eine Isolation vorsehen. Allerdings eine Isolation außerhalb des eigenen Hauses, außerhalb der Stadt – so wie es auch in Europa lange Zeit in Pesthütten und ähnlichem praktiziert wurde.

Aber ich lese erst einmal den Predigttext:
Und es begab sich, als er nach Jerusalem wanderte, dass er durch das Gebiet zwischen Samarien und Galiläa zog. 12Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne 13und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! 14Und da er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein. 15Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme 16und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter. 17Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? 18Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde? 19Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.
Diese Zehn Aussätzigen rufen also Jesus um Hilfe! Mit aller Verzweiflung bitten sie ihn.
Und Jesus, sieht sie an. Bevor er sie heilt, sieht Jesus sie an. Das macht Jesus immer. Er schaut an, wen er vor sich hat. Das finde ich hier nochmal besonders stark, weil die zehn Aussatz haben. Das sind ja eigentlich Leute, die man ungerne ansieht. Aber Jesus spult nicht seine Predigt ab, sondern schaut, wer da vor ihm steht und was dieser Mensch braucht.
Dann, nachdem er sie gemustert hat, trägt er ihnen auf: Geht zu euren Priestern. Er vollbringt hier kein Wunder durch Handauflegung oder Zauberspruch.
Er trägt ihnen einfach auf, zur Teststation, zu den Magiermedizinern, zu den Lauterbachs ihrer Zeit zu gehen, und sich dort überprüfen zu lassen. Vielleicht ist es schon dieser Blick, der den Zehn die Kraft gibt, der Prüfung der Priester zu bestehen und ihre Krankheit zu überwinden.

Und dann kommen Sie da an bei den Priestern. Und diese befinden sie für rein. Ihr Ausschlag scheint zurückgegangen zu sein, sie müssen nicht mehr von den anderen isoliert leben.

Wie war das bei Ihnen, als Sie irgendwann ihren negativen Test erhalten hatten? Wo sind Sie dann als erstes hingegangen? Zu Ihren Familien? erstmal in die Stadt ordentlich shoppen? Oder haben Sie sich einfach erleichtert ins Sofa gelegt und gehofft, dass Sie sich bald besser fühlen? Ich weiß noch, dass ich damals als erstes essen gegangen bin und dabei die frische Luft genossen habe.

Und so verstreuen sich auch die zehn vormals Aussätzigen scheinbar in alle Himmelsrichtungen. Der eine geht vielleicht seine Mutter besuchen, die er seit Wochen nicht sehen konnte. Ein anderer seine Kinder. Wieder einer kann endlich die Reise in sein Heimatdorf antreten, nachdem er sich auf dem Weg zur Hochzeit seiner Schwester irgendwo angesteckt hatte.

Nur einer erinnert sich in der Hektik des Aufbruchs, wer ihn in seinem Leid wirklich gesehen hat. Wer ihm den Weg gewiesen hat. Jesus, hatte ihnen gesagt, sie sollen sich auf den Weg machen.

Nur einer ging zurück. Er lief zu Jesus zurück, um ihm zu danken.

Warum kann man nicht danken

Warum misslingt den anderen neun der Dank? Warum kommt nur einer zu Jesus zurück?
Ich glaube, wir sind ganz oft, wie die Aussätzigen. Wenn uns etwas Gutes widerfährt, wenn sich uns eine neue Möglichkeit bildet, laufen wir ihr oft hinterher. So schnell wie möglich. Was wenn sich die Tür wieder schließt?

Von dem einen, der zurückkehrt, können wir lernen innezuhalten, wenn uns etwas Gutes widerfährt. Innezuhalten und zu danken.
Bei Krankheiten wie Aussatz – oder auch Corona – spüren wir ganz stark, wie wir uns nicht selbst unter Kontrolle haben. Das sind Momente, wo wir mit andere Intensität beten, ob wirklich bewusst, oder nur immer wieder in Stoßgebeten. Da erleben wir, wie unser Leben auf so etwas wie Fügung, Hilfe angewiesen ist. Ich denke, genau deshalb gibt es in den Evangelien so viele Krankenheilungsgeschichten. Hier haben die Menschen ihr Leben am ehesten nicht unter Kontrolle. Sind höheren Mächten unterworfen. Mächte mit denen wir hadern und mit denen wir ringen.

Der eine, der zurückkommt, erkennt das und dankt Jesus. Er hat im Blick Jesu Gott erkannt. Gott, der den sieht, der nach ihm ruft.

„Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? 18Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?“

Wie stellen Sie sich die Stimmung von Jesus vor, als er das fragt? Ist es der wütende Jesus, wie er im Tempel die Tische umstößt, empört über die Undankbarkeit der neun?
Oder ein trauriger Jesus, der es schade findet, dass niemand Gott danken möchte? Oder ist er vielleicht traurig, dass die neun nicht verstanden haben, was er ihnen zeigen wollte?

Ich glaube, es geht eher in eine solche Richtung. Vielleicht ist Jesus hier traurig, dass die neun sich nicht die Zeit genommen haben, Gott in all ihrem Treiben zu sehen und zu danken. Sie sind einfach auseinander gegangen. Sie haben Gott zwar in ihrer Not angerufen, aber als ihnen dann geholfen wurde, sind sie schnell in den Alltag zurückgerannt.

Vielleicht war auch ihre Situation so, dass kein Dank möglich war. Ihre Familien haben möglicherweise ihren Lebensunterhalt verloren, konnten sich nicht mehr ernähren und die neun, wollten so schnell wie möglich zu ihnen eilen. Lukas kritisiert in seinen Erzählungen unterschwellig oft eine Gesellschaft, die Schwachen nur minimale Unterstützung gewährt. So etwas könnte hier dahinterstecken.

Wer von seiner Familie monatelang isoliert sein muss, dem kann der Dank im Halse stecken bleiben. Wer durch Coronamaßnahmen nicht richtig Abschied von geliebten Menschen nehmen konnte, den belastet das noch für eine lange Zeit – auch wenn er auf einer abstrakten Ebene die Maßnahmen nachvollziehen kann. So verurteilt Jesus in meinen Augen nicht die, die nicht danken können, sondern schaut voll Mitgefühl auf sie und hofft, dass sie irgendwann mehr Heilung als nur die körperliche erfahren und dann danken können.

Aber das Danken kann ja auch Angst machen. Weil es heißt, dass Gott wirklich helfen kann. Vor kurzem habe ich mit einigen Pfarrerinnen und Pfarrern von der Vereinten Evangelischen Mission über Heilungsgebete und Heilungsgottesdienste gesprochen. In Tansania oder in Indonesien sind solche Rituale unter den Christen ganz normal und durchaus strengen Regeln und Liturgien unterworfen – so muss etwa neben anderen Bedingungen immer parallel auch eine medizinische Behandlung durchgeführt werden. Aber oft genug sind Menschen dann wirklich gesund geworden und haben ihren Pfarrern und Ältesten dafür gedankt.

Die VEM organisiert übrigens auch Tagungen zu solchen Themen. Interessanterweise kommen dazu aber noch Mediziner und Psychiater. Theologen halten großen Abstand zu diesen Themen.

Das wirkt auf uns ja auch etwas merkwürdig. Aber ein Pfarrer aus Tansania hat mich dann zum Nachdenken gebracht. Er meinte zu mir, dass das wovor wir Christinnen und Christen hier in Deutschland am meisten Angst haben, ist dass ein Gebet beantwortet wird.
Weil dann Gott ganz konkret unser Leben berührt. Selbst wenn wir für etwas beten, das dann erfüllt wird, schieben wir die Erinnerung an unser Gebet schnell zu Seite. Reden lieber von Glück als von Gott.

Der Text und die Bibel möchten uns aber ermutigen, mit Gott zu rechnen. Mit Gott zu rechnen, der auch uns ansieht in unserem Leben wirkt.

Wie schaffen wir das? Wie können wir uns diesem Gott öffnen?
Die letzte Aufforderung von Jesus an den Samaritaner ist, denke ich, ein guter Hinweis: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.

1. Steh auf und geh hin
Steh auf und geh hin. Das beschreibt eigentlich das, was die Zehn am Anfang gemacht haben. Sie haben Jesus vertraut und sind einfach losgezogen. Jesus steht jetzt nicht direkt vor der Kirchentür und sagt uns, wo wir hinmüssen. Aber Gott teilt sich auch auf andere Weise mit. Er setzt uns in Situationen, in denen wir Menschen ansehen und handeln können. In denen wir das Gute für die Anderen tun können. Jesus sagt etwa, dass er uns in Kranken, Armen, ja in jedem anderen Menschen begegnet, der uns ansieht und den wir richtig ansehen.

In der Lesung haben wir von Jakobs Traum gehört. Jakob hat im Traum von Gottes Plänen mit ihm gehört und ihm daraufhin einen Altar gebaut. Das ist für mich auch etwas ganz Vertrauensvolles. Er hört Gott und folgt diesem Ruf. Manchmal haben wir auch so Eingaben, ja Intuitionen, denen es sich zu folgen lohnen kann.

Steh auf und geh hin. Der erste Schritt.

2. Dein Glaube hat dir geholfen
Das alles tun aber auch die neun. Auch sie stehen auf und gehen. Aber nur der eine kommt zurück. Und ich glaube, dass ihm dabei sein Glaube geholfen hat. Sein Vertrauen, dass seine Heilung mehr als nur Glück war, dass Jesus ihm geholfen hat. Und dieser Glaube führt ihn zurück und lässt ihn Gott danken.
Diesen Glauben, dass Gott uns schon geholfen hat und helfen kann, möchte Jesus in uns wecken.
Und Glauben können wir nicht selbst in uns hervorrufen, aber wir können ihn doch einüben. Dorothee Sölle hat die Übung betrieben, jeden Tag drei Dinge aufzuschreiben, für die sich Gott dankt. Was heute als Dankbarkeits- oder Achtsamkeitslisten zur Selbsthilfe dient, war eigentlich eine geistliche Übung. Eine Übung darin, in einer Welt Dank zu finden, in der so wenig dankenswert, in der so viel brutal erscheint. Aber eine Übung, die sich lohnt.
Vielleicht fallen Ihnen jetzt auch drei Dinge ein, für die Sie dankbar sind. Drei Dinge, über die Sie in ihrem Leben nicht verfügt haben, die Ihnen von Gott gegeben worden sind. Vielleicht fällt Ihnen jetzt sofort etwas ein, vielleicht auch heute Nachmittag in Ruhe. Und wenn Sie Gott dann dafür danken, bleiben Sie offen für sein weiteres Wirken. Sie nehmen seine Liebe an. Liebe, die den Weg mitgeht. Dann gilt für Sie das, was Jesus zum Samaritaner sagt: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen